Читать книгу Das Geheimnis des wahren Evangeliums - Band 1 - Johanne T. G. Joan - Страница 12
Оглавление6. Kapitel
Samstagvormittag war es soweit. Carlucci war ruhelos und verspürte keinen Hunger. Bevor er sich auf den Weg machte, den Geheimraum zu erforschen, nahm er jedoch einen kleinen Happen aus Toast und Marmelade zu sich und steckte einen Apfel ein.
Erneut betrat er den Geheimraum, die Aufregung des Vortages hatte sich gelegt.
Mit Hilfe des Katalogs, in dem der Inhalt des Raumes aufgelistet war, untersuchte er systematisch die Manuskripte, fand aber keine Dokumente, die rechtfertigten, versteckt gehalten zu werden.
Viele Stunden des Stöberns waren verstrichen und die Sonne war bereits untergegangen. Er hatte zwar erst einen Bruchteil des Rauminhalts geprüft, gleichwohl aber schwand die Hoffnung von Manuskript zu Manuskript, ein echtes Geheimdokument zu enthüllen.
Trotz der sich einstellenden Erschöpfung nahm er sich vor, bevor er für den heutigen Tag seine Nachforschung beenden würde, ein letztes Bündel Manuskripte durchzusehen, das im Katalog unter „Heiliger Hieronymus“ eingetragen war.
Er staunte, als er feststellte, dass es sich um einen großen Teil des Originalmanuskripts des heiligen Hieronymus handelte, den man seit dem 5. Jahrhundert als verloren gegangen glaubte. Er blätterte mit der größten Vorsicht das Dokument durch und entdeckte in ihm ein anderes Manuskript, ersichtlich älter als das Hieronymus Manuskript und in aramäischer Sprache verfasst, mit der Überschrift: „Das Evangelium der Essener“.4
Er wunderte sich zunächst, dass das Dokument nicht wie die anderen in den Regalen untergebracht war; noch mehr staunte er, als er feststellte, dass es auch nicht im Katalog aufgeführt war. Es sah so aus, als hätte man es vorsätzlich in den Schriften des heiligen Hieronymus untergebracht oder versteckt? Was war der Grund dafür?
Die Müdigkeit war wie weggeblasen und sogleich untersuchte er den Stapel, der mehrere hundert Seiten umfasste und vier Teile aufwies:
– Das Friedensevangelium der Essener
– Die unbekannten Schriften der Essener
– Die verlorene Schriftrolle der Essener
– Die geheime Lehre der Essener
Er überflog das Manuskript und es sah zunächst so aus, als würde es sich um ein Evangelium handeln, wie es in den Geheimarchiven viele gibt, die allerdings in griechischer Sprache abgefasst sind und deren Inhalt weitgehend mit dem des Neuen Testaments übereinstimmte. Doch bald musste er feststellen, obwohl er immer wieder Elemente aus den Evangelien entdeckte, dass hier eine ganz andere Weisheit beschrieben wurde, als die Lehre, die er von den Evangelisten Markus, Matthäus, Johannes und Lukas kannte.
Er begann im ersten Teil des Friedensevangeliums zu lesen und staunte über den außergewöhnlichen Stil und die wunderbaren Formulierungen. Je mehr er sich in das Manuskript vertiefte, desto mehr wuchs sowohl seine Verwunderung, als auch seine Verwirrung.
Eine Welt der Poesie in Gleichnissen mit Bildern aus der Natur, von einem Meister der Dichtkunst, in einer noch nie da gewesenen vollendeten Form, öffnete sich vor seinem inneren Auge.
