Читать книгу p¡r@t€Z - Jo L.L. Roger - Страница 11

0b0000101: [Die Filmpremiere]

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Im Foyer des AmphiPlex herrscht reges Treiben, als Carl zur Spätschicht erscheint. Das Kinopersonal vervollständigt eifrig die fehlenden Teile der Dekoration. Auf den Catwalks laufen Techniker herum, die letzte Kabel verlegen und Scheinwerfer ausrichten. Leonard dirigiert gemeinsam mit Jens eine Staffel von Spürhunden durch das Kino. Monique gibt ihren Mitarbeitern letzte Anweisungen, bevor die ersten Gäste eintreffen. Neben der Concessiontheke bereiten sich mehrere Kameraleute für den Einsatz während der Carpetshow vor. Carl eilt durch das hektische Treiben im Foyer. Im Regieraum bemerkt er, dass selbst dort fieberhafte Betriebsamkeit herrscht. Es wimmelt dort von Filmvorführern und Veranstaltungstechnikern. Einzig Flo wirkt gelassen. Er winkt ihn sofort zu sich. „Hallo, Carl!“

„Hey!“

„Kannst du Kino 11 übernehmen?“

„Selbstverständlich!“, freut sich Carl über das Vertrauen seines Vorgesetzten, den größten Saal des AmphiPlex zu betreuen.

„Sehr gut! Sei bitte nicht überrascht, dass dort noch ein Videoprojektor aufgebaut wird. Der Verleih ist heute Morgen auf die glorreiche Idee gekommen, dass die Ehrengäste die Carpetshow live sehen sollen.“

„Super!“, seufzt Carl.

„Dies bedeutet leider, dass hier eine Menge betriebsfremder Leute herumlaufen. Achte bitte ein wenig darauf, dass die keinen Unsinn anstellen.“

„Mach ich!“ Carl begibt sich nach einigen Momenten in den Vorführraum von Kino 11. Dort angekommen begrüßt er einen einsamen Techniker, der gerade letzte Einstellungen am Videoprojektor vornimmt.

„Hallo!“

„Servus! Ich bin der Hannes!“, antwortet ihm der Mittvierziger mit den kurz rasierten grauen Haaren, während er Carl die Hand entgegen streckt.

„Ich bin Carl.“

Die beiden Männer schütteln die Hände.

„Brauchst du lange, um deine Kiste einzustellen? Ich muss vor dem Einlass eine Testschleife durch den Filmprojektor laufen lassen.“

„Kannst gleich hin, bin mit dem Ausrichten der Optik fast fertig und warte nur noch auf die Videosignale von den Kamerateams.“

Carl nickt zustimmend und beginnt die Mechanik seines Projektors sorgfältig zu reinigen. Während er liebevoll Zahnkränze, Umlenkrollen und die Filmbahn mit einem weichen Tuch abwischt, schließt der Techniker das Set-up des Videoprojektors ab. Aus einem silbernen Filmdöschen holt Carl einen Filmstreifen, der zu einer Endlosschleife zusammengeklebt ist. Er legt die Schleife ein und startet den Projektor. Behutsam dreht er am mechanischen Schärferegler, bis das Testmuster auf der Leinwand gestochen scharf erscheint. Hannes beobachtet die Arbeit durch die Glasscheibe, die den Saal vom Vorführraum trennt. „Ach, ich liebe das alte analoge Zeug!“, schwärmt der Techniker. „Da hat man noch eine echte Maschine in der Hand und nicht dieses seelenlose, digitale Klump.“

„Um ehrlich zu sein, für den normalen Kinobetrieb wäre mir ein Videoprojektor lieber.“

„Hahaha! Glaub mir, das Videozeug taugt doch nix im Vergleich zu einem guten Kinofilm.“

„Das ist doch die Zukunft?“

„Vielleicht, aber ich bin kein großer Fan von dem digitalen Krempel. Ist mir alles irgendwie zu steril.“

Bevor er antworten kann, wird er von Jens angefunkt. „Ist Kino 11 für den Einlass bereit?“, krächzt es aus dem Walkie-Talkie.

„Wie sieht’s bei dir aus, Hannes?“

„Meinetwegen können die Leute kommen.“

Carl stoppt den Testfilm und schaltet die Beleuchtung des Zuschauerraums ein. „Technik in Kino 11 startklar“, antwortet er ins Funkgerät.

„Okay, wir bereiten den Saal für den Einlass der Ehrengäste vor!“, ertönt es verrauscht aus dem Äther.

