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Die Haltung der Amtskirche

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Früher als in der Südtiroler Volkspartei brach im kirchlichen Lager der Streit über die Linie aus, die in der Südtirol-Politik einzuschlagen war. Unterm Faschismus hatte sich die Kirche in Südtirol große Verdienste um die Verteidigung des kulturellen Eigenlebens erworben. Sie war nicht nur Kompass in rein kirchlich-religiösen Fragen gewesen, sondern auch in nationalen Belangen. Da sich die Situation nach dem Krieg nur graduell, aber nicht substanziell besserte, konnte man erwarten, dass die Kirche auch jetzt für Recht und Gerechtigkeit eintrete. Diese Hoffnungen wurden zunächst auch erfüllt. Kanonikus Michael Gamper nahm sich kein Blatt vor den Mund, wenn es galt, Fehlentwicklungen aufzuzeigen und Unrecht anzuprangern. Sein Oberhirte, Bischof Carlo De Ferrari in Trient, sah dies zwar nicht gerne, scheute sich aber, Gamper kaltzustellen oder irgendwelche Maßregeln gegen ihn zu ergreifen. Mit Bischof Johannes Geisler in Brixen wusste sich Gamper eines Sinnes. Zum 40-jährigen Priesterjubiläum im Jahre 1948 sprach ihm Geisler für die „vorbildliche Pressetätigkeit“ seine „vorbehaltlose Anerkennung“ und seinen Dank aus. „Durch Ihre vielfache Tätigkeit, besonders aber durch Ihre erfolgreiche Journalistik, die Sie durch unbestechlichen Gerechtigkeitssinn, heiße Liebe zum Volke und persönlichen Mut auszeichnet, haben Sie unter anderem auch dem ganzen Lande unschätzbare Dienste erwiesen. Die katholische Luft, die in unserem Lande weht, kommt zum Teil auch aus Ihrem katholischen Blatt ‚Dolomiten‘.“73

Johannes Geisler starb aber am 5. September 1952. Und dann trat eine Wende ein. Sein Nachfolger Joseph Gargitter hielt die nationale Linie für einen Irrweg. Er schlug sich gleich zu Beginn seiner Amtszeit auf die Seite der alten, in ethnischen Fragen kompromissbereiten SVP-Führung. Den katholischen Organisationen sprach er die Aufgabe zu, Hauptträger der Verständigung zwischen den Volksgruppen zu sein und so ein Überschwappen der nationalen Leidenschaften in die jeweiligen Lager zu verhindern. Erst recht war es ihm ein Anliegen, die Geistlichkeit aus dem Parteienstreit herauszuhalten. Da war ein Zusammenstoß mit Michael Gamper fast unvermeidlich. Gamper gehörte jener Priestergeneration an, die die Ansicht vertrat, dass der Priester dem Volk in schweren Zeiten Führer und Orientierung sein müsse.

So trat er auch energisch gegen Versuche auf, die Südtiroler Volkspartei aufzuspalten oder sie durch Leisetreter und Aufweichler zu unterwandern. Diese Gefahr zeichnete sich Anfang März 1953 ab. Michael Gamper setzte sich in den Dolomiten mit einigen orakelhaften Nachrichten des L’Adige und des Alto Adige auseinander.74 Ihren Andeutungen war zu entnehmen, dass der ladinische Rechtsanwalt Natale Dander der SVP beitreten und auf ihrer Liste für die Parlamentswahlen kandidieren wolle.75 Das wäre an sich kein Unglück gewesen. Aber es ging um viel mehr, es ging, wie der Alto Adige zu verstehen gab, um die Einschaltung von Männern, die sich auf das richtige Geleise loyaler und offenherziger Mitarbeit begäben, die entschieden für eine Zusammenarbeit einträten und so eine neue positive Ära eröffneten. Anders und klar gesagt: Es ging darum, die SVP von innen her aufzuweichen und womöglich aufzuspalten. „Merkwürdige Methoden“, meinte Michael Gamper – und zog sich dadurch den Zorn des Bischofs zu. Hinter dem Manöver stand nämlich die Democrazia Cristiana und noch weiter dahinter Bischof Joseph Gargitter. In seinem Schreiben vom 5. März 1953 ließ er seinem Unmut über Gamper freien Lauf: „Bei dieser Gelegenheit erfülle ich die unangenehme Pflicht, Sie von meiner Sorge und Unzufriedenheit darüber in Kenntnis zu setzen, dass Sie in Ihrem Blatte ‚Dolomiten‘ der Volkspartei gegenüber für die christlichen Anliegen nicht entsprechend eintreten. Durch den oben erwähnten Artikel hat sich der schon seit Jahren gehabte Eindruck wesentlich verstärkt, daß Sie das christliche Anliegen zu sehr hinter das nationale zurückstellen. Indem ich Ihnen hierüber mein Bedauern ausspreche, muss ich mit Nachdruck betonen, daß ich diese Haltung unmöglich hinnehmen kann und daß bei Beibehaltung dieser Haltung die Distanzierung des Bischofs und des Klerus von Ihrem Blatte unausweichlich ist.“76 Michael Gamper war einiges gewohnt und hielt auch einiges aus, aber dieser Schlag verletzte ihn zutiefst. In einem langen Schreiben legte er dem Oberhirten seine Auffassung von der Aufgabe des Priestertums dar: „So wie der Priester sich auch um die soziale Not seiner Schutzbefohlenen zu kümmern hat, so muß er auch um die nationale Not seiner Schutzbefohlenen bekümmert sein um der Gerechtigkeit und christlichen Liebe willen. Vielleicht spüren wir Älteren, die wir von den Anfängen unserer gegenwärtigen Lage her miterlebt haben und miterlitten haben, was unser Volk alles an idealen Gütern verloren hat, zu denen zweifellos auch die der nationalen Eigenart und des Volkstums gehören, diese nationale Not stärker als die Jüngeren, die diesen Zustand schon als etwas Gegebenes, wenn nicht gar Selbstverständliches vorgefunden haben.“77 Doch der Bischof blieb unbeugsam: „Ich kann nur noch einmal bitten und warnen: der Weg, den Sie beschritten haben, ist für den Priester und Christen nicht gangbar.“78 Wenn der Kanonikus auch unter Gargitters Verdikt schwer litt, so hatte er wenigstens die Genugtuung, dass sich das Intrigenspiel um die Kandidatur Danders in Luft auflöste.79

