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NACHRUF AUF EINEN VERBAND

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Nachdem die DDR im Orkus der Geschichte verschwunden ist, aus dem kein orphischer Gesang sie wieder hervorholt, folgen ihr die Einrichtungen nach, die ihren Namen trugen. So auch der Schriftstellerverband.

Die einen attestieren ihm, er sei einer der Transmissionsriemen der Partei gewesen, eine politische Organisation zur ideologischen Gleichschaltung ihrer Mitglieder, instrumentalisiert von der heillosen Politik der herrschenden Diesseitsreligion Kommunismus, korrumpiert von den primitiven, doch wirkungsvollen Machtmitteln Zuckerbrot und Peitsche, missbraucht von Funktionären des Geistes, die hofften, durch die Nähe zur geistlosen Macht mit einer Marmorbüste im Pantheon des Poststalinismus verewigt zu werden. Nun wird es nicht mal ein Abdruck aus Gips.

Die anderen reklamieren, der alte Verband sei mehr als eine bevormundete und bevormundende Einrichtung des vormundschaftlichen Staates gewesen, er habe sich um die sozialen Belange seiner Mitglieder gekümmert, habe mitunter Widerspruch angemeldet, gröbste kulturpolitische Dummheiten zu verhindern gesucht, Reglementierungen gemildert und Öffentlichkeit geschaffen für so manches, was unterm Teppich bleiben sollte. Sie bestehen darauf, dass er keine monolithische Vereinigung notorischer Jubler und Jasager war, sondern ihm viele kritische, moralisch integre und literarisch relevante AutorInnen angehörten.

Das eine ist richtig, das andere nicht falsch, und beides ist jeweils die Hälfte der Wahrheit. Für die ganze braucht es wohl größeren Abstand und noch einige Zeit.

Das Jahr 1979 gehört zweifellos zu den finstersten Kapiteln der Verbandsgeschichte: Am 7. Juni wurden neun Schriftsteller unter der Regie des präsidialen Exekutors, Hermann Kant, aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen. Neben Stefan Heym auch Klaus Schlesinger, Kurt Bartsch, Klaus Poche und andere. Eine Amputation ideologischer Chirurgen. Doch der Phantomschmerz blieb und hielt über die Jahre die Erinnerung an das begangene Unrecht wach.

Es gibt Täter und Opfer, und zwischen diesen Polen liegt ein weites Terrain, in dem die Grenzen verfließen. Hier ist der bevorzugte Ort, wo sich jeder Einzelne selbst befragen sollte, was er getan hat und was unterlassen, was er hätte wissen können und nicht wissen wollte, wo er schwieg und wo er hätte reden und schreiben müssen. Auch ich.

Dass dieser alte, von der SED funktionalisierte Schriftstellerverband seit dem letzten Herbst nicht mehr existierte und spätestens seit dem außerordentlichen Kongress im März 1990 ein personell, programmatisch und strukturell erneuerter Verband war, ist kaum zur Kenntnis genommen worden. Nunmehr mittellos, stellt er mit dem Jahresende seine Tätigkeit ein. Es gibt keine Staatsflagge überm Sarkophag, der Denkstein ist eine abgebrochene Säule, der letzte Gang jedoch mehr eine Überführung denn ein Begräbnis.

Für die künftige Vertretung der Interessen und Rechte der AutorInnen im geeinten Deutschland ist gesorgt: Der Verband deutscher Schriftsteller (VS) in der IG Medien steht bereit, die ostelbisch heimatlos Gewordenen aufzunehmen. Er wird, so ist zu hoffen, allen seinen Mitgliedern die Bedingungen sichern und erstreiten, die ihnen ihr Eigentliches erlauben: frei zu sein, das zu schreiben, was sie, ohne äußere Zwänge, schreiben müssen.

Zuerst veröffentlicht: der Freitag, 7. Dezember 1990

Das Blöken der Wölfe

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