Carl grinst Hannes an. „Dann lass uns dem Saal mal ein wenig Seele verpassen.“ Dieser schaut ihn verdutzt an, als er den Sicherheitsschrank mit den Filmkopien öffnet. Sorgfältig entnimmt er den gekoppelten Kinofilm und legt ihn auf die Telleranlage. Seelenruhig fädelt er den Filmstreifen in den Projektor ein. Mit leuchtenden Augen beobachtet ihn der Techniker dabei. „Ich brauch jetzt erst mal ne Coke. Soll ich dir auch etwas mitbringen?“, fragt er Hannes.

„Gerne, gerne. Ein Spezi, falls ihr das habt.“

„Selbstverständlich!“ Carl verlässt den Projektionsraum über die Wendeltreppe zum Foyer. Die meisten Techniker sind dort mittlerweile verschwunden, dafür warten attraktive Hostessen auf ihren Einsatz. Einzig das Kinopersonal scheint noch beschäftigt zu sein. Selbst Monique und Leonard, die sich an der Theke unterhalten, wirken entspannt. Als Leonard Carl im Foyer bemerkt, begrüßt er ihn mit Handschlag. „Du hast sehr gute Arbeit beim Koppeln der Filme geleistet. Alle Kopien, die wir am Vormittag geprüft haben, sind perfekt gelaufen.“

„Danke!“

„Sie führen in Kino 11 vor?“, fragt Monique.

„Ja. Unser Vorführleiter bleibt lieber im Regieraum, damit er das gesamte Kino im Auge hat.“

„Ich verstehe“, entgegnet Leonard.

Monique lächelt ihren Kollegen freundlich an. „Wir sehen uns später. Ich bin am Infocounter, falls du nach mir suchst.“

Leonard nickt ihr zu und wendet sich an Carl. „Stört es dich, wenn ich während der Premiere im Vorführraum von Kino 11 bleibe?“

„Wieso sollte es?“

„Dann sehen wir uns dort in einer guten Stunde!“ Leonard blickt auf die Uhr und verlässt ihn in Richtung Kino 14, vor dem sein Kollege Johannson wartet. Ohne Leonard weiter zu beachten, bestellt Carl bei der Kollegin hinter der Theke die versprochenen Getränke. „Bitte eine Cola und ein Spezi!“

„Soll ich die auf den Verleih schreiben?“, fragt sie nach.

„Selbstverständlich!“

* * *

Die Techniker und Kinomitarbeiter haben den Catwalk mittlerweile verlassen. Carl stützt den Oberkörper mit beiden Armen auf dem Geländer ab, während er den Blick über die Premierengäste im Foyer schweifen lässt. Auf der oberen Ebene des AmphiPlex herrscht bereits dichtes Gedränge beim Einlass in die Kinosäle. Dort warten die gewöhnlichen Besucher, die teure Premierenkarten gekauft haben. Abgetrennt von ihnen auf der unteren Ebene lassen sich geladene Gäste, Darsteller, lokale Prominenz und ausgewählte Journalisten Zeit, die jeweiligen Säle zu betreten. Auch Hannes bestaunt das Spektakel im Foyer. Er trägt ebenfalls ein Funkgerät, doch im Gegensatz zu Carls klobigem Walkie-Talkie, benutzt er ein professionelles Headset. Zwischen den Besuchern erkennt Carl die Kollegen der Theaterleitung. Jens trägt einen dunklen Anzug mit den notwendigen Accessoires, während Thomas, sein grobschlächtiger Assistent mit dümmlichem Gesichtsausdruck, nur ein kariertes Jackett über das T-Shirt gezogen hat. Beiläufig folgt Carl dem nervösen Funkverkehr der Theaterleitung. Die Vorstellungen auf der oberen Ebene werden nacheinander gestartet. Zusammen mit Monique betritt Jens den ersten Saal auf der unteren Ebene, in dem die Journalisten sitzen, um dort das Startkommando zu geben. Langsam leert sich das Foyer. Vor Saal 11 verweilen einige Gäste, die offensichtlich alle Zeit der Welt besitzen, da die Vorstellung nicht ohne sie beginnen wird. Nachdem Leonard mit einem der VIPs geplauscht hat, winkt er Thomas zu sich, damit dieser die Tür zum Vorführraum aufsperrt. Obwohl Jens und Monique noch mit anderen Sälen beschäftigt sind, kehrt Carl in den Vorführraum zurück. „Hallo, Carl. Es geht gleich los“, begrüßt ihn Leonard.

