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1.1 Erste organisatorische Differenzierungen – Fürsorge im ausgehenden Mittelalter (bis ca. 1500)

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In der mittelalterlichen Feudalgesellschaft erfolgte die Versorgung hilfsbedürftiger Kinder – vor allem der Waisen – noch überwiegend im Rahmen verwandtschaftlicher Bindungen. Eine Ausnahme bildeten lediglich diejenigen Kinder, deren Sippe oder Familie nicht zu ermitteln war, sog. »Findelkinder«, also verlassene, ausgesetzte oder verlorene Kinder mit unbekannter Abstammung. Wenn man diese Kinder nicht erbärmlich zugrunde gehen lassen wollte, was oft genug geschah, mussten sie durch das Gemeinwesen versorgt werden (Sauer 1979, 8). Ihre Versorgung erfolgte im Allgemeinen in der universellen Fürsorgeeinrichtung des Mittelalters: dem Hospital. Dort wurden Findelkinder, meist gemeinsam mit anderen hilfsbedürftigen Gruppen – z. B. alte Menschen, Kranke sowie körperlich und geistig Behinderte – abgesondert von der übrigen Bevölkerung untergebracht (Scherpner 1979, 18). Aus heutiger Sicht mag diese unspezifische organisatorische Wahrnehmung von Kindern im Kontext allgemeiner Hilfsbedürftigkeit überraschen, vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, in der Kindheit und Jugend als eigenständige Lebensphase praktisch unbekannt war (vgl. Ariès 1985), erscheint sie jedoch nur konsequent:

»Sobald ein Kind sich allein fortbewegen und verständlich machen konnte, lebte es mit den Erwachsenen in einem informellen natürlichen ›Lehrlingsverhältnis‹, ob dies nun Welterkenntnis oder Religion, Sprache oder Sitte, Sexualität oder Handwerk betraf. Kinder trugen die gleichen Kleider, spielten die gleichen Spiele, verrichteten die gleichen Arbeiten, sahen und hörten die gleichen Dinge wie die Erwachsenen und hatten keine von ihnen getrennten Lebensbereiche« (von Hentig 1985, 10).

Erst als das mittelalterlichen Spitalwesen anfing, sich allmählich organisatorisch auszudifferenzieren, und erst, als vor allem infolge epidemisch sich ausbreitender Krankheiten gesonderte Krankenanstalten geschaffen wurden, wurde auch die Kinderfürsorge zunehmend aus dem allgemeinen Spitalwesen ausgelagert.

Die in dieser Zeit im Entstehen begriffenen »Findel- und Waisenhäuser« waren jedoch zunächst reine Versorgungseinrichtungen, in denen die Kinder i. d. R. so lange aufgezogen wurden, bis sie selbständig genug waren, um wie andere Arme Almosen zu erbetteln. Von einem eigentlichen Erziehungsauftrag, der unserem heutigen Verständnis von Erziehung gerecht würde, kann deshalb im Mittelalter keine Rede sein (Scherpner 1979, 26).

Vielmehr wurde die Kinderfürsorge bis ins 17. und 18. Jahrhundert hinein primär im Kontext der Armenfrage – und damit primär unter Versorgungs- und Sanktionsaspekten – gesellschaftlich wahrgenommen und öffentlich bearbeitet. Dennoch ist diese erste organisatorische Differenzierung beachtenswert, weil sie dazu beitrug, Kinder und Jugendliche dauerhaft aus dem Bereich der allgemeinen Fürsorge herauszulösen und in speziell dafür geschaffenen Organisationen zu versorgen.

Kinder- und Jugendhilfe

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