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Ins Nachdenken gekommen

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Grob geschätzt tausend Menschen habe ich im Laufe meines Dienstes auf dem Weg zu ihrer letzten Ruhe begleitet. Bei Wind und Wetter, bei Sonne und Vogelgezwitscher und eisigem Schneesturm, bei strömendem Regen und sommerlich warmer Brise. Manchmal mit riesiger Trauergemeinde, immer wieder mal nur mit dem Bestatter zusammen. Ca. 25 Friedhöfe waren dabei mein Wirkungsfeld. Wenn ich vor dem Sarg zum Grab gelaufen bin und der Weg weiter war, hatte ich oft Zeit zum Grübeln: Manchmal habe ich den Weg genossen als ein Weg durch den Frühling in die Aussicht des ewigen Lebens, das ich dort am Grab dann verkündigen durfte; manchmal als bitter kalte Wegstrecke, Symbol eines Lebens, das da sein Ende gefunden hatte; manchmal in Gedanken ganz bei den Menschen, denen ich einen gangbaren Weg in eine schwierig vor ihnen liegende Zukunft zeigen wollte, mit dem Trost und der Ermutigung aus Gottes Wort. So kamen auch die Grundlagen der folgenden Gedanken zu Stande, die nie aufgehört haben in mir zu arbeiten, und sich regelmäßig in der Predigtarbeit wiedergefunden haben. Denn Leben und Sterben und Predigen gehören ja zusammen, das eine fließt in das andere hinein und wieder zurück.

Immer häufiger bin ich dabei über die sog. „Opfertheologie“ gestolpert. Christus habe sich für uns geopfert. Sein Tod sei ein Opfer für unsere Sünden. Durch das Opfer seines Todes würden wir erlöst sein zum Leben. Und immer häufiger habe ich – einmal neugierig geworden – Anhaltspunkte in Bibel und Glaube gefunden, die dem laut und heftig widersprachen. Was meint man eigentlich damit? Sollte ich einem Sterbenden damit trösten, dass Jesus ja auch gestorben ist, einen Opfertod für ihn!?

Unzählige Male habe ich Abendmahl mit Menschen gefeiert. In sehr vielen Gottesdiensten mit unterschiedlichen Gemeinden, aber auch häufig fünf oder sechs Mal hintereinander im Krankenhaus am Samstagabend unter diversen Rahmenbedingungen, manchmal bis ich vor Müdigkeit den Segen fast nicht mehr sprechen konnte. Und wie oft im Hospiz, in der Intensiv- oder Palliativstation mit Sterbenden und deren Angehörigen. Und immer wieder tauchte die Frage auf: Was nützt es diesen da gegenwärtigen Menschen, dass Christus für sie gestorben ist? Ist es nicht wichtiger, dass er in diesem Moment da ist, lebt, hilft, begleitet, tröstet stärkt? Der Opfertod war dabei wirklich nicht der helfende Aspekt aus den vielen Möglichkeiten der Deutung des Todes Jesu, wie sie in der Bibel angesprochen werden.

Das hat mich immer mehr ins Nachdenken und Bibellesen gebracht mit dem wachen Auge des Suchenden. Wie ist der Tod Jesu zu verstehen, worin liegt sein Geheimnis und wo seine Hilfe? Da ich selber immer näher an den Tod hin älterwachse, bin ich mittlerweile ganz sicher: Ich brauche keinen Opfertod, auch und gerade nicht von meinem Gott. Und diese Überzeugung höre ich immer häufiger und deutlicher bei vielen Menschen, nicht selten auch als Grund dafür, warum Menschen der Kirche den Rücken kehren. Hier also ist Hinschauen gefragt, ehrliches Nachspüren und theologisches Suchen und Fragen an und in der Bibel, mitten in unserer Zeit, mitten unter den Menschen, wie sie fragen und suchen.

Martin Kähler schrieb 1911 in: Das Kreuz. Grund und Maß der Christologie: „Ohne Kreuz keine Christologie auch kein Zug, der nicht am Kreuz seine Berechtigung aufzuzeigen hätte.“ (In ders., Schriften zur Christologie und Mission 1971, S. 302)

2009 sagte Superintendent Burckhard Müller in einer Radioandacht im WDR in der Passionszeit: „Ich glaube nicht, dass Jesus für unsere Sünden gestorben ist“. Das löste sowohl einen Sturm der Entrüstung wie Jubelschreie begeisterter Erleichterung aus, wie „Welt online“ berichtete. (https://www.welt.de/kultur/article3429266/Warum-starb-Jesus-Christus-am-Kreuz.html)

In eben diese Richtung äußerte sich auch Cornelia Richter, auf eine Anfrage hin (Prof. Dr. Cornelia Richter, gefunden in: Uni Bonn, online. Zur Diskussion siehe auch Stellungnahme zum Artikel »Im Blut ist das Leben!« Deutsches Pfarrerblatt - Heft: 7/2002):

Sie schreiben, der Opfertod Jesu zur Vergebung der Sünden sei ein mittelalterliches Konstrukt (laut epd). Aber es gibt Stellen im NT, die den Opfertod bestätigen: Titus 2,14 "Jesus hat sein Leben für uns gegeben, um uns von aller Schuld zu befreien". Wie passt das zusammen?

Für den Pressetext mussten wir die theologischen Argumente ein wenig kurz fassen und dabei ist in der Tat ein nicht ganz gelungener theologischer Satz herausgekommen. In den Updates selbst finden Sie eine ausführliche Antwort, wenn Sie die sonstigen Antworten zur Christologie anschauen (x x). Doch auch hier gerne noch einmal in Kürze: Es geht nicht darum, den Begriff des Opfertodes „los zu werden“, sondern es geht darum, dass er meist mit einer falsch verstandenen Interpretation der Satisfaktionslehre von Anselm v. Canterbury in Verbindung gebracht wird. Also mit der Vorstellung, Gott sei ein rachsüchtiger Gott, der den Kreuzestod seines Sohnes zur Wiedergutmachung gefordert habe. Das steht in dieser Form erstens nicht bei Anselm. Und das, was bei Anselm zu lesen ist, ist vor dem Hintergrund des mittelalterlichen Vertragsdenkens der Satisfaktion zweitens durchaus sinnvoll. Nur ist es, drittens, wiederum nicht mehr direkt kompatibel mit unserem neuzeitlich-modernen Verständnis von Gerechtigkeit. Deshalb wird in der neutestamentlichen und systematisch-theologischen Forschung heute der Akzent darauf gelegt, dass Jesus sich für andere Menschen hingegeben hat, d.h. dass er der Konsequenz seines Lebens, nämlich dem Tod am Kreuz, nicht ausgewichen ist. Das wiederum könnte man nun lange erläutern, doch dazu verweise ich zunächst nochmals auf die übrigen Antworten, dort finden Sie auch Literaturangaben zum Thema.

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