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15 Calling Frankfurt

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Deutschland

Im Tarnkappenjet - nahe Frankfurt


»Also entweder bin ich zu blöd, die Schalter zu bedienen und die Anzeigen richtig abzulesen - oder diese Kiste hat doch noch mehr Sprit in den Tanks, als ich angenommen habe«, sagte Jessica etwas irritiert.

Otis war kurz eingenickt. Er rieb sich den Nacken und ächzte kurz. »Das heißt ...«

Jessica zuckte schwach mit den Achseln. »Wir könnten theoretisch Frankfurt links liegen lassen und bis nach Port Grönland weiterfliegen. Allerdings - nur theoretisch. Mir wäre es schon lieber, wenn die Tanks aufgefüllt werden. Dieser Triebwerkstyp ist die letzte technische Neuentwicklung vor dem großen Knall. Effizient bis zum Gehtnichtmehr. Kein Auftanken in der Luft, extrem großer Aktionsradius … Leider widerspricht sich die künstliche Intelligenz immer öfter. Ich habe verschiedene Logikabfragen durchlaufen lassen. Standardtests. Vieles passt hinten und vorne nicht. Mir gefällt das nicht.«

Otis nickte. »Mir auch nicht.« Er grinste. »Aber das ist ja nichts Neues, was die Fliegerei und die dämlichen Computer angeht. Du kennst mich ja …«

Ein Stöhnen aus dem hinteren Bereich brachte die beiden dazu, zu Linda Carruthers zu sehen, die wieder einen Albtraum zu durchleben schien.

»Vorhin dachte ich, sie würde sich zum Zombie verwandeln«, sagte Jessica ruhig. Sie betrachtete nachdenklich ihre Spezialpistole mit Gummigeschossen, die zur Ausrüstung des Jets gehörte. Von ihrer Position aus hätte Jessica schießen können, ohne die Zelle des Tarnkappenjets zu beschädigen.

»Sollen wir sie wecken?«, fragte Otis unschlüssig.

»Keine Ahnung. Solange sie schläft, macht sie nichts kaputt. Und meine medizinische Notfallausbildung habe ich nur mit Widerwillen hinter mich gebracht. War nie so mein Ding ...«

»Meins auch nicht. Auf was für Kurse mögen die uns noch schicken, wenn es keine weiteren Einsätze gibt? Die vom Stab kommen nur noch auf blöde Gedanken …« Otis grinste.

Plötzlich ging ein Ruck durch den Flugkörper. Er schien durchzusacken. Otis griff im Reflex nach den Gurten. Jessica, die noch angeschnallt war, schwang mit ihrem Sitz herum und sah mit stoischer Miene zu den Kontrollen.

»Verbindung zur Basis abgebrochen. Kontakt zu Satellit ebenfalls. Übernehme manuelle Kontrolle. Autopilot fluktuiert. Versuche Neustart des Systems ...« Sie sprach mehr zu sich selbst, aber Otis war ihr dankbar dafür. Ihre Worte wirkten beruhigend. Da saß wenigstens jemand an den Kontrollen, der sich auskannte und den Vogel hoffentlich abfangen konnte.

Erneut durchlief ein Zittern den Rumpf. Jessica hatte den Neigungswinkel geändert, und der Tarnkappenjet raste auf die Erde zu.

Jessicas Augen huschten über die Anzeigen. Sie hielt den Joystick mit beiden Händen krampfhaft umfasst und versuchte gegenzusteuern.

Otis spürte, wie ihm schlecht wurde. Fliegen war nie sein Ding gewesen. Abstürzen noch weniger, dachte er in einem Anflug von Galgenhumor.

Einige Minuten vergingen. Jessica gelang es, die Nase des Jets wieder hochzuziehen. Das Rattern und Zittern der Zelle verringerte sich und war kurze Zeit später ganz verschwunden. Otis bewunderte, wie Jessica einerseits den Joystick bediente und noch im selben Moment eine Hand über die Tastsensoren und Schalter huschen ließ. Auf zwei Testbildschirmen liefen Programme ab, die Jessica im Auge behielt. Sie verzog kurz das Gesicht, dann drückte sie in schneller Abfolge einige Tasten. »Ich habe die KI zurückgesetzt und auf den Standardautopiloten umgeschaltet. Glücklicherweise lassen die uns bei dem Ding hier die Wahl, sonst wären wir ganz schön im Arsch. Die KI scheint sich in einer Endlosschleife verfangen zu haben. Da hat jemand Mist gebaut. Ganz großen Mist.«

Otis erwiderte nichts darauf. Das Rauschen der Turbinen veränderte sich nach einigen Minuten. Einige LED-Gruppen, die zuvor nervös geblinkt hatten, zeigten wieder Grünwerte. Offensichtlich verlief der Flug wieder normal.

Jessica wischte sich über die Stirn. Sie schwitzte. Erst jetzt wurde Otis klar, wie viel Kraft es sie gekostet haben musste, den Joystick zu bedienen. Das war kein Videospiel, sondern da waren mechanische Kräfte am Werk, die einen an den Rand der Belastbarkeit bringen konnten.

