Читать книгу Klassentreffen - Jonathan Coe - Страница 19
23
ОглавлениеAls sie beim Pizza Express in der King’s Road ankamen, warteten Emily, Frankie und Doug und ihre anderen drei Kinder, Ranulph, Siena und Hugo, sowie ihr rumänisches Kindermädchen, Irina, schon an einem der großen Tische mit Marmorplatte auf sie. Die Kinder taten so, als zeichneten, schrieben und malten sie, stachen sich in Wahrheit jedoch mit einer breiten Palette von Bunt- und Bleistiften gegenseitig in Augen, Ohren und diverse andere Körperteile, während die Erwachsenen das angespannte Lächeln und den in der Ferne verlorenen Blick von Menschen aufgesetzt hatten, die sich nichts sehnlicher wünschten, als aus diesem Ort in eine Zeit ohne Kinder zurückversetzt zu werden. Der Lärmpegel war ohrenbetäubend, und man hätte anfangs mit Fug und Recht meinen können, nicht in einem Restaurant, sondern in einem an Personalmangel leidenden Hort für überprivilegierte und undisziplinierte Kinder gelandet zu sein. Wo man auch hinsah, richteten blonde Jungs und Mädchen mit Namen wie Jasper, Orlando und Arabella Verwüstungen an, warfen einander angekaute Pizzastücke und Teigbällchen auf die französische und italienische Designerkleidung, prügelten sich um ihre hippen Gameboys und schrien in perfektem BBC-Englisch quer durch den Raum – sie waren schon jetzt dabei, den quäkenden Akzent der herrschenden Klasse zu meistern, mit dem sie in zwanzig Jahren ohne jeden Zweifel die Pubs von Fulham und Chelsea erfüllen würden. An einem kleinen Ecktisch saß ein einsames, kinderloses Paar, das sich hin und wieder vor fliegenden Teigprodukten duckte, in tonlosem Schrecken umsah und offensichtlich am liebsten die Pizza hinuntergeschlungen und das Weite gesucht hätte, als ginge es darum, einen Weltrekord zu brechen.
Susan und Benjamin sorgten dafür, daß die beiden neuen Freundinnen nebeneinander saßen (denn Antonia und Coriander waren entgegen allen Erwartungen schon wenig mehr als eine Stunde nach ihrer ersten Begegnung unzertrennlich geworden), dann zwängten sie sich auf ihre Plätze und griffen nach der Speisekarte. Mit einem Schrei, in den sich Schmerz und Ekel mischten, sprang Benjamin gleich wieder auf, denn er hatte sich auf ein halb aufgegessenes Stück Bruschetta gesetzt, das aus rätselhaften Gründen am abgerissenen Arm einer Barbie-Puppe klebte. Irina entsorgte das Artefakt sofort mit der ihr eigenen stillen und unergründlichen Effizienz.
Doug war in milder Stimmung. Er hatte den ganzen Vormittag die Sonntagszeitungen gelesen und zufrieden festgestellt, daß er diese Woche die Konkurrenz geschlagen hatte, jedenfalls, was seine Kommentatoren-Rivalen betraf. Er hatte eine leidenschaftliche Polemik gegen die Schließung des Leyland-Werkes geschrieben und sich dabei stark auf die Erinnerungen seines verstorbenen Vaters gestützt, der dort gewerkschaftlicher Vertrauensmann gewesen war. Nichts, was er an diesem Vormittag gelesen hatte, war mit so viel Herzblut geschrieben worden oder vermittelte ein ähnliches Gefühl persönlicher Erfahrung. Nun konnte er sich entspannt zurücklehnen und in seiner chaotischen Patchwork-Familie die Rolle der charismatischen Vaterfigur spielen.
In Hörweite seiner Kinder und im vollen Bewußtsein, die Grenze der Intimität zu überschreiten, begann er Benjamin schelmisch und in aller Ausführlichkeit die Geschichte von Frankies Weigerung zu erzählen, mit ihm zu schlafen.
