Читать книгу p¡r@t€Z - Jo L.L. Roger - Страница 7

0b0000001: [Heimatplanet]

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Brigitta starrt konzentriert auf den Computermonitor. Ihre zierlichen Finger wandern im Halbdunkel flink über die Tastatur. Eilig tippt sie Befehle in eine Kommandozeile. Auf den Brillengläsern spiegeln sich endlose Buchstabenkolonnen, die über den Monitor huschen. Sie hält kurz inne, greift zu einem Glas Orangensaft und gönnt sich einen kräftigen Schluck. Ungeduldig wartet sie auf den PC. Die trockene, warme Luft und das monotone Surren der Computer zerren an ihrer Konzentration. Sie gähnt behaglich und fährt sich durch die kinnlangen blonden Haare. Mit einer nervösen Handbewegung rückt sie den Haarreif zurecht. Nachdem der Cursor in der Kommandozeile erwartungsvoll blinkt, tippt sie eine kryptische Befehlszeile. Die junge Frau zögert einige Augenblicke. Aufmerksam kontrolliert sie die Eingabe nochmals. Sie korrigiert einen Tippfehler, erst dann schickt sie den Befehl ab. Behutsam schiebt sie die Tastatur unter den Monitor und rutscht mit dem Bürostuhl zur Seite. Mit zitternden Fingern greift sie zur Tastatur und der Maus des benachbarten Rechners. Brigitta beendet den Bildschirmschoner, gibt das Passwort ein und loggt sich in den Internet Relay Chat ein. Mit mehreren Mausklicks öffnet sie verschiedene Chatkanäle. Innerhalb weniger Momente folgt sie den laufenden Unterhaltungen unzähliger anderer Internetnutzer. Bereits nach den ersten Fetzen der Konversation zeichnet sich ein sanftes Lächeln auf ihrem jugendlichen Gesicht ab. Sie tippt einige Worte zur Begrüßung in das Fenster und durchkämmt weitere Kanäle nach bekannten Namen. Da sie dort keinen ihrer Freunde online findet, wirft sie einen Blick auf die Uhr. Das kleine Fenster in der Ecke des Monitors zeigt 4:47h.

Brigitta steht auf und streckt sich. Barfüßig geht sie zum entfernten Ende des Schreibtischs, der die gesamte Breite des Raums einnimmt. Sie greift zu einem schwarzen Sweatshirt, das sie über den nackten Oberkörper zieht. Es reicht ihr beinahe bis zu den Knien. Auf dem Rückweg zum Stuhl streift sie den Haarreif zurück und legt ihn neben die Tastatur. Sorgfältig fährt sie sich durch die Haare und versteckt einzelne Strähnen hinter den Ohren. Ungeduldig wirft sie einen Blick auf den Fortschrittsbalken in der Kommandozeile. Langsam füllt sich dort Zeile für Zeile mit Pünktchen, die ihr dezent andeuten, wie schnell das Programm vorankommt. Nach einem wohligen Gähnen leert sie den Orangensaft. Brigitta setzt sich wieder an den Schreibtisch. Die Wartezeit überbrückt sie mit einem ausgiebigen Streifzug durch die unterschiedlichsten Chatkanäle. Sie greift zu einem blanken CD-Rohling, den sie auf ihren Zeigefinger steckt. Gedankenverloren folgt sie den meist belanglosen Unterhaltungen, während sie den Rohling um den Finger kreisen lässt.

Carl öffnet die Tür zum Computerraum. Brigitta stoppt die Bewegung der Finger für einen Moment. Ihre Augen bleiben auf die Monitore fixiert. Nur mit Shorts bekleidet nähert er sich behutsam dem Schreibtisch. Er hält Kaffee und Tee in den Händen. Wortlos stellt er ihr eine Tasse Earl Grey neben die Tastatur.

„Danke!“, erwidert sie.

Der Hüne beugt sich nach vorne, legt seine Hand sanft auf ihre Schulter und küsst sie mehrmals zärtlich in den Nacken. „Wie weit bist du mit dem Release?“

„Bin bereits am Packen.“ Brigitta streckt sich. „BlitzKey hatte den Crack innerhalb einer Stunde fertig“, antwortet sie schläfrig.