„Okay.“

„Bist du nicht aufgeregt?“

„Nein. Für mich ist das wie jede andere Vorstellung.“

„Ich hätte erwartet, dass dich das Besondere einer Premiere reizt.“

„Da muss ich Sie leider enttäuschen.“ Carl hält kurz inne. Er taxiert den Asiaten. „Sind Sie aufgeregt? Für Sie sind solche Veranstaltungen sicherlich Routine.“

„Das stimmt zwar, aber es ist immer wieder spannend.“

Hannes schlendert vom Catwalk in den Vorführraum. Er blickt kurz auf den Laptop, mit dem er den Videoprojektor steuert. Routiniert kontrolliert er die winzigen Vorschaumonitore mit den verschiedenen Videosignalen. Carl nimmt auf einem schlichten Hocker neben dem Filmprojektor Platz, von dem aus er den Techniker bei dessen Arbeit bewundert. Leonard setzt sich trotz des Anzugs auf die Stufen aus Blech, die zum Catwalk führen. Hannes bekommt Informationen über das Headset mitgeteilt, die Leonard und Carl nur als dumpfes Säuseln wahrnehmen. Der Techniker bestätigt die Anweisungen: „Ich wechsle zum Standbild.“

„Carl! Bitte in Kino 11 bereithalten!“, krächzt eine Stimme aus dem Walkie-Talkie.

„Bin bereit und startklar.“ Beim Blick durch die Glasscheibe bemerkt Carl auf der Bühne des Kinosaals einen Schauspieler am Mikrofon, der die Gäste begrüßt. Obwohl er das Gesicht kennt und er den Darsteller immer wieder in Kinofilmen gesehen hat, kommt Carl nicht auf dessen Namen. Da die drei Männer im Vorführraum nicht hören können, was der Moderator zum Besten gibt, warten sie auf die Anweisungen per Funk. Erst als der Schauspieler zum Bühnenrand schlendert, bestätigt Hannes den letzten Funkspruch: „Kurzfilm läuft!“ Auf der Kinoleinwand erscheint ein Video. Aus dem Abhörlautsprecher im Vorführraum erklingt eine emotionale Ansprache, in der sich der abwesende Regisseur an die Premierengäste wendet. Der Moderator betritt nach der kurzen Einspielung nochmals die Bühne. Im Moment als sich dieser zur Leinwand dreht und mit einer ausschweifenden Handbewegung darauf zeigt, knackst es aus dem Walkie-Talkie: „Bitte Saal 11 starten!“

Carl dimmt die Saalbeleuchtung und startet den Filmprojektor. Konzentriert wartet er neben dem Projektor, bis die Schutzmarke des Verleihs zu sehen ist. Gespannt warten die Männer auf die Klänge der Filmmusik. Nachdem er die ersten Worte in deutscher Sprache aus der Abhöre wahrnimmt, entspannt er sich. Hannes legt das Headset ab und betrachtet mit kindlicher Freude den gleichmäßig ratternden Filmprojektor. „Schnurrt wie ein Kätzchen!“

„Hoffen wir, dass es die nächsten 113 Minuten so bleibt“, scherzt Carl. Gelassen platziert er den Hocker neben den Stufen zum Catwalk, wo er seine Cola und ein Taschenbuch abgestellt hat. „Das Schwierigste haben wir hinter uns. Nun heißt es abwarten, bis wir die Filmkopien wieder zerlegen.“

„Noch immer kein Interesse am Film?“, fragt Leonard.

„Nein, ist nicht mein Ding. Es reicht völlig, wenn ich ihn mir irgendwann mit meiner Freundin im Kino ansehen muss.“

„Ich verstehe.“

Hannes folgt dem Film neugierig durch das Guckloch neben dem Projektionsfenster, während Carl das Buch aufschlägt.

* * *

Interessiert beobachtet Leonard aus einiger Entfernung, wie Carl die Blende des Filmprojektors schließt. Im dunklen Saal erklingt bereits Applaus, obwohl das Spotlight noch am Rande der Bühne nach dem Moderator sucht. „Das war’s! Wir sind fertig“, stellt Carl fest.

