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Die erste Querung

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Ich kann nicht einfach weiter geradeaus schwimmen, sondern muss um die Landzunge herum, auf der die Stadt Zadar liegt. Das bedeutet einen Kurswechsel um 90 Grad nach rechts, die Querung zur vorgelagerten Insel Pag und anschließend eine Passage, die zwischen der Südspitze von Pag und der Nordspitze der Landzunge hindurchführt. Beide, Südspitze wie Landzunge, laufen in mehrere Arme aus, weswegen es zwei Buchten mit etlichen kleineren Inseln zu durchschwimmen gilt. Die versprechen etwas Abwechslung, denn es gibt wenigstens etwas anderes zu sehen als tänzelnde Wellen. Am Ende der zweiten Bucht geht es bei der Insel Vir wieder links herum und längs der Südwestküste der Landzunge in Richtung Zadar.

Am späten Nachmittag des 5. Oktober wage ich die fünf Kilometer breite Überquerung des Kanals zwischen dem Festland und Pag. Sich allein kilometerweit von der sicheren Küste zu entfernen fühlt sich ohnehin schon ungut an. Es verstößt gegen jede Regel des sicheren Freiwasserschwimmens und gegen den gesunden Menschenverstand. Und hier bin ich auch noch zu spät aufgebrochen. Ich lege alle Kraft in meine Arme und arbeite mich mit langen Schwimmzügen voran, doch die Sonne ist schon versunken, und auch die Dämmerung geht viel zu schnell in die Nacht über. Als es ganz dunkel ist, bin ich noch schätzungsweise zwei Kilometer von der Küste entfernt.

Das ist ein furchtbares Gefühl. In stockfinsterer Nacht zu schwimmen liegt eindeutig außerhalb meiner Komfortzone. Wenn ich auf dem Rad bin, ist die Nacht kein besonders Problem – auf meiner Cape-to-Cape-Rekordfahrt war es sogar traumhaft schön, unter dem sternenübersäten Himmel durch die Sahara zu fahren. Im Meer ist die Dunkelheit einfach nur unheimlich. Nicht bloß, weil ich nicht mehr erkennen kann, wie weit das Land tatsächlich entfernt ist und ob ich überhaupt noch vorankomme. Ob ich gerade von einer Strömung abgetrieben werde. Auch die Tiefe unter mir fühlt sich abgründiger an als am Tag. Im Sonnenschein verlasse ich mich auf die Statistiken und habe vor Angriffen durch Meerestiere keine Angst, denn sie kommen einfach sehr selten vor. Aber die Dunkelheit ist eine andere Welt. Sie kümmert sich nicht um Statistiken. In dieser Welt scheint alles möglich. Namenlose Ungeheuer lauern da auf mich. Es fühlt sich definitiv so an, als ob ich nicht hier sein sollte.

Als ich endlich am Ufer ankomme, bin ich völlig fertig. Ohne Licht über die scharfkantigen Felsen unversehrt an Land zu kommen erfordert alle meine noch verbliebenen Kräfte. Über Pag tobt sich regelmäßig die gefürchtete Bora mit bis zu 200 km/h aus. Hier wächst kein Baum und kein Strauch. Einfach nur Steine. Der beste Schlafplatz, den ich auf der Insel finden kann, ist harter, unebener Boden hinter einer Trockensteinmauer. Nachts regnet es wieder, und mein einziger Schutz ist mein Notfall-Biwaksack, den ich über mich ziehe. Eine grässliche Nacht. An Schlaf ist nicht zu denken. Wieder einmal.

Am nächsten Morgen herrscht wieder strahlender Sonnenschein. Ich schwimme unter der Brücke hindurch, die Pag an der engsten Stelle mit dem Festland verbindet, und steuere an der südöstlichen, etwas windgeschützten Inselseite die Ortschaft Vlašići an, wo ich aus dem Wasser klettere und einen geöffneten kleinen Supermarkt finde. Wahrscheinlich kaufen hier nicht so viele Leute im Neoprenanzug ein, dementsprechend groß werden die Augen des Ladeninhabers.

Das Limit bin nur ich

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