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Die Schlacht um die Parlamentswahl von 1958

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Enthielt sich Sepp Kerschbaumer jeder öffentlichen Kritik an dem Bischof, so nahm er sich den katholischen Organisationen gegenüber kein Blatt vor den Mund. Zumindest indirekt galten seine Vorwürfe ja auch dem Oberhirten. Zum Stein des Anstoßes wurden die Aktivitäten, die katholische oder sich katholisch nennende Vereine vor der Parlamentswahl vom 25. Mai 1958 entfalteten. Sonst hörte man ja Jahr und Tag nichts von ihnen, den KVW ausgenommen. Vermutlich gab es sie nur auf dem Papier. Aber jetzt traten sie mit voller Kraft in Aktion. Ihnen ging es nun schlicht und einfach darum, Männer ins Parlament zu bringen, die eine weiche Linie vertraten. Südtirol erlebte sozusagen eine Neuauflage des Problems Dander auf Landesebene. Zum Auftakt der Kampagne benützte man ein Flugblatt des BAS. Angeblich auf Ersuchen der Senatoren Josef Raffeiner und Carl von Braitenberg veröffentlichten die Dolomiten einen ihnen zugegangenen Brief des BAS. Die beiden Senatoren wollten die anonymen Schreiber der Mühe entheben, den Brief durch ganz Südtirol flattern zu lassen, wie dies im Schreiben angedroht wurde, sie wollten damit aber auch dem Leser die Möglichkeit bieten, sich ein Urteil über jene Personen zu bilden, die sich hinter dem Decknamen BAS verbargen. Das Schreiben war in der Tat so gehalten, dass es die Angegriffenen eher sympathisch als unsympathisch erscheinen ließ. Es ist zu bezweifeln, ob es aus der Werkstatt Kerschbaumers kam. Das war eigentlich nicht seine Diktion. In einem von ihm gezeichneten Rundschreiben sprach er später selbst von einer „bedauerlichen Form“. Dass er dies nur aus taktischen Gründen getan habe, ist möglich, aber nicht wahrscheinlich. Wie dem auch gewesen sein mag, das Flugblatt nahm seinen Weg und machte Geschichte. „Wer“, so fragten die anonymen Schreiber des BAS eingangs, „soll auf die Kandidatenlisten kommen?“ Das wussten sie offensichtlich selbst nicht, denn Vorschlag machten sie keinen. Klar war für sie nur, wer n i c h t auf die Kandidatenliste kommen durfte. Auf keinen Fall jene Personen, „die unter dem Deckmantel des guten und ehrlichen Namens von Südtirol ihre schmutzigen Geschäfte treiben“. Denen dienten Südtirol und seine Not nur dazu, „ihren Geldbeutel dick zu füllen …“ „Wir haben genug von diesen Herrschaften und wollen nur eines: Abtreten! Abtreten sollt ihr auf dem schnellsten Wege und nicht mehr wiederkehren.“ Wer waren nun diese Herrschaften, die abtreten sollten und nie mehr wiederkehren? Darüber ließen die Verfasser des Flugblattes den Leser nicht im Unklaren: „Wir möchten es nicht unterlassen, diese Pharisäer beim Namen zu nennen:

Herrn Toni Ebner, der der Ansicht ist, dass in unserer Heimat alles in bester Ordnung sei.

Herrn Otto von Guggenberg, ein treuer Gesinnungsgenosse Ebners.

Herrn Braitenberg, der uns schon zur Genüge bewiesen hat, wohin seine Fahne weht.

Herrn Josef Raffeiner, der seinem Volke im Falle Sigmundskron den Dolchstoß in den Rücken versetzte.