Der Mensch als Mittelpunkt der Schöpfung stand im Kern der Erzählung; seine Herkunft aus der Erdenmutter, der Sündenfall, der ihm sein jämmerliches Dasein auf Erde bescherte und seine Entwicklung auf Erden, die Befreiung des Bösen in ihm, bis hin zu seiner Vollendung. Es war eine Botschaft an den Menschen für die Menschen. Ein Wegweiser für den Eintritt vom Tod in das Leben. Eine Botschaft des Trostes, die wahre Hoffnung spendete; ein Schlüssel, der Gefängnistüren öffnet; die Klinge, die den Versklavten, die Fesseln durchtrennt, es war ein Licht am Horizont.
Die Ausdrucksform war einfach und unmissverständlich, so klar, dass auch ein Kleinkind sie hätte verstehen können. Eine einfache und klare Wahrheit, wie die göttliche Wahrheit sein soll, die keines Studiums bedarf, um verstanden zu werden; eine Wahrheit, die ebenso wenig Fanatismus auslösen kann, weil sie schon am Tage unserer Geburt in uns zu wirken beginnt. Eine Wahrheit, die in jedem von uns schlummert, die zeitlos und schon immer da gewesen ist und die darauf wartet, vom Menschen aus ihrem Schlaf geweckt zu werden.
Seine Verwirrung hatte seinen Höhepunkt erreicht, denn der Inhalt der entdeckten Texte wies nicht nur Elemente aus den Evangelien, sondern eine verblüffende Affinität zu denen der kanonisierten Schriften auf. Doch der Held des Friedensevangeliums, der niemand anders sein konnte als Jesus von Nazareth selbst, machte keine Andeutung, wie in den Evangelien aus der Bibel, über seinen notwendigen bevorstehenden Tod und die daraus entstehende Gnade zur Rettung der Menschheit, weil die Menschen böse seien und unfähig die Gebote Gottes zu halten, nein, dieser Essener Jesus lehrte uns gerade das Gegenteil. Er gab uns einen Wegweiser zur Vollkommenheit. Carlucci las zum wiederholten Male:
Und es begab sich, dass viele Kranke und Verstümmelte zu Jesus kamen und ihn fragten: „ Wenn du alle Dinge weißt, sage uns, warum wir unter diesen schlimmen Plagen leiden! Warum sind wir nicht gesund wie andere Menschen? Meister heile uns, damit wir stärker werden und nicht mehr in unserem Elend verharren müssen. Wir wissen, dass es in deiner Macht liegt, alle Arten von Krankheiten zu heilen. Befreie uns von Satan und von seinen großen Heimsuchungen, Meister, habe Erbarmen mit uns!“
Und Jesus antwortete: „Glücklich seid ihr, die ihr nach der Wahrheit hungert, denn ich will euch mit dem Brot der Weisheit sättigen. Glücklich seid ihr, dass ihr anklopft, denn ich will euch die Tür des Lebens öffnen. Glücklich seid ihr, die ihr die Macht des Satans abschütteln wollt, denn ich will euch in das Reich der Engel unserer Mutter führen, wo die Macht Satans keinen Zugang hat.“
Und sie fragten ihn mit Erstaunen: „Wer ist unsere Mutter, und was sind ihre Engel? Und wo ist ihr Reich?“
„Eure Mutter ist in euch und ihr in ihr. Sie gebar euch; sie gibt euch Leben. Sie war es, die euch euren Körper gab, und an sie werdet ihr ihn eines Tages zurückgeben. Glücklich seid ihr, wenn ihr sie und ihr Reich kennenlernt, wenn ihr die Engel eurer Mutter empfangt und ihre Gesetze befolgt. Wahrlich ich sage euch, derjenige, der diese Dinge tut, wird nie krank werden; denn die Macht unserer Mutter steht über allem. Sie zerstört Satan und sein Reich, und sie beherrscht unsere Körper und alle lebenden Dinge. Das Blut, das in uns fließt, stammt vom Blut unserer Erdenmutter. Ihr Blut fällt aus den Wolken, entspringt dem Schoß der Erde, plätschert in den Quellen der Berge, fließt weit in den Flüssen der Ebenen, schlägt in den Seen, tobt mächtig in den stürmischen Meeren. Die Luft, die wir atmen, stammt aus dem Atem unserer Erdenmutter. Ihr Atemzug ist azurn in den Höhen der Himmel, seufzt in den Gipfeln der Berge, flüstert in den Blättern der Wälder, wogt in den Kornfeldern, schlummert in den Tiefen Tälern, brennt heiß in den Wüsten. Die Härte unsere Knochen stammt von den Knochen unserer Erdenmutter, den Felsen und Steinen. Nackt ragen sie in den Himmel auf den Berggipfeln, sind wie Giganten, die schlafend an den Hängen der Berge liegen, wie Götzenbilder in die Wüste setzt und sind verborgen in den Tiefen der Erde.“
Die Zartheit unseres Fleisches stammt aus dem Fleisch unserer Erdenmutter, deren Fleisch gelb und rot in den Früchten der Bäume wächst, und uns nährt aus den Furchen der Felder.
