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Kommerzielle Tricks

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Ein Kennzeichen der Kultur der Ostalgie sowohl in ihrer modernistischen als auch postmodernen Variante (Stil-NostalgieStil-Nostalgie) ist ihre weitverbreitete, bewusste IronieIroniein der Ostalgie, die schon mit dem Neologismus »Ostalgie« beginnt. Selbst in den seriösesten AusstellungenMuseenAusstellungen oder Schaufenstern dient der Humor dazu, die SlogansSlogans, SymboleDeutsche Demokratische Republik (DDR)Symbole und Stile des Regimes zu zerschlagen und sie für eine aktuelle Persiflage nutzbar zu machen. In den Wohnungen von Hipstern wurden DDR-Fahnen zu Duschvorhängen, und Touristenläden verkaufen kultige knallbunte Eierbecher aus Plastik, Trabant-Modelle, Magneten mit Aufschriften wie »Wessifreie Zone« sowie die allgegenwärtigen Produkte mit grünen und roten AmpelmännchenAmpelmännchen. Der Name des Spezialgeschäfts »Ostpaket« ist eine Anspielung auf das Phänomen der »Westpakete«, die zu DDR-Zeiten von Verwandten aus dem Westen in den Osten geschickt wurden. Sein Logo zeigt den kultigen Trabant vor einer Umrisskarte der DDR und das Motto »Gutes aus dem Osten«. Im Angebot sind mehrere ironisch gemeinte Ostpakete mit Konsumartikeln, die als Präsentkörbe verschickt werden könnenOstpakete.1 In ähnlicher Weise bietet der Ostprodukte-Versand ein sechsteiliges Set »Held der Arbeit«, bestehend u. a. aus dem Duschbad »Held der Arbeit«, einem Flaschenöffner und einer Urkunde, die in der Sprache des Sozialismus gehalten ist: »Die vom Ehrentitelträger nahezu übermenschlich und vorbildlich erbrachten Taten verpflichten zur Nachahmung und stetigen Verbesserung. Denn vom Helden lernen heißt siegen lernen.« Der letzte Satz erinnert an den berühmten DDR-SloganSlogans »Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen.«


Flyer für den Laden »Ostpaket«. »Ostpakete« sind eine Anspielung auf die sog. Westpakete, die während der Teilung von westdeutschen Familien an die Verwandten im Osten geschickt wurden. Heute dienen sie meist als Geschenk und sind in Dutzenden von Variationen erhältlich. 2016.

Der Humor begleitet die OstprodukteOstprodukteHumorDeutsche Demokratische Republik (DDR)Produkte auf allen ihren Ebenen, von bewusst ironischen AneignungenAneignungironische A., pfiffigen Namen, ironischer Werbung und neuartigen Produkten bis hin zur Wiederverwendung sozialistischer Schlagworte wie bei den Kondomen mit dem SloganSlogans der Jungen Pioniere »Seid bereit – immer bereit« oder dem in vier verschiedenen Geschmacksrichtungen erhältlichen DDR-Schnaps: Agitator, Proletariat, Subotnik und Schwarzer Kanal, alle unter dem Motto: »Rückwärts nimmer – saufen immer.«2 Der Humor legt es natürlich darauf an, offiziellen Symbolen ihre einst gefürchtete Autorität zu nehmen.3 Dies war besonders wichtig in den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch der DDR, als der Sarkasmus von Schadenfreude durchtränkt war und die gerade gestürzten Strukturen sowohl diskursiv als auch administrativ zerschlagen werden mussten. In gewisser Weise sind Ostprodukte in ihrer ironischsten Form das genaue Gegenteil von NostalgieOstprodukteals Gegenteil von Nostalgie, die üblicherweise als schmerzliche Sehnsucht verstanden wird: Sie bringen die Art von Humor und IronieHumorIronie offen zum Ausdruck, die in der DDR-Gesellschaft in Form zahlloser Witze, für die die DDR zu Recht berühmt ist, allgemein verbreitet war. Die Absurdität, Engstirnigkeit und moralische Verkommenheit des Regimes waren die ständige Zielscheibe von Witzen, die die gewaltgestützte ideologische Trübsinnigkeit in – ihrer Wichtigtuerei beraubte – sarkastische Karikaturen verwandelten.4 Ostprodukte machen sich die einst heiligen Bilder und SlogansSlogans geschickt zunutze, indem sie die Büsten von Führungspersonen und Machtembleme in Briefbeschwerer, Gag-Artikel und reversals verwandeln. OstprodukteHumor


Ostalgie-Schnaps. Das Motto »Rückwärts nimmer – saufen immer!« ist eine Anspielung auf Erich Honeckers SloganSlogans »Vorwärts immer, rückwärts nimmer«. 2009.

