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Die Politik und Antipolitik der ErinnerungAntipolitikder Erinnerung
ОглавлениеIm Jahr 2005 hatte, wie zu Beginn des Kapitels erwähnt, die Sabrow-ExpertenkommissionSabrow-Kommission stärker konzertierte Anstrengungen der Deutschen angemahnt und dazu aufgefordert, den sozialistischen AlltagAlltagslebenim Sozialismus ernster zu nehmen. Die AmateurmuseenMuseenAmateurmuseen entsprachen jedoch kaum dem, was den Experten vorschwebte. Ganz im Gegenteil: Der Empfehlung der Kommission lagen teilweise gerade solch »unkritische Sammlungen« des DDR-AlltagslebensAlltagslebenin der DDR zugrunde, welche die DiktaturDiktaturund Alltag auf gefährliche Weise zu verharmlosen schienen.1 SabrowSabrow, Martin ist weiterhin der in der Öffentlichkeit sichtbarste Vertreter der Forderung, den Alltag in das historische Bewusstsein zu integrieren, ist aber amateurhaften Versuchen gegenüber argwöhnisch. Bei einem Kolloquium anlässlich des zweiten Jahrestages des DDR Museums in Berlin nahm er vor seinen Gästen kein Blatt vor den Mund und äußerte seine Kritik, die von vielen professionellen Historikern und Kuratoren weithin geteilt wurde.
Während das DDR Museum in Berlin aufgrund seiner kommerziellen Ausrichtung, seines westlichen Gründers und seines Fachpersonals in gewisser Weise ein Sonderfall ist, betrifft der Kern von Sabrows KritikDDR Museum BerlinKritik Sabrows beinahe alle etwas rustikaleren AmateurmuseenMuseenAmateurmuseen.2 Der springende Punkt sei, wie er betonte, dass man in den Museen mit den Objekten nicht richtig umgehe, angefangen mit ihrer Aufnahme, Katalogisierung und Lagerung bis hin zu ihrer Präsentation. Ihn störte vor allem, dass die Exponate von den Besuchern angefasst werden durften. Darüber hinaus mangele es den AusstellungenMuseenAusstellungen an kritischer Distanz; sie stellten das Leben in der DDR zu positiv dar. Diese problematische positive Darstellung werde, wie er erklärt, noch dadurch verstärkt, dass das Museum ganz explizit den Fokus auf das emotionale ErlebenDeutsche Demokratische Republik (DDR)Erleben im Museum lege, was das Nachdenken verhindere und dazu führe, dass der Alltag von der DiktaturDiktaturund Alltag abgetrennt werde. Daher überschreite das Museum, indem es dafür sorge, dass die Besucher sich wohlfühlten, de facto die Grenze zum EntertainmentMuseenals Entertainment. All dies berge, so Sabrow, das hohe Risiko, die DDR-Vergangenheit zu verharmlosen und damit die Legitimität der Demokratie im vereinten DeutschlandBundesrepublik Deutschland (BRD)vereintes Deutschlanddemokratische Legitimität subtil zu untergraben. Das Museum, stellt SabrowSabrow, Martin abschließend fest, habe eine falsche »Aura« und müsse sich verändern, um kein dekontextualisierter »Jahrmarkt der Alltäglichkeiten« zu sein.3
Sabrows KritikDDR Museum BerlinKritik Sabrows erinnert an die allgemeinere Kritik an den Museen der Alltagskultur, wie sie von Gottfried KorffKorff, Gottfried vertreten wird: Während in der Vergangenheit der Alltag, das Erbe und die Pop-Kultur sinnvolle Museumsthemen gewesen seien, handele es sich bei ihnen heute »möglicherweise (um) eine falsche Strategie, weil sie die Aufforderung zur tendenziellen Entwertung nicht nur der Alltagskultur, sondern auch der Museumsarbeit darstellt […] Nicht nur die Hinwendung zu den Kleinwelten scheint [heute] erforderlich, sondern – vermehrt – die Erinnerung an die großen Strukturen, Fragen und Linien«.4 Die banalen subjektiven Erfahrungen des Alltagslebens mit seinen kleinen Freuden schienen dem übergreifenden Narrativ der DDRDeutsche Demokratische Republik (DDR)Narrativ nach der Wiedervereinigung als eines ungerechten, totalitären