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Kaiser Lothar III.

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Die Familie des 1125 neugewählten Königs gehörte zum alten sächsischen Adel, sehr wahrscheinlich verwandt mit Liudolfingern, Billungern und Brunonen, den Grafen von Walbeck, Querfurt und Haldensleben. Lothar vermehrte sein eher schmales väterliches Erbgut um Helmstedt schon im Jahre 1100 durch die Hochzeit mit Richenza von Northeim, einer Enkelin jenes Herzogs Otto, dessen Tochter Ethelinde Welf IV. einst verstoßen hatte. In der Nachfolge des Billunger Herzogs Magnus übernahm Lothar Grafschaften in den Diözesen Verden, Minden und Paderborn sowie die Hochvogtei über das Bistum Verden, so daß er große Teile der weltlichen Ressourcen dieses Bistums nutzen konnte. Richenza erbte 1117 nach dem Tod ihrer Mutter Gertrud von Braunschweig den Besitz der Brunonen um Braunschweig und machte Lothar damit zum mächtigsten Dynasten Sachsens.26 Weil das Herzogspaar bei der Verheiratung seiner Tochter nicht mehr auf weitere Nachkommenschaft hoffen durfte – 1127 war Lothar zweiundfünfzig, Richenza wohl vierzig Jahre alt –, würde der gesamte Besitz über Gertrud an Heinrich den Stolzen fallen; mit ihm als Schwiegersohn hatte der König die Grundlagen seiner Herrschaft nach Süden erweitert und zugleich die Welfen endgültig nach Sachsen gezogen. Indem Lothar auch nördlich der Elbe Herrschaftsrechte geltend machte, vergrößerte er seine Handlungsspielräume und erschloß neue Wege zur Stärkung der sächsischen Herzogsgewalt, die sein Enkel Heinrich der Löwe mit großer Energie weitergehen sollte.

Nordalbingien unterschied sich vom übrigen Sachsen seit dem 9. Jahrhundert beträchtlich durch seine periphere Lage zum Karolingerreich und dessen politischer und zivilisatorischer Ausstrahlung.27 Die altsächsischen Gaue Holstein und Stormarn blieben genossenschaftlich organisiert und kannten weder Adelsherrschaft noch Lehnswesen und Ministerialität, wohl aber führende Familien, aus denen die overboden kamen, denen die Leitung der Abwehr gegen die vordringenden Slawen übertragen war. Seit den siebziger Jahren des 11. Jahrhunderts lag die Grafengewalt über Holstein und Stormarn in den Händen der Billunger, und 1111 belehnte Lothar als ihr Rechtsnachfolger einen Adligen aus dem mittleren Wesergebiet, Adolf von Schauenburg, mit der Doppelgrafschaft, die ganz von den Aufgaben der Slawenabwehr, der Mission, dem Landesausbau und der Expansion geprägt war. Seit 1066 war die Grenze zunehmend unruhig; die vom Bremer Erzbischof östlich des karolingischen Limes Saxoniae gegründeten Missionsbistümer Oldenburg, Ratzeburg und Mecklenburg waren verlorengegangen, und das Land wurde wieder heidnisch. Es ist bezeichnend für die Königsferne dieser nördlichen Region, daß Adolf von Schauenburg sein Grafenamt nicht vom König bekam, sondern vom Herzog.