»Sie hat dir doch bestimmt von dem System erzählt, das sie sich ausgedacht hat, oder? Für ein normales Schimpfwort ein Tag ohne Sex. Zwei Tage für ›Scheiße‹ und drei Tage für ›Herrgott nochmal‹?«
»Genial«, gab Benjamin zu, warf einen Blick auf Frankie und merkte, daß sie ihrem Gespräch aufmerksam lauschte. Sie grinste übers ganze Gesicht, und es war offensichtlich, wie sehr sie ihren Mann liebte und die Macht genoß, die sie über ihn hatte.
»Tja«, sagte Doug und wandte sich ihr zu, »ist dir klar, daß ich seit mehr als einer Woche nicht mehr geflucht habe? Und weißt du, was das bedeutet?«
»Ja? Was bedeutet das?« fragte sie. (Und Benjamin hatte das Gefühl, daß sie selbst in einen so schlichten Satz noch etwas liebevoll Neckendes legte.)
»Das bedeutet, daß es heute nacht soweit ist«, sagte Doug triumphierend. »Ich habe meine Schuld gegenüber der Gesellschaft bezahlt. Die Bilanz ist ausgeglichen. Und ich habe fest vor ...« – er nippte bedeutungsvoll an seinem Pinot Grigio – »... meine Belohnung einzufordern.«
»Duggie!« rügte Frankie ihn. »Mußt du unbedingt allen hier die Details unseres Sexlebens enthüllen?« Doch sie machte nicht den Eindruck, als ob sie dies störte. Benjamin und Emily waren es, die auf ihren Plätzen herumrutschten und einander nicht anschauen mochten.
Ein paar Minuten später traf Paul ein.
»Himmel noch mal!« sagte er und küßte Susan flüchtig auf den Kopf, »was ist denn das hier für eine Versammlung von Satansbraten?« Er fuhr Antonia übers Haar, und sie sah kurz von ihrem Bild auf, ohne wirklich wahrzunehmen, daß ihr Vater gekommen war. Er ignorierte Benjamin und sagte nur: »Hallo, Douglas – ob du mich mit deiner wunderschönen Ehefrau bekannt machen könntest?«
Als Paul sich neben Frankie auf einen Stuhl setzte und das spielen ließ, was er irrtümlicherweise für seinen Charme hielt, starrte Doug ihn über den Tisch finster an. »Ich hasse es, mit diesem Arschloch in der Öffentlichkeit gesehen zu werden«, flüsterte er Benjamin ins Ohr, der an seiner Vier-Jahreszeiten-Pizza herumsägte. »Laß uns so schnell wie möglich von hier verschwinden.«
Tatsächlich wechselten der parlamentarische Privatsekretär und sein angeblicher Verbündeter aus der gehobenen Presse im Verlauf des Essens kaum ein Wort miteinander, außer, als Doug Paul gezielt auf dessen Fernsehauftritt ansprach.
»Nur eine Frage nebenbei – sofern du dich eine Sekunde von meiner Frau losreißen kannst –, was war denn neulich abend im Fernsehen mit dir los? Hattest du schriftliche Anweisung aus Millbank, den Schnabel zu halten? Ich kann mich nicht erinnern, in dieser Sendung je einen Gast gesehen zu haben, der so hartnäckig geschwiegen hätte wie du.«
Ein Ausdruck mörderischer Wut huschte über Pauls Gesicht. Doch er beherrschte sich rasch und sagte (der Linie folgend, auf die er sich vor ein paar Stunden mit Malvina geeinigt hatte): »Ach, weißt du, sie haben meine Wortbeiträge rausgeschnitten. Samt und sonders – warum, weiß ich auch nicht. Dabei habe ich ein paar richtig witzige Sachen gesagt. Diesen brillanten Satz über Schokolade etwa...« Er verstummte und schüttelte bedauernd den Kopf. »Egal – was soll’s? Beim nächstenmal weiß ich es besser. Sie schneiden diese Sachen zurecht, um selbst eine möglichst gute Figur zu machen, stimmt’s?«
Doug sinnierte kurz über diese Erklärung, schnaubte dann in schwach verhülltem Unglauben und stand auf.