Unsere Eingeweide stammen aus dem Innern unserer Erdenmutter, wie die unsichtbaren Tiefen der Erde und sind unseren Augen verborgen. Das Licht unserer Augen, das Gehör unserer Ohren entstammen beide den Farben und den Geräuschen unserer Erdenmutter, die uns umschließen wie die Welle des Meeres einen Fisch, wie die wirbelnde Luft einen Vogel.
Ich sage euch in Wahrheit, der Mensch ist der Sohn der Erdenmutter, und von ihr erhielt der Menschensohn seinen Körper, so wie auch der Körper des neugeborenen Kindes aus dem Schoße seiner Mutter geboren wird. Wahrlich ich sage euch, ihr seid eins mit der Erdenmutter, sie ist in euch und ihr seid in ihr. Aus ihr seid ihr geboren, in ihr lebt ihr, und zu ihr werdet ihr zurückkehren. Haltet darum ihre Gesetze, denn keiner kann lange leben, noch glücklich sein, außer dem, der seine Erdenmutter ehrt und ihre Gesetze achtet. Denn euer Atem ist ihr Atem, euer Blut ist ihr Blut, eure Knochen ihre Knochen, euer Fleisch ihr Fleisch, eure Eingeweide ihre Eingeweide, eure Augen und Ohren ihre Augen und Ohren.
Ich sage euch, solltet ihr nur eines dieser Gesetze nicht halten können, solltet ihr nur eines eurer Körperteile schädigen, werdet ihr vollständig in eurer schmerzvollen Krankheit verloren sein, und es wird Heulen und Zähneklappern geben. Ich sage euch, wenn ihr nicht nach den Gesetzen eurer Mutter lebt, könnt ihr in keiner Weise dem Tod entrinnen. Und an dem, der sich an die Gesetze seiner Mutter hält, wird seine Mutter auch festhalten. Sie wird seine Leiden heilen, und er wird nie krank werden. Sie gibt ihm langes Leben und schützt ihm vor allen Leiden, vor dem Feuer, vor dem Wasser und vor den Bissen der giftigen Schlangen. Denn eure Mutter gebar euch, erhält das Leben in euch. Sie gab euch ihren Körper und niemand außer ihr heilt euch. Glücklich ist der, der seine Mutter liebt und ruhig an ihrem Busen liegt. Denn eure Mutter liebt euch, auch wenn ihr euch von ihr abwendet. Und um wieviel mehr wird sie euch lieben, wenn ihr euch wieder zu ihr wendet? Wahrlich, ich sage euch, die Liebe ist sehr groß, größer als die höchsten Berge, tiefer als die tiefsten Meere. Und jene, die ihre Mutter lieben, wird sie nie verlassen. So wie eine Henne ihre Küken schützt, wie die Löwin ihre Jungen, wie die Mutter ihr Neugeborenes, so schützt die Erdenmutter den Menschensohn vor aller Gefahr und allem Übel.