Hannes beginnt, das Zubehör des Videoprojektors in verschiedene Flightcases zu packen. Carl fängt das lose Filmende ein, das vom Filmteller hängt. Er schaut sich im Vorführraum um, doch Leonard ist längst über den Catwalk verschwunden. „Kannst du mir kurz mit dem Deckel helfen?“, bittet Hannes. „Möchte meinen Beamer nur ungern über Nacht offen stehen lassen.“

„Kein Problem. Ist der inzwischen abgekühlt?“

„Ja. Dauert auch nicht viel länger als bei deinem Projektor.“ Gemeinsam heben die Männer den unhandlichen Deckel des massiven Gehäuses über den aufgebockten Videoprojektor. „Danke dir! Wir holen das Zeug morgen Vormittag ab.“

„Da liege ich zum Glück noch im Bett“, erwidert Carl mit einem spöttischen Grinsen.

„Man sieht sich“, Hannes reicht ihm die Hand.

„Ja. Man sieht sich.“ Carl klebt einen kurzen Streifen Tape an das Ende des Filmwickels, bevor er die Filmkopie von der Telleranlage hebt. Vorsichtig trägt er die massive Filmrolle über den Catwalk zurück zum Regiebereich. Im Foyer herrscht erneut reges Treiben. Aus dem großen Saal strömen die Gäste. Einige Premierengäste hasten zu den Shuttlebussen, während andere das Kino bereits verlassen. Im Regieraum trifft Carl auf Leonard und Flo, die mehrere abgespielte Filmkopien in den Sicherheitsschrank sperren. „Wohin mit der Kopie?“, fragt Carl.

„Die kannst du an die Wand neben den Umrolltisch stellen, die muss heute Nacht getrennt werden“, erklärt Flo.

„Haben wir alle Filme?“, wundert sich Carl.

Leonard zückt seinen PDA. „Ich vermisse die Kopie aus Kino 12.“

„Bin schon unterwegs!“ Mit langen Schritten verschwindet Carl auf dem Catwalk.

* * *

Carl kehrt mit der letzten Premierenkopie in den Regieraum zurück. Jens wartet mit Leonard und Herrn Johannson vor den Monitoren. Die drei Männer sind in ihr Gespräch vertieft und scheinen ihn nicht zu beachten. Ungerührt von deren Anwesenheit stellt er den Film zu den anderen Kopien neben dem Umrolltisch. Carl sieht, dass dort eine einzelne Filmrolle liegt, die noch nicht in der dazugehörenden Filmdose verpackt worden ist. Er sieht sich nach dem Vorführleiter um, doch kann er Flo im weitläufigen Vorführraum nicht entdecken. Seine Blicke wandern zu Jens und Leonard, die an ihn herantreten. Jens starrt ihn mit düsterer Miene an. „Können wir uns kurz mit dir unterhalten?“

„Selbstverständlich“, erwidert Carl. Gleichgültig geht er einige Schritte auf die drei Männer zu. Die Verunsicherung versteckt er mühelos hinter einem teilnahmslosen Gesichtsausdruck. Walter Johannson wirkt aufgeregt. Leonard reagiert nicht auf Carls Blickkontakt. Seine Augen sind klar, hart und direkt. Seine Miene ist undurchschaubar, japanisch und fremd. Jens weicht unwillkürlich einen Schritt vor Carl zurück. „Herr Yamanaka hat mir von einem ungeheuerlichen Vorfall berichtet!“

„Was ist passiert?“ Carl bleibt ruhig, verschränkt jedoch die Arme vor der Brust und starrt Jens ungerührt an. Dieser fährt sich durch die ordentlich frisierten Haare und blickt Hilfe suchend zu Leonard. „Wie es aussieht, ist im Internet eine Kopie des Films aufgetaucht!“

„Bereits so früh? Das wird ja immer schlimmer!“

„Das eigentlich Schlimme daran ist, dass die Raubkopie aus dem AmphiPlex stammt.“

„Oh!“

„Nun ja!“ Jens zögert und sucht nochmals den Blickkontakt mit Leonard. „Wir glauben, dass du etwas darüber wissen könntest.“

„Tut mir leid, aber ich habe nichts Verdächtiges bemerkt.“

Auf Jens‘ Stirn bilden sich erste Schweißperlen. „Carl, wir vermuten, dass es jemand vom Personal war, da die Raubkopie bereits letzte Nacht im Internet aufgetaucht ist.“

„Ich habe gestern niemanden mit einer Kamera gesehen. Bist du sicher, dass es bei uns passiert ist?“

Helfend wandert der nervöse Blick des Theaterleiters zum Asiaten, während er sich die Stirn mit dem Ärmel des Designerhemds abtupft. Leonard erwidert dessen Blick mit einem kurzen Nicken. „Kudos to Carl! Du bist wirklich ein eiskalter Typ.“ Leonard räuspert sich und deutet mit seinen Händen Applaus an. „Womöglich bist du aber auch einfach nur sehr dumm.“

Carl ignoriert die Provokation, da er sich auf Leonards Gestik und Mimik konzentriert.

