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Kerschbaumer und die Italiener

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Eigenartigerweise hat die Politik in der Familie Kerschbaumer keine Rolle gespielt. Sepp Kerschbaumer, der so leidenschaftlich gern diskutierte und sich stunden- und nächtelang mit Freunden und Bekannten über die Landes- und Weltpolitik streiten konnte, hatte diesbezüglich in der Familie keinen Ansprechpartner. „Wir waren absolut unpolitisch und sind es auch heute noch“, betont Helga Kerschbaumer. Es wäre auch für seine Söhne und Töchter nicht ganz einfach gewesen, das Verhalten des Vaters zu verstehen. Er hatte eine Wut und oft auch so etwas wie einen heiligen Zorn auf das offizielle Italien, gleichzeitig aber griff er italienischen Zuzüglern unter die Arme, wenn sie in Not waren. Er unterschied nämlich streng zwischen den Menschen und der Politik. Das wird von allen, die ihn kannten, herausgestellt. Obwohl der ständige Zustrom von Neueinwanderern einer der Hauptgründe für die Radikalisierung innerhalb der deutschen Volksgruppe war und das Verhältnis zwischen den Sprachgruppen schwer belastete, hat dies Kerschbaumer nicht daran gehindert, dem einen oder anderen italienischen Industriearbeiter aus der Verlegenheit zu helfen, wenn er einmal ohne Mittel dastand.


Um die italianità Südtirols zu unterstreichen, veranstalteten nationalistische Kreise am 4. November 1955 in Bozen einen plebiscito tricolore. Associazioni patriottiche verteilten diese Karte mit der Aufforderung „Ad ogni finestra una bandiera“. Die Veranstaltung nahm den Charakter eines widerlichen faschistischen Spektakels an.

Einige von ihnen hatten sich auf der Suche nach billigem Wohnraum Ende der 1950er-Jahre auch in Frangart niedergelassen und so mit dem wohltätigen Menschen Sepp Kerschbaumer Bekanntschaft und auch Freundschaft geschlossen. Einem mittellosen Zugewanderten gab er in der ersten Zeit seines Aufenthaltes in Südtirol Lebensmittel auf Kredit. Einem anderen Italiener gewährte er ein Darlehen, ohne auch nur eine Quittung zu verlangen. Und wieder einem anderen schenkte er ein Fahrrad, damit er den weiten Weg zum Arbeitsplatz nicht zu Fuß gehen musste.23 Ein Industriearbeiter und ein Angestellter bei der Post haben ihm das auch vergolten, indem sie dann beim Mailänder Prozess für ihn ausgesagt haben, obwohl er das selbst nicht wollte, denn „was die Rechte getan hat, darf die Linke ja nicht wissen“.

„Der Einzelne kann ja nichts dafür“, lautete stets der Leitspruch des Christenmenschen Sepp Kerschbaumer. Die Politiker und die Regierung waren für ihn verantwortlich für die gespannte Situation in Südtirol.

„Mein Vater war mit mehreren Italienern regelrecht befreundet“, weiß Helga Kerschbaumer zu berichten. Ein Bekannter aus Süditalien, mit dem er in Kriegszeiten Bekanntschaft geschlossen hatte, sei immer wieder auf Besuch gekommen. „Es hat bei uns kein fanatisches Klima gegeben“, betont sie, „denn das wäre schon aus religiösen Gründen niemals möglich gewesen.“ Ein Klima selbstverständlicher Toleranz, und das in einer Zeit größter Spannungen, in der der BAS-Chef schon konkret ans Bombenlegen dachte: Dass das möglich war, hat mit der religiösen Geistigkeit von Sepp Kerschbaumer zu tun.


Eine Italienerin näht Fahnen am laufenden Band für den plebiscito tricolore. Im Hause Kerschbaumer in Frangart ist es Basl Moidl, die jedes Jahr vor dem Andreas-Hofer-Tag und dem Herz-Jesu-Sonntag Tiroler Fahnen herstellt.

