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DER KRANKE PATIENT
ОглавлениеRede Schriftstellerverband der DDR, 2. November 1989
Der Schriftstellerverband ist krank. Sich selbst paralysierend liegt er mit inneren Krämpfen darnieder. Statt Stimme der Erneuerung zu sein, ist er verstummt. Einzelne Mitglieder sprechen, der Verband aber schweigt. Ein beschämender Vorgang für die Literatur in der DDR, da zu gleicher Zeit ein Volk seine vormals verordnete Sprachlosigkeit überwindet. Der Patient behauptet, nie ernsthaft krank gewesen zu sein, sträubt sich seit Wochen gegen Anamnese, Diagnose und Therapie und wähnt, jeder, der sich seinem Krankenlager nähert, wolle ihn mit der Medizin meucheln.
Dieser Verband sollte an der Spitze der Veränderer stehen, sonst fällt er aus der Zeit. Dass er da nicht steht, ist, wie ich meine, ein Problem seiner unveränderten Spitze. Erinnern wir uns der äußerst zurückhaltenden Resolution vom 14. September 89 hier im Berliner Verband und der Abstimmung darüber. Wer stimmte dagegen? War’s nicht der Präsident, der Bezirksvorsitzende und drei weitere Vorstandsmitglieder? Lesen wir die Verlautbarung des Präsidiums, eine inhaltlich und sprachlich lendenlahme Erklärung, die von den anderen Künstlerverbänden weit überholt ist.
Ich schlage vor, erstens, substanziell zu werden und öffentlich zu erklären, was wir Schriftsteller konkret verändert sehen wollen und wie wir uns einen lebensfähigen und lebenswerten Staat vorstellen. Darin sollten freie Wahlen, Pressefreiheit, Reisefreiheit für alle, Zulassung alternativer Parteien, Kontrolle aller staatlichen Organe, Informationsfreiheit und Abschaffung jeglicher Zensur klar und ohne jegliche Einschränkung genannt sein. Zweitens: Ein außerordentlicher Kongress ist einzuberufen. In Vorbereitung dieses Kongresses sollte eine Statutenkommission gebildet werden, die ein neues, der gewachsenen Reife der Gesellschaft adäquates Statut erarbeitet. Dieser Kommission sollen Mitglieder angehören, die von der Basis direkt delegiert werden. Auf diesem Kongress sollten zudem alle Gremien des Verbandes neu gewählt und das neue Statut verabschiedet werden. Alle sollten der Direktwahl unterliegen. Es geht um eine radikale programmatische, strukturelle und personelle Erneuerung des Verbandes. Er darf nie mehr durch kaderpolitische Verquickung von Parteifunktionen und Verbandsmandaten ein abhängiges Vollzugsorgan einer Partei und ihrer Kulturpolitik sein!
Wer solches sagt, wird schnell des Versuchs der Spaltung bezichtigt. Ein altes Muster. Gewollt aber ist nicht die Spaltung, sondern ein einiger, starker Verband, den wir als kollektiven Interessenvertreter bitter nötig haben werden. Ein Verband, der vordenkt, nicht nachhinkt. Nicht Ende also, sondern Anfang. Nicht Spaltung, sondern Veränderung. Wer aber Veränderung Spaltung nennt, will keine Veränderung.
Nicht alles braucht geändert zu werden. Was gut war, soll gut bleiben. Doch Anachronismen müssen über Bord. Es geht um einen neuen Stil, neue Regularien der Gesellschaft. Ein Beispiel: Unser aller Präsident ging beim „Sputnik“-Verbot zu dem, der das verbot. Oder er erklärte sich bereit, den bedrückenden Fall einer von der Stasi verfolgten Kollegin zu klären: mit Minister Mielke! Erinnert das nicht an die Zeiten geadelter Aufklärer bei Hofe? Ist es nicht an der Zeit, öffentliche und klare Worte zu allem zu sagen, was uns und die Gesellschaft massiv beim Gehen behindert?
Es sind auch die zentralistischen Strukturen dieses Verbandes, die dringend veränderungsbedürftig sind. Wie kommt es, dass einige Kollegen über Jahre und Jahrzehnte, als wär’s ein Erbteil, in den Funktionen sitzen und dafür Sorge tragen, dass sie da sitzen bleiben?
Und noch eins: Wäre heute nicht eine gute Gelegenheit, dass einige der Kollegen, die bei den Ausschlüssen 1979 im Roten Rathaus anklägerische Reden hielten oder vom Präsidiums-Hochsitz aus Wortmeldungen, die nicht ins Regiekonzept passten, verhinderten, wenn wir von diesen Kollegen ein Wort hörten, dass sie inzwischen, möglicherweise, ein wenig anders darüber denken?
Und noch eins: Der Antrag des Aktivs für Literatur und Umwelt zur Abschaffung des Ministerratsbeschlusses, die Geheimhaltung der Umweltdaten betreffend, wo ist der hängen geblieben? Ist der jemals, wie gefordert und beschlossen, der Volkskammerfraktion des Kulturbundes übermittelt worden, oder ist er bereits in der Verbandshierarchie verendet?
Und noch ein Letztes, einige notwendige Bemerkungen zum Büro für Urheberrechte. Ein dubioses Unternehmen. Eine höchst effiziente Einrichtung zum Abschöpfen von Devisen. Lesen wir deren rechtliche Bestimmungen, so sehen wir schaudernd viele Pflichten, wenig Rechte und keine Vertretung vor keinem Gericht. Der Autor erscheint darin als Kind, das einer führenden Hand bedarf. Er muss fragen, ob er sein Geschriebenes an Abnehmer verschicken darf, und das Büro erlaubt es gnädig oder eben nicht, wie es ihm beliebt. Der Autor muss fragen, wenn er einen Vertrag unterzeichnen möchte, das Büro gestattet ihm gnädig oder aber nicht die Unterschrift und macht sie durch diesen hoheitlichen Akt erst eigentlich rechtsgültig, wie es heißt, denn vorher ist sie lediglich rührendes Gekritzel eines noch nicht ganz Volljährigen. Die ausländische, ehrlich verdiente Währung aber darf er nicht nur, er muss sie, per Devisengesetz streng dazu verpflichtet, ans Büro überweisen lassen, worauf ihm dann, welch väterliche Gnade, ein gewisser Teil in welscher Währung zurückerstattet wird. Dabei ist es doch des Autors alleiniges Verdienst und das Büro nicht Ko-Autor. Eher k. o.-Autor, da das Büro die Internationalität der Literatur bürokratisiert, was heißt: zeitlich verzögert, unnötig behindert und unerträglich kompliziert. Zu fragen ist, ob diese Behörde mit diesem Menschenbild noch in die Landschaft passt. Und ich meine nicht nur einen neuen Anstrich und ein neues Schild über der Tür, denn der Name ist, zumindest im ersten Teil, durchaus zutreffend: Büro, also eine Behörde, ein Apparat, in dem eine vormundschaftliche Bürokratie sitzt, auf Bürostühlen, mit Büromöbeln, Bürozeiten und Büroklammern. Der zweite Teil dagegen tritt weniger angesichts des Übergewichtes der Pflichten der Urheber. Deshalb müsste es heißen, wie es etliche Kollegen schon lange nennen: Büro für Urheberpflichten.
Ich ende, was aber nicht heißt, dass schon alles gesagt wäre, was heute und morgen zu sagen ist.