»Wie dem auch sei«, verkündete er, »Ben und ich hatten noch gar keine richtige Gelegenheit, miteinander zu reden, deshalb machen wir jetzt einen kleinen Spaziergang. Bis nachher zu Hause.«
Sie gingen durch Nebenstraßen zum Chelsea Embankment, wo ein ständiger Strom von Autos und Lastern auf und ab dröhnte und Wolken aus Kohlendioxyd schwer über dem kleinen Dorf der Millionärshausboote hingen, die in einer Ausbuchtung der Themse vertäut waren. Am anderen Ufer schimmerte und glänzte die postmoderne Grandiosität des Montevetro-Gebäudes in der fahlen Märzsonne. Benjamin dachte an zu Hause: nicht an das Stadtzentrum, wo er jeden Tag arbeitete – und wo ganz ähnliche Gebäude aus der Erde schossen, wenn auch in bescheidenerem Maßstab -, sondern an das Haus in der Nähe der King’s Heath-Hauptstraße, in dem er gemeinsam mit Emily lebte, an die kleine Welt, die sie sich dort eingerichtet hatten, eine Welt, die ein paar Läden und Pubs und gelegentliche Ausflüge in den Cannon Hill Park umfasste ... Auf einmal kam ihm der Unterschied gewaltig vor. Er konnte es im Grunde nicht nachvollziehen.
»Gefällt es dir hier?« fragte er. »Ich meine – fühlst du dich... wohl?«
»Klar«, sagte Doug. »Was sollte mir denn nicht gefallen?« Und im Wissen um die Antwort seines Freundes fügte er hinzu: »Wenn du mit dir eins bist – in deinem Kopf –, kannst du überall zu Hause sein. Das ist jedenfalls meine Meinung. Bleib dir selbst treu.«
»Ja, du bist dir treu geblieben«, sagte Benjamin und schürzte zweifelnd die Lippen, »das nehme ich jedenfalls an.«
»Ich habe zwar in eine Adelsfamilie eingeheiratet...« – Doug klang immer wütender – » ... aber das heißt noch lange nicht, daß ich vergessen hätte, wo ich herkomme. Wem ich Treue schulde. Ich habe dem Klassenkampf nicht abgeschworen. Ich habe mich nur hinter die feindlichen Linien begeben, das ist alles.«
»Ich weiß«, sagte Benjamin. »Ich wollte dir auch gar nichts unterstellen. Jeder kann das von dir sagen – man braucht ja nur zu lesen, was du für die Zeitung schreibst. Es muß toll sein«, fuhr er leiser fort (und der Neid schlich sich wieder in seine Gedanken ein), »eine solche Plattform zu haben. Du hast bestimmt das Gefühl..., du hast bestimmt das Gefühl, genau das zu tun, was du tun willst.«
»Kann sein.« Sie hatten sich an die niedrige Mauer bei der Battersea Bridge gelehnt und aufs Wasser geschaut. Jetzt stieß Doug sich ab und begann, flußabwärts zu gehen und in tiefen Zügen die giftigen Schwaden einzuatmen, die der unablässige Verkehr auspustete. »Ich glaube, ich bin irgendwie an einen toten Punkt gelangt. Ich schreibe diese Sachen jetzt seit acht Jahren. Seit ein paar Monaten versuche ich den Leuten zu verklickern, daß ich gern mal was anderes machen würde. Ich habe es im Büro in Umlauf gebracht. Tja, und inzwischen hat man es offenbar bemerkt. Man plant eine große Umstrukturierung. Die Planung läuft seit Wochen, um genau zu sein.«
»Klingt gut«, sagte Benjamin. »Wie wird das deiner Meinung nach aussehen?«
»Ach, Gott, ich kenne die Privatsekretärin des Redakteurs ein bißchen – sie heißt Janet. Nettes Mädchen. Sie ist erst seit kurz vor Weihnachten da. Irgendwie haben wir einen guten Draht zueinander, und sie versorgt mich in Abständen mit ein bißchen Tratsch. Sie hat gehört – nun, ja, sie hat ihn beim Telefonieren belauscht, und allem Anschein nach ist mein Name im Zusammenhang mit einem bestimmten Job gefallen.«
Benjamin wartete. Schließlich sah er sich genötigt zu fragen: »Ja? Und welcher?«