Ein solcher Sarkasmus ist eine Form der nachträglichen Verfehlung, da die Führungspersonen der DDR nicht mehr in Zorn geraten können, wenn ihre menschlichen Fehler verhöhnt und bloßgestellt werden. Doch auch wenn die Macht dieser SymboleDeutsche Demokratische Republik (DDR)Symbole schwindet, wirkt sie weiterhin nach, und noch mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Untergang der DDRDeutsche Demokratische Republik (DDR)Untergang kann der ironische Gebrauch von DDR-Symbolen ärgerliche Reaktionen hervorrufen. So verlangten im Jahr 2010 Mitglieder der Christlich-Demokratischen Union (CDU)Christlich-Demokratische Union (CDU)CDUs. Christlich-Demokratische Union (CDU), die fast die gesamten ersten beiden Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung an der Macht war, ein Verbot aller DDR-Symbole, da sie »verfassungsfeindlich« seien und »hochgradig beleidigend und verletzend für alle Opfer des SED-Regimes«Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED). »Aus gutem Grund wurden auch NS-Symbole verboten«, sagt Kai Wegner, ein Parlamentsmitglied des Westberliner Stadtteils Spandau. »Wir dürfen die Vergangenheit nicht vergessen«, pflichtete der Chef der CDU-Nachwuchsorganisation ihm bei und forderte, die Verwendung der Logos des früheren Staatssicherheitsministeriums, der Nationalen Volksarmee und der regierenden Sozialistischen Einheitspartei (SED) unter Strafe zu stellen.5

Diese Forderung der CDU verweist auf eine der wichtigsten gegenwärtigen Grenzen der sozialen Akzeptanz, welche die Ostalgie mit ihren ironischen kommerzialisierten FormenOstalgieals ironisch beeinträchtigt: die ErinnerungspolitikErinnerung/GedächtnisErinnerungspolitik hinsichtlich der Identität DeutschlandsBundesrepublik Deutschland (BRD)Identitätdeutsche I.IdentitätErinnerungspolitik, insbesondere die Frage nach der Vergleichbarkeit der nationalsozialistischen und kommunistischen VergangenheitNationalsozialismusVergleich mit Sozialismus – ein zentrales Thema, auf das ich im nächsten Kapitel genauer eingehe. Der Vorwurf, die Ostalgie rechtfertige letztlich beide DiktaturenDiktaturVergleich zwischen der Zeit des Nationalsozialismus und der DDROstalgieVorwürfe, wird von Kritikern stets erhoben, so etwa in einem durchaus typischen Leserbrief, der auf einen Ostalgie-Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung reagiert: »Würde sich der Ostalgie-geneigte Leser zum Zwecke weiterer historischer Gefühlserfahrung auch in eine Gestapo-Suite oder in die Reichsparteitagslounge zurückziehen wollen, wo dann Kathreiners Karo-Kaffee (Muckefuck) und volkstümliche Eintopfessen auf dem Programm, und Chlorodont im Badezimmer stünden?«6 Nach dem Erfolg des Films Good-bye Lenin! (2003)Good-bye Lenin, der die Ostalgie zum Mainstream machte, lautete ein gängiger Kommentar, dass man sich kaum einen Film Good-bye Hitler vorstellen könne. Good-bye Lenin! provozierte diejenigen, die das Werk als eine gefährliche Reduktion von DDR-SymbolenDeutsche Demokratische Republik (DDR)Symbole auf harmlose Formen des Kitschs en miniature Kitschen miniatureansahen. Auch wenn dies als lässliche Sünde durchgehen mochte, untergrub der Film in den Augen derer, die sich an der Ostalgie störten, die von der Regierung sanktionierten Erinnerungsrituale: Er ließ die DDR-Vergangenheit als annehmbarer, als lebendiger und weniger kontrollierbar erscheinen und bediente sich erneut des älteren Tropus der deutschen Anfälligkeit für »antidemokratische« Einstellungen. In diesem Zusammenhang weist die Forderung der CDUChristlich-Demokratische Union (CDU), Symbole aus der DDR-Zeit zu kriminalisieren, darauf hin, dass die ostalgische IronieIroniein der Ostalgie dem impliziten Vergleich zwischen der faschistischen und sozialistischenKommunismusDDR, Nationalsozialismus und K. Vergangenheit entgegenwirkt, schon allein dadurch, dass sie gestattet, sich über die eine, nicht aber die andere Vergangenheit lustig zu machen.

