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Vom Abfall zum ArtefaktAbfallwird Artefakt

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Die Sammlung, die WinklerSammlerWinkler als S. auf seiner persönlichen Website der Welt vorstellt, ist Teil des – in der Mitte der 1990er Jahre eingetretenen – Wandels vom Sammeln zum Ausstellen der Objekte. 1994 gab HartwigSammlerHartwig als S.Hartwig, Jürgen, der seine Sammlererfahrungen mit früheren Ostdeutschen teilen wollte, der Hoffnung Ausdruck, »daß ein solches Museum, das die Geschichte und Alltagskultur dokumentiert, später einmal großes Interesse erlangen könnte«.1 Um diese Zeit begannen Sammler nach permanenten Ausstellungsorten für ihre Materialien zu suchen. Vielerorts entstanden private Museen – in Kellern, Garagen, Wohnungen, Baracken und ehemaligen Fabriken. Ohne Zugang zu öffentlichen Geldern waren sie zumeist als gemeinnützige Vereine organisiert, was ihnen ermöglichte, durch Mitgliederbeiträge, Zuwendungen und Eintrittsgebühren die nötigen Finanzmittel aufzubringen. Um ihre eigenen Sammlungen zu erweitern, riefen sie öffentlich zu Spenden weiterer Exponate auf. Um das Jahr 2000 gab es ungefähr zwei Dutzend Privatmuseen über das AlltagslebenAlltagslebenprivate Museen über das A. in der DDRAlltagslebenin der DDR.2


Standorte von DDR-AlltagsmuseenMuseenAusbreitung.

Zu den Museen der ersten Stunde gehörte das »Offene Depot«, das zum Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDRDokumentationszentrum Alltagskultur der DDR in EisenhüttenstadtEisenhüttenstadt wurde und seinen Ursprung einer kurzzeitigen Zusammenarbeit zwischen dem nicht sehr systematisch vorgehenden HartwigHartwig, Jürgen und dem aus Westberlin stammenden wissenschaftlichen Kurator Andreas LudwigLudwig, Andreas verdankte.3 Hartwig und Ludwig waren beide von der Idee eines Museums über den sozialistischen AlltagAlltagslebenim Sozialismus fasziniert. Ludwig schlug die Gründung eines Vereins vor, um Gelder für ein künftiges Museum in der ersten sozialistischen Musterstadt EisenhüttenstadtEisenhüttenstadt zu sammeln. Bald darauf trafen sich im Frühjahr 1994 zwei Dutzend Enthusiasten in dem Alt-Berliner Gasthaus Mutter Hoppe, um den Verein zur Dokumentation der DDR-AlltagskulturVerein zur Dokumentation der DDR-Alltagskultur ins Leben zu rufen. Die Organisation war chaotisch, was zu Klagen und Aufrufen zu mehr Professionalität bei den Sammlern Anlass gab: »Bitte mit Angabe und Datum, sonst wertlos!«, lautete ein Appell an die Vereinsmitglieder. Ein früher Versuch, eine AusstellungMuseenAusstellungen zu organisieren, war ebenfalls chaotisch und veranlasste HartwigSammlerHartwig als S.Hartwig, Jürgen, die Mitglieder zu rügen: »Unsere Sammler sollten demnächst zugesandte Einladungen zu konkreten Vorgesprächen nicht unbeachtet lassen und die Termine unbedingt wahrzunehmen versuchen.«4 1998 konnte Ludwig den Dilettantismus des Vereins nicht länger ertragen, er schied aus und gründete sein eigenes Museum, das Dokumentationszentrum für die Alltagskultur der DDRDokumentationszentrum Alltagskultur der DDR, das viel beachtete, professionell kuratierte Ausstellungen veranstaltete, bis ihm 2012 die finanziellen Mittel entzogen wurden.


Rundbrief des Vereins zur Dokumentation der DDR-AlltagskulturVerein zur Dokumentation der DDR-Alltagskultur. Frühe Ausgaben des Rundbriefs aus dem Jahr 1996.

