Читать книгу Das Geheimnis des wahren Evangeliums - Band 1 - Johanne T. G. Joan - Страница 20

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14. Kapitel

Immer wieder versuchte der Geistliche von der Sache doch noch Abstand zu nehmen, doch der Stein war ins Rollen geraten und seine jüngsten Erkenntnisse holten ihn immer wieder mit aller Härte ein.

„Wenn die Gemeinsamkeiten zwischen den kanonisierten und den Essener Schriften kein Zufall sind“, überlegte er und wagte kaum seine Schlussfolgerung zu Ende zu denken, „dann sind die Evangelien nicht im Nachhinein, sondern während ihrer Entstehung gefälscht worden. Mit anderen Worten, die Evangelien oder gar das gesamte Neue Testament wären die Fälschung schlechthin.“ Dieser Gedanke ließ ihn frösteln.

Hin- und hergerissen im Kampf mit sich selbst nahm Carlucci ein weiteres Mal die Essener Evangelien zur Hand.

Einige Male hatte er die Predigt des Essener Jesus gelesen, das Gleichnis des „Verlorenen Sohnes“. Ein Gleichnis, das er schon als Kind in der Schule gelernt hatte. Außer, dass der „Verlorene Sohn“ aus dem Essener Evangelium sich wesentlich länger zog, als die Version vom Evangelist Lukas, war ihm nichts Besonderes aufgefallen. Diese Erkenntnis gab ihm Anlass, beide Texte im Detail gegenüberzustellen und genauer zu untersuchen.

Erst nach mehrmaligem Lesen des Gleichnisses aus dem Essener Friedensevangelium erkannte er die Botschaft des Propheten:

„Mit diesem Gleichnis will der heilige Mann seinen Anhängern mitteilen, dass der Mensch der Leidensknecht ist, der bis zur Erkenntnis der Notwendigkeit seine äußere ursprüngliche Reinheit neu zu erlangen, um die innere zu erringen, viel Mühe und Entbehrung auf sich nehmen muss. Dass ihm der Leidensweg auf dem Weg zur Vollkommenheit nicht erspart bleibt“, schoss es Carlucci plötzlich durch den Kopf.

Bei der Gegenüberstellung der Dokumente vermerkte er die Worte und Satzelemente, die Lukas in seinem Gleichnis des „Verlorenen Sohns“ ausgelassen oder gar unterschlagen hatte und hob sie in grauer Schrift hervor:

Das Gleichnis des Verlorenen Sohnes aus dem Essener Evangelium.

Und es gab einige, die waren von großen Schmerzen gefoltert, die nicht aus ihnen weichen wollten; und da sie nicht wussten, was sie tun sollten, entschieden sie, jemand zu Jesus zu schicken, denn sie wünschten sehr, dass er mit ihnen sei.

Und als zwei auf die Suche nach ihm gegangen waren, sahen sie Jesus selbst das Flussufer entgegenkommen. Und ihre Herzen waren mit Hoffnung und Freunde erfüllt, als sie seinen Gruß „Friede sei mit euch“ hörten. Und es gab viele Fragen, die sie ihm stellen wollten, aber zu ihrer Verwunderung konnten sie nicht damit beginnen, denn es kam nicht in ihre Köpfe. Dann sagte Jesus zu ihnen: „Ich kam, weil ihr mich braucht.“ Und einer schrie: „Meister, wir brauchen dich wirklich, komm, befreie uns von unseren Schmerzen.“

Und Jesus sprach in Gleichnissen zu ihnen: „Ihr seid wie der verlorene Sohn, der viele Jahre lang aß und trank und seine Tage in Liederlichkeit und Wollust mit seinen Freunden verbrachte. Und jede Woche machte er neue Schulden, ohne das Wissen seines Vaters und verschwendete alles in ein paar Tagen. Und die Geldleiher liehen ihm immer wieder etwas, weil sein Vater große Reichtümer besaß und immer geduldig die Schulden seines Sohnes bezahlte. Und vergebens ermahnte er mit guten Worten seinen Sohn; doch der hörte nie auf die Ermahnungen seines Vaters, der ihn vergebens anflehte, seine endlosen Ausschweifungen aufzugeben, und in seine Felder zu gehen, um über die Arbeit seiner Diener zu wachen. Und der Sohn versprach ihm immer alles, wenn er seine alten Schulden bezahlen würde, aber am nächsten Tag begann er von vorn. Und mehr als sieben Jahre führte der Sohn sein liederliches Leben weiter. Doch zuletzt verlor sein Vater die Geduld und bezahlte den Geldleihern die Schulden seines Sohnes nicht mehr. ‚ Wenn ich immer weiter bezahle, dann wird es kein Ende der Sünde meines Sohnes geben.‘

