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Die SVP-Führung hatte nicht die Kraft, mit Rom einen Kampf auf Biegen und Brechen aufzunehmen. Wohl machte sie die Regierung auf die unhaltbaren Zustände in Südtirol aufmerksam, forderte sie die Rechte des Landes ein, drängte sie auf die Einhaltung von Versprechungen. Rom konnte sich gewiss nicht darauf hinausreden, dass es nicht wusste, wo die Südtiroler der Schuh drückte. Aber solange die Südtiroler Abgeordneten und Senatoren jede Regierung „in allem und jedem“36 unterstützten, ihre Klagen in höfliche Denkschriften fassten und sich mit vagen Zusicherungen zufriedengaben, nahm sie in Rom niemand ernst.

Je mehr sich die Lage im Lande verschärfte, umso weniger war die alte SVP-Garde geneigt, die Realität in Südtirol zur Kenntnis zu nehmen. Was nicht sein sollte, durfte nicht sein. Wer die Hand auf die Wunde legte, galt als Unruhestifter und Quertreiber. In den Monaten Jänner und Februar 1957 hatte sich in Südtirol einiges zugetragen, das nicht mehr hätte ignoriert werden dürfen. Im Vorjahr war es in mehreren Gegenden Südtirols zu Anschlägen gekommen, deutliche Signale dafür, dass es so nicht mehr weitergehen konnte. Am 19. und 20. Jänner 1957 verhaftete die Polizei die Täter, am 1. Februar auch Friedl Volgger, damals verantwortlicher Schriftleiter der Dolomiten und namhafter Exponent der SVP. Dabei geriet auch die Partei in das Schussfeld der italienischen Presse. Für die Parteigremien Gründe genug, sich mit der politischen Lage zu befassen und die entsprechenden Konsequenzen daraus zu ziehen. Die Parteileitung trat dann auch am 4. Februar zu einer Sitzung zusammen. Doch hatte man schlicht und einfach vergessen, den Punkt „Bericht über die politische Lage“ auf die Tagesordnung zu setzen. Zwölf Tage später traf sich der Parteiausschuss. Aber die Sitzung begann nicht mit einem „Bericht über die politische Lage“, sondern mit einem Anliegen Raffeiners. Senator Josef Raffeiner beunruhigten nicht die Ereignisse der letzten Wochen, nein, was ihm im Magen lag, war ein „Rundschreiben des SVP-Ortsgruppenobmannes von Frangart, Herrn Sepp Kerschbaumer, mit welchem die SVP-Führung scharf kritisiert wird“. Raffeiner muss die Klagen und Anklagen Kerschbaumers als eine Art Majestätsbeleidigung aufgefasst haben. Er beantragte nämlich nichts weniger als die „Suspendierung Kerschbaumers und die Einleitung einer Untersuchung“.37 Doch die Mehrheit im Parteiausschuss war nicht der Meinung, dass man wegen dieses Rundschreibens gleich eine Art Inquisitionsverfahren in Gang setzen müsse. Nach einigem Hin und Her beschloss der Parteiausschuss, dass Silvius Magnago, Josef Raffeiner und der Bozner Bezirksobmann Josef Rössler mit Kerschbaumer eine Aussprache führen sollten. Eine solche Unterredung wäre Kerschbaumer sicher recht gewesen. Er wollte ja, dass man sich mit der Situation im Lande befasse – gründlich befasse, er wollte freilich auch, dass man gegen das Unrecht etwas unternahm. Doch die Unterredung kam nie zustande. Magnago entledigte sich der Aufgabe viele Monate später bei einem zufälligen Zusammentreffen mit Kerschbaumer. Er eröffnete ihm, dass der Parteiausschuss ihn, Magnago, beauftragt habe, mit ihm, Kerschbaumer, über eines seiner Rundschreiben zu reden. „Was hiermit geschehen ist“, meinte er. Und die Sache war vom Tisch.


Der Justizpalast in Bozen, faschistische Einschüchterungsarchitektur

Die Palastrevolution von 1957

Für jeden Menschen in führender Stellung kommt eines Tages der Augenblick, in dem er erkennt, dass es Zeit ist, abzutreten und Jüngeren Platz zu machen. Zieht er aus dieser Einsicht nicht die erforderliche Konsequenz, so kommt der Augenblick, in dem auch andere erkennen, dass es Zeit wäre, das Feld zu räumen. Klammert er sich dann immer noch an seine Position, dann wird es schlimm, denn dann erkennen nur mehr die anderen, dass es Zeit wäre, dass der Mann endlich „von den Haxen“ gehe. Dies hängt nicht immer vom physischen Alter ab, sondern mehr vom Vermögen oder Unvermögen, aus der eigenen physischen und geistigen Verfassung die entsprechenden Folgerungen zu ziehen. 1957 war die alte Führungsgarnitur der SVP bei dieser letzten Phase angelangt. So verdient sie sich in den ersten Nachkriegsjahren um Südtirol gemacht hatte, ihre Zeit war abgelaufen. Sie hatte nicht die Kraft und nicht den Willen, Rom gegenüber eine härtere Gangart einzuschlagen. Da die Mannschaft aber auch keine Anstalten machte, abzutreten, blieb keine andere Wahl, als ihr die Basis und den Rückhalt in der Partei zu entziehen. Das oberste Entscheidungsgremium der SVP war der Parteiausschuss. Den Parteiausschuss wählte die Landesversammlung. Es kam daher darauf an, die Fäden so zu ziehen, dass die Wahl nach Wunsch ausging. Der Bozner Unternehmer Franz Widmann und der Landtagsabgeordnete Hans Dietl begannen, sehr vorsichtig die Weichen für die Ablöse zu stellen. Nach einigem Hin und Her legte der Parteiausschuss den Termin für die Landesversammlung auf den 25. Mai 1957 fest. Am 14. Mai trafen Hans Dietl und Franz Widmann die letzten Vorbereitungen. Eine Tagebucheintragung von Hans Dietl belegt, dass auch Sepp Kerschbaumer mit von der Partie war:

15.30 Uhr, Besprechung bei Widmann bis nach 18 Uhr (Stanek, Kritzinger, Eschgfäller, Kerschbaumer, Neuhauser, Baur, Weiß, Trientbacher und zum erstenmal auch Brugger).38

Ungewollt eine gute Stimmung für die bevorstehende Wahl schuf der Obmann Toni Ebner. Nicht einen einzigen nennenswerten Erfolg, wohl aber eine Reihe von Rückschlägen und Niederlagen wies sein Jahresbericht aus. Eine Bilanz, die die Debattenredner geradezu aufforderte, eine neue Politik zu verlangen. Sepp Kerschbaumer etwa meinte:

Ich würde in die heutige Entschließung hineinschreiben: „Los von Trient!“ Und das müßte auch schneidig durchgeführt werden. Es ist schon viel zu viel um den heißen Brei herumgeredet worden, es wäre bald Zeit, den Brei selbst einmal in die Hand zu nehmen.39

Die Wahl, bisher eine reine Formsache, erbrachte den ersehnten Umschwung. Von den Kandidaten, die der Parteiausschuss aufgestellt hatte, fielen elf durch. An ihre Stelle rückten ebenso viele „Durchfallkandidaten“. Alles Vertreter einer harten Linie. Magnago wurde zum Obmann gewählt, Karl Tinzl, Hans Dietl, Alfons Benedikter und Friedl Volgger traten ihm als Vizeobmänner zur Seite. „Eine neue Garnitur übernahm die Parteiführung, eine neue Ära brach an.“40 Sepp Kerschbaumer vertrat in einem später verbreiteten Flugblatt die Ansicht, der 25. Mai 1957 werde als „Ehrentag unseres Volkes in die Geschichte eingehen“. „Hier hat das Volk mit unmißverständlicher Deutlichkeit gesprochen.“41

Die Kundgebung von Sigmundskron

Wenn die Politiker in Trient und Rom auf der Höhe ihrer Aufgabe gewesen wären, hätten sie erkennen müssen, dass mit der Wachablöse in der SVP eine neue Ära begann. Die Zeit des Zurückweichens und des Leisetretens war vorbei. Dass die neue Führung bereit war, den Fehdehandschuh aufzugreifen, zeigte sich spätestens im Herbst 1957. Der Minister für öffentliche Bauten, Giuseppe Togni, schickte am 15. Oktober um 17 Uhr an den Bozner Bürgermeister, Giorgio Pasquali, ein Telegramm ab. Die Optimisten im Lande glaubten, dass es sich um die vom Minister versprochene Soforthilfe für die von der Unwetterkatastrophe Betroffenen handle.42 Im August hatten schwere Unwetter das Land heimgesucht.43 Sepp Kerschbaumer hatte sich nicht wenig darüber gegrämt, dass die meisten Landespolitiker in diesen Tagen höchster Not und Gefahr durch Abwesenheit geglänzt hatten. In einem an die Führenden Männer unserer Volksgruppe gerichteten Rundschreiben warf er im Namen vieler Landsleute die Frage auf, wo denn „unser Landesvater, unser Landeshauptmann mit seinen vom Volk gewählten Vertretern“ sei. „Haben wir nur zwei Männer im Lande, die ein Verantwortungsbewußtsein haben? Landeshauptmannstellvertreter Fioreschy und Vizebürgermeister von Bozen Riz?“

Er gönne jedem seine Sommerfrische, aber in der Zeit höchster Not wäre es schon erste Pflicht eines Verantwortlichen, bei seinem Volke zu sein. Die Absenz der Landespolitiker konnte seiner Ansicht nach auch politische Folgen haben: „Soll das Südtiroler Volk sich in seiner Not an die ANDEREN wenden, die es mit ihm so GUT meinen und sofort zur Stelle sind, wenn es darum geht, im trüben zu fischen?“44 Zumindest in dieser Hinsicht hätte Kerschbaumer beruhigt sein können. Das Togni-Telegramm hatte keine Katastrophenhilfe, sondern eine Katastrophenmeldung zum Inhalt:

Sepp Kerschbaumer

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