„Wow! Er ist inzwischen ziemlich fit.“

„War diesmal nicht allzu schwer. Der Publisher verwendet den identischen Algorithmus der Betaversionen. Nur die Zufallszahl für den Schlüssel hat sich geändert.“

Carl stößt einen kurzen Lacher aus. Während Brigitta vorsichtig an ihrem Earl Grey nippt, wirft er einen Blick auf die kleinen Schwarz-Weiß-Monitore an seinem Ende des Schreibtischs. Sorgfältig kontrolliert er die Bilder der Überwachungskameras, auf denen sich die Konturen des Vorgartens und der Auffahrt des Reihenhauses abzeichnen. Carl riecht an seiner Tasse und inhaliert den Duft des schwarzen Gebräus, bevor er den ersten Schluck genießt.

„Wieso bist du so früh wach?“, fragt sie.

„Konnte nicht mehr schlafen.“

„Du wirst heute Abend hundemüde sein.“

„Mach dir keine Sorgen, mein Engelchen. Es ist nicht das erste Mal.“

„Dieses Mal sind aber ziemlich viele Leute dabei. Auch Security!“

„Das macht die Sache nur spannender“, flüstert er ihr ins Ohr.

„Und falls es nicht klappt?“

„Dann klappt es nicht und ich besorg uns die Kopie nächste Woche, wenn alles wie gewohnt läuft und sich niemand mehr dafür interessiert.“

Brigitta nickt zögerlich. Da sie bemerkt, dass ihr Programm mittlerweile vollständig ausgeführt worden ist, drängt sie ihren Freund sanft zur Seite und greift nach der Tastatur. „Oki! Wir sind so weit.“

„Es ist dein Release“, erwidert er aufmunternd und überlässt ihr den gesamten Platz vor dem Monitor. Die Finger fliegen erneut über die Tasten. Sie dupliziert die frisch erzeugten Dateien, startet den Upload auf einen FTP-Server und sendet erste Pakete ins Usenet. Hektisch rutscht sie zwischen den beiden Rechnern hin und her. Sie öffnet das CD-Laufwerk und schiebt den unbenutzten Rohling, mit dem sie ihre Finger beschäftigt hat, in das Gehäuse unter dem Schreibtisch. Nach einigen Mausklicks und Eingaben auf der Tastatur erklingt das sonore Schnurren des Laufwerks. Carl rollt mit dem Bürostuhl gemächlich zum Drucker, der zwischen dem Schreibtisch und einer Reihe IKEA-Regale steht. Routiniert legt er einen Bogen mit runden Etiketten ein. „Papier ist drinnen“, ruft er seiner Freundin zu. Sie antwortet ihm mit einem Mausklick, der den Drucker in Bewegung setzt. Er stößt sich mit dem Fuß von der Wand ab und rollt zurück zu den Computern. Unterdessen verbreitet sie den Titel und die Beschreibung des gecrackten Spiels in verschiedenen Chaträumen. Sofort bedanken sich einige der Anwesenden für die Software und beglückwünschen sie zum erfolgreichen 0-day Release.

„Herzlichen Glückwunsch“, gratuliert er.

„Liegst trotzdem vorne“, erwidert Brigitta, als sie aufsteht, um das bedruckte Label aus dem Drucker zu holen. Sorgfältig beklebt sie die frisch gebrannte CD und packt sie in eine Plastikhülle. Carl schaltet die Monitore aus. „Lass uns ein wenig kuscheln.“

„Gerne!“

Auf dem Weg nach draußen legt sie die CD zu den Hunderten anderen ins Regal. Er öffnet die Tür, lässt ihr aber den Vortritt. Brigitta nimmt seine Hand und schlendert mit Carl zurück ins gemeinsame Schlafzimmer.

* * *

Carl sitzt in schwarzen Shorts und T-Shirt vor einem Power Mac im Computerraum. Er schiebt ein Stück kalte Pizza in sich hinein, während er am Monitor ein Video begutachtet. Hin und wieder stoppt er die Wiedergabe, zoomt in den Film und kontrolliert die Qualität der Aufnahme. Unzufrieden legt er das angebissene Pizzastück beiseite, wischt die fettigen Finger am T-Shirt ab und greift zur Tastatur. Zielsicher navigiert er durch die Menüs des Programms und verändert einige Einstellungen. Gekonnt hellt er das matschige Videobild auf und schärft es ein wenig nach. Durch die Timeline des Videos hangelt er sich zu den einzelnen Szenen des Films. Zufrieden gönnt er sich einen Bissen Pizza und startet die Wiedergabe. Während Carl den letzten Rest seines Stücks verschlingt, rollt er gemächlich mit dem Bürostuhl zum PC in der Mitte des Schreibtischs. Aus den Boxen neben dem Monitor erklingen nach einigen Momenten entspannende Trance Rhythmen. Sanft stößt er den Bürostuhl vom Tisch ab. Mühelos gleitet er ans andere Ende des Schreibtischs, unter dem ein Kühlschrank steht. Ohne aufzustehen, öffnet er dessen Tür und greift nach einer Flasche Afri Cola.