Bischof Gargitter wollte offensichtlich seine in Rom gewonnenen Erfahrungen in Südtirol anwenden. Er hatte acht Jahre im deutsch-ungarischen Collegium Germanicum verbracht, wo Leute aus zwölf verschiedenen Nationen untergebracht waren. Bei den Vorlesungen an der Päpstlichen Universität Gregoriana hatte er Männer aus über 30 Nationen kennengelernt. Diese Kontakte hatten sein Verständnis für andere Völker und Sprachgruppen geweckt und gefordert.80 Da jede Nationalität die Eigenheiten und Traditionen der anderen respektierte, kam es dort zu keinen ethnisch bedingten Auseinandersetzungen und Spannungen. Dieses Modell wollte er gewissermaßen auf Südtirol übertragen. Er scheint sich aber bald überzeugt zu haben, dass da doch enorme Unterschiede bestanden. In Rom fanden sich Leute ein, die ein höheres gemeinsames Anliegen zusammenführte. In Südtirol hingegen drückte das Staatsvolk die Minderheit an die Wand. Bei einer Audienz im September 1956 bemerkte Gargitter Papst Pius XII. gegenüber, dass man sich vonseiten der deutschen und ladinischen Bevölkerung eine Stellungnahme zu den politischen Problemen erwarte. Doch der Papst wehrte ab: „Tun Sie das nicht. Sie würden damit ein Feuer anzünden, das Sie nicht mehr löschen können. Halten Sie sich aus der Politik heraus und versuchen Sie, allen drei Volksgruppen in gleicher Weise möglichst gerecht zu werden.“81

Es hat den Anschein, dass in Rom die Linke nicht wusste, was die Rechte tat. Wenig später nahm der Vatikan selbst, wenn auch in verklausulierter Form, zur Südtirolfrage Stellung. Mit Bezug auf die Antwort der italienischen Regierung auf das österreichische Memorandum vom 8. Oktober 1956 befasste sich der Vatikansender am 10. Februar 1957 mit dem „Wesen der Verträge“. Nach längeren Ausführungen grundsätzlicher Natur über Sinn und Gültigkeit von Verträgen kam er zu Überlegungen, die durchaus für Südtirol galten: Die Regierungen hätten die Pflicht, sich gegenüber gerechten Forderungen Rechenschaft zu geben und in zweckmäßiger Weise für Abhilfe zu sorgen, „bevor diese sich verschärfen und der Versuchung erliegen, den Weg des Rechts zu verlassen“.82 Das war eine deutliche Aufforderung an die Regierungen in Rom und Wien, das Südtirol-Problem zu lösen, bevor die Dinge außer Kontrolle gerieten. Im Vatikan erwartete man sich nach dieser Sendung ein klares Wort aus Südtirol. Der päpstliche Sekretär Robert Leiber gab in diesen Tagen dem deutschen Vizeschulamtsleiter Josef Ferrari zu verstehen, dass „auch der Südtiroler Klerus Stellung zur politischen Lage beziehen“ müsse, „andernfalls drohe Vertrauenseinbuße besonders bei der Südtiroler Jugend“.83 Nach dem Einwand des Papstes auf die Anregung Gargitters war eine solche Erklärung aus Südtirol nicht zu bekommen. Bischof Gargitter verlegte sich aber auf die stille Diplomatie. Er ließ keine Gelegenheit ungenützt, um italienische Politiker und Staatsmänner zu beschwören, für Südtirol eine gerechte Lösung zu suchen,84 lange Zeit freilich ohne Erfolg. „Immer Verständnis und großzügige Hilfsbereitschaft“ fand er hingegen bei den verschiedenen Stellen im Vatikan vor. Mit Dankbarkeit erinnerte er sich später an die Privataudienzen, die ihm die Päpste Johannes XXIII. und Paul VI. gewahrten.85 Sepp Kerschbaumer hat sich zur landespolitischen Einstellung der Amtskirche in Südtirol öffentlich nie geäußert. Es besteht kein Zweifel, dass er sich ganz der vom Kanonikus geprägten Haltung verbunden fühlte, der zufolge Unnachgiebigkeit in Volkstumsfragen und Religiosität sich absolut nicht auszuschließen brauchten.