Denn wahrlich, ich sage euch, unzählige Gefahren und Übel liegen auf der Lauer nach dem Menschensohn. Beelzebub, der Fürst der Teufel, die Quelle jeden Übels, lauert im Körper aller Menschensöhne. Er ist der Tod, der Herr jeder Plage, und indem er eine freundliche Kleidung anlegt, versucht und bedrängt er die Menschensöhne. Er verspricht Reichtümer, Macht, glänzende Paläste und Gewänder aus Gold und Silber und eine Menge Diener, all dies; er verspricht Ruhm und Herrlichkeit, Unzucht und Lüsternheit, Gefräßigkeit und Trunkenheit, liederliches Leben, Faulheit und müßige Tage. Und er lockt jedem mit dem, was sein Herz am meisten begehrt. Und an dem Tage, an dem die Menschensöhne schon die Sklaven all dieser Eitelkeit und Abscheulichkeiten geworden sind, schnappt er sich als Bezahlung all jene Dinge, welche die Erdenmutter so reichlich gab. Er nimmt von ihrem Atem, ihrem Blut, ihren Knochen, ihrem Fleisch, ihren Eingeweiden, ihre Augen und Ohren. Und der Atem des Menschensohns wird kurz und keuchend, voll Pein und übel riechend wie der Atem unsauberen Viehes. Und sein Blut wird dick und stinkend wie das Wasser der Sümpfe, es klumpt und wird schwarz wie die Nacht des Todes. Und seine Knochen werden hart und knotig, sie schwinden dahin und brechen entzwei, wie ein Stein, der auf Felsen fällt. Und sein Fleisch wird fettig und wässrig, es verrottet und fault mit Räude und Beulen, die abscheulich sind. Und seine Eingeweide füllen sich mit abscheulichem Unflat, mit schlammigen Strömen des Verfalls; und viele schreckliche Würmer hausen darin. Seine Augen trüben sich, bis die dunkle Nacht sie einhüllt, und die Ohren werden taub wie die Grabesstille. Und zuletzt verliert der irrende Menschensohn sein Leben. Denn er hielt nicht die Gesetze seiner Mutter und häufte Sünde auf Sünde. Darum werden ihm alle Geschenke der Erdenmutter genommen: Atem, Blut, Knochen, Fleisch, Eingeweide, Augen und Ohren, und nach allem andern auch noch das Leben, mit dem die Erdenmutter seinen Körper krönte.
Aber wenn der irrende Menschensohn seine Sünden bedauert und sie ungeschehen machen will und wieder zu seiner Mutter zurückkehrt, und wenn er die Gesetze seiner Erdenmutter hält und sich aus den Klauen des Satans befreit, indem er dessen Versuchungen widersteht, dann empfängt die Erdenmutter ihren irrenden Sohn mit Liebe und schickt ihm ihre Engel damit sie ihm dienen. Wahrlich ich sage euch, wenn der Menschensohn dem Satan widersteht, der in ihm haust, und nicht dessen Willen ausführt, wird er zur gleichen Stunde die Engel der Mutter finden, auf dass sie ihm mit allen ihren Kräften helfen und den Menschensohn vollständig aus der Macht des Teufels befreien.
Denn kein Mensch kann zwei Herren dienen. Entweder er dient Beelzebub und seinen Teufeln oder er dient der Erdenmutter und ihren Engeln. Entweder er dient dem Tode, oder er dient dem Leben. Wahrlich, ich sage euch, glücklich sind jene, die die Gesetze des Lebens halten und nicht den Pfad des Todes wandeln. Denn ihn ihnen wachsen die Lebenskräfte, und sie entkommen den Plagen des Todes.“ Und alle um ihn lauschten seinen Worten mit Staunen, denn in seinem Wort war Kraft und er lehrte ganz anders als die Priester und Schriftgelehrten.
