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Die Ökonomie des schönen ScheinsWirtschaft/ÖkonomieÖkonomie des schönen Scheins
ОглавлениеDass westliche Güter plötzlich nicht mehr als echt, sondern als Fake wahrgenommen wurdenAuthentizitätvon GüternFälschungenWahrnehmung westlicher Güter als F., liegt zum Teil daran, dass die Ostdeutschen sich zu sehr wie ideale Verbraucher verhielten. Sie fielen auf die Werbung herein, und als sie verstanden, dass List und Tücke Teil der Werbung sind, fühlten sie sich zugleich betrogen und klüger. Aber natürlich beruht das gesamte Verpackungskonzept auf der Annahme, dass der Verbraucher leichtgläubig ist. Im Westen sind die Konsumenten einerseits geneigt, der verführerischen Werbung nachzugeben, und sind sich andererseits bewusst, dass der Packungsinhalt niemals dem Bild auf dem Cover entspricht. Die Ostdeutschen mussten jedoch einen bestimmten Lernprozess durchlaufen, um für ihre Konsumpraktiken die notwendige »kulturelle Kompetenz«kulturelle Kompetenz zu erwerben.1
Als die kulturelle Konsumkompetenz zunahm, wurden die ehemaligen Ostdeutschen rasch als Nischenmarkt institutionalisiert, und Marketingfirmen traten auf den Plan, um dem sich verändernden GeschmackGeschmackVeränderungen auf die Spur zu kommen. Hier traf die modernistische Nostalgie nach einer bestimmten Art der Sehnsuchtmodernistische Nostalgieals Sehnsucht im Sozialismus auf den Wunsch des westlichen Marktes nach Verbrauchern, die sich mit ihren Produkten in hohem Maße identifizieren. Die Definition von GeschmackGeschmackDefinition gilt seit langem als eine Form der IdentitätsbestimmungIdentitätGeschmack und Identitätsbestimmung, wodurch sie auch zur Grundlage für die Schaffung eines Nischenmarktes wird.2 Werbeslogans wie die oben diskutierten verwirklichen laut Conrad LayLay, Conrad den Traum eines Marketingfachmanns: Persönliche Biographien sind mit der Geschichte der Produkte untrennbar verbunden und machen es für westliche Firmen attraktiv, sich mit Erfolg einer Strategie zu bedienen, bei der man den ursprünglichen Markennamen beibehält, die Qualität des Produkts auf Westniveau anhebt und das äußere Erscheinungsbild nur behutsam modernisiert.3
Zahlreiche OstprodukteDeutsche Demokratische Republik (DDR)Produkte, die bei den Verbrauchern als authentischer gelten, befinden sich – der Gipfel der Ironie – vollständig im Besitz westlicher FirmenOstproduktewestliche Eigentümer. Dass es dazu kam, lag nicht nur an den Verbrauchervorstellungen von (wirklicher oder vermeintlicher) Qualität, sondern auch daran, dass die ostdeutschen Firmen auf dem neuen vereinigten Markt schlichtweg nicht konkurrenzfähig waren. Von ursprünglich ungefähr 700 Marken existierten im Jahr 2009 nur noch 120 (oder waren wieder neu auf dem Markt)OstprodukteMarken.4 Die mit der Privatisierung beauftragte bundesrepublikanische Treuhandgesellschaft zerschlug oder verkaufte die meisten der »volkseigenen« Firmen, die ostdeutsche KonsumgüterObjekteKonsumgüter herstellten, was dazu führte, dass die meistverkauften großen DDR-Marken heute überwiegend das Eigentum westlicher UnternehmenOstproduktewestliche Eigentümer sind, selbst wenn diese in manchen Fällen noch vor Ort produzieren. Juwel beispielsweise gehört Philip Morris, Club Cola wiederum einem in Hessen ansässigen Getränkeunternehmen; f6 ist eine Tochtergesellschaft von Philip Morris, der Produzentin von Juwel, und ein Beispiel für die symbiotische Beziehung zwischen der Nachfrage nach Ostprodukten und westlichem Marketing. Die Zigarettenmarke f6Marken(namen)Zigaretten ist, wie ihre Presseabteilung gutgelaunt erklärt, sogar ein Therapeutikum, denn sie »steht für das Gute und das Vertraute aus den vergangenen Tagen und hilft, die ostdeutsche IdentitätIdentitätostdeutsche I. selbstbewußt auszudrücken […] Die f6 steht nicht für falsch verstandenen Konservativismus, vielmehr wird durch diese Zigarette ein Stück ostdeutscher Kulturgeschichte repräsentiert, die inzwischen wieder einen bedeutenden Teil der Identitätsbildung der Bürger in den neuen Bundesländern ausmacht […] Obwohl Qualität und Herstellung entscheidend verbessert wurden, ist die f6 doch genau so geblieben, wie sie schon immer war: kräftig, stark und unverwechselbar würzig im Geschmack.«5
So geben die cleveren kritischen Werbeslogans für OstprodukteDeutsche Demokratische Republik (DDR)Produkte vor, den IdentitätsverlustIdentitätVerlust zu teilen, um ihre Marktanteile zu erhöhen. Der Osten erscheint als »genau derselbe«, aber »entscheidend verbessert«, eine Lagebeschreibung, die sich an jeden Verbraucher oder Bürger wendet, der eine Veränderung fürchtet, sich jedoch noch immer nach einem besseren Leben sehnt.