»Kontakt zur Basis Cleveland - negativ. Kontakt zu Satellit - negativ. Treibstoffanzeige - innerhalb normaler Parameter. Mal wieder … Wir kommen sicher bis zur Festung, hoffentlich. Allerdings muss ich noch mal das Handbuch durchgehen. Es ist eine Sache, die Kiste zu fliegen, die Schubumkehrdüsen manuell zu bedienen, ist etwas vollkommen anderes. Ich hoffe nicht, dass ich uns in den Boden bohre, wenn wir runtergehen.«

Otis sagte nichts dazu.

Jessica aktivierte ein Display, auf dem das elektronische Handbuch erschien. Ihre Lippen bewegten sich stumm vor sich hin, als sie die Seiten überflog. Kurz darauf schwang sie mit ihrem Sitz herum und sah Otis ironisch an.

»Das ist ein Witz. Wenn Sie die richtige Landeposition erreicht haben, drücken Sie bitte zuerst den orangefarbenen Knopf, dann den blauen. Die Automatik wird die Schubumkehr für Sie erledigen. Das manuelle Eingreifen wird nicht empfohlen, da die Schubumkehr permanent berechnet werden muss ...«, sagte Jessica in ironischem Tonfall. »Die haben das Ding wirklich für Idioten konzipiert, die nur noch aufs Knöpfchen drücken müssen.«

»Und du meinst, dass die Landeautomatik funktioniert?«

Jessica zuckte die Achseln. »Muss sie - hoffe ich ... Die Kiste lässt sich ja jetzt auch über den Joystick steuern. Viel zu tun habe ich nicht. Der künstliche Horizont und die Infodisplays zeigen mir das Nötigste an. Ist fast wie Autofahren, halt nur in der Luft ...«

Otis musste lachen, dabei war die Situation alles andere als komisch.

»Okay«, sagte er schließlich. »Versuch mal, ob du die Festung reinkriegst. Am besten verlangst du gleich, Erik Böhmer. Wir kennen uns von früher.«

Jessica reichte Otis ein Headset und grinste sarkastisch. »Schätzchen, ich bin nicht deine Tippse vom Dienst.« Sie drückte verschiedene Knöpfe und nickte dann. »Du kannst sprechen, Frankfurt müsste dich hören.«

Otis sagte seinen Spruch auf, doch der Mann, der sich meldete, war ihm unbekannt.

»Dann geben Sie mir sonst jemanden!«, sagte Otis nach einer Weile.

Jessica stutzte. Das klang nicht gut. Otis war sauer, das konnte sie seiner Stimme entnehmen.

»Bestätigen Sie mir den Code!«, sagte Otis plötzlich. Er wiederholte die vereinbarte Kontrollphrase, worauf Frankfurt die entsprechende Antwort geben musste.

»Den Mist können Sie sich schenken«, giftete Otis ins Mikrofon. »Ich will den Kontrollspruch hören, keine Märchen. Böhmer kennt ihn und noch zwei andere. Sie müssten wissen, wen ich meine. Unser Einsatz wurde zwischen der Leitung von Festung Frankfurt und Cleveland koordiniert, und ...«

Otis stutzte. Er nahm das Headset ab. »Die haben einfach die Leitung gekappt ...«

»Ob es erneut zu einem Ansturm von Untoten kam?«, meinte Jessica.

Otis schüttelte den Kopf. »Nein, so klang das nicht. Der Kerl hatte einen ganz komischen Tonfall drauf. Das war kein Militär. Ich weiß überhaupt nicht, was oder wer das war. Er hatte einen starken deutschen Akzent. Er sprach ein seltsames Englisch, das wohl so klingen sollte, als hätte er sich irgendwo in den dunkelsten Ecken von New York herumgetrieben.«

Jessica und er schwiegen eine Weile, in der sich der Jet weiterhin Frankfurt näherte.

»Ich werde im Tiefflug einige Runden ziehen, bevor wir runtergehen«, sagte Jessica schließlich.

Otis nickte. »Mit dem Runtergehen warten wir besser noch. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass Frankfurt mittlerweile eine Sackgasse ist. Weiß der Teufel, was dort los ist.« Er schürzte die Lippen. »Wie schnell kriegst du die Kiste wieder hoch, wenn wir erst einmal unten sind?«

Jessica sah ihm in die Augen. »Theoretisch - laut Handbuch - kann der Start sofort wieder eingeleitet werden. Die Schubumkehrdüsen verbleiben ja in ihrer Position. Du weißt: Drücken Sie den Knopf soundso ...«

Obwohl es der Situation vielleicht nicht angemessen war, musste Otis lachen.

»Zwei Hirnis im High-Tech-Jet. Wir machen uns gut.«

Frankfurt tauchte am Horizont auf. In der Ferne waren die ausgebrannten Türme des Bankenviertels zu sehen. Jessica korrigierte den Kurs etwas. Kurze Zeit später näherten sie sich dem Areal des ehemaligen Flughafens. Sie verzögerte und ging tiefer. Otis bediente die Außenbordkameras und zoomte den Flughafen heran.