Und obwohl die Sonne untergegangen war, machten sie sich nicht zu ihren Wohnstätten auf. Sie saßen um Jesus herum und fragten ihn: „Meister, welche sind diese Gesetze des Lebens? Bleibe noch eine Weile bei uns und lehre uns. Wir möchten deiner Lehre zuhören, auf dass wir geheilt und rechtschaffen werden.“
Und Jesus setzt sich in ihre Mitte und sagte: „Wahrlich, ich sage euch, niemand kann glücklich sein außer er hält das Gesetz.“ Und die anderen antworteten: „Wir halten all die Gesetze von Moses, dem Gesetzesbringer, genau wie sie in den heiligen Schriften geschrieben sind.“
Und Jesus antwortete: „Sucht nicht das Gesetz in den Schriften, denn das Gesetz ist Leben, während die Schrift tot ist. Wahrlich, ich sage euch, Moses erhielt die Gesetze nicht aufgeschrieben von Gott, sondern durch das lebendige Wort.
Das Gesetz ist das lebendige Wort des lebendigen Gottes an lebendige Propheten für lebendige Menschen. In allem Lebendigen findet ihr das Gesetz. Ihr findet es im Gras, im Baum, im Fluss, im Berg, in den Vögeln des Himmels, in den Fischen des Meeres; doch sucht es hauptsächlich in euch selbst. Denn wahrlich, ich sage euch, alle lebendigen Dinge sind Gott näher als die Schrift, die ohne Leben ist. So machte Gott das Leben und alle lebendigen Dinge, dass sie durch das ewige Wort die Gesetze des wahren Gottes den Menschen lehren können. Gott schrieb die Gesetze nicht auf Buchseiten, sondern in eure Herzen und euren Geist. Sie sind in eurem Atem, eurem Blut, euren Knochen, in eurem Fleisch, euren Eingeweiden, euren Augen und Ohren und in jedem kleinsten Teil eures Körpers. Sie sind gegenwärtig in der Luft, im Wasser, in der Erde, in den Pflanzen, in den Sonnenstrahlen, in den Tiefen und Höhen. Sie sprechen alle zu euch, damit ihr die Sprache und den Willen des lebendigen Gottes verstehen könnt. Aber ihr schließt eure Augen um nichts zu sehen, verstopft eure Ohren, um nichts zu hören. Wahrlich, ich sage euch, die Schriften sind das Werk des Menschen, aber das Leben und all seine Heerscharen sind die Werke unsers Gottes. Warum hört ihr nicht auf die Worte Gottes, die in seine Werke geschrieben sind? Und warum studiert ihr die toten Schriften, die aus der Hand des Menschen stammen?“
„Wie können wir die Gesetze Gottes anders lesen als in den Schriften? Wo sind sie geschrieben? Lies sie uns dort vor, wo du sie siehst, denn wir kennen nichts anderes als die Schriften, die unsere Vorväter vererbten. Berichte uns von den Gesetzen, von denen du sprichst, damit wir geheilt und gerecht werden, wenn wir sie hören. “
Jesus sagte: „Ihr versteht die Worte des Lebens nicht mehr, weil ihr im Tode seid. Dunkelheit trübt eure Augen, und eure Ohren sind mit Taubheit verstopft. Denn ich sage euch, es nützt euch nichts, über toten Schriften zu brüten, wenn ihr mit euren Taten jenen verneint, der euch die Schriften gab. Wahrlich, ich sage euch, Gott und seine Gesetze finden sich nicht in euren Taten. Sie finden sich nicht in Schlemmereien und Trunkenheit, noch in liederlichem Leben oder Lüsternheit, noch in der Suche nach Reichtümern, noch im Hass auf eure Feinde. Denn all diese Dinge kommen alle aus dem Reich der Dunkelheit und vom Herrn allen Übels. Und all diese Dinge tragt ihr in euch selbst; und so dringen das Wort und die Macht Gottes nicht in euch ein, weil alle möglichen Übel und Abscheulichkeiten ihre Wohnung in eurem Körper und eurem Geist haben. Wenn ihr wollt, dass das lebendige Wort Gottes und seine Macht in euch eindringen kann, dann beschmutzt nicht euren Körper und euren Geist; denn der Körper ist der Tempel des Geistes, und der Geist der Tempel Gottes. Darum reinigt den Tempel, damit der Herr des Tempels darin wohnen und einen Platz einnehmen kann, der seiner wert ist.
