Читать книгу Die Spuren der DDR - Jonathan Bach - Страница 15

ErinnerungswertErinnerung/GedächtnisWert und E. und die AuthentizitätsstrategienAuthentizitätErinnerungswert und A.AuthentizitätWert der A.

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Natürlich ist es genau dieser rhetorische und museale Ansatz, der die professionellen Historiker und Kuratoren in den Wahnsinn treibt. Mir sind zahlreiche gegenseitige Schuldzuweisungen begegnet: Historiker und Kuratoren kritisieren den unverblümt unkritischen Umgang mit der Vergangenheit, der, wie sie befürchten, die Gefahr der VerharmlosungDiktaturVerharmlosungVerharmlosung in sich birgt, ungeachtet der jeweiligen Absichten. Direktoren und Förderer von AmateurmuseenMuseenAmateurmuseen sehen ein ebenso falsches Bewusstsein am Werk, wobei ihnen in ihrer Kritik entgeht, dass sie selbst in konservativen politischen Narrativen verfangen sind und dass dies eine angemessene Würdigung der »gelebten Erfahrung« verhindert. Manchmal geben beide Seiten widerwillig zu, dass die Perspektive der jeweils anderen durchaus berechtigt ist. Bisweilen aber nähert sich der Diskurs dem, was Jan-Werner MüllerMüller, Jan-Werner in einem Aufsatz über ähnliche Debatten in der Zunft der Historiker einmal beschrieben hat als »eine zutiefst hilflose, provinzielle und theoretisch armselige Polarisierung von Positionen«.1

Aufschlussreicher ist ein genauerer Blick darauf, wie die Amateurmuseen die materielle Alltagskulturmaterielle KulturEinblick in die Funktionsweisen des Alltags nutzen, um die Legitimität ihrer Darstellung der Vergangenheit implizit unter Beweis zu stellen. Die wachsende Zahl von AmateurmuseenMuseenAmateurmuseen zum AlltagslebenAlltagslebenprivate Museen über das A. im SozialismusAlltagslebenim Sozialismus und das anhaltende Publikumsinteresse verweisen auf einen gewissen Erfolg in der Ökologie der deutschen Erinnerungs- und MuseumslandschaftErinnerung/GedächtnisDarstellung in MuseenMuseenals Erfolg, unabhängig davon, was man von diesem Phänomen hält. Man kann jedoch nicht einfach davon ausgehen, dass diese Orte einen irgendwie natürlichen Ursprung hatten oder ohne Mühen entstanden sind. Die Museen mussten vielmehr ihr Zielpublikum (ehemalige DDR-Bürger und deren Kinder sowie neugierige Besucher aus dem Westen und dem Ausland) davon überzeugen, dass die Exponate gewissermaßen objektive Informationen transportieren und deshalb legitime Ausdrucksmittel für die Begegnung mit der VergangenheitBegegnungmit der Vergangenheit darstellen. Mit anderen Worten: Sie mussten Objekte rehabilitieren, die zunächst allgemein verunglimpft wurden und es angeblich nicht wert waren, dass man sich an sie erinnerte, oder die in anderer Hinsicht als banal galten. Diese Objekte mussten mit dem versehen werden, was wir im Anschluss an Nikolai VukovVukov, Nikolai – im Unterschied zum historischen oder kommerziellen Wert – als »Erinnerungswert«AuthentizitätWert der A.Erinnerungswert bezeichnen können.2 Wie haben die Museen dies geschafft?