Sepp Kerschbaumer im Kreise seiner Familie. Von links Franzl, Luisa, Sepp Kerschbaumer, Christl, Maria Kerschbaumer, Seppl, Mali, Helga, Basl Moidl (Maria Mederle)

Ganz im Gegenteil, das eine baute auf dem Fundament des anderen auf. Dies bedeutete aber nicht, dass man die Rechte der Italiener schmälern wollte. In seinem zu Neujahr 1957 ausgeschickten Rundschreiben reduzierte Sepp Kerschbaumer den ganzen Komplex der Südtirolfrage auf ein Problem. Gelöst werden müssten nicht verschiedene Probleme, „sondern nur eines, und das heißt, dass im Hause Südtirol nicht die Italiener, sondern wir die rechtmäßigen Hausherren sein und bleiben müssen“. Er verglich das Vorgehen der Italiener in Südtirol gerne mit einem impertinenten Mieter: Du bist Eigentümer eines Hauses und vermietest eine Wohnung, eigentlich mehr aus Gefälligkeit denn aus Notwendigkeit. Der Mieter aber macht sich breit und drängt dich aus allen Stockwerken hinaus, bis dir nur mehr eine Dachkammer bleibt. So weit dürfen wir es in Südtirol nicht kommen lassen. In Zusammenhang mit der dabei aufzubringenden Abwehrbereitschaft erinnerte er im oben zitierten Rundschreiben an den am 15. April 1956 verstorbenen Kanonikus: „Hat man … mit der sterblichen Hülle eines so großen geistigen Kämpfers, wie es unser allseits verehrter Kanonikus Gamper war, auch seinen Geist zu Grabe getragen? Waren sein Vorbild und seine Mahnungen in den Wind gesprochen? Haben wir wirklich keine solchen Idealisten mehr in unseren Reihen, die im Sinne Gampers weiterwirken, damit endlich unserer geliebten Heimat Recht widerfahre?“86

Wie dachte Kerschbaumer über Gargitter? Wir können es uns denken, aber genau wissen wir es nicht. Seine Tochter Mali erinnert sich, dass er dem Bischof öfter geschrieben hat. Von seinen handschriftlichen Briefen fertigte er aber nie Abschriften an. Es findet sich auch nirgends eine Antwort des Bischofs. Es ist anzunehmen, dass er auf Kerschbaumers Schreiben gar nie reagiert hat. Er hat ihn auch nie empfangen. „Ich weiß“, erzählt der Dolomiten-Journalist Franz Berger, „dass er fünf-, sechsmal beim Bischof Gargitter in Brixen vorsprechen wollte. Vielleicht, wenn er ihn empfangen hätte, wär’s gar nie zu diesen Anschlägen gekommen. Aber er ist jedes Mal abgewiesen worden, und dann ist der Kerschbaumer eigene Wege gegangen.“ Hier dürfte Franz Berger mit seinen Annahmen zu weit gehen. Es ist unwahrscheinlich, dass es nicht zu den Anschlägen gekommen wäre, wenn Kerschbaumer mit dem Bischof hätte reden können. Der Druck war damals so stark, dass ein bloßer Gedankenaustausch mit dem Oberhirten nicht genügt hätte, um bei Kerschbaumer ein Umdenken herbeizuführen. Dies wäre nur möglich gewesen, wenn sich die politischen Verhältnisse in Südtirol in kürzester Zeit grundlegend geändert hätten. Von einer solchen Trendumkehr war aber nichts zu merken. Übrigens verlor Kerschbaumer seinen Mithäftlingen gegenüber selten ein Wort über Bischof Gargitter – weder ein gutes noch ein böses. Es entsprach seinem Naturell, dass er sich über Dinge, die ihn besonders schwer bedrückten, ausschwieg.

Sepp Kerschbaumer

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