Und von allen Versuchungen eures Körpers und Geistes, die von Satan kommen, zieht euch zurück unter den Schatten von Gottes Himmel.
Erneuert euch und fastet. Denn ich sage euch wirklich, dass der Satan und seine Plagen nur durch Fasten und Beten ausgetrieben werden können. Bleibt allein und fastet und zeigt euer Fasten keinem Menschen. Der lebendige Gott wird es sehen und groß wird die Belohnung sein. Und fastet, bis Beelzebub und alle seine Übel euch verlassen und all die Engel eurer Erdenmutter kommen und euch dienen. Wahrlich, ich sage euch, wenn ihr nicht fastet, werdet ihr euch nie aus der Macht des Satans befreien können und von allen Krankheiten, die Satan verursacht. Fastet und betet inbrünstig und sucht die Macht des lebendigen Gottes für eure Heilung. Meidet die Menschensöhne während des Fastens und sucht die Erdenmutter, denn der Suchende wird finden.
Sucht die frische Luft der Wälder und Felder, und dort in ihrer Mitte werdet ihr den Engel der Luft finden. Zieht eure Schuhe und Kleider aus und erlaubt dem Engel der Luft, euren ganzen Körper zu umarmen. Dann atmet lang und tief, damit der Engel der Luft in euch hineingelangen kann. Wahrlich, ich sage euch, der Engel der Luft wird alle Unreinheiten aus eurem Körper ausscheiden, die ihn innerlich und äußerlich verschmutzten. Und so werden alle unsauberen Dinge aus euch aufsteigen, wie der Rauch des Feuers sich aufwärts schlängelt und sich im Meer der Luft verliert. Denn wahrlich, ich sage euch, heilig ist der Engel der Luft, der alles Unreine reinigt und allem Übelriechenden einen süßen Duft gibt. Kein Mensch wird vor das Antlitz Gottes treten, der nicht vom Engel der Luft durchgelassen wurde. Wahrlich, alles muss durch die Luft und die Wahrheit wiedergeboren werden, denn euer Körper atmet die Luft der Erdenmutter, und euer Geist atmet die Wahrheit des Himmelsvaters.
Nach dem Engel der Luft sucht den Engel des Wassers. Zieht eure Schuhe und Kleider aus und erlaubt dem Engel des Wassers, euch zu umarmen. Werft euch ganz in seine umfangenden Arme, und so oft ihr die Luft mit eurem Atem bewegt, bewegt mit eurem Körper das Wasser.
Ich sage euch wahrlich, der Engel des Wassers wird alle Unreinheiten aus eurem Körper auswaschen, die euch innerlich und äußerlich verschmutzen, und alle unsauberen und stinkenden Dinge werden aus euch fließen, wie die Unsauberkeit eurer Kleider vom Wasser weggespült wird und im Strom des Flusses sich verliert. Wahrlich, ich sage euch, heilig ist der Engel des Wassers, der alles Unreine säubert und allen übelriechenden Dingen einen süßen Duft verleiht. Kein Mensch kann vor das Antlitz Gottes treten, den der Engel des Wassers nicht vorbeilässt. Wahrlich, alles muss durch das Wasser und die Wahrheit wiedergeboren werden, denn euer Körper badet im Fluss des Erdenlebens, und euer Geist badet im Fluss des ewigen Lebens. Denn ihr erhaltet euer Blut von eurer Erdenmutter und die Wahrheit von eurem Himmlischen Vater. Denkt nicht, dass es ausreicht, wenn euch der Engel des Wassers nur äußerlich umarmt. Wahrlich, ich sage euch, die innere Unreinheit ist um vieles größer als die äußerliche Unreinheit. Und derjenige, der sich äußerlich reinigt, aber innen unrein bleibt, ist wie die Grabstätten, die außen ansehnlich gestrichen sind, aber innen voller grauenerregender Unsauberkeiten und Abscheulichkeiten stecken. So sage ich euch wahrlich, lasst den Engel des Wassers euch auch innerlich taufen, damit ihr von den vergangenen Sünden frei werdet und dass ihr innen genauso rein werdet wie das Sprudeln des Flusses im Sonnenlicht.