Dann nahmen die betrogenen Geldleiher in ihrem Zorn den Sohn in die Sklaverei, damit er durch seine tägliche Plackerei das Geld zurückzahlen könnte, das sie ihm geliehen hatten. Und da hörten das Essen und Trinken und die täglichen Ausschweifungen auf. Von Morgen bis in die Nacht bewässerte er im Schweiße seines Angesichts die Felder, und alle seine Glieder schmerzten durch die ungewohnte Arbeit. Und er lebte von trockenem Brot und hatte nichts außer seinen Tränen, mit denen er es befeuchten konnte. Und nach drei Tagen litt er so stark unter Hitze und Ermüdung, dass er seinem Herrn sagte: ‚Ich kann nicht mehr arbeiten, denn alle meine Glieder schmerzen. Wie lange wollt ihr mich foltern?‘ ‚Bis zu dem Tag, an dem durch die Arbeit deiner Hände deine Schulden abgetragen sind, und wenn sieben Jahre vorüber sind, wirst du frei sein. ‘ Und der verzweifelte Sohn antwortete weinend:‚Aber ich kann nicht einmal sieben Tage ertragen. Hab’ Mitleid mit mir, denn alle meine Glieder brennen und schmerzen.‘ Und der boshafte Geldgeber schrie ihn an:‚Treibe deine Arbeit voran; wenn du sieben Jahre lang deine Tage und Nächte in Liederlichkeit verbringen konntest, musst du nun sieben Jahre arbeiten. Ich werde dir nicht vergeben, bis du all deine Schulden bis zur letzten Drachme zurückgezahlt hast.‘ Und der Sohn lief mit quälenden Schmerzen verzweifelt in die Felder zurück, um weiterzuarbeiten.

Schon konnte er vor Müdigkeit und Schmerzen kaum noch auf seinen Füßen stehen, als der siebte Tag gekommen war, der Sabbat, an dem niemand auf den Feldern arbeitet. Da sammelte der Sohn seine letzten Kräfte und taumelte zum Haus seines Vaters. Und er warf sich zu seinen Vaters Füssen und sagte: ‚Vater, glaube mir nur ein letztes Mal und vergebe mir all meine Beleidigungen gegen dich. Ich schwöre dir, dass ich nie wieder so liederlich leben will, und dass ich dein gehorsamer Sohn in allen Dingen sein werde. Befreie mich aus den Händen meiner Unterdrücker. Vater, schau mich an und meine kranken Glieder und verhärte nicht dein Herz.‘ Da kamen Tränen in die Augen des Vaters, und er nahm seinen Sohn in die Arme und sagte:

‚Lasst uns ein Fest feiern, denn heute wurde mir eine große Freude gegeben, weil ich meinen geliebten Sohn, der verloren war, wiedergefunden habe.‘ Und er kleidete ihn in seine auserlesensten Gewänder, und den ganzen Tag lang feierten sie. Und am nächsten Tag gab er seinem Sohn eine Tasche mit Silber, um die Schulden an seinem Geldgeber zu zahlen. Und als der Sohn zurückkam, sagte er: ‚Mein Sohn, du siehst, es ist leicht, durch liederliches Leben für sieben Jahre Schulden zu machen, aber ihre Bezahlung mit sieben Jahre langer, harter Arbeit ist schwierig.‘ ‚Vater, es ist tatsächlich hart, sie zu bezahlen, auch nur sieben Tage lang.‘ Und sein Vater ermahnte ihn und sagte:‚Dieses eine Mal wurde dir erlaubt, deine Schulden in sieben Tagen anstatt in sieben Jahren zurückzuzahlen, der Rest ist dir vergeben. Aber sieh dich vor, dass du zukünftig keine neuen Schulden mehr machst. Denn wahrlich, ich sage dir, niemand außer deinem Vater vergibt dir deine Schulden, weil du sein Sohn bist. Denn bei jedem anderen hättest du sieben Jahre lang schwer arbeiten müssen, wie es unsere Gesetze fordern.‘

‚Mein Vater, ich will in Zukunft dein liebender und gehorsamer Sohn sein, und will keine Schulden mehr machen, denn nun weiß ich, dass ihre Bezahlung hart ist.‘

Und er ging auf die Felder seines Vaters und überwachte jeden Tag die Arbeiter seines Vaters bei ihrer Arbeit. Und er zwang seine Arbeiter nie zu harter Arbeit, denn er erinnerte sich an seine eigene schwere Arbeit. Und die Jahre gingen vorüber, und der Besitz seines Vaters nahm immer mehr unter seinen Händen zu, denn der Segen seines Vaters war auf seiner Arbeit. Und langsam gab er zehn Mal soviel zurück, wie er in den sieben Jahren verschwendet hatte. Und als der Vater sah, dass sein Sohn seine Diener gut behandelte und seinen Besitz mit Sorgfalt führte, sagte er zu ihm: ‚Mein Sohn, ich sehe, dass mein Besitz in guten Händen ist. Ich gebe dir all mein Vieh, mein Haus, meine Ländereien und meine Schätze. Lass dies alles deine Erbschaft sein und setze ihr Wachstum fort, damit ich mich an dir erfreuen kann.‘ Und als der Sohn seine Erbschaft von seinem Vater erhalten hatte, erließ er allen Schuldnern, die nicht zahlen konnten, ihre Schulden, denn er hatte nicht vergessen, dass seine Schulden ihm auch erlassen worden waren, als er nicht zahlen konnte. Und Gott segnete ihn mit einem langen Leben, mit vielen Kindern und vielen Reichtümer, weil er freundlich zu allen sein Dienern war und sein Vieh gut behandelte.“

