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8 Prägende Umstände
ОглавлениеFakten. Einheiten. Systeme. Ziffern. Klammern. Amplituden. Für die mesokosmische Welt, in der wir leben und die sich zwischen dem Mikro – und Makrokosmos bewegt, ist das Diesseits leicht zu beweisen: Elemente, physikalische Gesetze, Schwerkraft und Kausalität. Begriffe, die wir messen können und die sich unserer Vorstellung nicht entziehen, prägen unsere Existenz. Und auch die verändert sich stetig.
Die Atmung ist ein beeindruckendes Beispiel. Sie entstand nicht durch das Würfeln, sondern durch den Anstieg der Sauerstoffkonzentration in unserer Atmosphäre. Wenn wir atmen, wenn das Blut Sauerstoff transportiert und unsere Zellen Wasser bilden, das wir dann über die Niere ausscheiden müssen, dann sind das letztendlich alles Adaptionsmechanismen, die sich am Erscheinen des Sauerstoffs orientierten – aber gleichzeitig die Evolution gewaltig anspornten. Die rote Farbe des Blutes, unsere Lungen und Nieren, das Herz und die Blutgefäße spiegeln das Erscheinen des Sauerstoffs wider. So wurde er schließlich zur Droge.
Auch die Erdrotation prägte unsere Zellen: Der Tag-Nacht-Rhythmus beeinflusste einst den Lebensrhythmus von Einzellern. Dieses Metronom des Daseins hat sich im Laufe der Evolution bis zum Homo sapiens erhalten und weiterentwickelt. Reptilien bilden ein eigenes Organ, mit dessen Hilfe sie ihre Zellen in den Nacht – oder Tagzustand führen, entsprechend der Sonneneinstrahlung. Dieses sogenannte Pinealorgan befindet sich am Kopf unter einer dünnen, durchsichtigen, knöchernen Membran, die das Licht hindurchlässt. Bei den Säugetieren entwickelte sich daraus die Epiphyse. Man weiß genau, in welchen Hirnarealen der Säuger – und damit auch des Menschen – der Tag-Nacht-Rhythmus sich materialisierte: Vor allem ist es der nucleus suprachiasmaticus, der Neuronen heranwachsen ließ, die die Erdrotation widerspiegeln. Während des Tages geben sie andere Signale ab als während der Nacht, wobei sich das Auge nur untergeordnet dazwischenschiebt. Der Rhythmus selbst ist in biochemische Reaktionen gegossen, durch die Rotation der Erde. Erstaunlich, nicht? Jene Gene, die unsere Zellen zum Tagwerk anregen, lassen gleichzeitig auch Substanzen wachsen, die, wenn sie eine gewisse Schwelle erreichen, eben diese Tagesgene wieder abschalten, die sie letztendlich hervorgebracht haben. Dadurch bleibt der Tagzyklus zirka 12 Stunden erhalten, um dann in eine biochemische Ruhephase überzugehen, in der auch die Hemmstoffe des Tages weniger werden, sodass nach weiteren 12 Stunden die Tagesgene erneut zu arbeiten beginnen. Ein tagtägliches Phänomen und Beispiel, wie sich Umwelt in unseren Genen widerspiegelt.
Das ist kein Zufall. Das ist Evolution.
Aber selbst so banale Konstanten wie die Höhe über dem Meeresspiegel und der Sauerstoffpartialdruck prägen uns und unsere Gene. In Tibet leben die Menschen auf rund 4.000 Meter Höhe, was auch die Gene registrierten. Steigen Menschen aus unseren Breiten auf 4.000 Meter hohe Berge, bilden sich zum Ausgleich für den geringeren Sauerstoffgehalt deutlich mehr rote Blutkörperchen. Allerdings mit einer Nebenwirkung: Das Blut wird dicker. Weil mehr Blutkörperchen in die Gefäße abgegeben werden. Dadurch sinkt die Durchblutung der feinen Kapillaren, man wird schwindlig, mitunter ohnmächtig.
Wie kürzlich zwei klinische Gelehrte entdeckten, haben sich bei den Tibetern immerhin 30 Gene derartig verändert, dass sie nicht mehr überschießend Blutkörperchen bilden, dadurch die Mikrozirkulation nicht verändern, aber trotzdem ausreichend Sauerstoff transportieren. Nach Meinung der Wissenschaftler war diese spiegelbildliche Umstellung und Anpassung in nicht einmal 3.000 Jahren passiert, was nach dem derzeitigen Wissensstand der schnellste bekannte evolutionäre Anpassungsschritt der Menschheit wäre. Ein Wimpernschlag in der Entwicklung. Bisher war nur ein anderer, allerdings länger zurückliegender Spiegelreflex auf die Umwelt bekannt: die Laktosetoleranz, die die Nordeuropäer innerhalb von 7.500 Jahren in die Lage versetzte, auch als Erwachsene Milch trinken zu können.
Das heißt, der Mensch verändert sich permanent. Er wächst, wird größer und intelligenter. Er steht auf der Schwelle zur nächsthöheren Stufe. Zum Homo novus, dem neuen Menschen. Einer, der versteht, wie man die letzten Puzzleteile des Lebens ins Spiel bringt und zu einem Gesamtbild formt.