„Diesen Herren sagen wir noch einmal: Tretet ab so schnell wie möglich. Ihr habt immer nur persönliche Interessen verfolgt! … Zwingt uns nicht, Euch zu überzeugen, es wäre gegen Eure Interessen. Eure Sprüche kennen wir zur Genüge und wir glauben kein Wort mehr. Das Maß Eurer Lügen ist voll.“87

Das Pamphlet kam den katholischen Wahlstrategen wie bestellt. Schon zwei Tage später erschien in den Dolomiten eine Solidaritätserklärung, unterzeichnet von Franz Fuchs und Johann Pan für die Katholische Bewegung, Franz Kemenater für den Katholischen Verband der Werktätigen und Leo von Pretz für die Arbeitsgemeinschaft christlicher Unternehmer.88 Um der „Wahrheit die Ehre“ zu geben, zählten die Unterfertigten die Verdienste auf, die sich diese Parlamentarier in der letzten Legislaturperiode erworben hatten:

1.Die Anrechnung der Dienstjahre für die zur Zeit des Faschismus entlassenen Lehrer.

2.Die Verpflichtung der ENTE, 110 Optantenbesitze, die in den Jahren 1941 bis 1943 ohne Bezahlung oder ohne Übergabe in sein Eigentum übergegangen waren, an die früheren Eigentümer oder deren Erben gegen Bezahlung des Schätzwertes von 1939 abzutreten.

3.Die Gleichbehandlung der Kriegsopfer und Heimkehrer der Wehrmacht mit jenen des italienischen Heeres.

4.Die Straßburger Rede Ebners vor dem Europarat.

5.Das der Regierung im Jahre 1954 überreichte Memorandum.

Recht unterwürfig dankte der Katholische Südtiroler Lehrerbund in einem eigenen Artikel den Parlamentariern für ihre geleistete Arbeit. Doch vermochten die dabei angeführten Verdienste die magere Bilanz von vier oder auch mehr Jahren parlamentarischer Tätigkeit nicht aufzubessern. Es war gewiss nicht allein die Schuld der Südtiroler Parlamentarier, dass sie nicht mehr aufzuweisen hatten. Rom war einfach zu keinen substanziellen Zugeständnissen bereit. Umso unverständlicher ist es daher, dass die alte Garde nicht bereit war, den neuen Kurs der Parteiführung mitzutragen.

Von einer Einsicht eben keine Spur. Im Gegenteil. Die Vertreter der oben angeführten Vereine verstanden es vortrefflich, Blech für Gold zu verkaufen. Sepp Kerschbaumer erfasste sofort, dass da Gefahr im Verzug war. Noch am 30. März 1958 griff er zur Feder und schickte an Franz Fuchs, Johann Pan, Franz Kemenater und Leo von Pretz ein Schreiben:89

Der Wahlkampf hat begonnen. Und ich muß sofort vorwegnehmen, daß er tragisch begonnen hat. Die Bezeichnung tragisch dürfte, wie Sie im folgenden schon sehen werden, meinem ganzen Schreiben den Stempel aufdrücken. Der Grund mag wohl in der einfachen Erkenntnis liegen, daß schon bei der Nominierung der Kandidaten für das Parlament und den Senat sich zwei ganz entgegengesetzte Fronten bildeten. Die eine Gruppe lehnt gewisse bisherige Parlamentarier und die Senatoren in einer bedauerlichen Form, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt, grundsätzlich ab, während eine andere Gruppe, das heißt, Organisationen und deren führende Männer, sich dafür voll und ganz einsetzen. In den nächsten Tagen läßt sich daher ein heißer Kampf bei den zuständigen Stellen des Landes erwarten.

Was mich veranlaßt, Ihnen heute zu schreiben und Ihnen meine Meinung in dieser traurigen Angelegenheit mitzuteilen, ist, dass ein anonymer Brief in unseren Zeitungen veröffentlicht worden ist und dass daraufhin mehrere Stellungnahmen von Organisationen erfolgt sind.

