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§ 7 SGB VIII: Begriffsbestimmungen

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(1) Im Sinne dieses Buches ist

1. Kind, wer noch nicht 14 Jahre alt ist, soweit nicht die Absätze 2 bis 4 etwas anderes bestimmen,

2. Jugendlicher, wer 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist,

3. junger Volljähriger, wer 18, aber noch nicht 27 Jahre alt ist,

4. junger Mensch, wer noch nicht 27 Jahre alt ist,

5. Personensorgeberechtigter, wem allein oder gemeinsam mit einer anderen Person nach den Vorschriften des BGB die Personensorge zusteht,

6. Erziehungsberechtigter, der Personensorgeberechtigte und jede sonstige Person über 18 Jahre, soweit sie auf Grund einer Vereinbarung mit dem Personensorgeberechtigten nicht nur vorübergehend und nicht nur für einzelne Verrichtungen Aufgaben der Personensorge wahrnimmt.

Mit der Bezeichnung SGB VIII wurde die Kinder- und Jugendhilfe als Achtes Buch erstmals in das Sozialgesetzbuch (SGB) eingegliedert. Damit wurde klargestellt, dass für die Durchführung von Leistungen ebenfalls die Regeln des SGB I und des SGB X gelten.

Das SGB I definiert die Grundsätze des Leistungsrechtes (z. B. Aufklärungs-, Beratungs- und Auskunftspflichten – §§ 13-15 SGB I; Regeln der Leistungserbringung und Gewährleistungspflichten für den Leistungsträger – § 17 SGB I); das SGB X normiert die Regeln des Verwaltungsverfahrens und des Sozialdatenschutzes. Die Ablösung des ehemaligen vor allem organisations- und ordnungsrechtlich geprägten JWG durch ein modernes Dienstleistungsgesetz wurde allgemein als gesetzlicher Vollzug eines Paradigmenwechsels von der Jugendhilfe als Ordnungstätigkeit zur Jugendhilfe als sozialpädagogische Dienstleistung charakterisiert, ein Wechsel, der sich in der Praxis schon in den 1970er und 1980er Jahren zunehmend entwickelt hatte, der nun aber auch seinen gesetzlichen Niederschlag fand (Fazekas 2015; Faltermeier/Wiesner 2017, 496).

Grundlegende Neuerungen des KJHG im Vergleich zum vorherigen JWG waren

• die Abschaffung der eher disziplinierenden Formen der FE und der Freiwilligen Erziehungshilfe (FEH),

• die konsequente Ansiedlung aller Leistungen bei den örtlichen öffentlichen Trägern (Abschaffung des Verschiebebahnhofs zwischen Jugendämtern und Landesjugendämtern),

• die Verankerung eines förmlich einklagbaren Rechtsanspruchs auf Hilfen zur Erziehung (subjektive Rechtsansprüche),

• die Verpflichtung der öffentlichen Träger zur Bereitstellung einer allgemein fördernden Infrastruktur (objektive Rechtsverpflichtungen) sowie

• der Einbezug der Kinder und Jugendlichen mit seelischen Behinderungen in den Rechtsbereich der Jugendhilfe.