Systems zu widersprechen. Was vielleicht noch wichtiger ist: Alltagsobjekte operieren wie Kitsch, mit dem sie sich oft überschneiden. Wie der Kitsch steht der Alltag – besonders in den Händen von Nichtspezialisten – letztlich in Verdacht, emotionale Manipulationen vorzunehmen und dadurch das Urteilsvermögen zu trüben. Wenn die unzuverlässige subjektive Erinnerung die historischen Tatsachen ersetzt, führt dies, so befürchtet man, günstigstenfalls zu einer VerharmlosungVerharmlosung der DiktaturDiktaturVerharmlosung und ungünstigstenfalls zu deren Rechtfertigung. Ein – manchmal im Scherz, manchmal im Ernst geäußerter – Satz, den ich während meiner Recherchen von Historikern häufig gehört habe, war das Bonmot: »Der Augenzeuge ist der Feind des Historikers.«5
Wie nach Kritiken à la KorffKorff, Gottfried und SabrowDDR Museum BerlinKritik Sabrows zu urteilen, scheinen die AmateurmuseenMuseenAmateurmuseen im Allgemeinen ein gestörtes Verhältnis zur Geschichte zu haben (was Korff als »banale[r] Reliktbegier« auf Kosten der »großen Strukturen« bezeichnen würde); sie genügen kaum den Ansprüchen eines »Museums« und grenzen an eine Rechtfertigung der Diktatur. Ein solches Museum droht, wie SabrowsSabrow, Martin Bemerkung zu verstehen gibt, einen Besucher um das »Recht auf eine kritische historische Selbstbestimmung« zu bringen, indem es den Betrachter überfordert oder persönliche Erinnerungen widerspiegelt, anstatt ihm die vielfältigen Perspektiven einer freidenkenden Gesellschaft vor Augen zu stellen. Bei den anscheinend harmlosen Massen von Plastikeierbechern, Mitropa-Menüs, Anbaumöbeln, Kameras und Kinderspielzeug geht es also darum, dass der Begriff »Museum«, wie Susan CraneCrane, Susan es einmal formulierte, seine »Glaubwürdigkeit […] als Erinnerungsinstitution« bewahren und eine demokratische Gesellschaft damit ihre professionellen und kritischen Standards aufrechterhalten kann.6
Angesichts einer solchen Kritik schütteln die Direktoren und Mitarbeiter der privaten Museen, mit denen ich gesprochen habe, meist nur müde mit dem Kopf. Sowohl öffentlich als auch privat bestreiten fast alle diese Museen jegliche Absicht, die Vergangenheit zu verherrlichen. Vielmehr wollen sie laut eigener Aussage die gelebte ErfahrungDeutsche Demokratische Republik (DDR)gelebte Erfahrung der Menschen würdigen. Im Allgemeinen wird der Begriff Ostalgie bei der Beschreibung der Museen vermiedenOstalgieVermeidung des Begriffs oder aber bewusst, sparsam und mit einem gewissen Vorbehalt verwendet. »Liebe Gäste«, lautet die Frage in einem offenen Brief des DDR-Museums in TutowMuseum Tutow, »ist es Ostalgie, wenn sich viele ehemalige DDR-Bürger, aus welchem Grund auch immer, nach den Aromen ihrer Kindheit sehnen?«7 Es sei, so die defensive Behauptung, nicht nostalgisch, wenn man das Leben, »wie es wirklich war«, objektiv zeige. Und »wirklich« bedeutet in den meisten Fällen, dass man das tut, was SabrowSabrow, Martin als Trennung des Alltags von der DiktaturDiktaturund Alltag verurteilen würde: So heißt es im Ausstellungskonzept des Radebeuler Museums ZeitreiseMuseum Zeitreise ganz offen, dass es hier um das »wirkliche Leben« gehe und »nicht um die schon vielfach vorhandene Darstellung der DDR und ihrer Unterdrückungsmechanismen«. In einem Interview mit mir betonte der Museumsdirektor nachdrücklich: »MfS [d. h. die Stasi] und Verfolgung sind nicht wichtig im Alltagsbereich.«8 Dieses Museum sieht also, so wie andere auch, seine Bedeutung darin, dass es Ergänzungen liefert oder das korrigiert, was manche Direktoren voller Bitterkeit als eine westliche, eigennützige, staatlich unterstützte »Dämonisierung« Ostdeutschlands bezeichneten.