Zigaretten aus Sachsen. Die Nach-Wende-Reinkarnationen der in Sachsen hergestellten DDR-Zigarettenmarken Juwel, f6 und KaroMarken(namen)Zigaretten, nachdem sie von Philip Morris gekauft worden waren.
Die Konsumenten sind von diesen leicht durchschaubaren Taktiken westlicher Firmen in östlichem Gewand sowohl angezogen als auch abgestoßen. In einem Interview (1996) zeigte sich der Kulturkritiker Horst GroschoppGroschopp, Horst hinsichtlich der Zukunft von Ostprodukten skeptisch. Denn wer würde schon für eine Tube Chlorodont ein paar Kilometer weit fahren, fragte er sich und fügte hinzu: »Vielleicht ist dann in der Zahnpasta-Tube schon gar nicht mehr das alte Putzmittel drin und das Ganze nur ein Marketing-Trick […] das [sic] Ossi ist da sehr mißtrauisch geworden.« Beim Bier, sagte er, »wisse man’s ja inzwischen«, dass in Flaschen mit lokalen östlichen Etiketten Bier aus dem Westen sei, um dann seine Behauptung gleich wieder zu relativieren: »Jedenfalls geht das Gerücht um. Man weiß ja nie, was da stimmt […] und das prägt die Stimmung.«6
Dieser Verdacht, dass die Dinge anders sind, als sie scheinen – dein Bier ist nicht dein Bier, deine Zahnpasta nicht deine Zahnpasta, und vielleicht ist das auch besser so (»genau dasselbe«, aber »entscheidend verbessert«) –, ist symptomatisch für ein noch tieferes Misstrauen und eine noch größere Orientierungslosigkeit. Die dominante Gestalt des wiedervereinten DeutschlandBundesrepublik Deutschland (BRD) war der IMNach-Wende-Zeitinformeller Mitarbeiter als dominante GestaltIMs. Informelle Mitarbeiter (IM), die Abkürzung für den »informellen Mitarbeiter«Informelle Mitarbeiter (IM) im Dienst des StaatssicherheitsministeriumsMinisterium für Staatssicherheit (Stasi)s. Alltagsleben und Stasi, umgangssprachlich Stasi genannt. In der DDR war die Existenz des IM kein Geheimnis, doch erst als nach der Vereinigung die Akten der Staatssicherheit geöffnet wurden, zeigte sich das wahre Ausmaß. Freunde, Familie, Kollegen und Nachbarn hatten sich, wie jetzt schmerzlich klar war, in einer absurden Orgie vertraulicher Berichte gegenseitig bespitzelt, wobei manche aus Überzeugung gehandelt, andere wiederum falsche oder irreführende Informationen geliefert und auf diese Weise das System untergraben und gleichzeitig am Leben erhalten hattenMinisterium für Staatssicherheit (Stasi)ErhaltungMinisterium für Staatssicherheit (Stasi)persönliche Komplizenschaft. Aufgrund der nach der Vereinigung geltenden Transparenzregeln durfte man lediglich seine eigene Akte, nicht die von anderen, einsehen, und aus gutem Grund konnte man argwöhnen, dass jemand, wenn nicht gar jeder, nicht das war, was er schien. Und nach der Wende war ohnehin wirklich niemand mehr derselbe wie früher. Natürlich erfanden sich manche auf mehr oder weniger legitime Weise neu, während andere sich damit abfanden, dass sie Auslaufmodelle waren. Doch wie sagte schon Groschopp über die Herkunft des Bieres: »Man weiß ja nie, was da stimmt […] und das prägt die Stimmung.«