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PROLOG DER FALL MASADAS
ОглавлениеVor knapp 2000 Jahren beschlossen 967 jüdische Männer, Frauen und Kinder, so heißt es, sich lieber das Leben zu nehmen, als von der römischen Armee versklavt oder umgebracht zu werden. Sie waren die letzten Aufständischen, die im sogenannten Jüdischen Krieg gegen die Römer gekämpft hatten, einem Krieg, der bereits drei Jahre zuvor, im Jahr 70 n. Chr., offiziell zu Ende gegangen war, nachdem die Römer Jerusalem und den Zweiten Tempel (den Herodianischen) zerstört hatten – für die Juden eine unvorstellbare Katastrophe. Während des Krieges waren diese Familien nach Masada geflüchtet, eine abgelegene Festung auf einem Berg mit Blick auf das Tote Meer. Jetzt wurden sie dort von einer gewaltigen römischen Streitmacht belagert, und es war klar, dass die Festung bald fallen würde. In diesem kritischen Moment versammelte der Anführer der Rebellen, Eleasar ben Ja’ir, die Männer und überzeugte sie davon, dass ein Massenselbstmord die beste Lösung sei. Der antike jüdische Historiker Flavius Josephus, der zur Zeit des Jüdischen Krieges lebte, gibt ben Ja’irs Rede an die versammelten Aufständischen wie folgt wieder:
Vor Zeiten haben wir uns dafür entschieden, wackere Männer, dass wir weder den Römern noch irgend jemand anderem dienen außer Gott; denn dieser allein ist der wahre und gerechte Herr über die Menschen. Jetzt aber ist die Stunde gekommen, die uns befiehlt, diese Gesinnung in Taten zu erweisen. Angesichts dieser Stunde sollten wir uns selbst nicht Schande bereiten. Vormals wollten wir uns nicht einmal unter eine Knechtschaft beugen, die ohne jede Lebensgefahr war. Nun aber sollten wir freiwillig eine Knechtschaft hinnehmen, die von unerbittlicher Rache sein wird, sobald wir lebend in die Gewalt der Römer geraten? Denn so wie wir als Erste von allen uns gegen sie aufgelehnt haben, so kämpfen wir auch als Letzte gegen sie. Ich glaube aber auch, dass uns von Gott diese Gunst geschenkt wurde, eines schönen und freien Todes sterben zu dürfen. Ist doch anderen, die wider Erwarten überwältigt wurden, solches nicht gewährt. Wir haben die für morgen bevorstehende Einnahme der Festung offen vor Augen; frei aber bleibt uns die Wahl eines edlen Todes gemeinsam mit unseren liebsten Menschen. Denn so wenig die Feinde diesen verhindern können, wenngleich sie auch inbrünstig wünschen, uns lebend in die Hände zu bekommen, so wenig können wir jene noch im Kampf besiegen. [...] Denn nicht einmal die Unzerstörbarkeit der Festung hatte zur Rettung beigetragen; ebenso wenig konnte es uns nützen, dass wir einen Überfluss an Nahrungsmitteln, eine Menge von Waffen und die übrige reichlich vorhandene Zurüstung besaßen. Ganz deutlich wurden wir von Gott selbst aller Hoffnungen auf Rettung beraubt. Wandte sich doch das Feuer, das zunächst zu den Feinden getragen wurde, nicht von selbst gegen die von uns errichtete Mauer. Vielmehr ist der Grund Gottes Zorn über alle Untaten, die wir in unserer Raserei sogar gegen die eigenen Stammesgenossen wagten. Die Strafen dafür wollen wir nicht von unseren erbittertsten Feinden, den Römern, erleiden, sondern von Gott, und zwar durch unsere eigene Hand. Sie werden aber erträglicher sein als die der Römer. Denn die Frauen sollen ungeschändet sterben, und die Kinder, ohne die Knechtschaft kennengelernt zu haben. Und nach ihnen wollen wir selbst uns den edlen Dienst erweisen, wobei wir die Freiheit als schönstes Sterbekleid bewahren werden. Doch lasst uns vorher die Schätze und die Festung mit Feuer zerstören, denn ich weiß sicher, dass sich die Römer ärgern werden, wenn sie neben der Tatsache, uns nicht lebend überwältigt zu haben, auch noch um die Beute kommen. Einzig die Lebensmittel wollen wir unversehrt lassen; denn sie sollen uns nach unserem Tod Zeuge dafür sein, dass wir nicht durch Hunger bezwungen wurden, sondern weil wir – so, wie es von Anfang an beschlossen war – den Tod der Knechtschaft vorziehen wollten. (Jüdischer Krieg 7, 323–327, 331–336)1
Luftbild von Masada mit Blick gen Norden
Die Männer ließen sich überzeugen, alle töteten ihre Frauen und Kinder. Dann versammelten sie sich wieder und zogen Lose, um zehn Männer auszuwählen, die alle anderen töten sollten. Die zehn verbleibenden zogen dann wieder Lose, und einer tötete die anderen neun Männer, bevor er sich selbst das Leben nahm. Flavius Josephus schreibt:
So sehr verließen sie sich alle aufeinander, dass sich weder im Handeln noch im Erleiden der eine vom anderen unterscheide, und so hielten sie am Ende die Kehlen bereit. Der einsame Letzte aber überschaute ringsum die Menge der Dahingestreckten, ob womöglich jemand bei dem unendlichen Morden am Leben geblieben war und deshalb noch seiner Hand bedürfe. Als er erkannte, dass alle getötet seien, legte er an vielen Stellen Feuer in den Palast. Dann stieß er mit geballter Kraft das Schwert ganz durch seinen Körper und brach neben den Seinen zusammen. (Jüdischer Krieg 7, 397)
Was für eine Geschichte! Aber wie konnte es so weit kommen, und woher wissen wir überhaupt davon?