Die Antipathie zwischen den Amateuren und Profis ist tendenziell Teil des üblichen Kampfes zwischen Erinnern und VergessenVergessenErinnerung/GedächtnisKampf zwischen E. und Vergessen, wobei das Erinnern ein normatives Schlachtfeld darstellt. Für VukovVukov, Nikolai jedoch unterscheidet sich der »Kampf zwischen Erinnerung und Präsentation« (ein von ihm eingeführter Begriff) von dem zwischen Erinnern und Vergessen. Statt um die Interpretation einer bereits anerkannten Historie zu ringen, geht es jetzt um das Konzept des »Nicht-Erinnerungswürdigen«Erinnerung/GedächtnisNicht-Erinnerungswürdiges als Wertekategorie, das das »Schlachtfeld« zwischen Erinnerung und Präsentation ausmacht. Das Nicht-Erinnerungswürdige bezieht sich auf einer Stufe auf die alltäglichen – also banalen – Aspekte des Lebens, doch der Begriff verweist auch auf Konflikte hinsichtlich der »Erinnerungswürdigkeit«. Anders als die Verdrängung von Erinnerungen infolge eines TraumasErinnerung/GedächtnisTrauma und Verdrängung ist das Nicht-Erinnerungswürdige eine WertekategorieErinnerung/GedächtnisNicht-Erinnerungswürdiges als Wertekategorie.3 Wenn sie versuchen, die DDR so darzustellen, wie sie »wirklich« warMuseenErlebnis der realen DDR, sind die AmateurmuseenMuseenAmateurmuseen daher mit einer allgemeinen – die Präsentation betreffenden – Herausforderung konfrontiert: Wie wird das Nicht-Erinnerungswürdige erinnerungswürdig, d. h., wie wird die Erinnerung zu einem WertErinnerung/GedächtnisWert und E.Wertdas Nicht-Erinnerungswürdige, Erinnerung und W. oder wie ihres Wertes beraubt? Wie wird der Wert durch die Darstellung des Alltags geschaffen, besonders wenn jene Vergangenheit den Alltag betrifft?

Dafür sind die Authentizitätsstrategien der Museen ein wichtiges MittelAuthentizitätals Instrument für die Präsentation des Nicht-Erinnerungswürdigen. Bei der Präsentation der Exponate weisen professionelle Museen der Authentizität eine zentrale Rolle zuAuthentizitätvon Museen, indem sie auf Praktiken der Authentifizierung zurückgreifen (d. h. Zertifizierungen, Katalogisierungen, Erläuterungen usw.). Im Gegensatz dazu erheben die privaten Museen Anspruch auf Authentizität nicht dadurch, dass sie sich auf Provenienz oder Experteninterpretation berufen, sondern indem sie die Objekte in einen informellen und zugegebenermaßen apolitischen KontextApolitische Räumeals Ausdruck von Authentizität zurückbetten. In den Amateurmuseen wird die Authentizität zum Instrument, um das Leben zu zeigen, »wie es wirklich war«, zur Hauptstrategie für die Präsentation des Nicht-ErinnerungswürdigenAuthentizitätals Instrument für die Präsentation des Nicht-ErinnerungswürdigenMuseenPräsentation nicht-erinnerungswürdiger Objekte. Mehr als jedes andere Element verleiht die Aura der AuthentizitätAurader Authentizität den Museen ihren ReizAuravon Museen und zieht die Besucher an. Die Authentizität fungiert als eine Form des VertrauensAuthentizitätals Vertrauen, das dazu führt, dass die Menschen den Objekten unbefangen begegnenObjekteAuthentizität und Vertrauen, von den beruhigend amateurhaften, eher hausbackenen AusstellungenMuseenAusstellungen bis hin zum raffiniert konzipierten DDR Museum in Berlin, dessen wissenschaftlicher Leiter es mir gegenüber einmal so auf den Punkt brachte: »Wir inszenieren Authentizität.«4 Laut der Aussage des Direktors eines Provinzmuseums lassen die Leute seiner Ausstellung Schenkungen zukommen, weil sie ihm persönlich vertrauen, und sie gehen ins Museum, weil sie auf die Authentizität der ObjekteAuthentizitätObjekte, Alltagsleben und A. und auf den nicht wertenden Kontext ihrer Präsentation vertrauen können.5