Aber auch mit der nun skizzierten Deklarierung der Jugendhilfe als personenbezogene soziale Dienstleistung und mit der damit verbundenen Vorstellung des Wandels des Adressatenbildes vom fürsorglich umlagerten Klienten zur souveränen und aufgeklärt agierenden Kundin ist das der Jugendhilfe inhärente Spannungsverhältnis von Hilfe und Kontrolle nicht obsolet geworden. Neben den Leistungen der Jugendhilfe, die im zweiten Kapitel des SGB VIII beschrieben werden (insbesondere Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, Familienförderung, Förderung in Tageseinrichtungen und Tagespflegen, Hilfen zur Erziehung, Eingliederungshilfen für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche und Hilfen für junge Volljährige) finden sich im dritten Kapitel unter der Überschrift »andere Aufgaben« auch Elemente von Ordnungstätigkeit und Fürsorge, die die jungen Menschen nicht nur unter Leistungsperspektive sieht, sondern die im Rahmen eines hoheitlich wahrgenommenen staatlichen Wächteramtes zur Sicherung des Kindeswohls ggf. auch gegen den Willen der Eltern oder auch der Kinder und Jugendlichen tätig wird (insbesondere Inobhutnahme, Mitwirkung in Verfahren vor dem Familiengericht oder vor dem Jugendgericht). Diese anderen Aufgaben ergeben sich u. a. aus der Besonderheit von Eltern-Kind-Verhältnissen und aus der spezifischen sorgerechtlich untermauerten (altersmäßig allerdings variierenden) Abhängigkeit minderjähriger Kinder von elterlichen Pflege-, Betreuungs- und Erziehungsleistungen. Es geht also darum, einerseits die Eltern dabei zu unterstützen, die Pflege und Erziehung ihrer Kinder nach eigenen Vorstellungen und in eigener Verantwortung sicherzustellen, andererseits gleichzeitig dafür Sorge zu tragen, dass dies nicht zum Schaden von Kindern geschieht (Schone 2015b, 143).

Auf der Grundlage dieser grundsätzlichen Neuerungen im Wechsel vom JWG zum KJHG hat sich das SGB VIII im Laufe der letzten fast 30 Jahre stetig verändert und ist an gesellschaftliche Entwicklungen und veränderte politische Ansprüche angepasst worden. Dies betraf oft kleinere Korrekturen, aber auch z. T. erhebliche inhaltliche Veränderungen. Zu zentralen Wegmarken dieser Veränderung gehören (Münder et al. 2019; Wiesner 2015; Struck 2016):

• die Einführung eines bis dahin nicht bestehenden Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz für Kinder vom dritten Lebensjahr an bis zur Einschulung (§ 24 SGB VIII) im Jahr 1992, der allerdings erst 1996 (zunächst mit Übergangsregelungen) in Kraft trat;

• die Schaffung eines eigenständigen Rechtsanspruchs für seelisch behinderte oder von Behinderung bedrohte Kinder und Jugendliche auf Eingliederungshilfe (§ 35 a SGB VIII), die damit von den Hilfen zur Erziehung abgekoppelt wurden im Jahr 1993;

• die Beendigung kostendeckender Pflegesatzfinanzierung durch die Neuregelung der Finanzierung von (teil-)stationären Jugendhilfeleistungen mit der Verpflichtung der freien Träger zum Abschluss von Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsentwicklungsvereinbarungen (§§ 78a ff. SGB VIII) im Jahr 1998;

• die sukzessive Erweiterung des Rechtsanspruchs auf einen Kita-Platz auch für Kinder unter drei Jahren durch das Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG) 2004 und das Kinderförderungsgesetz (KiföG) 2008;

• die ebenfalls sukzessive Ausformulierung expliziter Rechtsvorschriften für den Bereich des Kinderschutzes durch das Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz (KICK) im Jahr 2005 und durch das Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG) im Jahr 2011;

• die Einführung spezifischer Regelungen zur Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher (unbegleitete minderjährige Flüchtlinge) (§ 42 a ff. SGB VIII) im Jahr 2015.

Das ungleich größte Reformvorhaben zur Schaffung einer »großen Lösung«, also des Einbezugs der Leistungen auch für körperlich und geistig behinderte Kinder in ein inklusives KJHG wurde in der 18. Legislaturperiode des Bundestages vom Bundesministerium intensiv vorangetrieben, konnte aber aufgrund eines erheblichen Diskussionsbedarfs mit den Fachverbänden und den Spitzenverbänden der öffentlichen und freien Träger nicht abschließend umgesetzt werden. Das im Jahr 2017 am Ende der Legislaturperiode vom Bundestag verabschiedete Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG) wurde bislang vom Bundesrat nicht bestätigt. Gleichwohl steht das Reformvorhaben eines inklusiven KJHG auch in der 19. Legislaturperiode auf der Agenda und wird in Zukunft einen erheblichen Wandel zunächst in den gesetzlichen Grundlagen, dann aber auch in der Praxis der Kinder- und Jugendhilfe bewirken.