Mein Eindruck als einfacher und aufrechter Tiroler war und ist es, daß diese Maßnahmen beim Volke bestimmt große Verwirrung anstiften werden. Und aus dieser Kenntnis heraus will ich es mir nicht nehmen lassen, Ihnen mit diesem Schreiben meinen Standpunkt mitzuteilen: Warum ist einem anonymen Schreiben, die für gewöhnlich im Papierkorb landen, eine so große Wichtigkeit beigemessen worden, dass man es erstens vollinhaltlich in den Zeitungen abdruckte und dass man zweitens sog. Organisationen auf den Plan rief, gegen dieses Schreiben Stellung zu nehmen und sich für die Betroffenen rückhaltlos einzusetzen? Ich möchte die Herren dieser Organisationen ganz offen fragen, ob ihrer Aktion die Absicht zugrunde lag, die betreffenden Herren zu rehabilitieren, oder ob sie wirklich damit glaubten, die ganze öffentliche Meinung zum Ausdruck gebracht zu haben. Wenn letzteres wirklich zutreffen sollte, dann würde ich Ihnen nur das Eine raten, selbst im Lande herumzufahren und herumzufragen, und Sie werden bald eines anderen belehrt werden! Und nun meine Meinung dazu: Sie haben in Ihrem Schreiben nur die guten Seiten Ihrer Schützlinge angeführt, was bestimmt niemand tadeln wird, anderseits aber wäre es Ihre Pflicht gewesen, auf die durch die Zeitungen bekanntgewordenen Vorwürfe näher einzugehen und dieselben zu widerlegen. Daraus muß jeder rechtlich Denkende den Schluß ziehen, daß es in allen diesen Kreisen nur um die wirtschaftlichen Interessen unseres Volkes geht. In diesem und nur in diesem Sinne kann ich Ihren Standpunkt verstehen. Aber ist es wirklich so weit, daß sogar schon verantwortliche Männer von verschiedenen großen Organisationen Südtirols den Volkstumskampf nur mehr in diesem Sinne verstehen? Wenn es wirklich soweit sein sollte, dann muß man sich allen Ernstes fragen, wozu wir überhaupt noch eine politische Partei brauchen. Dann könnte man wohl ohne Bedenken dem Beispiel eines gewissen Kreises von Südtirolern folgen, der auf dem Standpunkt steht, man müsse sich mit der gegenwärtigen Lage so gut als möglich abfinden, indem man sich mit den Italienern in jeglicher Hinsicht verbrüdert. Von diesem Standpunkt aus gesehen, würde es vollauf genügen, wenn man die besten Wirtschaftsmänner für Rom und für die Landesverwaltung bestimmen würde.

Und nun meine diesbezügliche Meinung: Wie Sie selber wissen müßten, ist jedes Volk, das sein Heil und seinen Fortbestand nur mehr vom wirtschaftlichen Standpunkt aus sieht, dem völkischen Untergang geweiht. Und ich bin fest überzeugt, dass der größte Teil unseres Volkes diese meine Ansicht teilt. Daher ist nach meinem Dafürhalten unser Kampf ein politisch-völkischer Kampf – muß es so sein, wenn wir unseren Kindern unsere liebe Heimat deutsch-tirolerisch und christlich erhalten wollen. Und das sind wir unseren großen Vorfahren schuldig! Unser politisch-völkischer Kampf kann auf folgende einfache Formel gebracht werden: Recht gegen Unrecht. Sie alle wissen, dass unserem Volke von Italien schwerstes Unrecht zugefügt worden ist und dauernd zugefügt wird. Die letzte Landesversammlung und die Kundgebung von Sigmundskron haben gezeigt, dass unser Volk nicht Ihrer Meinung ist. Wenn deshalb unser Volk bei den kommenden Wahlen gewissen Herren nicht mehr das Vertrauen schenkt, so aus dem einfachen Grunde, weil sie die völkischen Interessen Südtirols nicht zufriedenstellend vertreten haben, ja da sie außerdem sogar gegen den Willen des Volkes in Rom gesprochen haben (Senator Raffeiner und Braitenberg anläßlich der Sigmundskroner Volkskundgebung in Rom). Wenn dann trotzdem gewisse Organisationen, Gruppen und verantwortungsvolle Männer solche Volksvertreter dem Volke gegenüber als vorbildlich hinzustellen versuchen, dann kann man nur sagen, daß dabei ein sehr trauriges Spiel gespielt wird. Sind diese Kreise wirklich selbst davon so fest von der Anständigkeit und Sauberkeit dieser Herren überzeugt, dass Sie es vor ihrem Gewissen und vor dem ganzen Südtiroler Volke verantworten können, sie dem Volke vorbehaltlos anzupreisen?