Dann wandte sich Jesus an das kranke Volk und sagte: „Ich spreche in Gleichnissen zu euch, damit ihr Gottes Wort besser verstehen könnt. Die sieben Jahre des Essens und Trinken und des liederlichen Lebens, sind die Sünden der Vergangenheit. Der boshafte Kreditgeber ist Satan. Die Schulden, sind die Krankheiten. Die harte Arbeit sind die Schmerzen. Der verlorene Sohn sind wir. Die Zahlung der Schulden ist die Austreibung des Teufels und Krankheiten und die Heilung des Körpers. Die Tasche voll Silber, die er vom Vater erhält, ist die befreiende Macht der Engel. Der Vater ist Gott. Des Vaters Besitztümer sind Erde und Himmel; die Diener des Vaters sind die Engel. Das Feld des Vaters ist die Welt, die sich in das Königreich des Himmels verwandelt, wenn die Menschensöhne darauf zusammen mit den Engeln des Himmelsvaters arbeiten. Denn ich sage euch, es ist besser, dass der Sohn dem Vater gehorcht und über die Diener auf dem Felde wacht, als Schuldner des boshaften Kreditgebers zu werden und dich als Sklave zu schinden und zu plagen, um seine Schulden zurückzuzahlen. Gleichfalls ist es besser, wenn die Menschensöhne auch den Gesetzen ihres Himmelsvaters gehorchen und zusammen mit seinen Engeln an seinem Königreich arbeiten, als dass sie Schuldner des Satans werden, des Herrn des Todes, aller Sünden und aller Krankheiten, und dass sie Schmerzen leiden und schwitzen müssen, bis sie all ihre Sünden abgetragen haben. Wahrlich, ich sage euch, groß und vielfältig sind eure Sünden. Viele Jahre habt ihr den Verlockungen des Satans nachgegeben. Ihr ward gefräßig, versoffen und habt gehurt, und eure alten Schulden vervielfältigten sich. Und nun müsst ihr sie zurückbezahlen, und die Zahlung ist schwierig und hart. Seid darum nicht schon nach dem dritten Tage ungeduldig, wie der verlorene Sohn, sondern geduldig bis zum siebten Tag, der von Gott geheiligt ist und tretet dann mit einem demütigen und gehorsamen Herz vor das Antlitz eures Himmelsvaters, dass er euch all eure alten Schulden vergibt. Wahrlich, ich sage euch, euer Vater liebt euch ohne Ende, denn er erlaubt euch, in sieben Tagen eure Schulden von sieben Jahren zurückzubezahlen. Jenen, die für sieben Jahre Sünden und Krankheiten schulden, aber ehrlich bezahlen und bis zum siebten Tag durchhalten, wird unser Himmelsvater die Schulden aller sieben Jahre vergeben. “12

Gleichnis vom verlorenen Sohn aus dem Lukas-Evangelium

Er sprach aber: Ein Mensch hatte zwei Söhne; und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Vater, gib mir den Teil des Vermögens, der mir zufällt! Und er teilte ihnen die Habe. Und nach nicht vielen Tagen brachte der jüngere Sohn alles zusammen und reiste weg in ein fernes Land, und dort vergeudete er sein Vermögen, indem er verschwenderisch lebte. Als er aber alles verzehrt hatte, kam eine gewaltige Hungersnot über jenes Land, und er selbst fing an, Mangel zu leiden. Und er ging hin und hängte sich an einen der Bürger jenes Landes, der schickte ihn auf seine Äcker, Schweine zu hüten. Und er begehrte seinen Bauch zu füllen mit den Schoten vom Johannisbaum, die die Schweine fraßen; und niemand gab ihm.

Als er aber in sich ging, sprach er: Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben Überfluss an Brot, ich aber komme hier um vor Hunger.

Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und will zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir, ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen! Mach mich wie einen deiner Tagelöhner! Und er machte sich auf und ging zu seinem Vater. Als er aber noch fern war, sah ihn sein Vater und wurde innerlich bewegt und lief hin und fiel ihm um seinen Hals und küsste ihn. Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir, ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen.

Der Vater aber sprach zu seinen Sklaven: Bringt schnell das beste Gewand heraus und zieht es ihm an und tut einen Ring an seine Hand und Sandalen an seine Füße; und bringt das gemästete Kalb her und schlachtet es, und lasst uns essen und fröhlich sein!

Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein. Sein älterer Sohn aber war auf dem Feld; und als er kam und sich dem Haus näherte, hörte er Musik und Reigen.

Und er rief einen der Sklaven herbei und erkundigte sich, was das sei. Der aber sprach zu ihm: Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat das gemästete Kalb geschlachtet, weil er ihn gesund wiedererhalten hat. Er aber wurde zornig und wollte nicht hinein gehen. Sein Vater aber ging hinaus und redete ihm zu. Er aber antwortete und sprach zu dem Vater: Siehe, so viele Jahre diene ich dir, und niemals habe ich ein Gebot von dir übertreten; und mir hast du niemals ein Böckchen gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich gewesen wäre; Da aber dieser dein Sohn gekommen ist, der deine Habe mit Huren durchgebracht hat, hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet. Er aber sprach zu ihm: Kind, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, ist dein. Aber man musste ‚doch jetzt‘ fröhlich sein und sich freuen; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden und verloren und ist gefunden worden.“ (Lk 15,11-32)

Carlucci stellte fest, dass die Botschaften der beiden Versionen des Gleichnisses des „Verlorenen Sohns“ dem unvoreingenommenen Leser zunächst, wie auch ihm selbst, als gleich oder sehr ähnlich erscheinen. Lediglich die Kürze der Fassung des Lukas Gleichnisses fällt auf.

Carlucci aber kannte anhand der ersten Gegenüberstellung mit dem „Hohelied der Liebe“ mindestens zwei Motive, die für die Überarbeitung oder gar Fälschung der Essener Evangelien in Betracht kamen:

1. das Verschweigen der Lehre der Vollkommenheit zu Gunsten der Lehre der Gnade.

