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KLEINE VORBEMERKUNG

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1970, bei meinem ersten Gespräch in der Redaktion der „Weltbühne“, einem Blatt mit radikaldemokratischer, bürgerlich linker Tradition aus den zwanziger Jahren und eben deshalb mit einem Resthauch von Exklusivität innerhalb der kahlgeschlagenen DDR-Presselandschaft, sprach der betagte, welterfahrene Chefredakteur Hermann Budzislawski zu mir mit Emphase: „Junger Mann, stoßen Sie die Fenster auf, es riecht muffig in diesem Land!“ Höchst erstaunt und wild entschlossen, dieser nie zuvor gehörten Ermunterung nachzukommen, musste ich nach dem ersten leichten Berühren der Fenstergriffe jedoch erfahren, dass sie abgeschlossen waren und die Schlüssel, gut bewacht, sehr viel weiter oben lagen. Als ich die Idee hatte, Interviews mit von mir ausgewählten Arbeitern zu machen und tolldreist ins Exposé schrieb, die Protokolle sollten zeigen, wie die Arbeiter im Lande ungeschönt redeten und was sie wirklich dächten, da war es mit mir bei der „Weltbühne“ schnell vorbei. Der Ermunterer war bereits im Ruhestand, und ich, noch immer im Unruhestand, machte weitere Erfahrungen bei anderen Blättern, die sich zunehmend glichen, die Erfahrungen wie die Blätter. Eine Genossin Redakteurin schrieb ein Interview mit mir kurzerhand und weitgehend um und erwiderte auf meine Proteste: Ganz im Gegenteil, ich solle ihr dankbar sein, denn nur so sei druckbar, was ich gesagt und sie geschrieben hätte. Der hinzugezogene hartleibige Genosse Chefredakteur wies meine anhaltende Entrüstung mit dem jede Diskussion beendenden Hinweis auf den sich ständig verschärfenden Klassenkampf sowie den niemals schlafenden Klassenfeind als politisch falsch und mithin unzulässig zurück. Nach solchen und weiteren Lektionen ließ ich als DDR-Insasse all meine publizistischen Hoffnungen fahren.

Dann allerdings kam das Jahr 1989 und es begann nach Revolution zu riechen. Vorsichtig erst, dann immer stärker tat sich höchst Erfreuliches. Zum Beispiel erwachte in den Redaktionen nach und nach das Ethos des tot geglaubten, freien Journalismus. Nachdem der Putz schon länger von den Wänden war, knirschte es nun auch in den rostigen Staatsscharnieren, es bogen sich die lügegetränkten Balken, es rieselte hörbar der Kalk der dogmatischen Hirne, und es war eine Lust, nicht nur die Fenster, sondern auch die Türen aufzustoßen!

Und schließlich, historisch gesehen schon wenig später, der Jahrhundertschritt in die bisher verweigerte Offenheit: die Freiheit des Wortes, der Meinung, der öffentlichen Medien als vierter Gewalt. Nur wer meinte, mit dem Fall der Diktatur sei auch das Ende aller gesellschaftlichen wie individuellen Unzulänglichkeiten oder gar der Geschichte gekommen, konnte enttäuscht werden. Wer wie ich froh war, sich nun endlich unbevormundet den tatsächlichen Problemen zuwenden zu können, stürzte sich ins Vergnügen der publizistischen Arbeit, die allerdings konkret nicht immer so vergnüglich war.

Zunächst ging es vor allem um das Aufarbeiten der jüngsten Vergangenheit, das ein offen und verdeckt geführter Kampf um das Erinnern, gegen die Gefahr einer zweiten deutschen Verdrängung wurde. Im Kern ging es um das engagierte und kritische Begleiten von notwendigen Transformationsprozessen: von überholten Strukturen, von gestocktem Bewusstsein, von zementierten Geschichtsbildern, einer Bewegung vom Geschlossenen hin zum Offenen, kurz und etwas pathetisch, der Verteidigung der individuellen Menschenrechte wie der Grundwerte einer zivilen und offenen Gesellschaft. Eine Aufgabe, weiß ich heute, die niemals zu Ende ist.

Insofern sind diese publizistischen Texte auch Zeitzeichen einer Zeitenwende, deren befreiende Wirkung allein an der Zahl der vor und nach der friedlichen Revolution entstandenen und hier abgedruckten Beiträgen ablesbar ist.

Meine persönliche Zeitrechnung beginnt denn auch mit dem Jahr 1989.

Joachim Walther

Mehrow, den 22. Januar 2017

Das Blöken der Wölfe

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