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2 EIN UHR MITTAGS

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Senefelderplatz, kleiner Park mit grünem Pissoir und rotem Feuermelder. Die Bäume sind Straßenbäume. Alois Senefelder zu Ehren ein Denkmal, an dessen Fuß sind zwei klassizistische Knäblein kollektiv tätig. Knäblein eins schreibt den Vornamen Alois in Spiegelschrift, Knäblein zwei hält hilfreich den Spiegel. Der Erfinder indes grübelt noch immer in Marmor. In der ND-Druckerei gegenüber wurde früher Bier gebraut: Brauerei Pfefferberg. Das Umformer- und Schaltwerk der U-Bahn ist unsichtbar, es liegt unter der Erde. Ringsum fehlen auch ein paar Häuser, der Angriff wurde am 7. Mai 1944 geflogen. Deshalb sind die zwei Wassertürme auf dem Mühlenberg so gut zu sehen; der dicke ist bewohnt. Um 1800 standen dort acht Windmühlen mit Ausschank-Lizenz. Müller Würst ließ in seine Gläser gravieren: Gestohlen bei Würst auf dem Windmühlenberge. Dadurch stieg die Zahl der Gläser, die ohne Wissen des Besitzers geborgt wurden; die Tradition lebt fort.

Über die Vorderfront des Komitees für Landtechnik spannen die Worte: Stärkt und schützt die Deutsche Demokratische Republik, unsere sozialistische Heimat! Die BSG Rotation Prenzlauer Berg nennt ihr Lokal Sportlertreff. Durch das Gitter des Jüdischen Friedhofs schimmern alte Grabsteine zwischen hohem Gestrüpp, der Gedenkstein trägt die Aufschrift: hier stehst du schweigend doch wenn du dich wendest schweig nicht. Die evangelische Segenskirche wirbt für die Bachkantate Nr. 84: Ich bin vergnügt in meinem Glücke. Die Fassade ist von verschiedenen Einschüssen gelöchert. Ecke Oderberger steht das Café und Restaurant Zur Schildkröte. Auf dem Tresen liegt ein Schildkrötenpanzer, die Bewegungen des Wirtes stehen in keinerlei Widerspruch zum Namen seiner Stampe. Das Kreiskulturhaus Erich Franz beherbergt unter anderem den Gehörlosenverband, dahinter liegt die Schultheiß-Brauerei, früher AG, jetzt VEB, das Berliner Bier ist süffig. An dieser Stelle stoßen die U-Bahngleise durch die Erde, die Dezibelwerte steigen. Unter dem U-Bahnbogen steht Konnopkes Imbisshalle: Curry Brat Bock Wiener Knacker Brühe, was woll’n Se? Berlin ist ein sprachlicher Schmelztiegel, gegenwärtig werden Thüringer und Sachsen eingeschmolzen. Früher die Ostpreußen und so weiter, jetzt sind sie die typischen Berliner. In der Telefonzelle daneben kann nur gesprochen werden, zu hören ist nichts.

Denn da ist die große Kreuzung. Sechs Straßen schlagen auf sie ein. Drei Verkehrspolizisten schlagen zurück. In der Mitte parkt ein Messwagen für Luftreinhaltung. Sauerstoff wird in Berlin auch immer seltener. Nur Sonne macht die Stadt erträglich, sonst ist sie grau, von schwarz in allen Nuancen grau. Weiß ist nicht. Dafür ist es außerhalb schöner, dort wo die Datschen stehen. Wer noch keine hat, soll sich melden. Die Kreuzung ist für viele der Mittelpunkt der Stadt, am Alex wurden neulich zwei Feldhasen gesichtet. Der alte Mann mit dem Pilotenhelm aus Leder ignoriert die Anweisungen der Verkehrspolizisten, vielleicht ist er gerade Baron von Richthofen. Horizont sagt mehr, sagt Horizont, oben am Geländer des U-Bahnhofes Dimitroffstraße.

Die Bars Lolott und Lotos sind Räume mit einer Bar. Bei Glas-Müller stehen Gartenzwerge, schlimmer allerdings ist die Porzellan-Nackte im Schaufenster, sie streichelt einen Porzellan-Karpfen. Kunst braucht keine Erklärung.

Gegenüber ist der Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark, ein Aufsteller kündet von einem Fußballspiel. Berliner nennen den Sportplatz noch immer Exer. Weil nämlich Wilhelm Griebenow 1825 die Fläche für 9.518 Taler als Exerzierplatz an den Militärfiskus von Berlin verkaufte. Vor der Einsamen Pappel versammelten sich 1848 circa 25.000 Berliner, die Berliner Luft roch damals zeitweise nach Revolution. Die Versammlung datiert den Beginn der Berliner Arbeiterbewegung, eine Tafel erinnert daran, die Pappel ist neu und klein.

Ein Schüler mit blauem Halstuch pfeift eine Melodie aus My fair Lady, etwas falsch, doch nicht ohne Sachkenntnis. Zwei kleinere Kinder schmeißen nach ihm mit Erbsen, ein Mann im Sakko mit übergeschlagenem Sommerkragen wird getroffen, die beiden auf dem Balkon sind abgetaucht. Übrigens wäre die Straße ziemlich reizlos, denkt man sich die Häuser weg. Die Architekten haben trotzdem einen Prozess verdient, so was verjährt nicht.

Ein Geschäft für Orthopädie und Bandagen legt fleischfarbene Gliedmaßen aus, nebenan gibt’s Goldbroiler und Chips. Das Restaurant Stockinger ist innen gediegener Kitsch und gibt sich nach außen exklusiv. Spezialgeschäfte rechts und links, ein Kellerladen noch, dort gibt es fast alles. Das Kino Colosseum war früher Pferdebahnhof, die Pferde wurden vom Strom erlöst und der Bahnhof von den Pferden. Jetzt galoppieren nur noch Filmpferde. Die Gleisarbeiter haben ihre Hemden ausgezogen. Vor den Treppen zum U-Bahnhof macht eine Wurstbude Konnopke Konkurrenz, sie hat entschieden weniger Sorten. Und dann kreuzen Straßenbahn U-Bahn S-Bahn, früher hieß die Ecke hier Nordbahnhof, jetzt heißt nur die Kneipe noch so: Zur Nordbahn. Humtata gibt’s im Hinterhof bei Giovanni Bacigalupo, dem Drehorgelbauer. Eine Pantomimengruppe sucht Leute. Hausfrauen tragen Taschen und Netze, sie sehen aus, als hätten sie alle einen Gedanken. Am Zebrastreifen gibt es einen Stau von acht Fahrzeugen, der Verkehrspolizist lehnt am Geländer und schwitzt. Die Straße gähnt noch einmal vor dem zweiten großen Sturm.

Das Blöken der Wölfe

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