Читать книгу Das Reisebuch Europa - Jochen Müssig - Страница 36
ОглавлениеNIEDERE TATRA – ARCHAISCHE LANDSCHAFT
Wanderfreuden mit besten Perspektiven
In der Niederen Tatra hat man die Hohe Tatra ganz für sich allein: Die Ausblicke auf die etwas höhere Gebirgsschwester sind gewaltig. Aber während dort fast alle 10 000 Gästebetten der Region stehen, haben Wanderer auf den historischen Kammwegen der Niederen Tatra Seltenheitswert. Auf den Pfaden begegnet man der heroischen slowakischen Vergangenheit – und ganz modernen Helden.
Oase der Erholung: der Gebirgssee Vrbické pleso.
Seit einer Stunde stapft Pavel Beránek durch die Nebelschwaden. Keine Berge sind zu sehen, keine Sonne, kein Weg. Aber er weiß genau, wohin es geht: nach Durková Chata auf 1700 Meter Höhe. Pavel Beránek ist Sherpa. Er schleppt Kisten, Körbe und Säcke, fast 65 Kilogramm schwer: Schnaps, Wasserflaschen, Holzscheite, Zigaretten, Knödel, Kekse, Schokolade, Reis, beinahe alles, was der erschöpfte Hüttengast nach einer mehrstündigen Bergwanderung so braucht. Vysokohorsky nosici heißen die Lastträger der Tatra. Aber jeder sagt einfach »Sherpa« zu ihnen.
Nach 1000 Höhenmetern mit besagten 65 Kilo auf dem Rücken reißt der Nebel auf. Der 25-Jährige hat es fast geschafft: Auf einer Wiese unterhalb des Grats ist Durková Chata zu sehen, eine kleine Hütte mit spitzem Giebel und einem schiefen Ofenrohr. Für das Liefern der Ware erhält er 13 Euro. Das macht 20 Cent pro Kilogramm. Ein Zubrot zum Studium, was aber noch wichtiger ist: Pavel liebt die Tatra, an deren Ausläufern er geboren wurde. »Beim Gehen in den Bergen fühlt man etwas Großartiges«, sagt er. »Und außerdem hasse ich Fitnessstudios.«
Tierische Begegnungen auf dem Heldenweg
Das lindgrüne, von Dörfern gesprenkelte Waagtal trennt die Niedere von der Hohen Tatra. 200 000 Hektar misst der Nationalpark der Niederen Tatra. Mit 2043 Metern als höchstem Punkt ist sie etwas kleiner geraten als das Schwestergebirge, und ihre kahlen Gipfel sind vielleicht nicht ganz so spektakulär. Aber der Rummel der Hohen Tatra, der fehlt eben auch: Hier gibt es keine Parkplätze und keine Zahnradbahn. An sieben Monaten im Jahr liegt Schnee. Zahlreiche Täler und Berge sind von November bis Anfang Juni gesperrt. Im Juli und August erreichen die Temperaturen im Tal durchschnittlich 21 Grad Celsius – und nur vier Grad am Berg.
Dafür gilt der Boden als geschichtsträchtig: Im slowakischen Nationalaufstand gegen Hitler diente die Niedere Tatra den Partisanen als Rückzugsgebiet. Heldenweg heißt deshalb der 80 Kilometer lange Kamm-Trail. Mit ein wenig sportlichem Ehrgeiz könnte man in drei Tagen bis ans Ende der Niederen Tatra durchmarschieren, aber es geht doch auch langsamer – und damit schöner … Der Eindruck totaler Abgeschiedenheit wächst mit jedem Schritt: Abgesehen von Murmeltieren, einem einsamen Meteorologen, viel Enzian und Edelweiß sowie – in sicherer Entfernung – dem einen oder anderen Braunbären begegnet man niemandem. Aber immer ist der Ausblick auf die Türme, Hörner und Rücken der Hohen Tatra, die hinter der Waag wie steingewordene Palisaden in den Himmel ragen, umwerfend. In der Niederen Tatra hat man die Hohe Tatra ganz für sich allein …
Urige Hüttenatmosphäre
Durková Chata ist ein locker geführter Einmannbetrieb. Er besteht aus einem Matratzenlager, einer kleinen Stube und einer rußgeschwärzten Küche. Auf den vier Holztischen stehen Petroleumlampen, und über dem Ofen dampfen die nassen Socken von Wanderern. Immer wenn die Musik aussetzt, haut Juraj Sikula, der Hüttenvater, mit der Faust aufs Radio. Und knisternd kehrt die Melodie zurück. Die meisten Besucher der Tatra sind Slowaken, Tschechen und Polen. Insgesamt kommen rund 3,5 Millionen Touristen jährlich in die Tatra, die wenigsten davon besuchen den niederen Teil.
Seit 1985 veranstalten die Sherpas der Tatra jeden Herbst eine Sherpa-Rallye: 60 Kilogramm Lastentragen über eine Distanz von 800 Höhenmetern, lautet die Aufgabe. Die Sieger der schweißtreibenden Knochenarbeit erhalten als Preis einen Tee. Pavel Beránek war nicht mit von der Partie: 13 Euro sollten es schon sein.
Wanderparadies mit toller Aussicht: die Niedere Tatra.
TOP ERLEBNISSE
UND NOCH EINE
Fünf Stunden dauert der Marsch von der Durková Chata bis zur Kamenná Chata auf 1985 Metern: ein Weg entlang einer Abbruchkante, hinter der felsige Schluchten liegen, Gletscherseen und bewaldete Becken, in denen früher nach Gold geschürft wurde. In der Hütte gibt’s Rauchfleisch und eine Webcam.
Berghütte Kamenná Chata mit Übernachtungmöglichkeit: www.kamennachata.sk
SKIFAHREN
Für viele ist die Skisaison der Höhepunkt des Jahres. Für sie wartet die slowakische Niedere Tatra mit 70 Pistenkilometern auf, und die Skigebiete auf bis zu 2024 Metern sind durch 60 Skilifte erschlossen. Ein schneesicheres Gebiet mit günstigen Preisen! Saisonzeiten sind Dezember–April, komplette Infrastruktur vorhanden. www.jasna.sk
ACHTUNG, BÄREN!
Es gibt rund 120 Bären in der Niederen Tatra. Trifft man beim Wandern auf einen: ruhig bleiben, den Bären laut ansprechen und sich mit langsamer Armbewegung groß machen. Auf keinen Fall wegrennen oder sich dem Bären nähern, auch nicht versuchen, ihn zu verscheuchen oder mit Steinen zu bewerfen. http://www.nizketatry.sk; Infos zu Bären, ihrem Verhalten und dem eigenen richtigen Verhalten: www.wwf.de
In der Niederen Tatra gibt es rund 120 Bären.