Da die Objekte neben ihrer Aura der VertrautheitAurader Vertrautheit auch das ideologische Vermächtnis zum Ausdruck bringen, gewinnen sie das Vertrauen des Betrachters zunächst dadurch, dass sie in ein Narrativ eingebettet sind, das die Objekte angeblich aus dem Bereich der Politik entfernt. Da die Alltäglichkeit der Objekte zum Signifikanten der Authentizität wirdAuthentizitätObjekte, Alltagsleben und A., haben die MuseenAuthentizitätvon Museen ein zwingendes Interesse daran, die Objekte von der IdeologieSozialismusIdeologie abzukoppeln – das genaue Gegenteil von dem, was SabrowSabrow, Martin und die meisten Kritiker für verantwortbar haltenDDR Museum BerlinKritik Sabrows. Politische Neutralität mag zwar, wie Sabrow erklärt, unmöglich sein, doch geht es, wie wir gesehen haben, zahlreichen Museen genau darum. Die Botschaft der Museen lautet, dass andere (d. h. staatlich geförderte) MuseenMuseenstaatlich unterstützt aufgrund ihrer Verbindung mit dem Staat »politisch« und deshalb nicht »authentisch« seien. Authentizität drückt sich nicht (wie in einem konventionellen Museum) in der Treue zu den Objekten aus, sondern darin, dass der Raum als apolitischRaumapolitischer R. oder, genauer, als antipolitisch präsentiert wird. Zwar fehlen politische Objekte als solche in den AusstellungenMuseenAusstellungen nicht gänzlich, doch dienen sie häufig nur als Hintergrund: Manchmal schaffen sie, etwa mit Transparenten, LiedernMuseengespielte Lieder und Zeitungsschlagzeilen, eine bestimmte Atmosphäre, manchmal bilden sie, z. B. anhand von Bildern von Massenkundgebungen, den Kontrapunkt zu der antipolitischen Nischengesellschaft des Alltags, oder aber sie illustrieren – wenn beispielsweise Anstecknadeln oder Preise der Jungen Pioniere oder der Freien Deutschen Jugend ausgestellt werden – eine Ausdehnung der Politik auf das Alltagsleben.

Aufgrund dieses antipolitischen Kontextes können die Objekte selbst eine besondere Rolle beim Nachweis der Authentizität spielen. Oder vielleicht genauer gesagt, die ObjekteObjekteantipolitische O. werden so präsentiert, als sprächen sie für sich selbst – sie sind gleichsam Träger der Objektivität. Ironischerweise sprechen sie für sich selbst, indem sie für andere sprechen: für andere Personen einer vergangenen Epoche, aber auch für andere Objekte. Ihre Authentizität wird nicht dadurch bestätigt, dass sie von Experten beglaubigt wird, sondern durch ihre Vertrautheit für die Betrachter und durch einen gewissen gesunden Menschenverstand, der weiß, dass es ein Übermaß an Objekten gibt, weshalb offensichtlich jedes gezeigte Objekt repräsentativ ist für eine ganze Klasse von ObjektenAuthentizitätObjekte, Alltagsleben und A. »draußen«. Das ist beruhigend – die Zahlen verleihen Sicherheit. Rasch sind die Besucher von der Masse der Museumsexponate beeindruckt, die, wie die Direktoren eifrig versichern, doch nur einen Bruchteil von dem darstellen, was sie in Garagen, Scheunen, Kellern und Lagerhallen deponiert haben. Die Zahlen sind ein wichtiger Teil der Authentizitätsstrategie: So preist das Museum in ApoldaMuseum Apolda (Museumsbaracke Olle DDR) voller Stolz über 12 000 Objekte an, als ob es damit sowohl über das Ausmaß der verlorenen Vergangenheit als auch über die Vollständigkeit der Sammlung, mithin ihre AuthentizitätAuthentizitätBedeutung der Quantität für die A., Auskunft geben könnte.6

Die schiere Masse an überschüssigen und ephemeren Produkten aus der DDRDeutsche Demokratische Republik (DDR)Produkte kann somit den Objekten den Status eines Originals verleihenÜberschussverleiht Objekten den Status eines Originals, selbst wenn – oder eben weil – sich ihre Provenienz nicht systematisch überprüfen lässt. Das mag für die materielle Kultur einer Gesellschaft angehen, in der die Kollektivierung eine effiziente MassenproduktionSammelnmaterielle Kultur und Massenproduktion gewährleistete, der individuelle Geschmack den gesellschaftlichen Normen untergeordnet war und die materielle Welt das Individuum an die Masse angleichen sollte. So wird ein Objekt nicht wegen seiner Einzigartigkeit ausgestellt, sondern weil es auf alle anderen Objekte desselben Typs verweist. Hier ist der häufig »unprofessionelle« Ausstellungsstil – Wände mit Fernsehapparaten oder Reihen von Nähmaschinen, was man als Stapel-Ästhetik bezeichnen könnte – von Bedeutung, weil er die Originalität des Objekts herunterspielt und es in eine geballte Version des DDR-Alltags einfügt, in dem die Menschen diesen Objekten auch in allen anderen Wohnungen oder Büros zu begegnen pflegten.


