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Heinrich der Stolze

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Als Heinrich der Stolze den Leichnam seines Schwiegervaters durch das Lechtal nach Norden geleitete, war er der mächtigste Fürst des Reiches: Herzog von Bayern und Sachsen, Markgraf der Toskana und Herr weiterer Güter in Italien, durch die Übergabe der Reichsinsignien designierter König. Von seinem Vater, dem die Familiengeschichte ihre Aufzeichnung in lateinischer Sprache und dadurch Authentizität und Glaubwürdigkeit verdankte, besaß er Schriftzeugnisse über die römischen Ursprünge seines Geschlechts, für die karolingischen und ottonischen Vorfahren, für die englische Königin, die Herzöge und den kirchlich anerkannten Heiligen in der Ahnenreihe, die mit einem Kaiser als vorläufigem Höhepunkt klar und deutlich auf ihn selbst zulief. Dieses Wissen und ein starkes Machtbewußtsein bestimmten sein Verhalten so sehr, daß es Anstoß erregte. Allzu wohlwollend übersetzen wir heute seinen Beinamen superbus, der erstmals in den achtziger Jahren des 12. Jahrhunderts bezeugt ist:38 Superbia ist im Katalog der christlichen Hauptsünden die Quelle vieler anderer Laster wie invidia (Neid), ira (Zorn), avaritia (Geiz) und bedeutet in diesem Sinne eher »Hochmut« oder »Übermut« als »Stolz«, den man auch positiv verstehen kann. Durchaus negativ aber sahen Zeitgenossen die Arroganz, das anmaßende Auftreten (mores superbos)39 Heinrichs, der ihnen vom Bewußtsein der Macht aufgebläht (potentia tumidus) erschien.40

Ob Heinrich an der Beisetzung Lothars teilgenommen hat, ist ungewiß, denn wir hören nur ganz allgemein von sächsischen und thüringischen Fürsten, die sich am 31. Dezember 1137 in Königslutter einfanden. Bischof Rudolf von Halberstadt leitete Totenoffizium und Totenmesse, ehe der Leichnam des Kaisers vor dem künftigen Kreuzaltar der von ihm gestifteten Klosterkirche in den Boden gesenkt wurde, auf der Achse des Langhauses, mit dessen Bau man damals noch nicht begonnen hatte.41 Von Anfang an hatte Heinrich an der Seite Lothars gegen die Staufer gekämpft und ihn auch nach Italien begleitet, sich aber erst spät auf Sachsen konzentriert, wo er zu Lebzeiten seines Schwiegervaters nur zweimal nachgewiesen werden kann: am 16. Mai 1134 als Intervenient zugunsten des Klosters St. Michael in Lüneburg und am 6. Juni desselben Jahres in Merseburg als Zeuge in einem Diplom Lothars für das Bistum Bamberg.42 Solche Landesferne war keineswegs ungewöhnlich, denn auch Heinrich der Schwarze ist nach seiner Heirat mit Wulfhild Billung offenbar niemals in Sachsen gewesen, auch nicht nach dem Tod seines Schwiegervaters im Jahre 1106. Weil Heinrich der Stolze durch seine Ehe mit Gertrud Mitglied der Königsfamilie geworden war, vertrat Lothars Witwe Richenza seine Rechte in Sachsen und ging dabei von seinem Erbrecht nicht nur an diesem Dukat, sondern offensichtlich auch am Königtum aus. Für den 2. Februar 1138 berief sie eine Versammlung der sächsischen Fürsten nach Quedlinburg, um den drohenden Konflikt mit Albrecht dem Bären abzuwenden, der sofort Ansprüche angemeldet hatte und damit den staufischen Gegnern Heinrichs zuarbeitete, die offensichtlich der Ansicht waren, daß Heinrich niemals rechtsförmlich Herzog von Sachsen geworden war und auch keine erbrechtlichen Argumente hatte, da nach Lehnrecht nur Söhne dem Vater, nicht aber Schwiegersöhne dem Schwiegervater im Besitz des Lehens nachfolgen konnten.43 Falls Richenza in Quedlinburg auch die Haltung der sächsischen Großen bei der anstehenden Königswahl im Sinne Heinrichs des Stolzen hatte festlegen wollen, so scheiterte sie an Albrecht dem Bären, der nicht nur ihr den Zugang sperrte, sondern die ganze Versammlung mit Heeresmacht verhinderte.

