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UNGEHALTENE REDE
ОглавлениеRotes Rathaus Berlin, 7. Juni 1979
Mag sein, ich verstehe nicht, was hier geschehen soll, doch habe ich des Präsidenten besonders pointierte Rede nicht so verstanden, als solle sie das Ende aller Diskussion bedeuten. Ich halte mich an einen Satz in ihr, der sagt, Meinungsstreit sei Lebensteil und nicht abzuschaffen, ohne Wichtigstes zu beschädigen. Versuchen wir doch, vor dem Schaden klug zu sein.
Ich melde mich zu Wort als Mitglied des Verbandes, der mir wichtig war, und rede als Beteiligter, der als Autor, als Lektor und bis zur Kollektiv-Entlassung als Redakteur der Zeitschrift „Temperamente“ an der Kultur des Landes Anteil nahm und hatte, anfangs enthusiastisch hoffend auf die versprochenen tabufreien Räume, wiederholt darin enttäuscht, nun aber, heute, hier nachhaltig irritiert und betroffen.
Mir scheint, es geht um mehr, als heute auf der Tagesordnung steht. Die Szene ist zum Tribunal geworden. Gerichtet soll werden, neun Exempel statuiert, angeblicher Statutverstöße wegen. Wenn hier gerichtet wird, werden wir unsrer Rolle nicht gerecht.
Es gibt vermutlich niemanden hier im Roten-Rathaus-Saal, der behaupten würde, Geschichte könne widerspruchs- und konfliktfrei verlaufen. So hübsch allgemein gesagt, ist das kein Problem. Die Schwierigkeiten im Umgang mit den Widersprüchen beginnen eben dort, wo sie konkret werden, wo sie unsere sind. Wir müssen entscheiden, ob wir sie aussprechen oder verschweigen, ob wir bereit sind, zu hören und darüber zu reden oder ob wir uns die Antithesen um die vorsorglich verplombten Ohren schlagen, ob wir die Dinge nur hinter vorgehaltener Hand im Pausengespräch bereden oder offen, was auch und nicht zuletzt heißt: öffentlich benennen. Mir scheint, die Entscheidung ist schon gefallen. Ich spüre heute und befürchte für morgen zunehmende Polarisierungen, ich beobachte Verhärtungen, vernehme Verdächtigungen, sehe Misstrauen, wiewohl öffentlich von engem Vertrauen die Rede ist (und „eng“ ist hier wohl das Zutreffende daran), und frage, wem das nützen soll. Der Literatur des Landes? Uns? Dem Verband? Dem Land? Oder jemandem oder etwas, was weit darübersteht? Stellungskriege, Grabenkämpfe verheeren die Landschaft, Totalverteidigung zerstört, was zu schützen vorgegeben wird.
Ich ahne, man kann in solch gereizter Stimmung, in der die Gräben armiert werden, leicht zwischen die Fronten geraten und missverstanden werden. Die einen sagen: Seht, wie er sich zwischen den Standpunkten windet! Die anderen: Jetzt hat er die Seite gewechselt! Obwohl ich dazwischenstehe und närrisch mit der weißen Fahne wedle.
Solch unglückliche Lagen hat es auch vor uns schon gegeben, und ich meine, wir könnten vielleicht aus der Geschichte lernen, zumal es sich bei dem Konflikt, an den ich hier erinnern will, um Traditionen handelt, zu denen sich dieser Verband im Statut, das hier zur Anklage der neun Kollegen herhalten muss, bekennt.
Im Frühjahr 1932 kulminierte die Kontroverse zwischen der bürgerlichdemokratischen und der proletarisch-revolutionären Literaturbewegung, es war die Zeit vor der Reichspräsidentenwahl. Heinrich Mann setzte sich damals öffentlich für die Wiederwahl Hindenburgs ein, um, wie er meinte, den Damm gegen die faschistische Gefahr zu befestigen. Johannes R. Becher reagierte darauf in einem offenen Brief in der „Linkskurve“ mit dem Titel „Vom ‚Untertan‘ zum Untertan“, worin er Heinrich Mann bescheinigte, dass er unwiderruflich (!) zu seiner Gestalt zurückgekehrt sei. Becher nannte ihn Rahmabschöpfer und Schmarotzer, verstockter Anpasser und gar einen Agitator der faschistischen Volksgemeinschaft. Wir wissen, wie die Sache endete, und ich bringe diese Historie nicht, um Kongruenzen zu konstruieren, sondern um analoge Haltungen vorzuführen. 1933 übernahm Hitler die Zügel, Hindenburg reichte ihm das teutonische Steinbeil als Zepter, und Becher wie Mann trafen sich wenig später im Exil wieder. Klüger durch Schaden, nun deutlich sehend, dass sie Bündnispartner waren und sind, und so finden sie, spät, zu einer differenzierteren Sicht. Becher korrigiert in dem 1936 geschriebenen Essay „Aus der Welt des Gedichts“ die zugespitzte Polemik von 1932. Er schreibt: „Wo steht ein Dichter? Dort, wo er als Dichter steht: inmitten des Besten, was er geschaffen hat. Nicht unbedingt dort, wo er seine Unterschrift hinsetzt und sich politisch bekennt.“ Mir scheint, die Worte sind bedenkenswert.
Ich frage: Werden Ausbürgerung, Ausreisen, Ausschlüsse zu einem guten Ausgang führen? Werden damit nicht sogenannte Fälle nur für den Augenblick, also scheinbar, gelöst, zugleich aber ständig neue geschaffen? Und schmerzen nicht auch die amputierten Glieder? Führt das forcierte Kämpfen nicht auch zu späteren Krämpfen?
Lasst mich zum Schluss sagen, dass ich kein besseres krampflösendes Mittel weiß als die kontroverse und zugleich tolerante Diskussion des Strittigen, die Diskussion, wo sonst als hier in diesem Verband.
Ich denke, niemand erwartet von mir, dass ich, überzeugt, das Falsche zu tun, die Hand für die Ausschlüsse meiner Kollegen hebe.