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Eine Fahnengeschichte mit Folgen

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Was hat Sepp Kerschbaumer in seinem Rundschreiben vom 28. Juni 1958 mit dem „10tägigen Urlaub“ gemeint? Einen Urlaub im wahren Sinne des Wortes hat es für ihn in diesen Jahren nie gegeben. Er führte ein Leben ohne Rast und ohne Ruh. Worauf er anspielte, war eine Fahnengeschichte, die ihm zehn Tage Arrest eingebracht hatte. Die „10 Tage Urlaub“ waren also zehn Tage Gefängnisaufenthalt.

Das Hissen der Tiroler Fahne zum Andreas-Hofer-Tag oder zum Herz-Jesu-Sonntag war ein Akt der Selbstbehauptung. Allerdings ein Akt, der verboten war. Was nicht erlaubt war, musste dann halt unerlaubterweise geschehen. Vor solchen Feiertagen ließ Sepp Kerschbaumer Dutzende Tiroler Fahnen nähen. Für den Ankauf von Fahnenstoffen soll er große Summen ausgegeben haben. Die Fahnen wurden dann von seinen Getreuen im Schutz der Dunkelheit auf Hochspannungsmasten oder auf hohen Bäumen angebracht. Tiroler Fahnen wirkten damals aber auf die Ordnungshüter wie das rote Tuch auf den Stier. Wo sie eine erblickten, machten sie sich auf den Weg und holten sie herunter. Eigentlich hatte Kerschbaumer jahrelang gehofft, dass das Problem der Landesfahne grundsätzlich geregelt werde, und zwar so, „daß wir diese in unserer angestammten Heimat wieder ganz ungehindert und frei von jeder diskriminierenden Einschränkung hissen dürfen“, wie er einmal an Magnago schrieb.97 Sepp Kerschbaumer wollte es aber auf die Dauer nicht hinnehmen, dass die Tiroler Fahne nur bei Nacht und Nebel gehisst werden könne. Wenn, so seine Meinung, die verschiedenen Regionen Italiens ihre Fahne bei feierlichen Anlässen „mit Fug und Recht stolz zeigen“ durften, so musste es auch in Südtirol erlaubt sein, die Landesfahne zu hissen. Er wollte es darauf ankommen lassen. Ihm ist, wie er im oben erwähnten Brief an Magnago schrieb, „eines Tages die Geduld ausgegangen“. Und so dachte er sich: „Probier’s einmal, bin neugierig, was die Herren Italiener dazu für eine Miene machen werden.“98 Am Vorabend zum Andreas-Hofer-Tag von 1957 informierte er einen Dolomiten-Redakteur über sein Vorhaben. Der Athesia-Mitarbeiter Franz Berger begab sich am 20. Februar 1957 zeitig nach Frangart und versteckte sich im Kirchturm. In aller Ruhe brachte unterdessen Sepp Kerschbaumer vor der Kirche „zwei schöne rot-weiße Tiroler Fahnen und das Bildnis des Freiheitshelden Andreas Hofer“ an.99 Es dauerte nicht lange, und es erschienen die Hüter der Ordnung, zogen die Fahnen ein und hießen Kerschbaumer in die Kaserne von Eppan kommen. Dort musste er Rede und Antwort stehen und ein Protokoll unterschreiben. Dann konnte er nach Hause gehen. Die Carabinieri erstatteten Anzeige bei Gericht. Und damit wurde die Fahnengeschichte von Frangart ein Fall für die Justiz. Die Justiz hatte mit dem Fall aber offensichtlich keine rechte Freude und schob ihn vor sich her. Ihr Problem lag darin, dass es kein Gesetz gab, das das Hissen der Tiroler Fahne verbot. Sie musste irgendeinen Vorwand erfinden, um ein Urteil fällen zu können. Vermutlich war es Kerschbaumer selbst, der seinen Fall erneut ins Rollen brachte. Er hängte nämlich am Herz-Jesu-Sonntag erneut in Frangart die Fahne aus. Jetzt machte die Justiz Ernst. Am 5. Juli 1957 verurteilte ihn das Tribunal in Bozen zu zehn Tagen Arrest, bedingt und ohne Eintragung ins Strafregister. Sein Anwalt Hermann Nicolussi-Leck legte gegen das Urteil sofort Berufung ein. Wegen der zweiten Fahnenhissung wurde er am 8. August 1957 vom Bezirksrichter in Kaltern vorgeladen. Die Szene, die sich dabei abspielte, schilderte er Magnago:


Trotz Verbots hisste Sepp Kerschbaumer am Andreas-Hofer-Tag und am Herz-Jesu-Sonntag 1957 auf der Kirche von Frangart die Tiroler Fahne und setzte damit die Justizmaschine in Gang


Die Carabinieri entfernten die Fahne von der Frangarter Kirche und erstatten Anzeige bei Gericht

Bei dieser Gelegenheit konnte ich zu meiner Freude dem Aufruf der Partei vom 23. Juli d. J.100 endlich Folge leisten, indem ich, als mich der Richter aufforderte, das Protokoll zu unterschreiben, das auf Italienisch geschrieben war, mich weigerte, dies zu tun, wobei ich ihm wörtlich sagte: Ich glaube, ich habe das Recht zu verlangen, daß das Protokoll deutsch geschrieben wird, ansonsten unterschreibe ich es nicht, worauf mir der Richter sehr erregt zurief: Nein, Sie haben kein Recht, und gehen Sie, gehen Sie. Mit einem freundlichen Grüß Gott ging ich zur Tür hinaus und konnte ihn in seinem nationalen Zorn allein lassen.

