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Stil-NostalgieStil-Nostalgie: »Fast wieder modern«
ОглавлениеIm Westen herrschte jedoch eine andere Stimmung. Selbst bevor die OstprodukteDeutsche Demokratische Republik (DDR)Produkte ihr Comeback bei den ehemaligen Ostdeutschen erlebten, wurden die Westdeutschen auf ihr DesignMarken(namen)DesignDesignvon Marken aufmerksam. Im Sommer 1989, nur wenige Monate vor dem MauerfallBerliner MauerFall der B. M., widmete eine kleine Gruppe westlicher Kuratoren in Frankfurt dem faszinierend schlichten Design des im Schwinden begriffenen Spätsozialismus eine AusstellungMuseenAusstellungen und veröffentlichte einen Katalog mit dem spöttischen Titel SED: Schönes Einheits-Design, SED - Schönes Einheits-Designein Wortspiel mit den Anfangsbuchstaben der kommunistischen Partei (der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands). Der Katalogtext war von bissiger Aggressivität und stellte die DDR dar als »Galapagos-Inseln des Designs«Designder DDR-Zeit, die 20 bis 30 Jahre alte »Fossilien dessen bewahrt, was […] zu einem Reservat wurde, in dem Produktformen, die im Westen langsam abstarben, wie im Kälteschlaf müde weitermutierten« und an einem chronischen »Fetisch-Mangel« litten. Ausstellung und Katalog waren eine Rettungsaktion, eine selbsternannte »Archäologie der Warenwelt, bevor im Sog des Umsturzes alles Eigene von Westgütern zugestellt […] sein wird.«1
Dieser herablassende Ton war begleitet von einer extremen ÄsthetisierungÄsthetisierung der Produkte – Hochglanzseiten mit Produkten, die, vom Kontext abstrahiert, vor einem weißen oder pastellfarbenen Hintergrund schweben, zugleich verspottet und erhöht durch diese Präsentation, die sonst Objekten in Museumsqualität vorbehalten ist. Über 230 Abbildungen u. a. von Batterien, Zahnbürsten, Cocktailspießen, Babynahrung, Tampons, Tapeten, Einkaufstaschen und Krawatten bilden eine Phantasmagorie von Objekten, die meist ihres Kontextes beraubt und nur gelegentlich wie in einem Schaufenster ausgestellt sind. »Diese Güter«, schreiben die Kuratoren, »haben eine Identität des Banalen, des Unausgegorenen, des Improvisierten, jedoch des Menschlichen, weil Fehlerhaften« (S. 12). Während DDR-ProdukteDeutsche Demokratische Republik (DDR)Produkte »uns befremden« und den »westlichen Tastsinn«BerührungOstprodukte und westlicher Tastsinn beleidigen, weil ihnen »die Glätte, die erotische Geschmeidigkeit« fehlt, wodurch sie »zu gummiartig und billig« werden (S. 9), besitzen sie auch, wie Matthias Dietz, einer der Ausstellungsorganisatoren, einräumt, »eine Sinnlichkeit – und sie haben in ihrer Einfachheit etwas, das bei uns verlorengegangen ist« (S. 30). Die ironische AneignungAneignungironische A. von DDR-Produkten vorhersehend, zitieren die Kuratoren die Bemerkung eines »hartgesottenen Frankfurter Werbefachmanns«: »Mir scheint, die Dinge dieser AusstellungMuseenAusstellungen strahlen eine ganz ursprüngliche Vitalität aus. Eine Kraft der Unverdorbenheit, der Blauäugigkeit. Eine ZigarettenmarkeMarken(namen)Zigaretten, die ›Sprachlos‹Sprachlos (Zigarettenmarke) heißt […], ist nun mal meilenweit allen Zigaretten-Marketing-Bemühungen bei uns voraus. Der Design-Punk in der DDR ist viel puristischer, irrwitziger und konsequenter als all die postmodernen Memphis-Teile bei uns« (S. 37).
Es sind, fast wie gerufen, genau diese Zigaretten (in Wirklichkeit Zigarillos), die im früheren Ostberlin fünf Jahre später die Aufmerksamkeit einer jungen, alternativen, antikapitalistischen Hausbesetzerin aus dem Westen auf sich ziehen: »Sprachlos-ZigarettenSprachlos (Zigarettenmarke) – das ist doch total geil! Zigarren, die einfach SPRACHLOS heißen […] SPRAAACH-LOOOS«, so ihr Kommentar beim Durchblättern des oben erwähnten Katalogs SED – Schönes Einheits-DesignSED - Schönes Einheits-Design.2 Wie Hilmar SchmundtSchmundt, Hilmar berichtet, findet diese lediglich als »F.« bekannte Hausbesetzerin im DDR-Design nur Inspiratives, nichts, was zu verurteilen wäre: »Dieses Design ist total avantgardistisch. Ich kenne total viele Westler, die voll anspringen auf das Ost-Design […] Das ist heute schon fast wieder modern.« Doch was F. und andere wie sie wirklich anzieht, ist die »Ehrlichkeit« des DDR-DesignsDesignder DDR-Zeit und der Produkte im Vergleich mit dem, was sie aus ihrer eigenen Welt kennt: »Das DDR-Design überredet mich zu nichts – es macht Dinge praktisch unverkäuflich.« Die schäbige Qualität der Verpackung ist sowohl unpraktisch als auch menschlich (F. mag es, dass die Pappverpackungen, wenn sie einmal feucht werden, zu nutzlosen Klumpen werden), und ihr negatives soziales Standing verleiht ihr eine In-Group-Intimität, die diejenigen verbindet, die ironisch und wissentlich ihre Geheimnisse teilen. Während Groschopp, ein älterer Ex-DDRler, es ziemlich mies findet, wenn Firmen östliche Flaschen mit westlichem Bier füllen, füllt F.s Mitbewohner O., ein junger Westdeutscher, den es ebenfalls nach Berlin verschlagen hat, ein Paket des alten ostdeutschen Waschmittels Spee mit dem westdeutschen umweltfreundlichen Waschmittel Frosch.3