»Scheiße!«, stieß er kurz darauf hervor.

Jessica wandte ihm das Gesicht zu. »Was?«

»Da hängen etliche Leichen aus den Fenstern. An den Füßen aufgehängt.« Er spielte an den Kontrollen und versuchte, das Bild schärfer einzustellen. »Man hat den Menschen offenbar die Kehle durchgeschnitten.«

Für einige Momente schwiegen sie. Jessica flog einen weiten Bogen.

Plötzlich sahen sie Mündungsfeuer.

»Weg hier!«, ordnete Otis an. Jessica hatte schon von sich aus reagiert. Sie änderte den Kurs und ließ den Jet steigen.

»Und jetzt?«, fragte sie. »Ramstein ist tot, aber das wussten wir ja.«

»Hahn!«, sagte Otis schnell. »Ob wir dort Kerosin auftreiben können, ist mir im Augenblick egal. Ich will nur runter und raus aus dieser Kiste, und dann versuchen wir, ob wir Cleveland nicht doch erreichen können.«

»Ist Frankfurt Hahn hier in der Nähe?«, fragte Jessica.

Otis schüttelte den Kopf. »Nein, die Bezeichnung ist idiotisch. Hahn liegt näher an Koblenz und Mainz ...«

Jessicas Hände huschten über die Tastatur. Eines der Displays spuckte eine Karte aus. »Da ist es.« Sie korrigierte erneut den Kurs. »In ein paar Minuten sind wir da.«

Otis wirkte sehr nachdenklich. Offensichtlich war an den Gerüchten von den Marodeuren doch mehr dran, als alle in Cleveland vermutet hatten. Er hatte es zuerst nicht bewusst registriert, doch Festung Frankfurt war mehrfach beflaggt gewesen. Und es war nicht Schwarzrotgold gewesen, was da von den Gebäuden hing, sondern das waren der Reichsadler, Hakenkreuze und Symbole, die er nicht kannte, aber mit dem alten Kaiserreich assoziierte. Das Land ging sprichwörtlich den Bach runter - und nicht nur wegen der Untoten. Die Reichsbürger und andere schienen ernst zu machen. Fragte sich nur, wie lange ...

Kurze Zeit später tauchte der Hahn vor ihnen auf. Jessica zog auch hier einige Schleifen. Auf dem Landefeld waren einige Passagiermaschinen kreuz und quer abgestellt. Ein normaler Jet hätte bei dem Chaos dort unten nicht mehr landen können.

Jessica wies auf eine freie Stelle zwischen zwei mittelgroßen Passagierflugzeugen. »Ich gehe dort runter.«

»Da latschen ein paar Zombies rum«, stellte Otis lakonisch fest. »Und auch am Ende der Startbahn. Die scheinen nicht zu kapieren, dass sich dort ein Zaun befindet - und es nicht weitergeht. Das bekannte Szenario: Zaun, Zombies - und sie stehen blöd davor herum ...«

Jessica verzog die Lippen. »Wenn es sonst nichts ist ... Mit denen werden wir doch spielend fertig.«

Otis nickte. »Und dann lassen wir uns mal überraschen, wer sich im Flughafen aufhält. Wenigstens sehe ich nirgendwo Flaggen. Hier scheinen sich die Marodeure also noch nicht breitgemacht zu haben.«

»Noch nicht«, konterte Jessica. »Wenn sie wirklich einen großdeutschen Traum träumen, werden sie auch irgendwann hier auftauchen.«

»Wenn es auf dem Hahn noch etwas zu holen gibt.«

»Ja«, erwiderte Jessica. »Lauter wenn´s. Und wenn´s der Teufel will, fahren wir zur Hölle, nicht wahr?«

»Morgen, Jess. Aber nicht heute.«

Jessica sah ihm ins Gesicht. Was sie sah, gefiel ihr. Das war wieder der alte Otis. Da war wieder dieser gewisse Glanz in seinen Augen, wenn es in einen diffizilen Einsatz ging.

»Wo sind wir?«, fragte Linda Carruthers, die aufgewacht war und sich auf ihrer Liege aufrichtete. »Mann, ich habe vielleicht einen Hunger, und ich könnte ein ganzes Fass leeren.«

»Geht es Ihnen gut?«, fragte Jessica.

Carruthers nickte. »Auf jeden Fall sehr viel besser als zuvor. Ich habe vielleicht einen Mist geträumt. Habe ich geschnarcht? Auf der ISS haben sie sich manchmal darüber beklagt.«

»Geschnarcht nicht, so was Ähnliches«, erwiderte Jessica lächelnd. Wenigstens schien es so, als wäre die Carruthers über den Berg.

Sie und Otis konnten nicht ahnen, dass die Stunden von Linda Carruthers gezählt waren. Und mit Carruthers würde eine neue Ära der Untoten eingeleitet werden. Noch war das Zukunftsmusik. Noch.

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