Der Fahnenprozess vom 5. Juli 1957 erregte in Südtirol und bald auch in Nordtirol ziemliches Aufsehen. Sepp Kerschbaumer bekam mehrmals Besuch von Journalisten, unter anderem auch vom Innsbrucker Journalisten Wolfgang Pfaundler. Eine Begegnung, die noch ungeahnte Folgen haben sollte. Vorerst fand sie aber nur in einem Zeitungsartikel ihren Niederschlag. Von Wolfgang Pfaundler erschien wenig später im Innsbrucker Volksboten ein Artikel mit dem Titel Tiroler Fahne – ein gefährlicher „Fetzen“. Ein interessanter Prozess um die Landesfahne in Südtirol:

Am 20. Februar 1957, anläßlich des Jahrestages der Erschießung Andreas Hofers, wurden in Frangart-Eppan (Südtirol) ein Totenamt abgehalten und in Kirchennähe zwei weiß-rote Tiroler Fahnen gehißt. Diese Fahnen, welche der Kaufmann des Dorfes, Josef Kerschbaumer, hochzog, mußten auf Befehl der Polizeibehörden am gleichen Tag abgenommen werden, und der Karabinieri-Unteroffizier Alfonso Mattevi brachte den Täter zur Anzeige nach Art. 564 des italienischen Strafgesetzes „wegen aufhetzender Veranstaltung bzw. Äußerung“. Am Herz-Jesu-Sonntag brachte Kerschbaumer jedoch neuerdings an der gleichen Stelle zwei Tiroler Fahnen an.

Bisher erfolgten die zahlreichen Fahnenhissungen in Südtirol anonym, es gab meistens nur unbekannte Täter oder Freisprüche wegen Mangels an Beweisen. Kerschbaumer aber steht auf dem Standpunkt, daß er, „so wie es immer der Brauch war“, die Tiroler Fahne hissen will, wenn es die Tradition des Tages verlangt. „Wenn man in ganz Italien die rote Kommunistenfahne aufstecken darf“, sagte er, „die soviel Unglück in die Welt gebracht hat, werden wir wohl auch unsere Fahne hissen dürfen.“

Am 5. Juli 1957 fand vor dem Kreisgericht in Bozen die Strafverhandlung gegen Josef Kerschbaumer statt. Bei dieser Verhandlung gibt es zum ersten Mal einen „Täter“, der sich zu seiner Tat bekennt, deshalb kommt dem Urteilsspruch eine besondere Bedeutung zu.

Der Staatsanwalt Dr. Martin erklärte in seiner Anklage, daß man in der Aufziehung von Tiroler Fahnen eine „aufhetzende Kritik“ am italienischen Staate wie auch eine „Erregung der Staatsbürger italienischer Zunge“ feststellen müsse, so daß rechtlich der Tatbestand der „aufhetzenden Kundgebung“ im Handeln des Angeklagten gegeben sei.

Der Verteidiger Dr. Nicolussi warf dagegen ein, man könne in der Tat des Angeklagten keine Kritik am Staate finden, da die Fahnen Tirols anläßlich der Totenfeier des Freiheitshelden Andreas Hofer gehißt wurden, der niemals gegen Italien kämpfte. Es könnten sich bestenfalls die Anhänger Napoleons betroffen fühlen, aber niemals der italienische Staat. Andererseits könne die durch die Hissung der Tiroler Fahnen beim Staatsbürger italienischer Zunge angeblich hervorgerufene Erregung nicht als „aufhetzende Kundgebung“ erklärt werden, da es wohl keines Beweises bedarf, festzustellen, dass der Angeklagte nicht Italiener gegen den Staat aufhetzen wollte.

Sollte man aber die Tiroler Fahne als im italienischen Staatsgebiet verboten ansehen, so sei hiezu festzustellen, daß kein gesetzliches Verbot vorliege. Selbst im italienischen Regionalstatut ist der Name „Tiroler Etschland“ formalrechtlich erhalten, was allein schon beweist, daß man Südtirol den Namen nicht zur Gänze nahm und folglich ihm auch die Führung der Tiroler Fahne zubilligen müsse.

Im übrigen hätten alle Provinzen, Regionen und Städte Italiens ihre eigenen traditionellen Fahnen, die sie ungehindert hissen dürften. Keinem Polizeiorgan würde es jemals einfallen, z. B. das Lilienbanner der Medicäer in Florenz zu verbieten oder in der Hissung des Lilienbanners eine separatistische Kundgebung der Medicäer gegen die Integrität des Staates zu sehen. Was in Florenz billig sei, müsse folglich auch in Südtirol recht sein.

Kerschbaumer bat, daß die Verhandlung in deutscher Sprache geführt werde. Dieser Bitte wurde vom italienischen Gericht nicht entsprochen! Der Staatsanwalt sprach von den Tiroler Fahnen nur als „Stracci“, was etwa soviel wie „Fetzen“ bedeutet.101

Sepp Kerschbaumer

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