Obwohl das SGB VIII ein Bundesgesetz ist, enthält es an vielen Stellen Landesrechtsvorbehalte, so z. B. allgemein für die Regelungen zur Organisation der Trägerschaft der öffentlichen Jugendhilfe (§ 69 SGB VIII) oder zur Arbeit des Jugendhilfeausschusses (§ 71 Abs. 5 SGB VIII) oder spezieller für die Ausgestaltung der Leistungsfelder der Jugendarbeit/Jugendsozialarbeit (vgl. § 15 SGB VIII), der Tageseinrichtungen/Tagespflege (vgl. § 26 SGB VIII) oder der Allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie (§ 16 Abs. 4 SGB VIII). Insofern gibt es in allen Bundesländern diverse Ausführungsgesetze, die durchaus sehr unterschiedliche Regelungen für spezifische Organisationsfragen und Leistungssegmente enthalten. Zudem wurden den Ländern im Rahmen der sog. Föderalismusreform im Jahr 2006 Abweichungsrechte vom Bundesgesetz bezüglich Behördeneinrichtung und Verwaltungsverfahren eingeräumt (Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG). Jedes Bundesland verfügt daher über mehrere Ausführungsgesetze zur Umsetzung des SGB VIII, so dass dieses in den einzelnen Ländern durchaus unterschiedliche Nuancierungen erfährt (Wiesner 2015, 22 f.).

Das rechtlichen Aufgaben der Jugendhilfe – so wie sie heute bestehen – umfassen »Leistungen der Jugendhilfe« und der »anderen Aufgaben« (§ 2 SGB VIII) ( Abb. 1).


Abb. 1: Aufgaben der Jugendhilfe nach dem SGB VIII

Die Leistungen der Jugendhilfe sind durch zwei unterschiedliche Formen geprägt. Zum einen normiert das SGB VIII individuelle Rechtsansprüche von Eltern und Kindern. Diese beziehen sich auf spezifische Leistungen (z. B. Kindergartenplätze, Hilfen zur Erziehung). Zum anderen verpflichtet das Gesetz die Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur Bereitstellung spezifischer Infrastrukturleistungen, die eher allgemeine Fördermöglichkeiten für Eltern und Kinder bereithalten, ohne dass diese mit subjektiven Rechtsansprüchen verbunden sind (z. B. Familienbildung, Jugendarbeit). Diese beiden Formen bilden das Leistungsspektrum der Jugendhilfe ab. Während subjektive Rechtsansprüche individuell begründet werden müssen und im Streitfall von den Adressaten und Adressatinnen einklagbar wären, normieren objektive Rechtsverpflichtungen Anforderungen an den öffentlichen Träger zur Gewährleistung einer spezifischen Infrastruktur, ohne dass diese individuell einklagbar wären.

Mit den »anderen Aufgaben der Jugendhilfe« sind hoheitliche Aufgaben gemeint. Sie beschreiben Aufgaben, die nicht unmittelbar mit Leistungen gegenüber den Adressaten und Adressatinnen gekoppelt sind, sondern dem öffentlichen Träger spezifische Ordnungsbefugnisse einräumen, um den Schutz von Kindern und Jugendlichen zu gewährleisten (z. B. Inobhutnahme, Mitwirkung in gerichtlichen Verfahren). Diese Aufgaben ermöglichen es dem Jugendamt (und verpflichten es in bestimmten Situationen), auch ohne oder gegen den Willen der Betroffenen tätig zu werden.

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