Die Ostalgie bezieht also ihre KraftOstalgieKraft der O. teilweise daraus, dass sie die Grenze zwischen gutem und schlechtem Geschmack sowohl auf gesellschaftlicher als auch ästhetischer Ebene überschreitet. Durch die Schaffung von Intimitäten und In-Groups (»Wessifreie Zone!«) zieht sie die Grenze(n) aber auch (wieder) neu, ebenso wie durch deren Beseitigung oder Verschiebung (»Wossi« ist z. B. eine Kombination aus den pejorativ gebrauchten Begriffen Wessi und Ossi). Diese Grenzüberschreitung/-ziehung/-verschiebungGrenzenÜberschreitung von G. ist charakteristisch für den Mythos oder Archetypen des Betrügers (Trickster)Trickster/TrickbetrügerMythosTrickster/Trickbetrügers. Ostalgie als T.Ostalgieals Trickster.7 Natürlich ist die Ostalgie keine mythische Figur im Sinne eines Hermes oder eines Kojoten. Es kann ein kategorialer Fehler sein, ein Phänomen als »Betrüger« im engen Sinn zu verstehen, da einem Phänomen die Handlungsfähigkeit eines archteypischen Protagonisten abgeht. Und doch ist die Ostalgie vom Humor und Geist eines Underdogs durchdrungenHumorOstalgieOstalgieGeist der O., der puritanische Interpretationen der DDR-Vergangenheit stimuliert und anstachelt. Die wirkliche Bedeutung lässt sich schwer definieren, und manche sehen in der Ostalgie die Spuren von Stiob Stiob(ein russisches Wort), einer sozialistischen mimetischen Praxis und Form der Parodie, deren starke Wirkung darauf beruhte, dass man nicht wusste, ob der Akteur ernsthaft war oder aber die Machthaber lächerlich machte (oder beides) Ambiguität/Mehrdeutigkeitim Dienst der Parodie.8 Das konnte diejenigen, denen der Durchblick fehlte, in den Wahnsinn treiben.

Wie Ivor StodolskyStodolsky, Ivor betont, »beruht die ›verstörende‹ Wirkung von StiobStiob hauptsächlich auf einem momentanen Verkennen der Aufrichtigkeit«.9 Wir beobachten dies in den medialen und akademischen Ostalgie-Debatten, wo ständig gefragt wird, ob die Lieferanten oder Konsumenten von Ostalgie-Produkten ihrerseits nostalgisch sind. Lacht man über sie, weil sie fehlgeleitet sind, oder über die Kritiker, weil sie diese zu ernst nehmen? Was soll man davon halten, wenn Leute, die kitschige Ostalgie-ArtikelKitschObjekte herstellen und verkaufen, behaupten, dass das, was sie tun, mit Ostalgie nichts zu tun habe?

Einen Hinweis gibt vielleicht der Philosoph Konrad LiessmannLiessmann, Konrad, der Kitsch als »subversive ästhetische Strategie« definiert. Nach dessen Analyse hat KitschKitschAnalyse eine doppelte Zielrichtung: In seiner naiven Sentimentalität versucht er, das zurückzugewinnen, was die Moderne den Menschen verweigert, und sich an dem zu erfreuen, »was die radikale Moderne und die politische Aufklärung […] verweigern wollten«, und ist somit von Natur aus anti-elitär. Um Kitsch qua Kitsch zu »genießen«, bedarf es jedoch eines Minimums an reflexiver Selbstdistanzierung in Form der IronieIronieals Form der Selbstdistanzierung. Üblicherweise gilt Kitsch als gefährlich, weil er die menschliche Rührseligkeit, die unser Urteilsvermögen abzustumpfen droht, direkt anspricht. Und doch, schreibt LiessmannLiessmann, Konrad, bedürfe es nur eines Augenzwinkerns, damit der Kitsch von jedem Vorwurf befreit, d. h. akzeptabel wird.10 Diese Ironie mindert die dem KitschKitschAnalyse innewohnende Gefahr, schlechten Geschmack in einen so schlechten zu verwandeln, dass er schon wieder gut ist.

