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Intimität und AuthentizitätAuthentizitätIntimität und A.

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Das wichtigste Verfahren des Museums zur Herstellung von Authentizität besteht maßgeblich darin, den Besucher eine gewisse IntimitätIntimitätin Museumsausstellungen erleben zu lassen. Diese entsteht gerade durch das, was professionelle Historiker und Kuratoren kritisieren – die Objekte sind offen ausgestellt, so als befänden sie sich bei jemandem zu Hause und nicht in einem Museum. Man darf die Objekte anfassen oder wird sogar ausdrücklich dazu aufgefordert, und es gibt Führungen von »echten« früheren Ostdeutschen, die keine Museumsprofis sind. Ironischerweise steigert gerade die Anonymität der Objekte das IntimitätserlebnisIntimitätdurch Objekte, das durch den anscheinend sorglosen Umgang mit den ObjektenObjekteUmgang mit O. entsteht, kombiniert mit einem Fokus, der stärker auf die eher weiblich kodierten Räume wie Wohnung, Interieur, Schule, Kinder, Lebensmittel und Geselligkeit gerichtet ist als auf die männlich kodierten Räume Werkstatt, Fabrik und Straße.1 Dies verleiht den Museen eine stark geschlechtsspezifische Dimension: Die Besucher sehen UnterwäscheIntimitätUnterwäsche, die auf einer Wäscheleine zum Trocknen hängt, unordentlich aufgestapelte Teller in einer Küche und Spielsachen, mit denen scheinbar gerade noch gespielt wurde.2

Intime Artikel wie Körperpflegeprodukte und Kondome stellen eine indirekte Verbindung zwischen dem Objekt und dem Körper des Betrachters herIntimitätdurch Objekte. Die AusstellungenMuseenAusstellungen werden durch Dioramen und Alltagsszenen ergänzt. Diese erscheinen manchmal als eingefrorene Tableaus hinter einem dünnen Seil, das die Besucher auf Abstand halten soll. Andere Tableaus, wie die im Haus der Geschichte in der Lutherstadt WittenbergHaus der Geschichte (Wittenberg) liebevoll nachgebauten, vollständig eingerichteten Wohnräume aus vier Jahrzehnten laden den Besucher ein, auf dem Sofa Platz zu nehmen und fernzusehen, sich ein Buch aus dem Bücherschrank zu angeln und zu tun, was man mag, außer sich ein Bier aus dem Kühlschrank zu nehmen. Im DDR Museum Berlin kann man u. a. Schränke öffnen, Küchengeräte und Toilettenartikel benutzen, Zeitschriften durchblättern, auf Sofas sitzen und telefonieren. Die Besucher dürfen Kleidungsstücke anprobieren und buchstäblich in die Haut eines anderen schlüpfen, der, vielleicht absichtlich, so aussieht wie die leicht abgemilderte Retro-Variante der eigenen Person.


UnterwäscheIntimitätUnterwäsche auf einem Wäscheständer in einem Waschküchen-Diorama, DDR-Geschichtsmuseum PerlebergMuseum PerlebergAusstellungen. 2010.


Die Besucher probieren Kleidungsstücke aus der DDR an. Die Kleideranprobe im DDR Museum Berlin ist Teil des interaktiven MuseumskonzeptsMuseeninteraktives Erleben »Geschichte zum Anfassen«BerührungGeschichte zum Anfassen. 2009.


Wohnzimmer-Diorama mit einer bügelnden Schaufensterpuppe. Die HäuslichkeitHäuslichkeit ist ein häufiges Thema in DDR-MuseenMuseenDarstellung der Häuslichkeit, wo der Alltag von seiner anscheinend apolitischen SeiteAlltagslebenals apolitisch gezeigt wird. DDR Museum Burg (Spreewald). 2013.