Gelangweilt betrachtet er den Film, in dem sich gerade ein Pärchen leidenschaftlich küsst. Ein kurzer Blick auf die Timeline verrät ihm, dass dies das Happy End sein muss. Carl wippt ungeduldig auf dem Stuhl vor und zurück, bis das Bild abblendet. Mit einer flinken Handbewegung stoppt er die Wiedergabe, geht einige Bilder im Video zurück und schneidet den Rolltitel ab. Zufrieden öffnet er das Exportmenü des Schnittprogramms. Er wählt dort die benötigten Einstellungen aus, damit der Film auf eine einzelne CD passt. Während er den Dialog bestätigt, hört er auf dem Korkboden Schritte. Gemächlich dreht er sich zu Brigitta, die ihre feuchten Haare abtrocknet. Nackt geht sie auf ihn zu. „Wie weit bist du mit dem Streifen von gestern gekommen?“

„Ich transcodiere gerade das Video. Die Bearbeitung hat leider ewig gedauert, da die Aufnahme zu dunkel war.“

„Glaubst du, dass Vincent die neuen Kameras mitbringt?“, wundert sie sich, während sie mit dem Handtuch die letzten Wassertropfen von ihrem kindlichen Körper abtupft.

„Ich hoffe es. Wäre toll, wenn ich heute Abend eine Kamera mit besserer Aufnahmequalität hätte“, erwidert Carl. Er wirft einen kurzen Blick auf ihre dezenten Rundungen. „Du solltest häufiger in die Sonne gehen. Du bist käseweiß.“

„Na und? Ich bekomm mehr Sonne ab, als mir lieb ist.“

„Ein wenig Farbe steht dir.“

„Dir ist hoffentlich bewusst, dass du im Dunklen leuchtest?“

Er antwortet ihr mit einem unsicheren Lächeln. Zärtlich zieht er seine Freundin zu sich heran. Die Haustürklingel unterbricht den liebevollen Zungenkuss abrupt. Carl hält inne und blickt zu den Schwarz-Weiß-Monitoren. Enttäuscht löst er die Umarmung. Sie wirft das Handtuch über ihre Schulter und fährt ihm sanft durch die kurzen schwarzen Haare. „Ich geh mir etwas anziehen.“

„Bitte.“ Sehnsüchtig schaut er seiner Freundin hinterher, die mit grazilen Schritten im Schlafzimmer entschwindet, während er die Treppe zum Erdgeschoss nimmt.

Der dunkle Anzug, die gegelte Frisur und die Sonnenbrille in den dunkelblonden Haaren lassen Vincent wie einen Investmentbanker aussehen. Er wartet geduldig vor der Haustür, bis Carl öffnet. Die beiden jungen Männer begrüßen sich mit einem kräftigen Handschlag. „Guten Morgen!“

„Guten Morgen ist gut! Für mich ist’s mitten in der Nacht“, erwidert Vincent grinsend.

„Jetlag?“

„Du sagst es. Immerhin konnte ich im Flieger ein wenig vom verpassten Schlaf nachholen!“

„Wie war deine Asientour?“

„Großartig! Seoul ging so, Hong Kong war etwas stressig, aber Tokyo ist der absolute Hammer. Die Japse sind echte Freaks. Akiba wär’ genau euer Ding. Dort bekommst du sofort das Gefühl, dass München in der Dritten Welt liegt.“

Carl antwortet mit einem Lacher.