Erst auf der Grundlage seiner ausgedehnten Eigengüter und der militärischen Schlagkraft seiner darauf angesiedelten Dienstleute konnte Lothar die Herzogsrechte effektiv nutzen, denn für sich genommen waren diese Rechte rein formaler Natur und zeigten nur in der Hand eines hinreichend Mächtigen praktische Wirkung: Führung des sächsischen Heeresaufgebots, Wahrung des Landfriedens, Einberufung von Landtagen. Zum Schutz des Landfriedens hat Lothar mehrfach in Westfalen eingegriffen, wo er von Haus aus nicht begütert war. Als Haupt der sächsischen Fürstenopposition gegen Heinrich V. siegte er 1115 in der Schlacht am Welfesholz zwischen Mansfeld und Eisleben so entscheidend über das königliche Aufgebot, daß Sachsen fortan für Heinrich V. verloren war und Lothar daraufhin königliche Kompetenzen an sich ziehen konnte. Aus eigener Machtvollkommenheit ernannte er im Jahre 1123 zwei Markgrafen, nämlich Konrad von Wettin in der Mark Meißen und Albrecht den Bären in der Lausitz; in Halberstadt erhob er einen Bischof. Als er zwei Jahre später König wurde, bedeutete das für den Anhang Lothars eine erhebliche Aufwertung und für Sachsen die Erneuerung alter Größe, denn zum ersten Mal seit dem Ende der ottonischen Könige und Kaiser war das Land wieder Zentralraum des Reiches nördlich der Alpen, Basisregion des deutschen Königs und römischen Kaisers.28 Seit den Tagen des sächsischen Geschichtsschreibers Widukind († nach 973) im Benediktinerkloster Corvey an der Weser und der Dichterin Hrotsvit († 975) im Kanonissenstift Gandersheim am Harz gab es deutliche Zeugnisse für das Selbstbewußtsein des sächsischen Adels, der sich als die Könige tragende Elite betrachten durfte und nur so lange Anteilnahme für das Reich aufbrachte, wie Sachsen dessen Könige stellte. Gegen den landfremden Salier hatte Lothar den großen Sieg errungen, und während seiner Königszeit festigte sich die Hoffnung auf Kontinuität. Dennoch brauchte Lothar zehn Jahre, um sich gegen die staufische Opposition endgültig durchzusetzen.

Während seiner gesamten Regierungszeit hat Lothar auf eine Nachfolge Heinrichs des Stolzen als König hingearbeitet. Vielleicht übertrug er ihm schon im Januar 1126, als eine große Fürstenversammlung in Goslar zusammenkam und den Feldzug gegen Herzog Friedrich von Schwaben beschloß, die sächsische Herzogswürde und alle Lehen, die er von Bischöfen und Äbten hatte.29 Selbst wenn das primär eine Absichtserklärung, eine Designation, gewesen ist, so könnte Lothar doch das gleiche Motiv gehabt haben wie der französische König Odo, der im Jahre 889 alle seine Grafschaften und das Martinsstift in Tours seinem Bruder Robert gab, damit der Familie diese Herrschafts- und Besitzrechte nicht genommen würden, wenn Odo ohne männlichen Erben starb, was damals ebenso vorhersehbar war wie bei König Lothar.30 In jedem Fall war die Person des Empfängers ein Hinweis auf die Pläne des Königs hinsichtlich seiner Nachfolge, und das gleiche gilt für eine Vereinbarung mit dem Papst anläßlich der Kaiserkrönung im Sommer 1133. Am 8. Juni 1133 ließ Lothar sich von Papst Innozenz II. mit jenen Gütern der Mathilde von Toskana belehnen, die ihrem Gemahl Welf V. entgangen waren, weil Mathilde sie dem heiligen Petrus und damit der römischen Kirche geschenkt hatte. Bei dieser Gelegenheit erklärte der Papst, daß er auch Heinrich den Stolzen und dessen Gemahlin Gertrud mit den Gütern belehnen würde, wofür Heinrich dann Mannschaft und Treueid leisten müsse.31 Gewiß wollte der König für seine Person den bei Belehnungen üblichen Rechtsbrauch vermeiden, als kniender Vasall seine Hände in die des Papstes zu legen, um anschließend aufzustehen und ihm den Treueid zu leisten, aber schon Zeitgenossen hatten den Eindruck, daß es auch um die Sicherung der Herrschaft Heinrichs des Stolzen in Italien ging.32 In dieselbe Richtung wiesen Rechtsakte des Kaisers während seines zweiten Italienzuges 1136/37, auf den ihn diesmal Heinrich der Stolze begleitete. Im September 1136 belehnte Lothar seinen Schwiegersohn mit der Reichsburg Garda und der zugehörigen Grafschaft, kurz darauf mit der soeben eroberten Burg Guastalla, die zum mathildischen Gut gehörte, und spätestens am 22. September 1137 mit der Markgrafschaft Toskana.33