LudwigsLudwig, Andreas Museum war jedoch eine hart erkämpfte, professionell kuratierte Insel in einem plötzlich größer werdenden Meer von AmateurmuseenMuseenAmateurmuseen. Ein typischeres Beispiel für ein Amateurmuseum ist das DDR-Museum PirnaMuseum Pirna, dessen Gründer Conny KadenKaden, Conny 1993 mit dem Sammeln von Münzen begann und ein paar Jahre später feststellte, dass seine 50 Quadratmeter kleine Wohnung einem Museum ähnelte – »Überall standen Rundfunkgeräte, Spielzeug, Orden und Auszeichnungen in und auf den Schränken. Die Bücherregale waren mit DDR-Bildbänden, Kinderliteratur sowie Büchern über die Volkspolizei, der NVA u. a. Literatur der DDR gestapelt. An den Wänden in Flur und Küche hingen DDR- und Pionierfahnen und unsere ehemaligen Politiker lächelten mich jeden Morgen an.«5 2004 eröffnete er das Museum, das heute 2000 Quadratmeter in einer früheren Militärbaracke einnimmt. Die meisten Museen sind, wie die von KadenKaden, Conny oder WinklerSammlerWinkler als S., eine Art persönliches Heiligtum, deren meist charismatische Leiter nach der Schließung des Museums nicht recht wissen, was aus den Exponaten werden soll.6 Diese Museen im Stil eines Heiligtums sind im wahrsten Sinne des Wortes vorübergehend, und ihre Existenz ist an die Biographie und das Lebensalter ihrer Gründer geknüpft, die fast alle während des Kalten Krieges aufwuchsen und eine intuitive und intime Beziehung zu den AusstellungsobjektenIntimitätdurch ObjekteMuseenAusstellungsobjekte haben. Insgesamt gesehen repräsentieren diese Museen generationen- und epochenspezifische ErinnerungenMuseengenerationen- und epochenspezifische Erinnerungen, welche die Art von »Wir-Identität« ausmachen, die oftmals mit dem nationalen politischen Gedächtnis verbunden ist.7

Häufig führen selbst angefertigte Schilder die Besucher zu den meist etwas abseits gelegenen Museen. Fast alle heißen die Besucher bei ihrer »Rückkehr« in die DDR willkommen und kombinieren den alten Tropus des Museums als Reiseersatz mit Bildern der DDR-GrenzeMuseenErlebnis der realen DDR. In dem Museum am Stadtrand von Perleberg z. B. wird man von der Halbtagskraft hinter dem Schalter mit der Immigranten gestellten Frage begrüßt: »Möchten Sie einreisen?«, und für drei Euro erhält man ein fingiertes Visum als Eintrittskarte. Im Mittelpunkt all dieser Museen stehen überwiegend Haushalts- und Konsumartikel, welche die Ästhetik des AlltagsAlltagslebenÄsthetik in den Vordergrund stellen. Sammlungen von Kleidungsstücken, Reinigungsmitteln, Flaschen, Bandagen, Mixern, Radio- und Fernsehgeräten konkurrieren mit Puddingpulverpäckchen und Toastern. Neben Nähmaschinen finden sich Schulbücher, Spielzeugsoldaten und Plüschtiere. Seife, Telefone und Wecker sind neben explizit politischen ErinnerungenErinnerung/GedächtnisDarstellung in Museen wie Fahnen, Abzeichen und alten Ausweisen von Massenorganisationen wie der Freien Deutschen Jugend ausgestellt. Der berühmte ostdeutsche Eierbecher aus Plastik ist allgegenwärtig, und beinahe alle Museen zeigen den Nachbau eines Konsums, eines LebensmittelgeschäftsKonsum (Lebensmittelgeschäft), das oft sehr viel reichhaltiger bestückt ist, als es in der Realität je der Fall war.8


Eintrittskarte für das Museum ZeitreiseMuseum Zeitreise. Das Ticket ist in Form eines DDR-Einreisevisums gestaltet. 2009.


Flyer des DDR-Museums KampehlMuseum Kampehl. 2009.

Die Sammlungen stehen unter bestimmten Themen und werden durch einige Dioramen ergänzt. Die Räume oder Wände sind Objektgattungen (Uhren, Spielsachen, Schreibmaschinen usw.) oder Lebenssituationen (Schule, Wohnen, Ferien) gewidmet. Die Exponate sind mehr oder weniger geordnet, manchmal beschriftet, meist aber nicht; mal sind sie durch Glasscheiben geschützt, mal sollen sie aber auch ausdrücklich berührt und in die Hand genommen werden. Die Dioramen reichen von Kitsch bis zu seriösen Nachbauten, wie z. B. in Apolda, wo Schaufensterpuppen das eingefrorene Bild eines akribisch kopierten Klassenzimmers oder einer Zahnarztpraxis komplettieren. Das graue Bild der DDR konterkarierend, sind die AusstellungenMuseenAusstellungen bunt und anheimelnd, wie etwa das detailgenaue Diorama der 1960er Jahre in Wittenberg: Auf dem Tisch liegen eine Tafel Schokolade und Kekse, es gibt einen Stempke-Staubsauger, eine selbstgebastelte Antenne für den Empfang von Westfernsehen und Igelit-Lampen, die die Bücher in den in Modulbauweise gefertigten Regalen beleuchten.

