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Schreien, Stillen, Schmusen: das Säuglingsalter

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Die Wissenschaft der Spiegelungen, mit deren Hilfe sich die äußere Welt nicht nur in unser Bewusstsein eingraviert, sondern sich auch in der DNA verewigt, geht bis in die 1990er-Jahre zurück. Zwei kanadische Forscher, beide kamen aus Montreal, kannten einander aber nicht, trafen sich zufällig in Madrid in einer Bar. Michael Meaney, Neurowissenschaftler am Douglas Mental Health Institute, und Moshe Szyf, Genetiker an der McGill University, der sich mit chemischen Veränderungen an der DNA befasst, die sich auf die Aktivität auswirken. Meaney nahm eine kräftigen Schluck von seinem Bier und erzählte von seinen Beobachtungen.

»Ich habe da etwas entdeckt. Junge Ratten sind viel stressresistenter, wenn sich ihre Mütter beim Stillen um sie kümmern.«

»Tatsächlich?«

»Ja, ich verrate dir die Details. Nehmen wir noch eine Runde, Moshe?«

»Sicher, Michael.«

Bei diesem Gespräch soll Moshe Szyf – so berichtet Craig Miller am 2. Juli 2010 im Fachmagazin Science – die Erleuchtung gekommen sein. Es lag nicht am Bier. Das muss etwas mit der Methylierung an der DNA zu tun haben, dachte er. Ein Mechanismus, den Szyf bislang nur an Stammzellen und an Krebsgeweben hatte beobachten können. Das stand im Widerspruch zur üblichen Meinung, dass sich Impressionen über Neuronen manifestieren. Diese Neuronen bilden bei entsprechenden Reizen mehr Synapsen, die dann umso leichter wieder bemüht und aktiviert werden können. 2004 publizierten beide in Nature Neuroscience einen Artikel, der zu den meistzitierten dieses wissenschaftlichen Journals zählt.

In ihm berichteten sie von einer Hormonuntersuchung, die sie an jungen Ratten vorgenommen hatten. An Nagern, die nach ihrer Geburt ausreichend gestillt wurden, und an einem zweiten Kollektiv, dem es nicht so gut ging. Wurden diese Tiere später mit Stresssituationen konfrontiert, schütteten die Ratten, denen in der Kindheit wenig Zuwendung zuteil geworden war, reichlich Cortisol, also Stresshormone, aus. Die Nebenniere, in der das Cortisol gebildet wurde, reagierte damit überschießend. Mit all den körperlichen Reaktionen, die ein hohes Maß an Stresshormonen mit sich bringt. Der Grund für diese massive Cortisolbildung bei den kindlich vernachlässigten Tieren: In bestimmten Bereichen des Hirns fehlten die Cortisolrezeptoren, die normalerweise die Stressreaktionen ausbalancieren. Durch die fehlende Zuwendung und das kümmerliche Stillen waren diese Rezeptoren methyliert – und damit außer Kraft gesetzt.

In der Folge erzielte eine zweite Publikation enormes Interesse: Studenten von Michael Meaney untersuchten das Östrogenrezeptorgen und seinen Methylierungszustand. Wurde den Labortieren nach ihrer Geburt der Zugang zum Stillen erschwert, dann besaßen sie auch im Erwachsenenalter einen methylierten Östrogenrezeptorgenabschnitt, der die Ablesung erschwerte. Und vor allem verhinderte, dass ein weiteres Hormon, Oxytocin, im Gehirn ausgeschüttet wird. Dieses Hormon regelt die Zuwendung und das Vertrauen – auch beim Menschen –, und es ist für das Stillen mitverantwortlich. Ratten, die kaum gestillt wurden, zeigten dadurch ein ähnliches Verhalten, wenn sie selbst Kinder zur Welt brachten.

Aber auch das Gen für den Brain Derived Nerve Growth Factor der Jungen wird hypermethyliert und inaktiv gesetzt, wenn Muttertiere während ihrer Schwangerschaft mit sozialem Stress konfrontiert sind. Das Methylierungsmuster bleibt später erhalten. Interessanterweise greifen bestimmte Psychopharmaka in den epigenetischen Code ein und acetylieren das Gen für den Brain Derived Nerve Growth Factor, wodurch sie es aus der Lethargie wieder herausholen und – schnipp! – aktivieren.

Während für die Verhaltensforscher die Epigenetik eine willkommene Erklärung für Phänomene darstellt, die sie beobachten, aber naturwissenschaftlich bis dato nicht zuordnen konnten, stehen Biochemiker und Molekularbiologen den epigenetischen Interpretationen noch abwartend bis skeptisch gegenüber. Timothy Bestor, ein Genetiker der Columbia University, meint, dass mehr naturwissenschaftliche Studien notwendig seien, um tatsächlich derartige verhaltensbiologische Schlüsse zu ziehen. Was man, so der Einwand, bei Einfachmechanismen wie der Hefe nachweisen kann, muss nicht zwangsläufig in der Komplexität des Gehirns stattfinden. Allerdings können selbst die kritischsten Molekularbiologen nicht leugnen, dass es Prägephänomene gibt, die den Menschen klinisch über Jahrzehnte begleiten. Die Suche nach dem Alphabet für diese Phänomene ist noch nicht abgeschlossen. Die Tendenz scheint in die Richtung zu gehen, dass epigenetische Mechanismen ihre Hand im Spiel haben.

Für den Geburtshelfer ist eines wichtig: Die Neugeborenen müssen von der Mutter liebkost und gestreichelt werden. Das prägt sie ein Leben lang und hilft, Stresssituationen mit Gelassenheit entgegenzutreten. Die ersten Lebensjahre sind das zweite epigenetische Fenster, währenddessen sich die Außenwelt im Kind niederschlägt, vor allem in der Zuneigung, die man dem Kind über taktile Reize entgegenbringt. Das Kind speichert sie und gibt sie später an die eigenen Kinder weiter.

Uns zeigt das etwas sehr Schönes. Liebe lässt sich vererben.

Baupläne der Schöpfung

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