Am 7. März 1138 wurde Konrad, der Bruder des 1125 durch den Frontwechsel Heinrichs des Schwarzen gescheiterten Staufers Friedrich, entgegen der Designation Lothars III. in Koblenz zum König gewählt.44 An dieser Wahl war alles irregulär: Der Termin und der Ort, denn die Wahlversammlung war auf Pfingsten nach Mainz einberufen worden; der Wahlleiter Erzbischof Albero von Trier statt des Erzbischofs von Mainz; das Wahlgremium, das ausschließlich von Anhängern Konrads gebildet wurde; die Krönung durch einen Legaten des Papstes statt durch den Erzbischof von Köln; die Krone mit den übrigen Insignien, weil Heinrich der Stolze die echten besaß. Die Initiative für dieses staatsstreichartige Verfahren war nicht nur von den Staufern ausgegangen, sondern mindestens ebenso entschieden von Papst Innozenz II., der Heinrich den Stolzen auf Lothars Italienzug kennen und einschätzen gelernt hatte. Da der Mainzer Erzstuhl vakant und der neue Erzbischof von Köln noch nicht geweiht war, nutzte der Papst diese für ihn einmalig günstige Konstellation und beauftragte Albero von Trier mit der Organisation der Wahl, einen bekannten Gegner Heinrichs. Der Trierer führte den Auftrag aus, und es ist nur auf den ersten Blick erstaunlich, daß Konrad III. sehr rasch allgemein anerkannt wurde: Auch von den in Koblenz nicht beteiligten Fürsten favorisierten wohl nur wenige eine Kandidatur des Welfen, nicht nur wegen Heinrichs Hochmut (propter superbiam),45 den besonders die staufische Partei gern ins Feld führte, sondern aus grundsätzlicher Abneigung gegen ein übermächtiges Königtum. Deshalb ist auch keineswegs sicher, daß alle sächsischen Großen auf Heinrichs Seite standen. Auf jeden Fall war »dieser vorher so stolze und hochfahrende (animosus et elatus) Mann . . . durch Gottes Willen gedemütigt«46 und mußte nun auch noch um die sächsische Herzogswürde fürchten.

Sogleich nach Lothars Beisetzung hatte Albrecht der Bär mit bewaffneter Macht den Kampf um Sachsen eröffnet. Ebenso wie die staufische Partei unterstellte er, daß Heinrich der Stolze dafür niemals eine förmliche Belehnung durch Lothar III. erhalten hatte; unter dieser Voraussetzung war Albrechts Anspruch ebenso berechtigt wie der Heinrichs des Stolzen, denn beide konnten sich auf weibliche Erbfolge über ihre Mütter Eilika und Wulfhild Billung berufen. Diese Parität der Rechtsgrundlagen eröffnete dem neuen König, der den Fall letzten Endes würde entscheiden müssen, einen weiten politischen Spielraum.47 Einzelheiten des Konflikts sind nicht überliefert, deshalb läßt sich kaum überzeugend erklären, warum Richenza in Begleitung sächsischer Großer, aber ohne Heinrich den Stolzen auf Konrads Pfingsthoftag in Bamberg erschien und ihn als König anerkannte. Wollten Teile des sächsischen Adels in die Entscheidung über die Nachfolge im Herzogsamt eingebunden werden? Ebenso unklar sind die Motive Heinrichs selbst, der am 29. Juni 1138 auf einem Hoftag Konrads III. in Regensburg dem König zwar nicht huldigte, ihm aber die Reichsinsignien auslieferte, obwohl Konrad nicht direkt, sondern nur durch Bevollmächtigte mit ihm verhandeln wollte. Gegenstand dieser Verhandlungen konnte nach der Insignienübergabe nicht mehr die Anerkennung des staufischen Königtums sein, sondern allenfalls die Frage, ob Heinrich die Herzogtümer Bayern und Sachsen behalten durfte. Auf jeden Fall sind die Sondierungen für Heinrich den Stolzen unbefriedigend verlaufen, zumal der bayerische Adel Konrad III. in Regensburg als König anerkannt hatte. Offensichtlich wollte Heinrich nun militärischen Druck ausüben und erschien in der ersten Julihälfte zu einem weiteren Termin in Augsburg »mit einer starken Kampftruppe« (milite non modico),48 so daß der König sich ernsthaft bedroht fühlte, die Stadt mit geringem Gefolge fluchtartig verließ und nach Würzburg abzog. Dort ließ er Heinrich wegen Bedrohung der königlichen Person als Hochverräter ächten und ihm durch Spruch eines kleinen Fürstenkreises das Herzogtum Sachsen aberkennen, das er alsbald, wohl noch vor Ende Juli, Albrecht dem Bären verlieh; um diese Zeit wurde Heinrich auch als Markgraf der Toskana abgesetzt. Auf dem Goslarer Weihnachtshoftag 1138 entzog ihm der König schließlich noch das bayerische Herzogtum und gab es im Frühjahr 1139 an seinen eigenen Halbbruder weiter, den Babenberger Markgrafen Leopold IV. von Österreich.

