Читать книгу p¡r@t€Z - Jo L.L. Roger - Страница 12

0b0000110: [Der Pausenraum]

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Jens betritt gemeinsam mit den anderen Männern den minimalistisch eingerichteten Pausenraum des AmphiPlex. Neben der Tür steht eine Kochnische mit Wasserkocher, Kaffeeautomaten und Waschbecken. An der Wand gegenüber ein Getränkeautomat, daneben einige Kästen mit Leergut. In der Mitte ein quadratischer Holztisch, um den mehrere Klappstühle herumstehen. Zwei Mitarbeiter aus dem Service sitzen bei geöffnetem Fenster am Tisch. Beide rauchen.

„Sorry Leute! Wir benötigen den Raum“, verscheucht Jens das Personal.

„Okay“, bestätigt der Junge, während er seine Kaffeetasse im Waschbecken ausleert. Das Mädchen packt ihre Zigaretten ein und verschwindet mit ihrer Colaflasche in einem der benachbarten Umkleideräume. Leonard bedeutet Johannson, vor der Tür zu warten. Dieser holt daraufhin einen Klappstuhl und stellt ihn in den Gang.

Wortlos bleibt Carl mit verschränkten Armen neben der Kaffeemaschine stehen. Er beobachtet die anderen mit argwöhnischen Blicken. Jens setzt sich an den Tisch und bietet Leonard einen Stuhl an. Dieser ignoriert die Geste.

„Jens, ich benötige Sie im Moment nicht. Falls etwas sein sollte, wird Sie Herr Johannson kontaktieren. Sobald Senior Vice President Miller wieder im Kino eintrifft, schicken Sie ihn bitte zu uns.“

„In Ordnung. Ich warte im Büro“, erwidert Jens beim Aufstehen, „und Sie sind sicher, dass ich keine Polizei rufen soll?“

„Absolut! Folgen Sie bitte meinen Instruktionen. Wir werden uns dafür erkenntlich zeigen.“

Jens verbeugt sich auf japanische Art vor Leonard, bevor er den Raum verlässt. Der Asiat gibt Johannson einen Wink, der daraufhin den Posten vor der Tür bezieht. „Was für ein Schleimer!“, seufzt Leonard. „Es sind Typen wie dein Theaterleiter, die meine Arbeit unnötig verkomplizieren.“

Carl schweigt und starrt sein Gegenüber an. Er beobachtet jede Bewegung des Asiaten. Leonard legt seine Aktentasche auf den Tisch, bevor er zur Kaffeemaschine schlurft. Carl weicht demonstrativ aus.

„Willst du einen Kaffee? Es könnte ein wenig dauern, bis wir unsere Verhandlungen abgeschlossen haben.“

„Verhandlungen?“

„Ja, Verhandlungen! Was glaubst du, warum ich keine Polizei sehen möchte?“ Leonard stellt eine frische Tasse unter den Automaten und wählt eine Latte macchiato. Nachdem er drei Löffel Zucker in die gut gefüllte Tasse geschaufelt und umgerührt hat, setzt er sich an den Tisch. Aufmerksam betrachtet er Carl. „Kein Grund schüchtern zu sein, ich beiße nicht.“

Vorsichtig öffnet Carl die Arme, um nach einer Espressotasse zu greifen. Er legt seine Hand um die Tasse. Nach kurzem Zögern lässt er heißes Wasser aus dem Automaten hineinlaufen. Leonard beobachtet ihn. Nachdem Carl die Temperatur nochmals kontrolliert hat, leert er das Wasser ins Spülbecken und wählt einen doppelten Espresso. Bereits während der Kaffee durch die Maschine läuft, nimmt er einen Löffel und häuft darauf ein wenig Zucker. Sorgfältig streut er diesen über den Kaffee, bis sich dort eine dünne karamellisierte Schicht bildet.

„Hast du früher als Barista gearbeitet?“

„Nein. Wieso?“

„Sehr interessant, wie du den Kaffee zubereitest.“

„Ach so!“ Carl lacht. „Ich mag es nicht, wenn man den Kaffee lieblos zapft, als wäre es irgendeine braune Brühe.“

„Willst du dich nicht setzen?“

Carl schüttelt den Kopf. Leonard seufzt hörbar. Carl nippt an der Tasse. Leonard öffnet die Aktentasche. Carl betrachtet die Tasse. Leonard nimmt einige Schnellhefter und Mappen heraus. „Wie bist du eigentlich zu deinem Spitznamen Indigo Flux gekommen?“

Carl blickt von der Tasse auf. „Ist eine Anspielung auf die alten Indy Workstations von Silicon Graphics.“

Leonard schaut Carl perplex an, beinahe als ob er ihm auf Japanisch geantwortet hätte.