Bei den jüngeren GenerationenNach-Wende-ZeitGenerationen, insbesondere der alternativen antinationalistischen Jugendszene, verschwamm die Grenze zwischen der westlichen und östlichen Aneignung der DDR-ProdukteAneignungvon OstproduktenDeutsche Demokratische Republik (DDR)Produkte und des DDR-DesignsDesignder DDR-Zeit jedoch immer mehr. Die aus dem Westen stammenden Hausbesetzer in Ostberlin, die ihre Wohnungen mit DDR-Paraphernalien schmückten und westliche Waschmittel in östliche Kartons füllten, präsentierten sich nicht als Westler per se. Wie SchmundtSchmundt, Hilmar berichtet, waren viele Hausbesetzer selbsternannte Pioniere, die das Jahr 1990 als ihre »persönliche Stunde Null« betrachteten, vielleicht am besten symbolisiert durch einen Werbeaufkleber für die ostdeutsche kommunistische Zeitung »Neues Deutschland«, der zerschnipselt und zu »Deutsch/es Neu/land« umgestaltet wurde.4 Wie Claudia Sadowski-SmithSadowski-Smith, Claudia erzählt, lockte etwa zur selben Zeit eine Ostalgie-Party die gewaltige Zahl von 800 Besuchern in die verschlafene ostdeutsche Luther-Stadt Wittenberg. Der Party lag der Beschluss einiger Freunde zugrunde, »ostdeutsche Produkte wieder zum Leben zu erwecken, so etwa den Nordhäuser Doppelkorn, ihren Lieblingsschnaps, der vom vereinigten deutschen Markt verschwunden war.« Die Party, eine von vielen dieser Art überall im ehemaligen Osten, hatte alle Elemente einer absurden, wenn nicht perversen Re-Inszenierung des Ostens: »Die Menge wurde von fingierten DDR-Grenzpolizisten gefilzt und überdies mit horrenden Eintrittspreisen sowie einem ›Zwangsumtausch‹ von D-Mark in wertlose Ostmark schikaniert, die nur für Speisen und Getränke aus der untergegangenen DDR ausgegeben werden konnte.«5 Indem sie sarkastisch simulierte, was vor kurzem noch heftig abgelehnt wurde, war die Ostalgie-Party nach Meinung von Sadowski-SmithSadowski-Smith, Claudia ein Ort, wo die kollektive IdentitätOstalgieBestätigung kollektiver Identität bestätigt oder bei den Verlierern eines Prozesses, die über nur spärliche andere Ventile für die Trauer über ihren IdentitätsverlustIdentitätVerlust verfügten, neu geschaffen wurde.6
Waschmittel der Marke Spee. Karton aus der DDR-Zeit. Spee wurde zu einem der bekanntesten Ostalgie-ObjekteObjekteder Ostalgie.
Bei den Berliner Hipstern und den zahlreichen Westlern, die seit dieser Zeit ihre Wohnungen mit DDR-KitschKitschder DDR schmücken, ist ein anderer, aber komplementärer Prozess zu beobachten, etwas, das man im Anschluss an Marilyn IvyIvy, Marilyn als Stil-NostalgieStil-Nostalgie bezeichnen kann, bei der die Produkte und Bilder »keinen ausdrücklichen Appell zur Umkehr, kein akutes Verlustgefühl und keinen Hinweis auf eine verkörperte Erinnerung« ausstrahlenKommerzialisierungals Stil-Nostalgie. Sie sind vielmehr eine »oberflächliche Heraufbeschwörung von untergegangenen Warenformen«Kommerzialisierunguntergegangene WarenformenVerschwindenvon Warenformen, die die Spezifität der Vergangenheit von ihren materiellen Signifikanten abtrennt.7 Der Berliner Hipster versucht nicht, sich in die östliche IdentitätIdentitätostdeutsche I. hineinzuversetzen, sondern möchte die AuraAuthentizitäts. auch Aura der A. ihrer ArtefakteAuravon Artefakten zur Schaffung einer »frei flottierenden Vergangenheit« nutzen, die wie die Werbung für Neues Deutschland neu zusammengesetzt und wiederverwendet werden kann. An der Ostalgie, die aufkam, als die Ost-ProdukteDeutsche Demokratische Republik (DDR)Produkte von der Bildfläche verschwanden, sind also zwei anscheinend konträre Formen der Nostalgie beteiligt: eine modernistische NostalgieSehnsuchtmodernistische Form der Nostalgiemodernistische Nostalgieals Sehnsucht, die auf der Sehnsucht nach einer bestimmten Art der Sehnsucht beruht, und eine Stil-Nostalgie, die auf der Trennung des Objekts von jeder vorgeschriebenen Sehnsucht basiertSehnsuchtgetrennt vom Objekt. Auf entgegengesetzte Weise führen beide schließlich zu einem ähnlichen Ergebnis: der verschiedenartig gestalteten Reproduktion von »verschwundenen« Artefakten, die (bewusst oder unbewusst) mit dem Etikett »nostalgisch« versehen werden. In Marktgesellschaften bedarf die Nostalgie einer KommerzialisierungKommerzialisierungNostalgie und K., da Objekte hauptsächlich auf diese Weise in Gesellschaften zirkulieren, in denen der Konsum als eine »privilegierte Stätte für die Herausbildung des Selbst und der Gesellschaft, von Kultur und Identität« fungiert, insbesondere wenn Angst und Ungewissheit herrschen.8