Читать книгу Das Geheimnis des wahren Evangeliums - Band 1 - Johanne T. G. Joan - Страница 23

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17. Kapitel

Gibertos Glaube war so eine Sache. Im Gegensatz zu seinem Vater, der stets ein Bild Jesu in seiner Brieftasche trug, glaubte seine Mutter nicht an den Gott, den die Kirche lehrte. Immer wieder eckte sie mit Geistlichen jeglicher Konfessionen an, die sie, wenn sich die Gelegenheit bot, mit bestimmten Fragen, auf die sie keine Antwort kannten, in die Enge trieb. Für sie war Gott die Natur.

Dem Vater war es ersichtlich egal, ob seine Kinder eine religiöse Erziehung genossen oder nicht, er trug die Sorge der Familie und überließ seiner Frau die Religionsangelegenheiten, sodass Gilberto und seine Geschwister über ihren Glauben an Gott die vollkommene Entscheidungsfreiheit hatten.

Als in seiner näheren Verwandtschaft eine Cousine namens Claudine von einer Sekte in die andere geriet und sich berufen fühlte, die ganze Familie, Freunde und Bekannte zu bekehren, kam er zum ersten Mal mit der Heiligen Schrift in Berührung. Seine Cousine hatte ihr Wesen völlig verändert und verhielt sich wie in Trance, wie von einem Wahn-Virus infiziert. Sie zog los, der Welt um sich herum die „frohe Botschaft“ zu verkünden. An der Art aber, wie die Cousine vorging, konnte man erkennen, dass sie, seitdem sie zu „dem Glauben“ gefunden hatte, unter einer unterschwelligen Angst vor der ewigen Hölle litt und über die Zahl ihrer Bekehrten heraus die Hoffnung hegte, sich für das Jenseits Pluspunkte sammeln zu können, um dem Schwefelpfuhl zu entkommen.

Sie hantierte stets mit einer Bibel in der Hand und versuchte bei denen, die ihr Gehör schenkten, anhand von Bibelversen, die sie mittlerweile auswendig kannte, durch die Einsicht ihrer eigenen vergangenen Verstöße gegen den vermeintlichen Willen Gottes, andere für den christlichen Glauben zu gewinnen.

Sie selbst war geschieden und betitelte zum Beispiel diejenigen, die einen geschiedenen Partner geheiratet hatten, bibelgemäß als Ehebrecher. Um dem Ort der ewigen Verdammnis zu entkommen aber sollte der bereits Geschiedene zu dem ersten Ehepartner, der wiederum mit einem anderen Partner eine Familie gegründet hatte, zurückkehren. Sie richtete mit ihrer neuen Ordnung so viele Schäden an, dass sie sich viele Feinde machte und sie niemand mehr ins Haus hereinließ. Als sie in den Häusern nicht mehr Zutritt hatte, flatterten regelmäßig Briefe von ihr in die Briefkästen mit Bibelversen oder gar ganzen Kapiteln, die sie feinsäuberlich abschrieb, mit Ermahnungen zur Rückkehr und Warnungen mit furchtbaren und grausigen Schilderungen des Hades, die einem das Blut in den Adern gefrieren ließen.

Die geplagte und über allen Maßen empörte Familie lebte in der Hoffnung, dass sich der Peiniger irgendwann die Finger wundgeschrieben hätte, das wäre das Ende der Belästigung gewesen. Doch die Rechnung ging nicht auf, denn als die Missionarin auf die Idee kam, ihre Urteilsverkündungen maschinell zu kopieren, wurde die Sache immer professioneller.

Die Läuterungsbriefe, die einerlei wann ungelesen im Papierkorb landeten oder dem Absender zurückgesandt wurden, häuften sich. Zum Schluss schrieb sie nur noch Postkarten mit kurzen unmissverständlichen Ermahnungen, die, gleich einem Dieb, der die kurze Unachtsamkeit seines Opfers ausnutzt, um ihn zu beklauen, bereits gelesen wurden, bevor der Empfänger realisierte, dass sie die Urheberin war. Ihr schlossen sich dann auch Gleichgesinnte an, die sie bekehrt hatte und die ebenfalls zu der Plage ihren Beitrag leisteten. Die Lage war nun nicht mehr zu ertragen.

Claudine und ihre Komplizen hatten endgültig den Ruf Gottes in Misskredit gebracht und bewirkten schließlich, dass alle diejenigen, die sie bedrängt hatten, unwiderruflich die Bereitwilligkeit aufgaben, jemals überhaupt an irgendetwas zu glauben.

Durch ihr abschreckendes Beispiel und ihre penetranten Bemühungen Christen zu gewinnen, hatte sie das Gegenteil erreicht und potentielle Diener Gottes in die Flucht getrieben.

Die lädierte, gar traumatisierte Gesellschaft war sich nun endgültig einig: niemand kann auf dem Wasser laufen; niemand kann dem Wind gebieten; niemand kann verweste Leichname zum Leben erwecken und überhaupt: Es gibt keinen Gott.

Nachdem sie ein Fiasko in ihrer durchlöcherten Geburtsstadt hinterlassen hatte, zog die Cousine fort, um andere Orte unsicher zu machen.

Die Aufklärungsattacken der Cousine führten dennoch dazu, dass Gilberto unfreiwillig gezwungen war, sich mit der Bibel auseinanderzusetzen, sodass er sich darin mittlerweile ziemlich gut auskannte.

Eine ganze Weile wollte er von Gott und von Glauben, egal wie sich die Brüder bezeichneten, nichts mehr hören und dass die Bibel mit ihren vielen Widersprüchen und mit der Aufforderung sogar Frauen und Kinder, für die Verkündung des Evangeliums, zu verlassen, nicht das Wort Gottes sein konnte, daran bestand für ihn kein Zweifel.

Erst als er fortzog und den Cousinen-Sturm hinter sich ließ, konnte Gilberto nach Jahren seine Gedanken über Gott nach und nach neu aufbauen. Auch wenn die Cousine den Namen Gottes zu ihren Zwecken missbraucht hatte, konnte er nicht die Existenz einer höheren Macht, die Himmel und Erde erschaffen hatte, leugnen. Es durfte nicht sein, dass diese Fanatikerin zwischen ihn und Gott einen Riegel geschoben hatte. Es durfte nicht sein, dass er seine Spiritualität von Stümpern, Dilettanten und Fanatikern bestimmen ließ. Und die, die es zuließen, waren in seinen Augen wie kleine Kinder, die, indem sie die Augen schließen, meinen plötzlich unsichtbar zu sein. Es war an der Zeit, sich mit Gott, wer immer er war, zu versöhnen. Es war an der Zeit, das zertrampelte Feld seiner Spiritualität neu zu bestellen und zu besäen.

Das Geheimnis des wahren Evangeliums - Band 1

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