2. Die Unterschlagung der Existenz des Essener Täufers.

Deshalb machte sich der Geistliche daran, die Texte nach Abweichungen zu untersuchen, die möglicherweise die Annahme über die ersten Motive, die er in Betracht gezogen hatte, erhärten würden. Er wusste, wonach er suchte, deshalb dauerte es nicht lange, bis er die entsprechenden Stellen fand, die ebenfalls auf ein Verdrehen der Lehre der Vollkommenheit hinwiesen:

Carlucci verglich diesen Text mit dem Gleichnis des verlorenen Sohnes aus dem Lukas-Evangelium:

Während der reumütige Sohn aus dem Essener Friedensevangelium beteuert, dass er von nun an gehorsam sein und nicht mehr sündigen wird, ein Versprechen, das auf eine dauerhafte und bessere Lebensführung hinweist, die im Kontext das Erstreben nach Vollkommenheit symbolisiert…

Vater, glaube mir nur ein letztes Mal und vergebe mir all meine Beleidigungen gegen dich. Ich schwöre dir, dass ich nie wieder so liederlich leben will, und dass ich dein gehorsamer Sohn in allen Dingen sein werde.13

…bezeichnet sich der „Verlorene Sohn“ aus dem Lukas-Evangelium als unwürdig:

ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen! Mach mich wie einen deiner Tagelöhner! (Lk 15,19)

Was nichts anderes heißen soll, so schlussfolgerte Carlucci, als dass der Sohn nicht fähig ist, die Gebote zu halten. Eine Formulierung, die geschickt die Paulus-Gnade einführt und legitimiert.

Carlucci konnte es nicht fassen. Er hatte in der kurzen Zeit eine weitere Bestätigung seiner Vermutung aufgedeckt. Sein Ehrgeiz war nur geweckt und er fuhr fort, den restlichen Text unter die Lupe zu nehmen.

Während der Essener-Prophet in dem Gleichnis auch das Essen und Trinken als Grund für die Sünde angibt…

Ihr seid wie der verlorene Sohn, der viele Jahre lang aß und trank und seine Tage in Liederlichkeit und Wollust mit seinen Freunden verbrachte.15

…unterschlägt der Verfasser des Lukas Evangeliums in seiner Version die Wortelemente, die das Essen und Trinken als Sünde darstellen.

Er sprach aber: Ein gewisser Mensch hatte zwei Söhne; und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Vater, gib mir den Teil des Vermögens, der mir zufällt. Und er teilte ihnen die Habe. Und nach nicht vielen Tagen brachte der jüngere Sohn alles zusammen und reiste weg in ein fernes Land, und daselbst vergeudete er sein Vermögen, indem er ausschweifend lebte. (Lk 15,11-13)

Carlucci durchschaute die Absichten des Verfälschers: Ohne viele Worte zu machen, war es ihm gelungen, dass der Leser im Gegensatz zum Essener Gleichnis, die Sünde nicht darin sieht u.a. in Schwelgerei und Wollust zu leben, sondern in der Verschwendung.

Carlucci überlegte weiter: „Raffiniert und fast unmerklich für diejenigen, die die wahre Botschaft nicht kennen, schmuggelt der Verfälscher im nächsten Beispiel die eine oder andere scheinbar belanglose Information in das Gleichnis ein, die im Gegensatz zu der wahren Botschaft steht. So hebt er das Gebot der Gleichheit aller Menschen durch das Halten von Sklaven und das Gebot des Vegetarismus,

durch das Schlachten eines Kalbes, clever auf.“

Der Vater aber sprach zu seinen Knechten: Bringet das beste Kleid her und ziehet es ihm an und tut einen Ring an seine Hand und Sandalen an seine Füße; und bringet das gemästete Kalb her und schlachtet es, und lasset uns essen und fröhlich sein. (Lk 15, 22-23)

Carlucci stellte außerdem fest, dass der Vater vom „Verlorenen Sohn“ aus dem Lukas-Evangelium zwei Söhne hatte. Einen Sohn, der reumütig zurückkommt und einen anderen, der neidisch ist und von dem man nicht weiß, was eigentlich aus ihm geworden ist. Der Vater aus dem Essener Evangelium besaß nur einen Sohn. Diese Besonderheit konnte er sich zunächst nicht erklären und sie schien auch nicht von Belang zu sein. Doch nach näherer Betrachtung konnte er auch in dieser Abweichung eine geniale und ausgeklügelte Botschaft an den Leser enthüllen:

Der verlorene Sohn aus dem Lukas-Evangelium, der reumütig nach Hause kommt, deutet auf die Nation, wie das Neue Testament den Sünder, der die Gnade annimmt darstellt, und die Absolution durch sein Sündenbekenntnis – die Beichte – erfährt (Die Paulusklientel). Der andere ärgerliche und neidische Bruder deutet auf die Juden, auf deren Schicksalsverlauf der Verfasser nicht näher eingeht, und das braucht er auch nicht, denn der Stellenwert der Juden im Neuen Testament ist wohl jedem bekannt.

Ihr seid wie der verlorene Sohn, der viele Jahre lang aß und trank und seine Tage in Liederlichkeit und Wollust mit seinen Freunden verbrachte. Und jede Woche machte er neue Schulden, ohne das Wissen seines Vaters und verschwendete alles in ein paar Tagen. Und die Geldleiher liehen ihm immer wieder etwas, weil sein Vater große Reichtümer besaß und immer geduldig die Schulden seines Sohnes bezahlte.