Darum sucht einen großen Rankkürbis mit einer Ranke von der Länge eines Mannes; nehmt sein Mark aus und füllt ihn mit dem Wasser des Flusses, das die Sonne erwärmte. Hängt ihn an den Ast eines Baumes und kniet auf den Boden vor dem Engel des Wassers und führt das Ende der Ranke in euren Hinterteil ein, damit das Wasser durch alle eure Eingeweide fließen kann. Ruht euch hinterher kniend auf dem Boden vor dem Engel des Wassers aus und betet zum lebendigen Gott, dass er euch eure alten Sünden vergibt, und betet zum Engel des Wassers, dass er euren Körper von jeder Unreinheit und Krankheit befreit. Lasst das Wasser dann aus eurem Körper fließen, damit es aus dem Innern alle unreinen und stinkenden Stoffe des Satans wegspült. Und ihr werdet mit euren Augen sehen und mit eurer Nase all die Abscheulichkeiten und Unreinheiten riechen, die den Tempel des Körpers beschmutzten, und sogar all die Sünden, di in eurem Körper wohnen und euch mit allen möglichen Leiden foltern. Wahrlich, ich sage euch, die Taufe mit dem Wasser befreit euch von alledem. Erneuert eure Taufe mit Wasser an jedem Fastentag, bis zu dem Tag, an dem ihr seht, dass das Wasser, das aus euch hinaufließt, so rein ist wie das Sprudeln des Flusses. Begebt euch dann zum fließenden Wasser, und dort in den Armen des Wasserengels stattet Dank dem lebendigen Gott ab, dass er euch von euren Sünden befreit hat. Und diese heilige Taufe, durch den Engel des Wassers ist: Wiedergeburt zu einem neuen Leben. Denn eure Augen werden dann sehen, und eure Ohren werden hören. Darum sündigt nicht mehr nach der Taufe, sodass der Engel der Luft und des Wassers ewig in euch wohnen und euch für immer dienen werden. “5
„Wenn der Prophet aus diesem Evangelium Jesus von Nazareth ist, dann war Jesus eindeutig ein Essener“, überlegte der Geistliche. Von seiner Essener Zugehörigkeit steht aber nichts im Neuen Testament. Bestenfalls wissen wir aus anderen Schriften, dass Johannes der Täufer ein Essener gewesen sein kann.
Er durchflog noch einmal den ersten Teil des Manuskripts und schüttelte ungläubig den Kopf:
„Wieso sind viele Wort- und Satzelemente identisch mit denen aus dem Neuen Testament, aber hier in einem ganz anderen Zusammenhang?
War Jesus von Nazareth vor seinem Amt ein Essener?
War diese Lehre ausschließlich für die Essener Bruderschaft verfasst worden?“
Er verneinte es schließlich, denn diese Botschaft war ersichtlich nicht an eine Gemeinschaft gerichtet, sondern an die gesamte Menschheit und demnach auch an ihm selbst.
4 Das Evangelium der Essener: „Die Geheimarchiven des Vatikans“, S. 337.
5 Das Evangelium der Essener: „Das Friedensevangelium“, S. 11–20.