»Sie war sich nicht ganz sicher«, gestand Doug. »Sie konnte ihn nicht richtig verstehen. Aber sie meint, es hätte endgültig geklungen. Das ist erst ein paar Tage her. Aber sie war sich sicher – auf jeden Fall zu neunzig Prozent –, daß es entweder um den Posten des Redakteurs des politischen Teils ging – was natürlich großartig wäre – oder um den Posten des stellvertretenden Herausgebers. Was einfach... phantastisch wäre.«
»Stellvertretender Herausgeber?« wiederholte Benjamin, offensichtlich beeindruckt. »Wow. Glaubst du wirklich, das könnte es sein?«
»Ich denke lieber nicht darüber nach«, sagte Doug. »Redakteur des politischen Teils wäre großartig. Das wäre genau richtig. Das würde ich sofort machen.«
»Würdest du dann auch mehr verdienen?«
»In beiden Fällen. Da wäre viel mehr Geld drin. Was vor allem Frankie glücklich machen würde. Wahrscheinlich ruft mich heute noch jemand an, um mir mitzuteilen, um welchen der beiden Jobs es sich handelt.«
»Heute? An einem Sonntag?«
»Jawohl.« Bei diesem Gedanken rieb Doug sich die Hände. »Heute ist es soweit, Benjamin. Vielleicht können wir noch mit Champagner anstoßen, bevor ihr heute abend fahrt. Und nachdem ich mich eine geschlagene Woche jeglicher Flüche, Lästerungen und schmutziger Sprache aller Art enthalten habe, folgt darauf – jedenfalls, was mich betrifft – etwas, bei dem es sich nur um einen Fick epischen Ausmaßes handeln kann. Um das Urbild aller Ficks.«
Sie überquerten mit Mühe die Straße, da sie sich durch vier Verkehrsstränge schlängeln mussten, und kehrten zur Bilderbuchenklave zurück, in der die Residenz der Gifford-Andertons verborgen lag.
»Ich dachte, die anderen Leute bei der Zeitung würden dir nicht passen«, sagte Benjamin. »In politischer Hinsicht, meine ich.«
»Ja, aber genau das ist mein Trumpf«, erläuterte Doug. »Stimmt schon, das sind durch die Bank von Blair indoktrinierte Idioten. Aber Tatsache bleibt, daß sie an die Leser denken müssen, und die meisten Leser gehören zur alten Labour-Fraktion. Deshalb brauchen sie in der Leitung jemanden wie mich, auch wenn ihnen das nicht paßt. Ich bin die Stimme dieser Leute. Jener Leute, die der Meinung sind, wir sollten Longbridge erhalten, auch wenn das Werk keine Gewinne mehr macht. Jener Leute, die jetzt in den Vierzigern, Fünfzigern und Sechzigern sind, diese Zeitung seit Jahren lesen und sich absolut nicht dafür interessieren, welchen Eyeliner Kylie Minogue benutzt – die Sorte von Story, auf die unser ehrenwerter Herausgeber abzufahren scheint ...«
»Dann kommst du nicht gut mit ihm klar?« fragte Benjamin.
»Wir kommen gut miteinander klar«, sagte Doug, »aber er ist ein Mann ohne Skrupel. Völlig opportunistisch. Vor ein paar Monaten zum Beispiel haben sie eine Fotoserie von einem gewissen, halb verhungert wirkenden Model geschossen, aber die Frau sah so krank und abgehalftert aus, daß sie die Fotos nicht verwenden konnten. Letzte Woche hat er sie dann wieder ausgegraben und doch in der Hauptausgabe gebracht – um eine Story über Magersucht zu illustrieren. Hatte anscheinend nicht das Gefühl, daß das nicht so ganz das Richtige sein könnte.«
Doug lachte verärgert, als sie die Gartenpforte erreichten und mit einem Quietschen öffneten. Er hatte die Haustürschlüssel vergessen und drückte deshalb den Knopf der Sprechanlage: Sie warteten eine Weile und bewunderten dabei den Efeu, der sich um den Türsturz und die mit Mittelpfosten versehenen Fenster rankte. Frankie habe immer zuviel um die Ohren, um sich um den Garten kümmern zu können, erklärte Doug, also komme an drei Vormittagen in der Woche jemand, der es für sie erledige.