Und vergebens ermahnte er mit guten Worten seinen Sohn; doch der hörte nie auf die Ermahnungen seines Vaters, der ihn vergebens anflehte, seine endlosen Ausschweifungen aufzugeben, und in seinen Felder zu gehen, um über die Arbeit seiner Diener zu wachen.16

Er sprach aber: Ein gewisser Mensch hatte zwei Söhne; und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Vater, gib mir den Teil des Vermögens, der mir zufällt. Und er teilte ihnen die Habe. Und nach nicht vielen Tagen brachte der jüngere Sohn alles zusammen und reiste weg in ein fernes Land, und daselbst vergeudete er sein Vermögen, indem er ausschweifend lebte. (Lk 15,11)

Nach und nach kristallisierten sich immer mehr Motive heraus, die vermutlich zur Umgestaltung des wahren Evangeliums geführt hatten.

1. die Gnade anstatt der Vollkommenheit

2. Unterschlagung der Existenz des Essener Täufers

3. die Judenschuld

4.der Erhalt der Sklaverei

5.der Mensch darf Fleisch essen

6.der Mensch darf Alkohol trinken

Da Carlucci die Evangelien gut kannte, fielen ihm aus dem Kapitel „Der unbarmherzige Knecht “ aus dem Matthäus-Evangelium weitere Elemente des Essener „Verlorenen Sohns“ auf. Auffällig war, dass der Verfälscher, aus Gründen, die er noch nicht kannte, keinen Satz aus

dem Original-Evangelium auslassen wollte und sie irgendwie in seinem Lügenwerk unterzubringen versuchte, so oder so.

Warum der Betrüger diese unterschlagenen Elemente aus der Essener Version des Gleichnisses vom „Verlorenen Sohn“ in das Matthäus- und nicht in das Lukas-Evangelium eingeflochten hatte, lag auf der Hand. Hätte er das Gleichnis des „Unbarmherzigen Knechts“ im Lukas-Evangelium untergebracht, das uns einen Teil des „Essener – Verlorenen Sohns“ offenbart, dann wären im Lukas-Evangelium zu viele verräterische Elemente aus dem „Essener – Verlorenen Sohn“ enthalten gewesen. Die hätten bei einem Vergleich beider Schriften unter Umständen zur Rekonstruktion des wahren „Essener – Verlorenen Sohns“ führen können. Dieses Risiko wollte der Verschwörer nicht eingehen, denn er wusste nicht, ob die wahren Evangelien wirklich voll und ganz von der Bildfläche verschwunden waren.

Gleichnis vom unbarmherzigen Knecht

Dann trat Petrus zu ihm und sprach: Herr, wie oft soll ich meinem Bruder, der wider mich sündigt, vergeben?

{W. wie oft soll mein Bruder wider mich sündigen und ich ihm vergeben} bis siebenmal? Jesus spricht zu ihm: Nicht sage ich dir, bis siebenmal, sondern bis siebzigmal sieben.

Deswegen ist das Reich der Himmel einem Könige gleich geworden, der mit seinen Knechten {O. Sklaven; so auch nachher} abrechnen wollte.

Als er aber anfing abzurechnen, wurde einer zu ihm gebracht, der zehntausend Talente schuldete. Da derselbe aber nicht hatte zu bezahlen, befahl [sein] Herr, ihn und sein Weib und die Kinder und alles, was er hatte, zu verkaufen und zu bezahlen. Der Knecht nun fiel nieder, huldigte ihm und sprach: Herr, habe Geduld mit mir, und ich will dir alles bezahlen. Der Herr jenes Knechtes aber, innerlich bewegt, gab ihn los und erließ ihm das Darlehn.

Jener Knecht aber ging hinaus und fand einen seiner Mitknechte, der ihm hundert Denare schuldig war. Und er ergriff und würgte ihn und sprach: Bezahle, wenn du etwas schuldig bist. Sein Mitknecht nun fiel nieder und bat ihn und sprach: Habe Geduld mit mir, und ich will dir bezahlen. Er aber wollte nicht, sondern ging hin und warf ihn ins Gefängnis, bis er die Schuld bezahlt habe. Als aber seine Mitknechte sahen, was geschehen war, wurden sie sehr betrübt und gingen und berichteten ihrem Herrn alles, was geschehen war. Dann rief ihn sein Herr herzu und spricht zu ihm: Böser Knecht! jene ganze Schuld habe ich dir erlassen, dieweil du mich batest; solltest nicht auch du dich deines Mitknechtes erbarmt haben, wie auch ich mich deiner erbarmt habe? Und sein Herr wurde zornig und überlieferte ihn den Peinigern, bis er alles bezahlt habe, was er ihm schuldig war. Also wird auch mein himmlischer Vater euch tun, wenn ihr nicht ein jeder seinem Bruder von Herzen vergebet. (Mt 18,21-35)

Das gleichmäßige Verteilen der Kapitel aus dem Essener Friedensevangelium in Lukas und Matthäus weist darauf hin, dass das Lukas- und das Matthäus-Evangelium zur gleichen Zeit verfasst worden sind.