Stereoanlagen und Tonbandgeräte im Museum ZeitreiseMuseum Zeitreise, Radebeul. In einem anderen Raum können die Besucher ausgewählte Tondokumente anhören. 2009.

Auf diese Weise wirken die Objekte typisch und scheinen, ohne an Authentizität zu verlierenAuthentizitätObjekte, Alltagsleben und A., mit ihren tatsächlichen Besitzern oder mit persönlichen Geschichten nichts zu tun zu haben. Die präsentierten Objekte sind fast niemals mit einem besonderen Narrativ verbunden, und bei ihrer AusstellungMuseenAusstellungen geht es weniger darum, den Bezug zu der persönlichen Geschichte eines anderen herzustellen, als darum, im Betrachter Erinnerungen an die eigene Geschichte zu wecken oder ihn zu veranlassen, Fragen an andere zu stellen (so wie Kinder ihre Eltern fragen). Daher sind die Museen eher autor- als »zeugenzentriert«, stützen sich nicht auf gefilmte Interviews oder Dokumentationen und nur gelegentlich – falls vorhanden – auf Kommentare von Mitarbeitern, die in der DDR lebten. Beim Umherschlendern durch die Massen an authentischen Objekten müssen die Besucher ihre eigenen Narrative entwickeln, eine Form der – die SelbstheilungSelbstSelbstheilung begleitenden – Selbst-Erzählung.

Auf unterschiedliche Weise gilt dies sowohl für Westler als auch für Ostler. Da die Objekte im Allgemeinen nicht näher erläutert werden, bekommen sie eine auratische AuraAuravon Museen und lassen sich daher von östlichen und westlichen Betrachtern unterschiedlich deuten. Vor dem Hintergrund ungleicher Erfahrungen können Besucher aus dem Osten und Westen gleichermaßen verkünden »Meine Mutter hat das gehabt!« oder »Das habe ich beim Besuch meiner Verwandten gesehen.« Diese parallelen Narrative werden durch die zahlreichen filmähnlichen Dioramen unbeabsichtigt erzeugt, welche die Objekte fast so herausstellen, als seien sie archaische Werbungen für eine gemeinsame NachkriegsmoderneModernitätNachkriegsmoderne. Und manchmal wirkt diese Nachkriegsmoderne eher wie ein gemeinsames ErbeErbe (inheritance)Nachkriegsmodernität als E. denn wie eine weit zurückliegende Teilung, so wie in diesem Eintrag im Gästebuch des Museums in Langenweddingen (in originaler Schreibweise):

am wochenende zum tag der deutschen einheit [3. Oktober] haben wir uns voller neugier auf den weg nach langenweddingen gemacht. dank der info aus der tagespresse sind wir auf ihr museum aufmerksam geworden. trotz des schönen wetters haben wir uns nach drinnen begeben + es nicht bereut! unsere neugierde wurde vollends gestillt. es gab so manches staunende sich-erinnern + gekichere, ungläubiges kopfschütteln + wiedererkennen, gemurmel wie »das hatten wir auch« + immer wieder ausrufe wie z. b. »was für eine farblose verpackung!« oder »so viel aus plaste!«.

wir fanden es gut + irgendwie auch lustig, all die dinge erneut zu entdecken. umso mehr erfreut man sich vielleicht heute an den uns umgebenden farbintensiveren dingen + kann rückblickend schmunzeln oder auch staunen.

wir – das sind eine magdeburgerin [Osten] + ein hannoveraner [Westen], die sich erst dank der wende kennenlernen konnten! + die dinge, die der hannoveraner ebenfalls kannte (z. b. spielzeug), waren wohl dem damaligen zeitgeist geschuldet – trotz mauer!

so war dieser tag der deutschen einheit im doppelten sinne unser einheitstag, + wir konnten zusammen geschichte (wieder)erleben.7

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