Kurz darauf wurde die Haustür von einer atemlosen Irina geöffnet.
»Ah – Doug – komm schnell rein. Da ist ein Anruf für dich.«
»Wer ist dran?« fragte er drängend und folgte ihr ins Haus.
»Da – da drin.«
Sie zeigte zum Wohnzimmer im Erdgeschoß, das das Haus der Länge nach durchzog und in einem Wintergarten auslief, der doppelt so groß war wie Benjamins Garten. Doug und Benjamin eilten ins Zimmer und sahen, daß schon alle da waren: Paul, Susan, Emily, Frankie und sämtliche Kinder. Sie sahen Doug aufgeregt an und lächelten in froher Erwartung, während Frankie am schnurlosen Telefon mit jemandem sprach.
»Ja, er ist da. Sozusagen gerade zur Haustür herein. Ich reiche Sie weiter. Bitte sehr!«
Doug entriß ihr das Telefon und zog sich in eine Ecke des Zimmers zurück.
»Geht es um den Job?« flüsterte Benjamin, und Frankie nickte.
Zunächst wußten die anderen nicht recht, was vor sich ging, weil sie nur eine Seite des Gesprächs mitbekamen. Doug sagte kaum etwas, sondern brummte nur gelegentlich zustimmend. Allerdings fiel allen auf, daß sich sein Ton im Laufe des Gesprächs veränderte. Er schwieg immer länger – offenbar steuerte die Person am anderen Ende der Leitung auf irgendeine Art von Enthüllung zu. Als sie schließlich kam, verfiel Doug in Totenstille. Und mit ihm alle anderen, die im Wohnzimmer versammelt waren.
Es schien, als wären Minuten verstrichen, bevor Doug sehr leise sagte: »Was?« Gleich darauf brüllte er aus voller Lunge noch einmal: »WAS?« es war ein Brüllen unbändigen Zorns, das die Kinder untereinander Blicke furchtsamer Erwartung wechseln ließ.
Nun war auch die Person am anderen Ende lauter geworden, man konnte hören, wie sie sagte: »Doug – bitte denk darüber nach. Leg jetzt nicht auf. Egal, was du tust ...«
Doug beendete das Gespräch mit einem Knopfdruck, ging zum Kamin und legte das Telefon mit einer Geste übermenschlicher Ruhe auf den Sims.
»Und?« sagte Frankie, die die Spannung nicht mehr aushielt.
Doug starrte sein Gesicht im vergoldeten Spiegel an.
»Diese Frau«, sagte er schließlich mit heiserer und seltsam abwesender Stimme. »Diese Janet. Sie sollte mal zum Ohrenarzt.« Er wandte sich dem Kreis verwirrter Gesichter um. »Redakteur des Politikteils? Nein. Stellvertretender Herausgeber? Nein.« Er holte tief Luft und brüllte: »LITERATURredakteur. Hört ihr? VERFICKTER LITERATURREDAKTEUR. Sie wollen, daß ich Bücher besprechen lasse. Sie wollen, daß ich meine Tage damit vergeude, Romane in irgendwelche verfickten, wattierten Umschläge zu stecken und sie an ... an ...« Er begann zu stottern, es verschlug ihm die Sprache, und er begann wie irre im Zimmer herumzurennen und brüllte dabei: »Diese Kanaillen. Diese verfickten, verfickten, verfickten, verfickten, verfickten, verfickten KANAILLEN!«
In der tiefen Stille, die diesem Ausbruch folgte, meinte Benjamin hören zu können, wie die Wörter im Zimmer widerhallten und erstarben. Alle schwiegen ratlos, bis Coriander sich schließlich an ihre Mutter wandte und flüsterte: »Was ist eine Tanaille? Was ist eine verfitte, verfitte, verfitte Tanaille?«
Das war der bislang längste Satz ihres Lebens. Doch Frankie hielt es in diesem Moment für unangebracht, die Frage zu beantworten. Und sie verkniff sich auch den Hinweis auf die Tatsache, daß ihr Mann sich für mindestens drei weitere Wochen für den Sex disqualifiziert hatte.