Carlucci machte sich anschließend die Mühe, die Texte aus den zwei Evangelien, die zusammenzupassen schienen, grob gegenüberzustellen:

Ihr seid wie der verlorene Sohn, der viele Jahre lang aß und trank und seine Tage in Liederlichkeit und Wollust mit seinen Freunden verbrachte. Und jede Woche machte er neue Schulden, ohne das Wissen seines Vaters und verschwendete alles in ein paar Tagen. Und die Geldleiher liehen ihm immer wieder etwas, weil sein Vater große Reichtümer besaß und immer geduldig die Schulden seines Sohnes bezahlte. Und vergebens ermahnte er mit guten Worten seinen Sohn; doch der hörte nie auf die Ermahnungen seines Vaters, der ihn vergebens anflehte, seine endlosen Ausschweifungen aufzugeben, und in seinen Felder zu gehen, um über die Arbeit seiner Diener zu wachen.17

Er sprach aber: Ein gewisser Mensch hatte zwei Söhne; und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Vater, gib mir den Teil des Vermögens, der mir zufällt. Und er teilte ihnen die Habe. Und nach nicht vielen Tagen brachte der jüngere Sohn alles zusammen und reiste weg in ein fernes Land, und daselbst vergeudete er sein Vermögen, indem er ausschweifend lebte. (Lk 15,11-13)

Und der Sohn versprach ihm immer alles, wenn er seine alten Schulden bezahlen würde, aber am nächsten Tag begann er von vorn. Und mehr als sieben Jahre führte der Sohn sein liederliches Leben weiter. Doch zuletzt verlor sein Vater die Geduld und bezahlte den Geldleihern die Schulden seines Sohnes nicht mehr.

‚Wenn ich immer weiter bezahle, dann wird es kein Ende der Sünde meines Sohnes geben.‘ Dann nahmen die betrogenen Geldleiher in ihrem Zorn den Sohn in die Sklaverei, damit er durch seine tägliche Plackerei das Geld zurückzahlen könnte, das sie ihm geliehen hatten. Und da hörten das Essen und Trinken und die täglichen Ausschweifungen auf. Von Morgen bis in die Nacht bewässerte er im Schweiße seines Angesichts die Felder, und alle seine Glieder schmerzten durch die ungewohnte Arbeit. Und er lebte von trockenem Brot und hatte nichts außer seinen Tränen, mit denen er es befeuchten konnte.14

Als er aber alles verzehrt hatte, kam eine gewaltige Hungersnot über jenes Land, und er selbst fing an Mangel zu leiden. Und er ging hin und hängte sich an einen der Bürger jenes Landes; der {W. und er} schickte ihn auf seine Äcker, Schweine zu hüten. Und er begehrte, seinen Bauch zu füllen mit den Träbern, {Johannisbrot, ein Nahrungsmittel für Tiere und auch wohl für arme Leute} welche die Schweine fraßen; und niemand gab ihm. (Lk 15,14-16)

Sein Mitknecht nun fiel nieder und bat ihn und sprach: Habe Geduld mit mir, und ich will dir bezahlen.

Er aber wollte nicht, sondern ging hin und warf ihn ins Gefängnis, bis er die Schuld bezahlt habe. “ (Mt 18,29-30)

‚Bis zu dem Tag, an dem durch die Arbeit deiner Hände deine Schulden abgetragen sind, und wenn sieben Jahre vorüber sind, wirst du frei sein.‘ Und der verzweifelte Sohn antwortete weinend: ‚Aber ich kann nicht einmal sieben Tage ertragen. Hab‘ Mitleid mit mir, denn alle meine Glieder brennen und schmerzen.115

Und sein Herr wurde zornig und überlieferte ihn den Peinigern, bis er alles bezahlt habe, was er ihm schuldig war. Also wird auch mein himmlischer Vater euch tun, wenn ihr nicht ein jeder seinem Bruder von Herzen vergebet. (Mt 18,34-35)

Und der boshafte Geldgeber schrie ihn an: ‚ Treibe deine Arbeit voran; wenn du sieben Jahre lang deine Tage und Nächte in Liederlichkeit verbringen konntest, musst du nun sieben Jahre arbeiten. Ich werde dir nicht vergeben, bis du all deine Schulden bis zur letzten Drachme zurückgezahlt hast.‘ Und der Sohn lief mit quälenden Schmerzen verzweifelt in die Felder zurück, um weiterzuarbeiten. Schon konnte er vor Müdigkeit und Schmerzen kaum noch auf seinen Füssen stehen, als der siebte Tag gekommen war, der Sabbat, an dem niemand auf den Feldern arbeitet.

Da sammelte der Sohn seine letzten Kräfte und taumelte zum Haus seines Vaters. Und er warf sich zu seinen Vaters Füssen und sagte:16

Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen, und will zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir (Lk 15,18)

‚Vater, glaube mir nur ein letztes Mal und vergebe mir all meine Beleidigungen gegen dich. Ich schwöre dir, dass ich nie wieder so liederlich leben will, und dass ich dein gehorsamer Sohn in allen Dingen sein werde‘117

ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen; mache mich wie einen deiner Tagelöhner (Lk 15,19)

‚Befreie mich aus den Händen meiner Unterdrücker. Vater, schau mich an, und meine kranken Glieder und verhärte nicht dein Herz. Da kamen Tränen in die Augen des Vaters, und er nahm seinen Sohn in die Arme und sagte:18

Und er machte sich auf und ging zu seinem {Eig. seinem eigenen} Vater. Als er aber noch fern war, sah ihn sein Vater und wurde innerlich bewegt und lief hin und fiel ihm um seinen Hals und küßte ihn sehr. {O. vielmals, oder zärtlich} (Lk 15,20)

‚Lasst uns ein Fest feiern, denn heute wurde mir eine große Freude gegeben, weil ich meinen geliebten Sohn, der verloren war, wieder gefunden habe.‘19

denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, war verloren und ist gefunden worden. Und fingen an fröhlich zu sein. (Lk 15,24)