Noch in anderer Weise fanden der Wille zur sächsischen Restauration und die damit eng verbundene Hoffnung auf süpplingenburgisch-welfische Kontinuität ihren Ausdruck. Im 11. Jahrhundert hatten die Grafen von Haldensleben in Luttere am Nordrand des Elm ein Kanonissenstift gegründet, das Lothar nach dem Tod seiner Großmutter Gertrud von Haldensleben erbte. Fast genau zwei Jahre nach seiner Rückkehr von der römischen Kaiserkrönung, im Sommer 1135, versetzte Lothar die Kanonissen an einen anderen, heute nicht mehr bekannten Platz und siedelte in dem seit Ende des 14. Jahrhunderts »Königslutter« genannten Ort Benediktiner der Hirsauer Reform an, die aus dem Magdeburger Kloster Berge kamen. Um die gleiche Zeit legte er gemeinsam mit Richenza den Grundstein für einen Neubau der Klosterkirche,34 die nicht nur als Grablege für das Kaiserpaar vorgesehen war, sondern auch ein erneuertes sächsisches Königtum repräsentieren sollte, das Heinrich der Stolze mit seinen Nachkommen fortsetzen würde und dessen imperialer Zuschnitt an Architektur und Skulptur der Kirche ablesbar sein sollte. Noch im selben Jahr begann eine norditalienische Bauhütte mit dem Bau von Chor, Vierung und Querhaus.35 Die Erbvogtei für sein Eigenkloster behielt der Kaiser und ließ sie durch einen seiner Ministerialen verwalten.

Im August 1136 brach Lothar III. zu seinem zweiten Italienzug auf, denn erschuldete Papst Innozenz II. Hilfegegendennormannischen König Roger II. von Sizilien. Innozenz, dem Lothar die Kaiserkrone verdankte, mußte sich seit seiner Wahl im Jahre 1130 mit einem Konkurrenten auseinandersetzen, der unter dem Namen Anaklet II. ebenfalls die Papstwürde beanspruchte und seinen stärksten Rückhalt im sizilischen Königreich gefunden hatte. Heinrich der Stolze unterstützte den Kaiser mit einer eigenen Heeresgruppe von tausendfünfhundert schweren Reitern und demonstrierte damit, daß Imperium und Kirche, Pflichten des Kaisers und Nöte des Papstes auch ihn angingen. Bis nach Apulien stießen die beiden Heere vor, aber der politische Erfolg war gering, weil Roger II. den Unwillen deutscher Aufgebote zu längeren militärischen Aktionen in diesem Land richtig einschätzte. Auf dem Rückweg nach Deutschland erkrankte Lothar im November schwer; zwar wollte er »wegen des dringenden Wunsches, die Heimat wiederzusehen« (amore magno revisende patrie), den Marsch fortsetzen, aber »noch im Gebirge starb der mächtige Kaiser hochbetagt in einer ärmlichen Hütte« (in ipsis montibus, in vilissima casa imperator potentissimus . . . obiit).36 Nicht Heimatliebe dürfte den Kaiser in diese letzte Anstrengung getrieben haben, sondern die Absicht, seinen Schwiegersohn den nach Würzburg zum Hoftag geladenen Fürsten als Nachfolger zu empfehlen. Auf dem Sterbebett übergab er am 4. Dezember in Breitenwang nahe Reutte in Tirol Heinrich dem Stolzen die Insignien des Reiches und spätestens jetzt auch die sächsische Herzogswürde.37


Chor und Querhaus der ehemaligen Benediktinerklosterkirche Königslutter mit dem berühmten Jagdfries an der Hauptapsis ließ Kaiser Lothar III. errichten. Die Fortsetzung der Arbeiten am seinerzeit größten Kirchenbau Sachsens lag nach seinem Tod in den Händen des Konvents, der für Langhaus und Westbau wesentlich kargere Formen bevorzugte.

Heinrich der Löwe

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