Auf diese Weise versuchen die Museen, sich aktiv z. B. vom Zeitgeschichtlichen Forum LeipzigZeitgeschichtliches Forum LeipzigZeitgeschichtliches Forum Leipzigs. auch Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, HdG, einem Museum der BundesrepublikBundesrepublik Deutschland (BRD) (das anfangs von einem früheren ostdeutschen Dissidenten geleitet wurde), zu unterscheiden. Nach eigenen Angaben sieht dieses seine Aufgabe darin, »an die Geschichte von politischer Repressionstaatliche Repression, von Opposition sowie von Widerstand« zu erinnernMuseenBehandlung des WiderstandsWiderstandin Museen und »die friedliche Revolution vor dem Hintergrund der deutschen Teilung und des Alltagslebens in der kommunistischen Diktatur«Diktaturund AlltagAlltagslebenin der DDR zu zeigen.9 Sie unterscheiden sich auch von anderen Museen, die an die Teilung und Unterdrückung erinnern, auf etwa parallele Weise entstanden sind und häufig ebenfalls auf die Initiative von Privatpersonen oder bestimmter Gruppen zurückgehen. Ein Beispiel dafür ist der von ursprünglichen Bürgerrechtlern gegründete Verein Antistalinistische Aktion Berlin-Normannenstraße (ASTAK)Antistalinistische Aktion Berlin-Normannenstraße (ASTAK)ASTAKs. Antistalinistische Aktion Berlin-Normannenstraße, der 1990 ins Leben gerufen wurde, um die Zentrale und die Akten des Staatssicherheitsministeriums für die Nachwelt zu erhalten (Stasi-Museum)Ministerium für Staatssicherheit (Stasi)Erhaltung. Ähnlich wie die AmateurmuseenMuseenAmateurmuseen des AlltagslebensAlltagslebenprivate Museen über das A. geraten Gruppen wie diese oft in Konflikt mit der Bundesregierung hinsichtlich der Frage, wie die Erinnerung an die Unterdrückung in der DDR bewahrt und dargestellt werden solle.10 Die privaten Direktoren von Alltagsmuseen (die nicht alle aus dem Osten stammen) bestreiten nicht, dass es legitim sei, an Repressionstaatliche Repression und Widerstand zu erinnernMuseenBehandlung des WiderstandsWiderstandin Museen, und berücksichtigen diese Thematik in gewisser Weise auch in ihren AusstellungenMuseenAusstellungen, behaupten aber hartnäckig, dass eine in ihren Augen übermäßige Konzentration auf diese Bereiche die gelebte Erfahrung von Millionen von DDR-BürgernDeutsche Demokratische Republik (DDR)gelebte Erfahrung de facto verschweigt und dass ihre Museen ein notwendiges alternatives Narrativ zur Verfügung stellen. Ihre Museen, so bringen sie vor, korrigieren ein vermeintlich hegemoniales westliches Narrativ, welches das Leben der Ostdeutschen entwertet, indem diese einer Vergangenheit zugeordnet werden, in der das Leben entweder eine Lüge oder ein Verbrechen war.
Das ist ein hochpolitisches Terrain, doch anstatt sich mit der Politik zu befassen, bieten die Museen eine Art AntipolitikAntipolitikMuseen als Form der A. an und präsentieren sich selbst als Korrektiv zu einer allzu politisierten Umwelt. So werden die Objekte, sogar noch vor der Ankunft der Besucher, als unpolitisch und implizit vertrauenswürdiger eingestuft als Exponate in staatlich geförderten MuseenAuthentizitätObjekte, Alltagsleben und A.Museenstaatlich unterstützt. Wir wollen »erinnern – nicht provozieren«, lautet das präventive Motto des Museums in Langenweddingen. Ebenso wie andere zahlreiche AusstellungenMuseenAusstellungen oder Erwähnungen der Kindheit in den Museen weist die (oben zitierte) Feststellung des Museums in TutowMuseum Tutow, dass es völlig in Ordnung sei, sich nach den Aromen der Kindheit zu sehnen, einer gewissen Sehnsucht nach der Kindheit, wie Olga ShevchenkoShevchenko, Olga und Maya NadkarniNadkarni, Maya darlegen, die Rolle eines primären Tropus zu, durch den die Erinnerung apolitisch und daher »objektiver«Erinnerung/GedächtnisObjektivität wird.11
Solche apolitischen RäumeRaumapolitischer R. waren früheren DDR-Bürgern durchaus vertraut. Seit der sozialistischen ÄraSozialismusÄra des S. neigten sie zur Skepsis gegenüber allzu politischen oder staatlichen Stätten, so wie staatlichen MuseenMuseenstaatlich unterstützt oder der politischen Erziehung dienenden AusstellungenMuseenAusstellungen, die von der Regierung finanziert wurden. Das Ergebnis ist eine Mischung aus Abwehr und dilettantischem Stolz, so wie in dieser Besucherinformation des Museums Thale: »Soweit es möglich war, haben wir uns bemüht eine neutrale Betrachtungsmöglichkeit zu schaffen. Aber ALLES liegt im Auge des Betrachters! […] Doch wir sind kein wissenschaftlich geführtes Museum und geben deshalb keine Garantie auf Vollständigkeit und Richtigkeit der Texte und Grafiken [, die der Ausstellung beigegeben sind].« Mit unserer Ausstellung, erklärt das Museum in ApoldaMuseum Apolda (Museumsbaracke Olle DDR), »soll die Geschichte des DDR-Alltags illustriert werden, nicht mehr und nicht weniger.«12