Fast alle Museen legen den Schwerpunkt auf Quantität, wobei die mit Radios, Uhren und Kinderwagen vollgestopften Räume oder die überaus reichlich ausgestatteten Konsum-LädenKonsum (Lebensmittelgeschäft) dem Bild der DDR als einem kleinen, durch MangelwirtschaftWirtschaft/ÖkonomieMangelwirtschaft gekennzeichneten Staat widersprechen und den Eindruck von Üppigkeit und Fülle vermittelnMuseenErlebnis der realen DDR. Während einige Ausstellungen Kultobjekte aus den 50er und 60er Jahren, so wie Nierentische oder klobige Radios, in den Mittelpunkt stellen, stammen die meisten Objekte aus den 70er und 80er Jahren. Sie spiegeln die Steigerung der Massenproduktion, die mit den – letztlich erfolglosen – politischen Reformen einherging und auf die Konsumbedürfnisse der Bürger besser eingehen sollte.9 Und so wie das kommerziell erfolgreiche DDR Museum in Berlin mit seinem Motto »Geschichte zum Anfassen«BerührungGeschichte zum Anfassen betonen die meisten Privatmuseen ebenfalls das interaktive ErlebnisMuseeninteraktives Erleben. Die Bandbreite reicht hier vom In-die-Hand-Nehmen und Berühren der Exponate über Vorträge und Diskussionen bis hin zu organisierten Partys und Events, wie etwa die – vom Museum in TutowMuseum Tutow angebotene – sechseinhalbstündige Tour, darin eingeschlossen ein vollständiges DDR-Menü, ein Kabarett, ein Quiz über das Alltagsleben und eine Preisverleihung, durchgeführt durch »den Genossen Krause«.10


Fernsehapparate im DDR-Geschichtsmuseum in PerlebergMuseum PerlebergAusstellungen. Manche zeigen Videoloops des DDR-Fernsehens. Dieser Ausstellungsstil – man zeigt zahlreiche Artikel desselben Typs, wie etwa Radios, Kameras und Uhren – ist in den meisten AmateurmuseenMuseenAmateurmuseen über die DDR anzutreffen. 2010.


Lebensmittelgeschäft mit prall gefüllten Regalen. Ein gut bestückter KonsumKonsum (Lebensmittelgeschäft) im DDR-Geschichtsmuseum in PerlebergMuseum PerlebergAusstellungen. Fast alle Museen verfügen über einen Lebensmittelladen, der gewöhnlich ein größeres Artikelsortiment aufweist, als es in einem typischen DDR-Laden je der Fall war. 2010.

Die Museen sind nur mäßig gelungen. Bei manchen handelt es sich um planlose Sammlungen auf engstem Raum, bei anderen um mehrstöckige Zentren der lokalen Tourismusindustrie. Bislang haben sich über 120 000 Besucher die Nachbauten der Zahnarztpraxis, des Klassenzimmers und der Küche in ApoldaMuseum Apolda (Museumsbaracke Olle DDR) angesehen, und über 50 000 Besucher pro Jahr pilgern zum Museum ZeitreiseMuseum Zeitreise in Radebeul unweit von Dresden. Mit seinen 500 000 Besuchern pro Jahr lässt jedoch das DDR Museum Berlin alle anderen weit hinter sich.11 Alle diese Museen bezeichnen es als ihre Hauptaufgabe, das Leben so zu zeigen, »wie es wirklich war«. Sie wollen Menschen, die sich, weil sie zu jung sind, nicht an die DDR erinnernErinnerung/Gedächtnisan die DDR können, mit Informationen versorgen und der älteren Generation die Erfahrung einer Identitätsbestätigung bieten. Wie aus zwanglosen Gesprächen und den zahlreichen Gästebucheinträgen zu erschließen – »das Museum weckt ErinnerungenErinnerung/GedächtnisDarstellung in Museen an unsere Kindheit« ist dafür ein typisches Beispiel –, weiß das anvisierte Publikum die Reise in die Vergangenheit überaus zu schätzen.

Die Spuren der DDR

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