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Die Kriegszeit 1939 bis 1945

1939: Gehen oder bleiben?

Die Zeitläufte brachten es mit sich, dass die junge Familie Kerschbaumer schon bald – wie mehr oder weniger alle Familien in Südtirol – schweren Stürmen ausgesetzt wurde. Bekanntlich wollten Mussolini und Hitler das Südtirol-Problem ein für alle Mal aus der Welt schaffen. Etwas drastisch, aber durchaus angemessen ausgedrückt, sollte das Land an Etsch und Eisack als Schmiere für die Achse Rom–Berlin dienen. Das Abkommen vom 23. Juni 1939 stellte die Südtiroler vor eine grausame Alternative: Verbleib bei Italien und damit Verlust der Nationalität und möglicherweise Umsiedlung nach Süditalien oder gar nach Afrika oder Auswanderung nach Deutschland und damit Erhalt des Volkstums. „Hinaus oder hinunter“, „Germania o Abissinia“ lauteten die Schlagworte, die damals die Menschen um den Schlaf brachten und die Geister entzweiten. Niemand konnte sich einer Entscheidung entziehen. Denn auch eine Nichtoption galt als Option, nämlich als Option für die Beibehaltung der italienischen Staatsbürgerschaft. Leider finden sich keine Briefe, privaten Aufzeichnungen oder amtlichen Dokumente, die es ermöglichten, Kerschbaumers Drama aus der Optionszeit genauer nachzuzeichnen. Man ist hier gänzlich auf mündliche Auskünfte und Überlieferungen angewiesen. Laut Aussage seines Schwiegersohnes Peter Kerschbaumer9 sei Sepp Kerschbaumer in dieser Zeit ein „recht heftiger Hitlerschreier“ gewesen, er habe unbedingt auswandern wollen. Auch seine Frau weiß zu berichten, dass Sepp Kerschbaumer für das Auswandern Propaganda gemacht und viele Familien unterstützt hat, die ausgewandert sind. „Selbst sind wir aber nicht gegangen, da hab ich ihm nicht mitgetan.“ Ihr sei es auch gelungen, seinen Antrag um vordringliche Auswanderung zu blockieren, worüber er eigentlich nicht unglücklich gewesen sein soll. „Denn ganz wohl ist ihm ja auch nicht gewesen bei der Angelegenheit.“ Kaum war diese Aufregung vorbei, erfasste ihn eine neue Welle. Anfang September 1939 brach der Krieg aus. Sepp Kerschbaumer machte sich Vorwürfe, weil er immer noch daheim war, während andere schon im Feld standen. „Vor lauter Deutschtum im Kopf“, erzählt seine Frau, „hat er gesagt: Ich muss für die Heimat etwas tun. Ich sehe nicht ein, daß die anderen alle einrücken müssen, und wir sitzen bequem daheim. Er wollte ins Feld und hatte sich mit anderen Eppanern schon freiwillig gemeldet.“ Ihr soll es dann aber gelungen sein, diesen voreiligen Schritt rückgängig zu machen und Sepp vor dem Einrücken zu bewahren.


Sepp Kerschbaumer Ende der dreißiger Jahre

Mit der Zeit kühlte die Begeisterung Kerschbaumers für das Deutsche Reich ziemlich ab. Einen ersten nachhaltigen Dämpfer erhielt sein Enthusiasmus im Jänner 1942, als er in Berlin mit Willy Alessandri und Sepp Kaseroler einen landwirtschaftlichen Lehrgang besuchte. Da war Schmalhans Küchenmeister, zu essen gab es wenig, und das wenige war mager.

Das Arbeitsprogramm war aber streng und dicht. Für viele Beobachtungen fand sich weder Zeit noch Gelegenheit.10 Aber eines war nicht zu übersehen: Die Versorgung mit Nahrungsmitteln war nicht mehr die allerbeste im Reich, und Sepp Kerschbaumer war sichtlich froh, wieder zu Hause zu sein, wo an Kartoffeln noch nicht gespart werden musste. Er ist von Berlin recht bedrückt und nachdenklich zurückgekommen, erzählen einige Familienangehörige.

Die große Verweigerung?

Eine neue Wende ins Positive schien die Politik für Südtirol im Sommer 1943 zu nehmen. Italien scherte aus dem Bündnis mit Deutschland aus. Die Wehrmacht besetzte Südtirol und Italien. Wie für die meisten Südtiroler war dieser Tag auch für Sepp Kerschbaumer ein Festtag. Jahrzehnte der Demütigung und Erniedrigung, der gewaltsamen Entnationalisierung schienen wie weggeblasen. Man war allgemein der Auffassung, das nunmehr von den Deutschen besetzte Land werde nie mehr unter italienische Oberhoheit kommen. Kurzum, die Südtiroler fühlten sich wieder als Herren im eigenen Lande. Dass aber nur Beelzebub den Teufel verjagt hatte, das sahen die allerwenigsten.