Intimität und AuthentizitätAuthentizitätIntimität und A. werden durch die TaktilitätMuseenTaktilitätTaktilitäts. auch Museen und ihre haptischen Wahrnehmungen gesteigertAuthentizitätgesteigert durch TaktilitätBerührungIntimität. Das DDR Museum in Berlin mit seinem Motto »Geschichte zum Anfassen: Sehen, Fühlen, Erleben«BerührungGeschichte zum Anfassen ist dafür vielleicht das beste Beispiel. Es beschreibt sich selbst als ein Museum zum »Be-greifen«. Wie es die Pressesprecherin des Museums bei der Eröffnung der erweiterten AusstellungMuseenAusstellungen im Jahr 2010 formulierte: »Als Besucher sollte man aktiv und neugierig einfach alles anfassen, was einem an Exponaten zwischen die Finger kommt. Ich würde es als Berlinerin zusammenfassen mit ›nur keine falsche Schüchternheit, immer ran an die Buletten […] oder in diesem Falle halt, ran an die Exponate!‹«3 Oder wie es im offiziellen englischen Werbematerial heißt: »Everything waits to be touched and experienced: Open the drawers and closets, rummage through them and discover!«4 Die BerührungBerührungs. auch Synästhesie verwischt die Grenze zwischen dem Selbst und dem Anderen. Wenn man sich im Museum auf TaktilitätMuseenTaktilität beruft, ist dies, bewusst oder nicht, eine weitere Möglichkeit, Vertrauen zu gewinnen und dadurch die Erfahrung von Intimität und Authentizität zu stärkenAuthentizitätgesteigert durch TaktilitätAuthentizitätIntimität und A.Authentizitätals VertrauenBerührungIntimität, was wiederum die Darstellung des Nicht-Erinnerungswürdigen ermöglichtAuthentizitätals Instrument für die Präsentation des Nicht-ErinnerungswürdigenMuseenPräsentation nicht-erinnerungswürdiger Objekte.

Taktilität wird nicht immer als positive Eigenschaft betrachtetTaktilitätals negativ: In seiner Analyse der Taktilität und Technologie in den Medien schrieb ihr Marshall McLuhanMcLuhan, Marshall eine betäubende Wirkung zu.5 Im Anschluss an Walter BenjaminsBenjamin, Walter Verwendung des Begriffs im Zusammenhang mit dem Optisch-Unbewussten gilt die Taktilität als die Möglichkeit, in den frühen Stadien der BegegnungBegegnungStadien mit einem Medium das Neue zu erfahren.6 Für McLuhan war dies, besonders mit dem Aufstieg des Fernsehens, gleichbedeutend mit der Dominanz einer neuen desensibilisierenden, narkotisierenden Wirkung, ausgelöst dadurch, dass man den Medien mit ihren »täglichen Synästhesie-Veranstaltungen […], welche die große visuelle Struktur des abstrakten Individuums überschwemmen«, ausgesetzt ist.7 Was wir jedoch im Berliner DDR Museum zu Gesicht bekommen, ist eine andere Verwendung des SynästhetischenSynästhesieVerwendung, wobei eine Form des ErlebensDeutsche Demokratische Republik (DDR)Erleben im Museum, z. B. das Berühren, eine andere, z. B. das Hören oder Riechen, hervorruft. Anders als in den Analysen von Benjamin oder McLuhanMcLuhan, Marshall dargelegt, sehen wir aber, dass nicht so sehr das Optisch-Unbewusste für ein neues Medium vorbereitet wird, als dass vielmehr multisensorische Erfahrungen im Dienst der Schaffung von ErinnerungswertErinnerung/GedächtnisWert und E.ErinnerungswertWertdurch multisensorische Erfahrungen bereitgestellt werden.

Vor allem im DDR Museum Berlin, zunehmend aber auch in den kleineren, weniger kommerziellen Alltagsmuseen sind solche multisensorische ErfahrungenDDR Museum Berlinmultisensorische Erfahrungen ein zentrales Merkmal des Erlebens der »echten« DDRDDR Museum BerlinPräsentation der DDRDeutsche Demokratische Republik (DDR)Erleben im MuseumMuseenErlebnis der realen DDR. Das DDR Museum in Berlin erhebt den Anspruch, »eines der interaktivsten Museen der Welt« zu sein, eine Eigenschaft, die ihm zur zweifachen Nominierung für den Preis für das Europäische Museum des Jahres verhalf.8 Dies ist z. T., wie der wissenschaftliche Leiter mir gegenüber erklärte, »eine Reaktion auf die Virtualisierung der Welt«, aber auch, so seine Feststellung, auf den Versuch des Museums, »im Meer der unterschiedlichen Sichtweisen einen festen Punkt zu schaffen, Erinnerungen zu weckenErinnerung/GedächtnisDarstellung in Museen, die Farbe und Geschmack haben, die die Phantasie ansprechen und persönliche Erfahrungen wieder lebendig machen«.9

Die Spuren der DDR

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