Und er kleidete ihn in seine auserlesenen Gewänder, und den ganzen Tag lang feierten sie. Und am nächsten Tag gab er seinen Sohn eine Tasche mit Silber, um die Schulden an seinen Geldgeber zu zahlen.20

Der Vater aber sprach zu seinen Knechten: Bringet das beste Kleid her und ziehet es ihm an und tut einen Ring an seine Hand und Sandalen an seine Füße; und bringet das gemästete Kalb her und schlachtet es, und lasset uns essen und fröhlich sein. (Lk 15,22-23)

Und als der Sohn zurückkam, sagte er: ‚Mein Sohn, du siehst es ist leicht, durch liederliches Leben für sieben Jahre Schulden zu machen, aber ihre Bezahlung mit sieben Jahre langer, harter Arbeit ist schwierig. ‘21

Dann trat Petrus zu ihm und sprach: Herr, wie oft soll ich meinem Bruder, der wider mich sündigt, vergeben? {W. wie oft soll mein Bruder wider mich sündigen und ich ihm vergeben} bis siebenmal? Jesus spricht zu ihm: Nicht sage ich dir, bis siebenmal, sondern bis siebzigmal sieben. (Mt 18,21)

‚Vater, es ist tatsächlich hart, sie zu bezahlen, auch nur sieben Tage lang.‘ Und sein Vater ermahnte ihn und sagte: ‚Dieses eine Mal wurde dir erlaubt, deine Schulden in sieben Tagen anstatt in sieben Jahren zurückzuzahlen, der Rest ist dir vergeben. Aber sieh dich vor, dass du zukünftig keine neuen Schulden mehr machst. Denn wahrlich, ich sage dir, niemand außer deinem Vater vergibt dir deine Schulden, weil du sein Sohn bist. Denn bei jedem anderen hättest du sieben Jahre lang schwer arbeiten müssen, wie es unsere Gesetze fordern.‘ ‚Mein Vater, ich will in Zukunft dein liebender und gehorsamer Sohn sein, und will keine Schulden mehr machen, denn nun weiß ich, dass ihre Bezahlung hart ist. ‘22

Ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen; mache mich wie einen deiner Tagelöhner. (Lk 15,19)

Und er ging auf die Felder seines Vaters und überwachte jeden Tag die Arbeiter seines Vaters bei ihrer Arbeit. Und er zwang seine Arbeiter nie zu harter Arbeit, denn er erinnerte sich an seine eigene schwere Arbeit. Und die Jahre gingen vorüber, und der Besitz seines Vaters nahm immer mehr unter seinen Händen zu, denn der Segen seines Vaters war auf seine Arbeit. Und langsam gab er zehn Mal so viel zurück, wie er in den sieben Jahren verschwendet hatte.23

Der Tag ging zur Neige und Carlucci war derart vertieft in seiner Forschung, dass ihm die verstrichenen Stunden sehr kurz vorkamen, sodass er überhaupt keine Müdigkeit verspürte.

Er sortierte zunächst Parallelstellen aus beiden Evangelien heraus, die offensichtlich eine Affinität zeigten. Als nächstes fiel ihm eine Aussage Jesus aus dem Essener-Evangelium ein, die eine starke Ähnlichkeit mit dem Bericht des Jüngers Johannes der Evangelist aus dem Neuen Testament aufwies, die ihm jedes Mal, wenn er sie las, Kopfschmerzen bereitete. Eine Darstellung der Liebe, die solange er zurückdenken kann, immer wieder für heftige verbale Auseinandersetzungen in seinen Kollegenkreisen gesorgt hatte:

Größere Liebe hat niemand, als diese, daß jemand sein Leben läßt {Eig. eingesetzt, darlegt} für seine Freunde. Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was irgend ich euch gebiete.

(Jo 15,13-14)

Im Friedensevangelium und in anderen Evangelien, die er später entdecken sollte, lehrt der Essener Prophet, dass die größte Liebe jemand hat, der die Liebe Gottes vorlebt und im Dienste seines Nächsten sein Leben opfert und die Seele desjenigen, der noch in der Dunkelheit geht, rettet durch die Aufklärung des Willen Gottes über das Heilige Gesetz.

Größere Liebe hat niemand, als einander das Heilige Gesetz zu lehren und jeden anderen wie euch selbst zu lieben.24

Auch im Johannesevangelium aus dem Neuen Testament könnte man mit vielen Umschweifen, neben der Aufforderung sein Leben zu lassen, die Aufforderung das Evangelium zu lehren, herauslesen. Diese Sätze über die Nächstenliebe aus den zwei Evangelien scheinen zunächst ähnlich zu sein, doch im Johannesevangelium liegt der Schwerpunkt dieser Aussage auf dem Opfern seines Lebens im Sinne, es zu verlieren. Der Text im Friedensevangelium vermittelt lediglich ein Informieren und sich zur Verfügung stellen, um den Menschen zu ihrer Rettung das Heilige Gesetz zu lehren. Eine Interpretation, die Carlucci einleuchtete, denn was hat ein Mensch davon, wenn ein anderer für ihn eines Märtyrertodes stirbt?

Der Vers aus dem Neuen Testament vermittelte außerdem die vorsichtige Ankündigung des Sühnens des Tods des vermeintlichen Jesus am Kreuz aus Liebe zu den Menschen. Gleichzeitig implizierte der Text die Idealisierung des Freitods der Jünger schlechthin als Zeichen der Liebe für seine Freunde.