„Ich kann dir meine Beute zeigen.“ Mit einer Handbewegung deutet Vincent auf den Mercedes. Carl schlüpft in seine Birkenstocks und folgt dem früheren Schulfreund zur S-Klasse. Stolz präsentiert dieser Kartons und Plastiktüten mit Elektronik- und Computerausrüstung im Kofferraum. Eilig stopft er mehrere Kartons und Plastiktütchen in eine Sporttasche. Er hält inne und betrachtet ein Päckchen mit schrillem Aufdruck. „Hello Kitty ist nix für Brigitta?“

„Ist nicht ihr Fall.“

„Dann wird’s ein Geschenk für Mr. Pixel. Wahrscheinlich findet er Hello Kitty genauso cool wie den ganzen anderen Otaku Krempel, den ich unbedingt mitbringen sollte.“

Carl beginnt zu grinsen, während Vincent vergeblich mit dem Reisverschluss der Sporttasche kämpft. Gemeinsam heben sie die schwere Tasche aus dem Kofferraum und tragen sie behutsam ins Haus.

Brigitta sitzt in einem viel zu großen Sweatshirt an ihrem Linuxrechner. Geübt lässt sie zwei Qigongkugeln rhythmisch durch die Finger kreisen. Ohne das flinke Spiel mit den Kugeln zu unterbrechen, steht sie auf und nähert sich dem Arbeitstisch in der Mitte des Zimmers. Vincent und Carl packen dort die Sporttasche aus.

„Hallo, Kleines!“

Carl wirft einen neugierigen Blick auf seine Freundin, doch Brigittas Gesicht lässt keinerlei Reaktion auf die Begrüßung erkennen. Er kann nicht im Geringsten abschätzen, was gerade hinter ihren grünblauen Augen vorgeht.

„Hallo, Dickerchen!“, erwidert sie den Gruß.

Angespannt fokussiert Carl Vincents Gesicht. Dessen offensichtliche Reaktion ist für ihn viel leichter zu deuten als die seiner Freundin. Vincent setzt ein freundliches Grinsen auf. „Die japanische Küche ist wunderbar. Daran könnte ich mich jeden Tag überfressen.“

Brigitta reagiert mit einem dezenten Lächeln. Beinahe lautlos atmet Carl durch, während Vincent die Einkäufe ausbreitet. „Das ist die allerneueste Cam von Sony. Die kommt frühestens zu Weihnachten in den USA auf den Markt und bei uns vermutlich erst im nächsten Jahr. Richtig geiles Teil! Hab selbst schon ein bisserl damit herumgespielt. Die Aufnahmen sind großartig.“ Vincent schiebt den geöffneten Karton mit der Kamera zu Carl, der diese vorsichtig herausnimmt. Er taxiert ihr Gewicht behutsam mit den Händen. Nach einigen Momenten beugt er sich über die Videokamera, um den Geruch von frischer Elektronik einzuatmen. Sanft streichelt er über die Bedienelemente des technischen Wunderwerks.

„Hab auch einiges an Zubehör mitgebracht, aber nur das Hochwertige. Wäre sehr geil, wenn du das Teil heute Abend verwendest.“

„Das hoffe ich. Falls sie mit meinem Schleppi zusammenarbeitet, hat sie ebenfalls Premiere.“

„Für den Notfall habe ich euch noch einen ultrakompakten Laptop mitgebracht. Hab mir auch einen für mich geholt. Ist echt Spitze. Im Gegensatz zu deinem komischen Mädchen Computer läuft auch Windows drauf!“

Brigitta nimmt Vincent das Sony Notebook aus der Hand. Liebevoll fährt sie mit ihren Fingern über die elegante Tastatur, bis sie zum Netzschalter gelangt. „Gibt es dafür Linuxtreiber?“

„Keine Ahnung, danach hab ich nicht gefragt.“

„Schade. Die Größe gefällt mir. Die Tastatur fühlt sich angenehm an.“

„Kannst es gerne haben, falls dein Freund beim PowerBook bleibt.“

„Danke!“

Carl ignoriert Vincents Stichelei. „Was kostet uns der Spaß?“

„Lass den Scheiß! Du weißt doch, dass du die Sachen von mir umsonst haben kannst. Schließlich sind wir alte Freunde und Geschäftspartner.“

Carl beugt seinen langen Körper leicht nach vorne und stellt sich auf die Zehenspitzen, sodass er Vincent deutlich überragt. „Gerade deswegen will ich dafür bezahlen, damit wir das Zeug steuerlich absetzen können. Außerdem ist das Equipment ein klein wenig zu teuer, als dass ich dir dafür einen Gefallen schuldig sein möchte.“

Vincent weicht unbewusst einige Schritte zurück, wobei er ein unverständliches Brummeln von sich gibt. Carl entspannt seinen Körper. „Also, was willst du haben? Kannst mir gerne einen Freundschaftspreis machen!“