Diese tolerante Haltung im Hause des Chefs der Südtiroler Untergrundbewegung war aber im damaligen Südtirol gewiss nicht die Regel und hätte auch noch heute Vorbildcharakter. Die Haltung Kerschbaumers mag vielleicht auch ein bisschen damit zusammenhängen, dass er sein Tirolertum trotz aller Einschränkungen stets in aller Offenheit zur Schau trug und deshalb auch keine versteckten Aggressionen zu entwickeln brauchte.

Aber Sepp Kerschbaumer hat nicht nur italienische Industriearbeiter unterstützt, indem er sie in seinem Geschäft immer tüchtig aufschreiben ließ. Er hatte noch einen weiteren Wesenszug: die tätige Nächstenliebe. „Manchmal hat es uns schon gestört, dass er so großzügig war“, erzählt Helga Kerschbaumer. „Er hat immer alles verschenkt für wohltätige Zwecke, und selbst aus dem Gefängnis hat er immer wieder geschrieben, dass die Mama ja fleißig spenden soll.“ Der Ärger ist mehr als verständlich, weil er seiner Familie gegenüber eine Sparsamkeit an den Tag legte, die manchmal schon an Geiz grenzte. „Brauchten wir ein Paar neue Schuhe“, erinnert sich seine Tochter Helga, „so mussten wir ihn ein Jahr lang bearbeiten, bis wir sie kaufen durften.“ Kann sein, dass er seine Kinder vor Verschwendungssucht bewahren wollte. Bevor sie etwas erwarben, sollten sie ganz sicher sein, ob sie es auch wirklich benötigten.

Für Arme und Hilfsbedürftige gab Sepp Kerschbaumer jedenfalls mehr als den berühmten Zehnten. „Einmal“, so Tochter Helga, „da ist es sogar dem Pfarrer zu viel geworden.“ Sepp Kerschbaumer hatte nämlich im Gefängnis vernommen, dass der Pfarrer das Kirchendach in Frangart neu decken wollte. Sofort ließ er seine Frau wissen, dass er den Jahresertrag seiner Obstwiese für diesen Zweck spenden wolle. Sepp Kerschbaumer schreibt am 30. Oktober 1964 vom Trienter Gefängnis aus nach Hause:

Helga hat mir gestern auch erzählt, daß der Herr Pfarrer das Kirchendach reparieren lassen muß, weil es vielfach nicht mehr regendicht ist. Mit dieser Arbeit sind freilich große Auslagen verbunden, und wo soll er das Geld auch hernehmen als von den Dorfleuten. Und schließlich ist es eine heilige Pflicht eines jeden Christen, im Dorfe mitzuhelfen, dass das Gotteshaus gut und fest dastehe. Diese Ausbesserung soll anscheinend einige Millionen Lire kosten. Gut, es wird nicht gerade von alleine gehen, aber wenn überall, besonders bei den Besitzern und Gutstehenden der gute und christliche Wille vorherrscht, dann darf es keine großen Schwierigkeiten machen. Auch ich möchte mich dieser Hilfeleistung gerne anschließen. Es ist also mein Wunsch und Wille, dass der Franz dem Hochw. Herrn Pfarrer als Spesenbeitrag 250.000 Lire übergibt. Ich hoffe, daß Ihr als meine Kinder auch dafür seid. Wenn schon, ist es nur zu unser aller Segen, und den brauchen wir notwendiger als manche andere.24

Doch dem Pfarrer ging diese Spende zu weit, und er erinnerte seine Frangarter Schäfchen daran, dass es ja nicht nur den Kerschbaumer gebe. Und so wie er vom Gefängnis aus die Familie immer wieder angehalten hat, „tut, wenn die Stunde es verlangt, ein gutes Werk an armen Menschen“, hat er auch im Gefängnis selbst gehandelt. „Ob Schwerverbrecher oder nicht, vom Kerschbaumer hat jeder einen Teil erhalten“, bezeugt Luis Gutmann. Dass Sepp Kerschbaumer auch die Tätigkeit des BAS, soweit es nur irgendwie ging, mit gar einigen Millionen aus der eigenen Tasche mitfinanziert hat, ist zwar nicht seiner Nächstenliebe zuzuschreiben. Von einem gewissen Hang zum Altruismus zeugt aber auch diese Haltung.

Sepp Kerschbaumer

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