Es dauerte denn auch nicht lange, dass alles ganz anders kam als erhofft und erwartet. Wohl erhielt man wieder deutsche Schulen, konnte man in den Ämtern wieder Deutsch sprechen, nahm das kulturelle Leben im Lande einen neuen Aufschwung. Aber Südtirol blieb nach wie vor bei Italien. Hitler wollte seinen Bundesgenossen Mussolini nicht vor den Kopf stoßen. Sepp Kerschbaumer gefiel aber noch so manches andere nicht. Da war schon einmal der schnarrende Ton, den nicht wenige Landsleute von den deutschen Behörden und Militärs übernahmen. Dieser Ton war dem empfindsamen Menschen bis in die Seele hinein zuwider. Die plötzliche Machtfülle schien manchem zu Kopf gestiegen zu sein. Am meisten aber litt Kerschbaumer, wenn er zusehen musste, wie Leute von den neuen Behörden mit zweierlei Maß behandelt wurden. Ihn plagte mehr und mehr die Angst, eines Tages in irgendeine Schweinerei hineingezogen zu werden. Ob man schuldig wurde oder nicht, hing damals ja vielfach nicht vom eigenen Willen, sondern vom Zufall ab. Sepp Kerschbaumer war erleichtert, als er mit einer Kompanie des Polizeiregiments Bozen nach Belluno zum Partisaneneinsatz kam. Er war zwar vorher ausgebildet worden, doch ein tüchtiger Soldat dürfte er nicht gewesen sein. Ihm haftete nicht nur bei der landwirtschaftlichen Arbeit eine gewisse Ungeschicklichkeit an, ihm bereitete alles, was mit Technik zu tun hatte, Schwierigkeiten. Daher war er auch zum Sprengen nicht zu gebrauchen. Pepi Fontana fragte ihn einmal: „Sepp, soll ich dir zeigen, wie man das macht?“ „Nein, nein“, wehrte er ab, „das hat keinen Sinn, i derlearn deis decht nit.“ Schwer vorzustellen, wie er mit einem Schießgewehr zurechtkam. Wie er Pepi Fontana erzählte, kam er nie zu einem eigentlichen Partisaneneinsatz. Er musste viel Posten schieben und eingefangene Partisanen bewachen. „Jetzt erst weiß ich, was es heißt, mit erhobenen Armen stundenlang dastehen zu müssen“, meinte er einmal. Was das heißt, hat er nämlich im Juli 1961 in der Carabinieri-Kaserne von Eppan an sich selbst erlebt. Im Übrigen hatte er auch in Belluno erfahren müssen, dass nicht immer Tatbestände, sondern oft Zufälle oder gewisse Verbindungen über Leben oder Tod eines Menschen entschieden. Es kam vor, dass mehrere Partisanen eingeliefert wurden. Plötzlich kam ein Befehl, der und der seien sofort freizulassen. Sie seien irrtümlich verhaftet worden. In Wirklichkeit hatte die Schwester eines dieser Männer mit dem Kommandanten ein Verhältnis.

Im Zusammenhang mit Kerschbaumers Einsatz in Belluno ist ein Ereignis erwähnenswert, das allerdings nicht endgültig rekonstruiert werden konnte. Sepp Kerschbaumer soll dort laut Aussage seines Schwiegersohnes Peter Kerschbaumer zu einer Hinrichtung abkommandiert worden sein. Kerschbaumer hätte aber Gewissensgründe geltend gemacht und die Teilnahme an der Erschießung verweigert. Peter Kerschbaumer hat diese Information von einem gewissen Ernst Deisinger aus Roßdorf bei Darmstadt, der damals Bursche des Kompaniechefs gewesen war. Deisinger war nach dem Krieg mit seiner Familie öfters Gast bei Sepp Kerschbaumer in Frangart, unter anderem auch in den Tagen der Verhaftung. Er ist aber schon im Jahre 1990 gestorben. Es ist daher nicht möglich, diese Aussage zu überprüfen. Kerschbaumer selbst soll in seiner Familie nie über diese Episode gesprochen haben. Er erwähnte sie auch nie in den Gesprächen mit seinen Mithäftlingen im Gefängnis. Dies hat aber nichts zu sagen. Sepp Kerschbaumer war in allen Dingen, die ihn selbst betrafen, ein außergewöhnlich verschlossener Mensch. Es könnte daher durchaus sein, dass er diesen Vorfall in seiner Bescheidenheit verschwiegen hat.

Eines jedenfalls scheint sicher zu sein: Der Charaktermensch Sepp Kerschbaumer, dem später dann als Angeklagtem vor Gericht selbst die Richter und Staatsanwälte Respekt bekundeten, scheint in diesen beiden letzten Kriegsjahren seine endgültige Lebenslinie gefunden zu haben. Aus dem „recht heftigen Hitlerschreier“ von 1939 ist in den Jahren 1943 bis 1945 ein entschiedener Hitlergegner geworden. 1961 sagte er einmal zu Pepi Fontana im Gefängnis: „So wie wir jetzt alles überblicken, müssen wir froh sein, dass Deutschland den Krieg verspielt hat. Nicht auszudenken, wie das Leben heute in Europa wäre, wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte.“

Sepp Kerschbaumer

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