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2.2.3 Konzeptionelle Leitbegriffe heute
ОглавлениеIn den hier skizzierten »theoretischen Orientierungen« sind Begriffe geprägt worden, die in den Konzeptionsdebatten der Kinder- und Jugendhilfe Bedeutung erlangt haben, jedoch eher losgelöst von diesen »theoretischen Orientierungen«. Solche Begriffe haben eine hohe legitimatorische Bedeutung und prägen die fachlich-normative Basis der Kinder- und Jugendhilfe, auch ohne dass sie jeweils mit umfassenderen theoretischen Orientierungen verknüpft werden. Sie haben sich gleichsam verselbständigt und sind zu Leitbegriffen mit normativer Ausstrahlung geworden, jedoch in den Konzeptionsdebatten nur noch lose angekoppelt an umfassendere theoretische Orientierungen. Einige Leitbegriffe haben einen engeren Bezug zu theoretischen Orientierungen (z. B. die Nähe von Partizipation/Teilhabe und Selbstbefähigung/Empowerment sowohl zur »Lebensweltorientierung« als auch zum Capability-Ansatz), bei anderen Leitbegriffen ist der Bezug weniger deutlich, sondern eher assoziativ herstellbar (z. B. beim Begriff »Prävention«).
Die Leitbegriffe markieren normative Zielsetzungen als Grundlage für sozialpädagogisches Handeln und werden damit in den Konzeptdiskussionen zu Orientierungsmarken für eine gute Kinder- und Jugendhilfe. Die Berechtigung oder Gültigkeit dieser Leitbegriffe wird nur selten angezweifelt; sie lassen sich in fachlicher und normativer Hinsicht als impliziter Konsens der Diskussionen in der Kinder- und Jugendhilfe betrachten. Diskurse drehen sich daher nicht um ihre Berechtigung, sondern zumeist eher um die Frage, ob und wie sie umzusetzen sind und wie sehr verschiedene Arbeitsansätze ihnen in Theorie und Praxis gerecht werden. In ihnen werden sowohl fachliche Erwartungen an die Kinder- und Jugendhilfe formuliert und Legitimationsmuster geprägt (das »Was« und »Warum« der Kinder- und Jugendhilfe) als auch Anforderungen an das methodische Handeln (das »Wie« im Vorgehen der Akteure) charakterisiert.
Die nachfolgend erläuterten konzeptionellen Leitbegriffe ( Abb. 3) erscheinen auf den ersten Blick inhaltlich plausibel und finden bei Akteuren der Kinder- und Jugendhilfe eine breite Zustimmung. In einer genaueren Betrachtung sind in ihnen jedoch Spannungsfelder und Widersprüche enthalten, die auf die Notwendigkeit eines reflektierenden Umgangs mit ihnen verweisen. Jeder Leitbegriff transportiert, wenn er in die Praxis der Kinder- und Jugendhilfe ›übersetzt‹ wird, Ambivalenzen, bei denen unerwünschte Nebenfolgen oder auch paradoxe Anforderungen sichtbar werden. Kinder- und Jugendhilfe bewegt sich über alle Aufgabenfelder hinweg ( Kap. 5) in Spannungsfeldern und hat es mit zentralen Antinomien (Hilfe-Kontrolle, Nähe-Distanz, Einzelfall-Sozialraum etc.) zu tun, die auch in konzeptionellen Leitbegriffen ihren Niederschlag finden. Die Praxis in der Kinder- und Jugendhilfe oszilliert je nach Aufgabenfeld und konkret zu bearbeitender Aufgabenstellung immer zwischen den Polen zueinander in Widerspruch stehender Anforderungen und Erwartungen. Professionelles sozialpädagogisches Handeln hat angesichts dieser Spannungsfelder für jede einzelne Aufgabe und in jedem Einzelfall immer wieder eine neue Balance zu finden und zu wahren, um ihrem Auftrag für die je spezifische Situation und für die je spezifisch betroffenen Menschen gerecht zu werden.
Abb. 3: Aktuelle Leitbegriffe der Kinder- und Jugendhilfe