„Ein klassischer High-End-Computer, der vor einigen Jahren noch so viel wie ein Sportwagen gekostet hat.“

„Oh.“ Seelenruhig öffnet Leonard eine der Aktenmappen, aus der er Fotos hervorzaubert. Sorgfältig breitet er diese auf dem Tisch aus. Er schiebt ein Schwarz-Weiß-Foto in Richtung Kaffeemaschine und dreht es zu Carl, damit er das Bild erkennen kann. Dieser trinkt einen Schluck Espresso. Carl betrachtet den grobkörnigen Abzug aus dem Augenwinkel, auf dem er Brigitta mit Rucksack und Baseballcap ausmacht. Leonard beugt sich ein wenig nach vorne und faltet die Hände, um das Kinn darauf abzustützen. Nachdenklich sucht er ein weiteres Bild von Brigitta. Nachdem er eins gefunden hat, streckt er sich und schiebt es neben den ersten Abzug. Sein Blick wandert zurück zu Carl, der noch immer am Kaffeeautomaten steht. „Wie kommt ein hübsches Mädchen wie Brigitta dazu, sich WarBeast zu nennen?“ Nach dem letzten Zug aus der Tasse stellt Carl diese in die Spülmaschine und verschränkt die Arme vor dem Oberkörper. „Ich kann nachvollziehen, wie Mr. Pixel seinen Spitznamen bekommen hat, aber bei deiner Frau erscheint es eher ironisch.“

„Sie haben uns nie beim Streiten erlebt.“

„Können wir beim Du bleiben?“, bittet Leonard. „Auch wenn wir vermutlich keine dicken Freunde werden, bevorzuge ich einen kollegialen Umgangston. Ich habe bei euch Deutschen nie verstanden, wieso ihr diese verbale Höflichkeitsform pflegt. Das ist beinahe so verkrampft wie bei meinen japanischen Verwandten.“

Carl reagiert auf Leonards Einwurf mit einem kurzen Lacher, nickt aber zustimmend mit dem Kopf.

„Bist du sicher, dass du dich nicht setzen willst?“

„Warum sollte ich? Du bluffst doch, um mir etwas anzuhängen. Wenn ich sehe, wie du mir und meinen Freunden hinterherspionierst, frage ich mich, ob wir nicht die Polizei rufen sollten. Immerhin werde ich von einem übereifrigen Hilfssheriff verfolgt und genötigt.“

„For fuck sake!“ Leonard schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch, während er aus dem Stuhl hochfährt. „Ist dir eigentlich klar, in welcher Scheiße du steckst? Ich bin nicht hier, um dir zu schaden! Ich will dir und deiner Freundin helfen!“

Instinktiv weicht Carl nach hinten.

„Willst du tatsächlich in den Knast? Zusammen mit Brigitta? Und deinen Freunden? Du weißt, was Mr. Pixel wegen seiner minderjährigen Partnerin blüht, wenn er verhaftet wird? Verdammt noch eins, rede mit mir und hör auf, dich stur zu stellen!“ Leonard greift in eine Mappe mit Fotos, um einige wahllos auf den Tisch zu werfen. Carl bemerkt sofort, dass die meisten Bilder während eines früheren Besuchs der Cayman Islands aufgenommen wurden. „Schau dir die Fotos genau an! Ich war dabei, als ihr euch in der Sonne vergnügt habt. Ich kenne deine Frau und dich besser als du ahnst! Wir wissen alles über die Onlineshops, über die Fotoshootings, über die Filme, die du hier regelmäßig abfilmst und natürlich auch die Trips nach Tschechien, wo ihr eure Raubkopien verscherbelt. Glaubst du etwa, dass eure Taten unbemerkt geblieben sind? Bist du wirklich so naiv?“

Leonard verschränkt nach der Tirade ebenfalls die Arme und starrt sein Gegenüber an. Die Farbe ist mittlerweile aus Carls Gesicht gewichen. Er sieht zu Boden. Zitternd wankt er zum Tisch. Mit durchdringenden Blicken fixiert ihn Leonard, während er den langen Körper umständlich auf dem Stuhl platziert. Carl versucht sein Gegenüber zu ignorieren, doch dieser wartet auf eine Reaktion. Vorsichtig greift Carl nach einigen Bildern, um sie genauer zu betrachten. Brigitta trägt ein Baseballcap, Julia posiert im Bikinihöschen vor Katinka, Vincent flirtet mit irgendeiner früheren Partnerin, Martin küsst seine minderjährige Freundin, Frank sitzt an der Hotelbar und BlitzKey hält einen Reflektor. Carl legt die Fotos auf den Tisch zurück. Langsam hebt er den Kopf. Er sucht den Blickkontakt mit Leonard, der sich unterdessen an den Tisch gesetzt hat und ihn erwartungsvoll anlächelt.

„Wenn du deine Freunde, deine Kinder, deine Frau und dich selbst schützen willst, hör dir wenigstens an, was wir dir zu sagen haben.“

„Meine Frau? Meine Kinder?“ Carl verzieht das Gesicht zur Grimasse. „Was weißt du über Brigitta, das ich nicht weiß?“

„Das ist nur eine Redensart! Vielleicht bin ich etwas voreilig, aber wollt ihr beiden keine Kinder, nachdem ihr bereits so lange liiert seid?“, bohrt Leonard nach.