Was nichts anderes heißen sollte, als auf die Gefahr hin sein Leben zu verlieren, unerschrocken das Evangelium zu verkünden.

Auf einem Zettel, auf dem er die möglichen Motive aufgelistet hatte, erweiterte der geistliche Forscher seine Liste um drei weitere Punkte:

1. die Gnade anstatt der Vollkommenheit

2. Unterschlagen der Existenz des Essener Täufers

3. die Judenschuld

4. der Erhalt der Sklaverei

5. Der Mensch darf Fleisch essen und Alkohol trinken.

6. die Verkündung des Evangeliums um jeden Preis

7. die Verherrlichung des Martyriums

8. Vorbereitung auf die Gnadenlehre durch den Freitod Jesus.

Später fertigte er eine weitere Liste an, die die unterschlagenen Elemente zusammenfasste:

1. Unterschlagen der inneren Taufe und der wahren Bedeutung der Taufe

2. Unterschlagung der Lehre der Vollkommenheit

3. Beschönigung der römischen Beteiligung

4. Unterschlagung des Erbes, das dem Menschen nach einem Leben in Gehorsam mit dem Gesetz Gottes zusteht.

Carlucci wusste, dass er sich auf dem richtigen Weg befand. Dass er bereits die ersten Puzzleteile, die zur Vollendung des ihm noch unbekannten Bilds, auf sein geistiges Schlachtfeld gelegt hatte und fasste zusammen: Mindestens Elemente aus drei Evangelisten, Matthäus, Lukas und Johannes der Jünger und der Brief Paulus an die Korinther konnte er in dem Friedensevangelium der Essener wiederfinden. Eine Eigentümlichkeit, die immer mehr die Vermutung, dass das gesamte Neue Testament aus einer Quelle stammt, bekräftigte. Wenn die Vorgehensweise des – noch –vermeintlichen Verfälschers diesen Kurs beibehielte, dann könnte er davon ausgehen, dass das Neue Testament ein abgekartetes Spiel war. Er stellte im Vorfeld fest, dass der Bösewicht nicht nur die Texte verändert, Satz- und Wortelemente unterschlagen und mit anderen ergänzt hatte, sondern außerdem Kapitel aus den Originalschriften untereinander gemischt, authentische Wortelemente übernommen, und daraus eine neue Scheinweisheit verfasst hatte. Carlucci vermutete in Anbetracht dessen, dass sämtliche authentischen Evangelien aus dem Weg geräumt worden waren, dass diese Vorgehensweise des Verfälschers eine Art „Flucht nach vorn“ gewesen war und es bei solchen, die daher das wahre Evangelium vom Hören Sagen noch kannten, keine Skepsis, sondern eine Art Déjà-vu auslösen sollte.

Die angestrebte Kombination der Kapitel „Der unbarmherzige Knecht“ aus dem Matthäus-Evangelium und der „Verlorene Sohn“ aus dem Lukas-Evangelium wirft außerdem die Frage auf, ob es jemals ein Konzil zu Nicäa gegeben hat, schlussfolgerte er weiter.

Was Carlucci erst später im Laufe seiner Recherchen entdecken sollte, ist, dass die falsche Botschaft des Verschwörers nicht da aufhörte, wo sie aufzuhören schien, sondern der Betrüger auf eine anderen Verständnisebenen einen sowohl genialen, als auch einen zynischen und gemeinen, teilweise makabren Doppelsinn in seine verfassten Schriften als geheime Botschaft einschmuggelte, den nur die Eingeweihten des wahren Evangeliums, an die diese Botschaft adressiert war, verstehen konnten.

Carlucci hegte keine Zweifel daran, dass das Gleichnis des „Verlorenen Sohnes“ aus dem Essener Evangelium als Vorlage für das Gleichnis des „Verlorenen Sohnes“ in Lukas gedient hatte. Er wusste bereits, dass der Verfälscher nicht einfach so in der Luft fuchtelte, dass jeder Satz, jedes Wort, wenn auch noch so unscheinbar, peinlichst auf die Waagschale gelegt worden war und eine bewusste oder unbewusste Botschaft vermitteln sollte. Im Zusammenhang mit diesem Gleichnis gab es noch viele Fragen, die er in Ermangelung weiterer Erkenntnisse, noch nicht beantworten konnte:

Zum Beispiel:

1. Warum kommt der Verlorene Sohn in Lukas aus dem Ausland, während im Friedensevangelium davon nicht die Rede ist?

2. Wieso ist von der Gefangenschaft des Verlorenen Sohnes durch den Geldleiher in Lukas nicht die Rede, sondern von einem Dienstherrn, bei dem der Sohn hart arbeiten muss, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten?

3. Wieso tauscht Lukas das trockene Brot, das der Verlorene Sohn im Friedensevangelium als Nahrung bekommt mit Johannisschoten aus?

4. Warum unterschlägt Lukas das Erbe, das er von seinem Vater erhält, nach einem Leben in Gehorsam?

12 Ebenda, S. 29-34.

13 Ebenda, S. 30. 15

14 Ebenda, S. 30.

15 Ebenda.

16 Ebenda, S. 31.

17 Ebenda.

18 Ebenda.

19 Ebenda.

20 Ebenda.

21 Ebenda.

22 Ebenda, S. 31-32.

23 Ebenda, S. 32.

24 Das Evangelium der Essener: „Fragmente aus dem Essener Evangelium des Johannes“, S. 126.

Das Geheimnis des wahren Evangeliums - Band 1

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