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WARSCHAU – GELIEBTE WIDERSPRÜCHE

Ein Streifzug quer durch die Epochen


Auf Schritt und Tritt wird der Besucher in der polnischen Hauptstadt an die leidvolle Geschichte erinnert, an lange Phasen von Fremdherrschaft und Unterdrückung. Daneben gibt es ein ganz anderes, das junge Warschau, das in vielen neuen Szenevierteln beiderseits der Weichsel die pralle Lebenslust des 21. Jahrhunderts und einer neuen, optimistischen Generation widerspiegelt.


Warschauer Wolkenkratzer: Das Zlote Tarasy Einkaufszentrum und der Kulturpalast am Abend.

Wo schlägt das Herz dieser Stadt, wo trifft man sich, wenn man das erste Mal zu einem Bummel durch die polnische Metropole aufbrechen will? An der Sirene auf dem Altmarkt, dieser legendären Figur, die für vielfache Zerstörung, vor allem aber für Hoffnung und Wiederaufbau steht? An der barocken Sigismundsäule vor dem Schloss, die an den König erinnert, der Warschau vor über 400 Jahren zur Hauptstadt gemacht hat? An einer der vielen Gedenkstätten, die an das unfassbare Leid ihrer Bewohner erinnern, an den Warschauer Aufstand, an die Helden im Getto?

Ein guter Ausgangspunkt ist auch der Pilsudski-Platz vor dem Denkmal des Unbekannten Soldaten. Es ist allen Opfern des Zweiten Weltkriegs gewidmet und liegt sowohl gegenüber dem traditionsreichen Hotel Victoria als auch vis-à-vis vom spektakulären Metropolitan-Gebäude des Stararchitekten Norman Foster (geb. 1935). Ein idealer Startpunkt: Denn das gesamte Ensemble, zu dem auch das Nationaltheater und die Gärten hinter dem Ehrenmal gehören, spiegelt so viel Geschichte, so viel Symbolik wider, dass der Fremde sofort angetan ist von der Stadt, ihrer Vergangenheit, ihren Kontrasten.

Wirrwarr am Weichselufer

»Eine seltsame Stadt, voller Unordnung, aber auch voller Stolz und voller Widersprüche«, hat die populäre Schauspielerin Agnieszka Grochowska über ihre Heimatstadt gesagt.

Drei Tage reichen kaum, um sich durch das städtebauliche Wirrwarr treiben zu lassen, durch die neue Altstadt, die nach der totalen Zerstörung liebevoll wieder aufgebaut wurde, über den alten Königsweg, der vom Schloss durch die Vorstadt nach Süden führt, vorbei am Uni-Campus, an Nobelhotels, die heute so verheißungsvoll glänzen wie zuletzt vor fast 100 Jahren.

In Saska Kepa, einem In-Viertel auf der östlichen Seite der Weichsel, hat sich flirrendes Leben entfaltet, in hippen Bars, Multikulti-Restaurants und Boutiquen. Und nicht weit entfernt liegt das idyllische Altstadt-Gewirr, Lieblingsrevier der Touristen, das sie gern aus dem Fiaker heraus fotografieren. Weiter im Norden befanden sich die einstigen jüdischen Wohnviertel, dort waren auch das Getto und der »Umschlagplatz«, von dem die Transporte in die Vernichtungslager abgingen; er hat seinen schrecklichen deutschen Namen behalten. Ein paar Schritte entfernt steht das neue gläserne Museum der polnischen Juden.

Königsroute und historischer Kniefall

Kontraste: Hier die Karmeliterkirche am Trakt Królewski, der Königsroute, ein Gotteshaus, das wie aus Italien versetzt wirkt und tatsächlich nach Bildern von Canaletto wieder aufgebaut wurde, weil es keine Bauzeichnungen mehr gab. Dort der »Constitutionsplatz«: Häuser aus kommunistischer Zeit, die an das alte Ostberlin erinnern. Zwei Trambahn-Stationen weiter südlich hängt Jung-Warschau in Kneipen mit alternativem Flair ab. Und, schier unglaublich, die Ferrari-Vertretung hat sich im ehemaligen Büro der kommunistischen Arbeiterpartei breitgemacht.

Warschau, mit 1,7 Millionen Einwohnern halb so groß wie Berlin, nimmt nicht einen der ersten Ränge im europäischen Städtetourismus ein. Die Vergangenheit ist bitter, und an vielen Orten sind die Narben und die Mahnungen gegenwärtig. Aber die Lebensfreude von heute und das Kulturleben können es mit jeder anderen Metropole in Mitteleuropa aufnehmen: die Jazzszene, die Theater, die Filmfestivals und Chopin-Wettbewerbe ziehen hochkarätige Künstler an. Ein wichtiger Ortstermin steht noch aus: Hinter dem Jüdischen Museum versteckt sich ein kleines Relief, das den damaligen deutschen Bundeskanzler Willy Brandt (1913–1992) bei seinem Kniefall im Dezember 1970 am Mahnmal für die Opfer des Gettos zeigt. Eine sehr alte Dame sitzt auf einer Bank davor. Sie lächelt: »Viele Leute kommen nicht hierher. Es ist eine neue Zeit, es geht uns gut. So möge es bleiben für immer!«


Die Sigismundsäule auf dem Schlossplatz erinnert an den König, der Warschau 1596 zur Hauptstadt erklärte.

TOP ERLEBNIS

DAS ANDERE WARSCHAU – PRAGA

Eigentlich ist Praga ein »Schmuddelkind«, das Lieblingsquartier der alternativen Szene, aber längst auch von Besuchern aus aller Welt entdeckt und frequentiert. Im Stadtteil auf dem rechten Weichselufer vermuteten noch vor nicht allzu langer Zeit manche Hauptstädter »den fernen Osten«. Der Name geht auf das slawische Wort für Brandrodung zurück. Ausgangspunkt eines Kiezbummels kann der »Rozycki-Basar« sein, nahe der Metrostation Wilenski. Direkt nebenan hat 2014/2015 das Museum von Praga eröffnet, eine Art Außenstelle des Historischen Museums Warschau. Es zeigt in drei Gebäuden, ergänzt durch einen Beton-Neubau, die Entwicklung der östlichen Stadtviertel, gewissermaßen den Hinterhof der Metropole. Alte Werkstätten, eine ehemalige Synagoge und ein gemütliches Café komplettieren das Ensemble. Zu Praga gehören, neben Musikkneipen und Off-Theatern auch die Florians-Kathedrale mit ihren beiden hohen Türmen und der Zoo.

WEITERE INFORMATIONEN

www.polen.travel/de

www.warschau.info/praga


Bronzetafel zum Kniefall des Bundeskanzlers von 1970, einer Geste zur Versöhnung mit Polen.

Das Reisebuch Europa

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