„Du klingst beinahe wie Brigi. Wir haben uns noch nicht entschieden, was Kinder angeht. Irgendwie bezweifle ich, dass die Zeit dafür reif ist.“

„Wie lange seid ihr zusammen? Vier Jahre? Fünf?“

Carl schließt kurz die Augen. „Etwas über fünf Jahre.“

„Warum solltet ihr euch keine gemeinsamen Kinder wünschen? Immerhin seid ihr so gut wie verheiratet.“

„Na ja.“ Carl runzelt die Stirn „Ich bezweifle, dass wir jemals heiraten!“

„Keine Sorge. Ich bin nicht aus dem Bible Belt.“

„Nun gut“, schluckt Carl. „Was willst du von mir, wenn du nicht darauf aus bist, mich verhaften zu lassen?“

„Wir wollen dir ein Geschäft anbieten.“

„Wir?“

„Mein Vorgesetzter im Namen unseres Konzerns. Du musst wissen, dass ich nicht für den deutschen Zweig des Filmverleihs arbeite, sondern zu einem global agierenden Tochterunternehmen gehöre, dass direkt vom Vorstand kontrolliert wird.“

„Das klingt dubios.“

„Nicht wirklich. Das hat mit Kompetenzgerangel innerhalb unserer Mediengruppe zu tun. Daher agiert meine Abteilung außerhalb der verzweigten Strukturen, um effizient und flexibel handeln zu können.“

„Was wollt ihr mir anbieten?“

„Ich muss gestehen, dass ich die Details nicht kenne.“

„Warum sitzen wir dann dumm rum?“

„Wir warten auf Simon Miller, den Leiter dieser Operation.“

„Aha!“

„Er sollte bald wieder im Kino sein, nachdem er sich auf der Premierenparty gezeigt hat.“

„Wird das lange dauern?“

Leonard zuckt mit den Schultern. Er sammelt einige Fotos ein, die er zuvor auf den Tisch geworfen hat. Carl hält ein grobkörniges Schwarz-Weiß-Foto von Brigitta in der Hand, das er ausgiebig betrachtet. „Sie ist eine intelligente und attraktive Frau“, stellt Leonard fest.

„Das ist sie.“

„Sie liegt dir sehr am Herzen?“

„Ja.“

„Du kannst den Abzug meinetwegen behalten.“

„Danke!“

Nachdem die Fotos in der Mappe verschwunden sind, steht Leonard auf, um einen Kaffee zu holen. Carl legt das Schwarz-Weiß-Foto auf den Tisch und beobachtet ihn.

„Willst du einen?“

„Nein danke.“

„Du machst ebenfalls einen intelligenten Eindruck.“ Leonard schaufelt auch dieses Mal drei Löffel Zucker in die Tasse. „Wie kommt es, dass du nicht mit deiner Freundin zusammen Informatik studierst oder etwas Sinnvolleres machst, als Filme in einem Kino vorzuführen und abzufilmen? Es war doch bestimmt nie dein Wunschtraum, als Filmpirat Karriere zu machen?“

„Das ist eine lange Geschichte, die dich wahrscheinlich nicht allzu sehr interessiert.“

Leonard rührt den Kaffee mehrmals um. Danach wirft er den Löffel gekonnt ins Spülbecken. Gelassen trottet er an den Tisch zurück. „Wir haben sicherlich ein wenig Zeit. Wie ich Simon kenne, wird er eine Weile beschäftigt sein, die Bonzen der Produktionsfirma zu hofieren.“

„Das macht die Story meiner Jugend nicht spannender.“

„Warum so schüchtern? Es interessiert mich, wie jemand vom nerdigen Teenager zu einem der einflussreichsten Raubkopierer Europas wurde.“

„Du überschätzt mich“, erwidert Carl mit einem Lächeln, „so wichtig bin ich dann doch nicht.“

„Das glaubst aber nur du. Wie hat es damals angefangen?“

Grinsend blickt er den Asiaten an. „Lange bevor ich zu Hause Internet hatte oder überhaupt wusste, was das Internet genau ist“, beginnt Carl, „habe ich mit meinen Freunden Computerspiele, Anwendungssoftware und auch die ersten digitalen Formen von Musik und Filmen getauscht. Für uns war es selbstverständlich Daten und Wissen zu teilen und zu verbreiten. Doch dann kam das Internet und alles wurde anders. Alles wurde gigantisch! Mit einem Mal mussten wir nicht mehr warten, bis einer von uns ein Spiel gekauft oder ein paar Disketten von Freunden bekommen hatte. Alles war sofort irgendwo zu haben! Man musste nur verstehen, wo man danach suchen konnte. Ich stand mit einem Mal in einem Selbstbedienungsladen, in dem es außer einer Kasse alles gab. Plötzlich war ich nicht mehr der komische, einsame Spinner, der seine Tage und Nächte vor einem PC verbrachte. Mit einem Mal war ich der Typ, der gefragt und sogar cool war, da er die neusten Spiele oder Programme besorgen konnte. Richtig intensiv ging es aber erst kurz vor dem Abi los, als wir mit einem Mal sehr viel Zeit zur Verfügung hatten.“

p¡r@t€Z

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