„Die beiden Cams sind im EK jeweils fünf, das Notebook zwei oder drei, müsste ich aber erst nachgucken. Der Kleinkram ist sicherlich noch ein Tausender.“

„Klingt schon vernünftiger“, antwortet Carl zufrieden. Er legt die Videokamera beinahe zärtlich in die Schachtel zurück, bevor er den Raum Richtung Treppenhaus verlässt. Vincent blickt ihm ratlos hinterher. Brigitta konzentriert sich unterdessen auf das neue Notebook, das sie vorsichtig in einer Hand hält, während sie mit der anderen auf der filigranen Tastatur tippt.

„Das gefällt dir? Hätte ich mir denken können, dass du darauf stehst.“

Brigitta zuckt bei Vincents Worten kaum merklich zusammen. Mit einem verlegenen Lächeln versucht sie, die Unterbrechung ihrer Konzentration zu überspielen. „Das Notebook ist ganz nett. Vor allem nicht so schwer wie mein alter Schleppi oder das PowerBook.“

„Ihr beide müsst unbedingt nach Tokyo, um in Akiba zu shoppen. Das ist das absolute Paradies für euch Computerfreaks.“

„Irgendwann vielleicht. Es wäre nicht allzu schlau, die Uni vor den Klausuren zu schwänzen.“

„Du darfst nicht immer alles so eng sehen! Entspann dich, genieß dein Leben und lass die Sau raus!“

„Sorry! Du verwechselst mich mit meiner Schwester. Die ist die Partymaus.“

„Tatsächlich? Wenn ich mir ansehe, wie du auf den LAN-Partys abgehst, kaufe ich dir das nicht ab“, kontert Vincent.

„Das ist auch etwas anderes“, erwidert Brigitta, die leicht errötet.

„Hier ist dein Geld“, unterbricht Carl die beiden.

„Rechnung und den Papierkram bekommst du, wenn ich den Jetlag hinter mir habe“, versichert Vincent.

„Keine Eile, solange wir die Angelegenheit wie Geschäftsleute regeln.“ Carl drückt Vincent ein Bündel Banknoten in die Hand, das dieser ohne nachzuzählen einsteckt.

„Wie laufen eure Shops im Moment?“

„Kann nicht klagen“, erwidert Carl.

„Du hättest sehen sollen, was ich bei meinem Abstecher nach Hong Kong alles entdeckt habe. Dagegen schauen wir beide richtig alt aus.“

„Ich habe nicht vor, mit dir im Fernen Osten zu expandieren. Deine Geschäfte in Tschechien sind mir bereits zu größenwahnsinnig.“

„Du musst das Ganze globaler sehen“, lacht Vincent. „Wir sollten wie damals zusammenarbeiten, damit wir auf dem Weltmarkt tätig werden können.“

„Nein!“, wirft Brigitta ein, obwohl sie sich noch immer auf den Laptop konzentriert. Er dreht sich zu ihr, doch sie ignoriert ihn.

„Wir haben damals alles geklärt, was es zu klären gibt und die Entscheidung steht noch“, ergänzt Carl.

„Ich wollte euch auch nicht überreden, aber wir waren früher ein großartiges Team.“

Carl richtet seinen Blick zu Boden.

„Dachte nur, dass wir dem Ganzen eine neue Chance geben könnten, wenn es bei euch gerade super läuft. Meine vielfältigen Kontakte in Asien sind mittlerweile auch nicht von schlechten Eltern.“

„Sorry. Im Moment gibt es keinen Grund, etwas am Status quo zu ändern.“

„Ich verstehe.“ Wortlos packt Vincent die letzten Kartons und Plastiktüten aus, die ihm Carl abnimmt und auf dem Tisch ausbreitet. Aus den Augenwinkeln beobachtet er ihn argwöhnisch. Dessen erschöpfte Miene wirkt dennoch fröhlich. Vincent drückt Carl einen letzten Beutel mit Videokabeln in die Hand. „Steht der Termin für die Party noch?“

„Falls heute Abend alles klappt, machen wir morgen den Videoabend.“

„Wunderbar, dann sehen wir uns morgen.“ Vincent schultert die Sporttasche und reicht Carl die Hand. Dieser antwortet ihm mit einem kräftigen Händedruck. „Wir sehen uns, Partymaus.“

„Bis dann, Dickerchen“, erwidert sie, ohne vom Display des Laptops aufzusehen.