Heute zieht die UNESCO-Weltkulturerbestätte Masada mehr Touristen an als jede andere archäologische Stätte in Israel, ausgenommen vielleicht Caesarea Maritima, das – an der Küste in der Nähe von Tel Aviv gelegen – besser zu erreichen ist. Die meisten Besucher nehmen aus Jerusalem kommend die Schnellstraße, die am Westufer des Toten Meeres entlang an die Ostseite des Berges führt. Andere reisen von Westen über die Stadt Arad an. In den Sommermonaten erklimmen noch vor Sonnenaufgang Tausende ausländische Jugendliche über den sogenannten Schlangenpfad im Gänsemarsch den Berg. Am Vormittag kommen dann Scharen von Touristen, die allerdings in der Regel die Seilbahn nehmen. All diese Besucher haben ein Ziel: Sie wollen genau dort stehen, wo eine kleine Gruppe jüdischer Aufständischer einst dem mächtigen Römischen Reich die Stirn bot.
Flavius Josephus beschreibt den Massenselbstmord in Masada so eindrucksvoll, dass die Losung „Masada darf nie wieder fallen“ nach 1948 zu einer Art Motto des neu gegründeten Staates Israel wurde. Das Exempel von Juden, die heldenhaften Widerstand bis zum Tod leisteten, statt sich demütig ihren Schlächtern auszuliefern, übte wenige Jahre nach dem Holocaust, zu einer Zeit, als die Israelis sich auf allen Seiten von Feinden umgeben sahen, eine große Anziehungskraft aus. Viele Jahre lang hielten die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte ihre feierliche Vereidigung auf dem Plateau von Masada ab.
Doch die Zeiten haben sich geändert, und so blickt man heute ein wenig anders auf Masada. Zum einen müssen sich alle, die den damaligen Massenselbstmord zum Symbol des modernen Israel stilisieren, damit auseinandersetzen, dass Selbstmord nach jüdischem Glauben verboten ist (auch wenn nach Flavius Josephus’ Bericht strenggenommen nur der letzte Überlebende durch eigene Hand starb). Vor allem aber sehen in der heutigen nachzionistischen Zeit viele Israelis das, was damals in Masada geschah, nicht mehr als Heldentat an. Und auch die Wissenschaft geht inzwischen kritischer mit Masada um. Wir werden beispielsweise sehen, dass viele Forscher heute der Ansicht sind, Flavius Josephus’ Schilderung des Massenselbstmords (der einzige antike Bericht über dieses Ereignis) sei frei erfunden – in Wirklichkeit habe er nie stattgefunden.
In diesem Buch geht es um die Geschichte Masadas. Auf der Folie dieser Geschichte erkunden wir die Geschichte Judäas gegen Ende der Zeit des Zweiten Tempels (Mitte des 2. Jh.s v. Chr. – 1. Jh. n. Chr.). Es ist der Zeitraum, den in etwa auch Flavius Josephus’ Werk Der Jüdische Krieg abdeckt. Diese turbulente Epoche umfasst die Regierungszeit von Herodes dem Großen sowie das Leben und den Tod Jesu, und sie endet mit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels. Die Geschichte Masadas stößt uns auf die damals wichtigsten jüdischen Sekten: Pharisäer, Sadduzäer und Essener. Möglicherweise schlossen sich einige Essener (sie waren es auch, die die berühmten Schriftrollen in den Höhlen bei Qumran am Toten Meer deponierten) den jüdischen Aufständischen in Masada an.
Ausgehend von der zur Festung ausgebauten Palastanlage von Herodes in Masada lernen wir Herodes’ weitere bedeutende Bauprojekte, wie Caesarea Maritima und den Tempel in Jerusalem, kennen. Für die Geschichte dieser Epoche sind wir hauptsächlich auf Flavius Josephus angewiesen, eine umstrittene Figur – in der jüdischen Überlieferung gilt er als Verräter. Wir werden uns aber auch der modernen Geschichte Masadas widmen sowie insbesondere den Ausgrabungen unter Yigael Yadin; er diente als Generalstabschef in der israelischen Armee und avancierte später zum wohl berühmtesten Archäologen Israels. Seine Grabungskampagnen waren mit ein Grund, weshalb sich Masadas Status als Symbol des modernen Staates Israel festigte.