„Wir konnten die Kopiennummer des Films in diesen Vorführraum zurückverfolgen. Wie es sich herausstellt, haben wir die Filmrolle gestern gemeinsam in den Schrank gesperrt. Das Siegel war heute Morgen jedoch intakt.“

„Wie soll ich an die Filmrolle gelangt sein?“

„Daran arbeiten wir noch, aber wir konnten den Saal eindeutig identifizieren.“

„Wie denn?“

„Du hast vergessen, dass sich auf der rechten Seite der Leinwand einige Flecken befinden, die normalerweise kaum auffallen. An sehr hellen Stellen im Film kann man sie jedoch erkennen.“ Leonard gibt Johannson einen Wink. Dieser zieht einen klobigen Laptop aus einer Aktentasche und steckt eine gebrannte CD in das optische Laufwerk. Leonard bittet Jens und Carl zu sich, um ihnen eine dieser Stellen zu zeigen. „Bei 23 Minuten und 17 Sekunden sieht man die Flecken deutlich.“ Johannson steuert den Player an die besagte Stelle. Nach einem weiteren Nicken von Leonard startet er die Wiedergabe. Gebannt starren die vier Männer auf das Display. Johannson deutet auf den Bereich am Rand. „Hier kann man es sehr schön sehen. Das gleiche Muster wie der Schmutz auf eurer Leinwand“, erläutert Leonard.

„Meine Güte, Carl! Wie konntest du uns nur so etwas Ungeheuerliches antun?“, prustet Jens los.

„Weshalb glaubt ihr, dass ich es war?“

„Wir haben dir immer vertraut, aber das ist absolut unverzeihlich! Gesteh es einfach, um die Sache nicht unnötig zu verkomplizieren, oder sollen wir die Polizei rufen!“, keift Jens.

„Keine Polizei!“, fährt Leonard dazwischen. „Dies ist nicht in unserem Interesse.“

„Bitte? Das ist immerhin eine Straftat. Wir können diesen Kriminellen, diesen Verbrecher, nicht laufen lassen.“ Jens stockt, um nach Luft zu schnappen. „Was glauben Sie denn, was uns das Arbeitsgericht erzählt, wenn wir den da einfach so feuern? Wir sind hier nicht in den Staaten!“

„Es ist nicht in unserem Interesse, dass Carl seinen Job verliert“, erklärt Leonard.

Der Theaterleiter kann die Verwunderung kaum unterdrücken. Dennoch bleibt Carl ruhig. Beinahe beiläufig lässt er seine Blicke über Jens, Leonard und Johannson schweifen, der ebenfalls verwundert wirkt. „Bitte? Was soll der Unsinn?“ Jens ringt nach Luft. „Seit wann ermutigen wir Leute, Raubkopien aufzunehmen und ins Internet zu stellen? Ich denke, ich sollte mich mit Ihrem Vorgesetzten unterhalten! Sie scheinen den Ernst der Lage vollständig zu verkennen. Zuvor werde ich jedoch die Polizei verständigen!“

„Die Polizei wird auf keinem Fall gerufen! For Christ sake!“, tobt Leonard. „Falls dieses AmphiPlex jemals wieder einen Film von unserem Verleih spielen will, leisten Sie meinen Anweisungen Folge. Senior Vice President Miller ist bereits unterwegs ins Kino, da es sein persönliches Anliegen ist, ein Gespräch mit Indigo Flux zu führen.“

Carl kann die Überraschung kaum verbergen. Die Farbe weicht ihm schlagartig aus dem Gesicht. Er tritt einige Schritte zurück, da er sich mit dem Rücken an der Wand abstützen muss. Johannson beobachtet ihn mit Adleraugen, doch Carl ignoriert ihn. Er verfolgt Leonards Diskussion mit dem Theaterleiter. Der schmächtige Asiat wirkt auf Carl wie ein aufgebrachtes Raubtier, dass gnadenlos auf Jens losgelassen wird.