Nach Art eines Tricksters, wenn nicht gar als Quasi-Trickster, erfüllt die Ostalgie durch die Verwendung von Ironie und HumorHumorOstalgieHumorIronieOstalgieals Trickster also zwei gesellschaftliche Trickster-FunktionenTrickster/TrickbetrügerFunktionen: Erstens behindert sie die Etablierung glatter Narrative und öffnet den Raum für Reartikulierungen und Umkehrungen, für Wortspiel und Ikonoklasmus. Dies ist der klassische Trickster-Bereich, bekannt als DisartikulationDisartikulationdie Entfernung eines Objekts von seinem angestammten Ort, ob es sich dabei um die Vergangenheit handelt, in die, statt auf heutige Ladenregale, OstprodukteDeutsche Demokratische Republik (DDR)Produkte angeblich gehören, oder um normative Räume wie Schulen oder Museen, in denen man, nicht aber etwa auf Schokolade oder Kondomen, den Emblemen und Bildern der kommunistischen Diktatur begegnet. Zweitens dient die Ostalgie, einmal disartikuliert, dazu, Objekte als Waren wieder in den Mainstream einzufügen. Je normaler diese Produkte erscheinen, ob als Teil der Andenkenlandschaft oder als regionale ProdukteOstprodukteWandel von nostalgischen zu regionalen Produkten, desto mehr stellen sie ihre Außergewöhnlichkeit in Abrede und verlieren schließlich das nostalgische FlairNostalgieVerlust des nostalgisches Flairs als solchesOstalgieund regionale Produkte. Im Anschluss an Lewis HydesHyde, Lewis Analyse des Trickster können wir dies als Reartikulation Reartikulationauffassen, bei der die Geschichte, hier die DDR-Vergangenheit, auf neue Weise mit »größeren gesellschaftlichen und spirituellen Artikulationen« verbunden ist.11

Der Trickster in Aktion: Einerseits zieht die Ostalgie die Grenzen neuOstalgieals Trickster, abhängig davon, wo man steht – Sympathisanten des Kommunismus versus Verfassungsschützer, Ossis versus Wessis, postnationalistische Wossi-Hipster versus jene, die von sich noch immer in nationalen Begriffen denken. Andererseits verschiebt und verwischt sie die Grenzen wie etwa in dem Fall, wo ein anonymer Besucher eines Online-Forums, nachdem er den Film Good-bye Lenin! Good-bye Leningesehen hatte, postete: »Und was bin ich eigentlich? ein Ossi, ein Wessi? ein Wossiossi, ossiwossi, WOSI, Ostelbiger, Oderwestlicher? Ich weiß schon nicht mehr.« Oder die Ostalgie verschiebt und verwischt die Grenzen, indem sie das Objekt aus seinem ursprünglichen Kontext herauslöst und es, wie bei den ironischen AneignungenAneignungironische A.Ostalgieals ironisch von SymbolenDeutsche Demokratische Republik (DDR)Symbole auf T-ShirtsOstalgieT-Shirt und Tourismusartikeln, von seinem früheren politischen Inhalt unabhängig, »frei« flottieren lässt.12 Im Design der PopkulturDesignder Popkultur zeigt sich das, was Serguei Oushakine als die »Umrüstung« sozialistischer Symbole bezeichnet, die in ihrem neuen Gewand »eine erkennbare Kontur aufweisen, ohne eine klare ideologische Interpretationsstrategie nahezulegen«.13 Daher können sozialistische Symbole sowohl in neuen Zusammenhängen als auch für neue Generationen wiederverwendet werden. Was noch wichtiger ist: Die Ostalgie als TricksterOstalgieals Trickster ermöglicht es der DDR-IdentitätIdentitätostdeutsche I. weiterhin zu zirkulieren, ohne sich vollständig aufzulösen oder bis in die neue Ära fortzudauern. Die Ostalgie wird zu einem Teil der modernen KonsumritualeKonsummoderne Rituale, und auf dieser Stufe können Formen der DDR-Identität, statt in offizielle Rituale wie Schule, Fahnen oder politische Reden integriert zu werden, bestehen bleiben und gleichzeitig hinterfragt werden.

Die Spuren der DDR

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