„Bin ich wirklich so fett geworden?“, flüstert Vincent auf der Treppe.

„Ja.“

„Ernsthaft?“

„Ja.“

„Du bist mir ein toller Freund. Hättest es mir auch schonender sagen können.“

„Warum? Du hast nach der Wahrheit gefragt.“

Vincent brummelt einige unverständliche Worte vor sich hin. Als die beiden das Erdgeschoss erreichen, dreht er sich zu Carl. „Was ich vorhin wegen unseres Geschäfts gesagt habe, war übrigens mein völliger Ernst. Wir waren immer gute Partner und wir sollten auch in Zukunft wieder welche sein. Wäre echt schade, wenn ihr beide die Chance verpassen würdet.“

„Du hast Brigitta gehört.“

„Ja, ja, versteh schon.“

„Damit ist deine Frage hoffentlich endgültig beantwortet.“

Vincent wippt mit seinem Oberkörper ein wenig zur Seite. Carl sieht ihn mit ernster Miene an.

„Ich hab’s verstanden“, seufzt Vincent.

„Dann sehen wir uns morgen?“

„Ja, bis morgen. Du wirst das heute Abend bestimmt hinbekommen.“

„Selbstverständlich“, antwortet ihm Carl grinsend.

Vincent öffnet die Haustür und stapft zur S-Klasse. Am Gartentor dreht er sich nochmals zu Carl und deutet einen militärischen Salut an. Dieser erwidert die Geste, bevor er die Haustür schließt.

* * *

Auf dem Schreibtisch im Arbeitszimmer liegen Vincents unzählige Mitbringsel aus Südkorea und Japan. Brigitta kopiert Programme und Daten über das Netzwerk auf den Laptop. Mit leuchtenden Augen sitzt sie vor ihrem neuen Rechner. Carl betritt das Zimmer, hält aber kurz inne und beobachtet seine Freundin für lange Momente. Zwischen den Händen balanciert er ein eingeschweißtes Moleskine, das er mit einer Schleife umwickelt hat. Noch während er in seine Gedanken vertieft ist, bemerkt sie ihn an der Tür. „Ist irgendwas?“

„Nein. Ich wollte dir nur etwas geben.“

„Oki! Leg’s einfach auf den Schreibtisch. Ich guck es mir später an, wenn ich mit dem neuen Schleppi fertig bin.“

„Eigentlich wollte ich dir ein Geschenk machen, aber Vincent hat mir mit dem Laptop die Schau gestohlen.“

„Was wolltest du mir schenken?“

„Nichts Besonderes. Du warst letztens so verzweifelt, nachdem du dein kleines Notizbuch vollgeschrieben hattest.“

„Oh, ja!“

„Ich dachte mir, dass du vielleicht ein Neues brauchst. Daher habe ich dir eins mit Lesezeichen und einem Gummibändchen besorgt, damit die Seiten nicht beschädigt werden.“

Brigitta lächelt Carl verlegen an. Er überreicht ihr das Moleskine. Mit strahlenden Augen betrachtet sie das Büchlein. Behutsam packt sie es aus und fächert die Seiten durch die Finger. Neugierig streicht sie über das dünne Papier. „Danke! So ein Notizbuch habe ich immer gesucht, aber nirgendwo gefunden.“

„Gern geschehen.“

Bevor sie das Büchlein schließt, neigt sie ihren Kopf leicht nach vorne, um den dezenten Duft des jungfräulichen Papiers zu genießen. Hinter einem der Displays holt sie das alte Notizbuch hervor, aus dem sie ein kleines Plastiklineal und einen Kugelschreiber mit Metallclip herauszieht. Sorgsam legt sie das Lineal in das Notizbuch, steckt den Stift in den Buchrücken und klappt es zu. „Nimmst du die neue Cam mit?“

„Klaro! Ich will das Ding unbedingt ausprobieren.“

„Wann bist du zurück?“

„Keine Ahnung. Wenn’s dumm läuft, erst gegen drei oder vier Uhr.“

Brigitta setzt sich erneut vor den Laptop, um dessen Software nach ihren Wünschen zu konfigurieren. Wortlos greift Carl zum Rucksack, der in einem der Holzregale liegt. Er packt das PowerBook und die Kamera mit den zugehörigen Kabeln ein.

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