Trotz aller politischen Absichten hat sich der König bei diesen Entscheidungen keiner Rechtsbeugung schuldig gemacht, doch mußte er die Urteile über Heinrich den Stolzen noch durchsetzen, denn der nahm sie nicht hin und wehrte sich. Er konnte sich dabei auf eine Mehrheit der sächsischen Großen stützen, die Albrecht den Bären nicht als Herzog akzeptierten; von Konrad III. befürchteten sie wohl nicht zu Unrecht, daß er ihnen gegenüber die gleiche harte und unversöhnliche Haltung an den Tag legen würde wie Heinrich IV. und Heinrich V., betonten die Staufer doch immer wieder ihre Zugehörigkeit zum salischen Haus. Im übrigen aber dürfte die Solidarität des sächsischen Adels mit Richenza stärker gewesen sein als die Sympathie für Heinrich den Stolzen, dessen starke Stellung in Sachsen nicht auf einer eigenen Klientel beruhte, sondern auf seiner Ehe mit Gertrud von Süpplingenburg und der daraus folgenden Königsnähe mit ihrer zielbewußten Förderung.49 Erst aus solchen Motiven und Loyalitäten erklärt sich die massive Unterstützung für Heinrich den Stolzen, der im Januar 1139 nach Sachsen kam, »wie ein Löwe Burgen und Befestigungen zerstörte und die Übeltäter aufspürte, die das Land beunruhigten« (similis factus leoni in operibus suis, diruens urbes et castella, perscrutatus est iniquos, qui terram perturbabant).50 Gemeinsam mit dem Erzbischof von Magdeburg drängte er Albrecht den Bären systematisch auf dessen Ausgangspositionen um Ballenstedt zurück. Im Mai verzichtete Albrecht auf das Herzogtum.

Für den 25. Juli hatte Konrad III. das Reichsheer nach Hersfeld aufgeboten und konnte dort eine stattliche Armee aus Kontingenten geistlicher und weltlicher Fürsten versammeln. Die Erzbischöfe von Mainz und Trier, die Bischöfe von Worms, Würzburg, Speyer und Zeitz, die Äbte von Hersfeld und von Fulda, Albrecht der Bär und Herzog Leopold von Bayern, Landgraf Ludwig von Thüringen und zahlreiche Grafen hatten dem König Panzerreiter zugeführt, doch fast vier Wochen blieb das Heer in der Gegend von Hersfeld stehen. Besonders die Bischöfe wollten keine militärischen Aktionen, weil sie einen vollständigen Sieg des Königs im Grunde nicht wünschten und sich von der offenen Situation größeren politischen Spielraum und Einfluß versprachen. Deshalb plädierten sie für eine Verhandlungslösung und vermittelten am Ende den Waffenstillstand mit Heinrich dem Stolzen, für den das ein großer Erfolg war, hatte er doch das Reichsheer ohne Kampfhandlung aus dem Land gehalten und durch die auf ein Jahr festgesetzte Waffenruhe wertvolle Zeit gewonnen. Unter dem Eindruck dieser Leistung schlossen sich ihm jetzt auf Fürsprache Richenzas auch solche sächsischen Großen an, die bisher Albrecht dem Bären zuneigten wie die Grafen Bernhard von Plötzkau und Hermann von Winzenburg. Das Blatt hatte sich offensichtlich gewendet, und unter solchen Voraussetzungen glaubte Heinrich Sachsen verlassen zu dürfen, um auch in Bayern wieder die Oberhand zu gewinnen. Für Mitte Oktober berief er einen sächsischen Landtag nach Quedlinburg, der die notwendigen Verabredungen für Sicherung und Regierung Sachsens während seiner Abwesenheit beraten und beschließen sollte.

Kaum waren die Beschlüsse gefaßt, verloren sie ihren Sinn, denn unmittelbar nach Abschluß der Beratungen »starb der sehr edle und tüchtige Herzog Heinrich von Bayern und Sachsen, wie es scheint durch Gift, am 20. Oktober in Quedlinburg« (in Quidelingeburh Heinricus nobilissimus atque probissimus dux Bawarie atque Saxonie, veneficio ibidem, ut fertur, infectus, XIII. kal. Novembris vitam finivit).51 Dieser ganz unerwartet eingetretene »zu frühe Tod« (immatura mors)52 des wenig über dreißig Jahre alten und bisher nicht von Krankheit gezeichneten Mannes erregte die Zeitgenossen begreiflicherweise so, daß die in solchen Fällen übliche Giftmordthese aufkam. Es gibt indessen keinerlei Anhaltspunkte für einen solchen Anschlag, hingegen fand sich bei anthropologischen Untersuchungen im Zusammenhang mit Ausgrabungen in Königslutter während der Jahre 1976 bis 1978 am Skelett Heinrichs des Stolzen in Höhe des Beckens ein faustgroßes Konglomerat aus Schlehenkernen und Körpergewebe, so daß als Todesursache eine Darmlähmung oder ein Darmverschluß (Ileus) vermutet worden ist, ausgelöst durch den Verzehr von Schlehen, die im Oktober reifen und möglicherweise als Heilmittel gegen Beschwerden anderer Art eingenommen worden sind.53 Der ohnehin kurze und in seiner letzten Phase rasch zum Tod führende Krankheitsverlauf bei Ileus würde immerhin zu den zeitgenössischen Berichten passen, die das überraschend plötzliche Ende Heinrichs hervorheben. Sein Tod stürzte das Haus der Welfen in eine Krise, die noch wenige Jahre zuvor undenkbar schien, jetzt aber seine politische Zukunft und den gesellschaftlichen Rang im Kreis der Vornehmsten des Reiches ernsthaft gefährdete. Wenn es überhaupt noch Hoffnung auf eine solche Zukunft gab, so konzentrierte sie sich auf das einzige Kind Heinrichs des Stolzen.

Heinrich der Löwe

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