„Mit wem?“

„Indigo Flux ist Carls Pseudonym.“

„Bitte?“

„Was denken Sie denn, was wir hier machen? Playing cops and robbers?“ Leonard atmet tief durch. „Hierbei handelt es sich um eine Operation, die seit Jahren vorbereitet wurde!“

„Oh!“, staunt Jens. Nervös lockert er seinen Krawattenknoten. Für einen Moment herrscht beklemmende Stille im Vorführraum. Carl beobachtet Leonard, der sich bedächtig nähert. Die beiden beäugen sich für einige Augenblicke. „Überrascht?“

Carl zögert mit der Antwort. Er überlegt. „Ein wenig. Sie stellen verzweifelte Behauptungen auf und versuchen Leute einzuschüchtern, damit Sie vor Ihrem Boss das Gesicht wahren.“ Er stößt sich sanft von der Wand ab, um seine ganze Körpergröße vor Leonard einzusetzen. „Ihr durchsichtiger Erpressungsversuch wird Ihnen aber nicht helfen, Herr Yamanaka. Es geht hier nicht um mich oder das AmphiPlex, sondern um Ihr Versagen als Sicherheitsbeauftragter. Warum sonst wollen Sie die Polizei raushalten?“

Leonard weicht einen Schritt zurück und lächelt Carl an. „Du willst also die Polizei rufen?“

„Ja, warum nicht?“ Carl zuckt mit den Schultern. „Sie haben bereits bestätigt, dass die Filmkopie in einem versiegelten Schrank gelagert wurde. Wer außer Ihnen oder Ihren Kollegen hätte während der technischen Sichtung die Möglichkeit gehabt, unbemerkt einen Mitschnitt zu erstellen?“

„Gutes Argument!“ Leonard greift sich ans Kinn und neigt den Kopf zur Seite. „Vergisst du dabei nicht etwas?“

„Was denn?“

„Als Dauerparker hast du eine Chipkarte für die Tiefgarage?“

„Wie alle anderen Filmvorführer und die Mitglieder der Theaterleitung.“

„Dann weißt du höchstwahrscheinlich, dass die Uhrzeiten der Ein- und Ausfahrt sekundengenau protokolliert werden.“

„Das wäre möglich.“

„Ich habe das Kino letzte Nacht etwa gegen halb eins verlassen. Wie würdest du der Polizei erklären, dass du erst kurz nach drei Uhr aus der Tiefgarage gefahren bist?“

Entsetzt sieht Carl zu Leonard hinab, der ihn nur anlächelt. Er lehnt sich nochmals an die Wand. Jens geht einige Schritte auf seinen Vorführer zu, doch dieser weicht den wutentbrannten Blicken aus.

„Ich hätte nie gedacht, dass du so dumm und naiv bist, so etwas auch nur zu versuchen! Es hätte dir von Anfang an klar sein müssen, dass du damit nicht weit kommst!“, fährt ihn Jens an.

Carl ignoriert den Theaterleiter. Leonard legt eine Hand auf dessen Schulter. „Sie unterschätzen Ihren Mitarbeiter offenbar gewaltig. Immerhin hat er es geschafft, Hunderte Filme im AmphiPlex unbemerkt mitzuschneiden und ins Internet zu stellen.“

„Ist das wahr?“, fragt Jens.

Carl schweigt. Leonard antwortet. „Ja. Machen Sie sich keine Gedanken darüber, Jens. Das ist nicht mehr Ihr Business.“

„Das sehe ich aber anders!“, schnaubt Jens.

„Nein. Das sehen Sie falsch. Wir werden uns ab sofort um diese Angelegenheit kümmern. Diskret!“

Jens öffnet den Mund. Bevor er ein Wort hervorbringt, wirft ihm Leonard einen Blick zu, der ihn zum Schweigen bringt. „Haben Sie einen Raum, in dem wir auf meinen Vorgesetzten warten können?“

„Sie dürfen selbstverständlich das Büro der Theaterleitung benutzen, wenn es Sie nicht stört, dass ich dort den Tagesabschluss mache.“

„Nein. Ich dachte an einen Raum, in dem wir uns in Ruhe und ungestört unterhalten können.“

Nach kurzem Überlegen erwidert Carl: „Wir könnten im Pausenraum warten. Die meisten Kollegen aus dem Service sind entweder auf dem Heimweg oder auf der Premierenparty.“

„Dann lasst uns gehen, damit dein Kollege die Filme trennen kann.“

p¡r@t€Z

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