Ich jedenfalls habe dabei sehr große Bedenken. Und wenn Sie dabei glauben, betonen zu müssen, Sie würden dabei den christlichen Standpunkt vertreten, dann muß ich Ihnen sagen, dass ich hier anderer Meinung bin. Eher bin ich überzeugt, daß Sie mit diesem Schritt der Sache für Glaube und Heimat eher Schaden zugefügt haben.

In Bezug auf Dr. Ebner muß ich bemerken, daß sein Platz als Nachfolger des hochverehrten Kanonikus Gamper einzig und allein bei unserer Presse wäre, wo er, wenn er seinen Posten für unsere Heimat richtig ausfüllen würde, sehr segensreich wirken könnte. Und nun noch einige Fragen an Sie: Was sagt Ihr Gewissen zum Schandurteil gegen unsere Landsleute aus Pfunders? Haben Sie bereits an irgendeiner zuständigen Stelle Ihre Entrüstung darüber zum Ausdruck gebracht, wo Sie zur gleichen Zeit Ihre Entrüstung über den anonymen Brief zum Ausdruck gebracht haben? Wollen Sie wirklich zu diesem himmelschreienden Unrecht schweigen? Ist Ihnen die große Entrüstung des Volkes über dieses Urteil wirklich entgangen? Um der Gerechtigkeit willen bitte ich Sie, nehmen Sie auch zu diesem Urteil Stellung und das Volk wird es Ihnen danken.

Und noch eine kleine Schlußbemerkung: Wie oft hört man in unserem Lande die Worte „radikal“ und „gemäßigt“! Ich weiß, daß ich immer zu den Radikalen gezählt werde. Nun möchte ich Ihnen ganz kurz sagen, was ich von dieser Bezeichnung halte: Wenn ein Südtiroler sich ernstlich bemüht, dahin zu wirken, daß unsrem Volke und unserer Heimat endlich Gerechtigkeit widerfahre, daß also Recht wieder Recht werde, dann ist man eben nicht nur bei den Italienern, sondern auch schon in gewissen Kreisen Südtirols als radikal verschrien: Eben nur weil man auf das Recht pocht, das unserem Volke zusteht. Dies meine Stellungnahme!

Ergebenst Sepp Kerschbaumer

Frangart, den 30. März 1958.

Das war eine geballte Ladung, die Kerschbaumer den Vertretern der katholischen Vereine ins Haus stellte. Doch die Anstrengung war umsonst. Zwar wurde Raffeiner als Kandidat für den Senat nicht mehr aufgestellt. Und aus Solidarität mit Raffeiner verzichtete auch Braitenberg auf eine Kandidatur. An ihrer statt bewarben sich Karl Tinzl und Luis Sand um einen Sitz im Senat. Als Senatskandidat für den Brixner Wahlkreis war ursprünglich Hans Stanek vorgesehen gewesen. Doch auf Druck des Bischofs Gargitters hatte Stanek auf eine Kandidatur für das Abgeordnetenhaus ausweichen müssen. Eine religiös motivierte Intrige brachte zudem die Kandidatur Volggers für die Kammer zu Fall. Auf die Liste für das Abgeordnetenhaus kamen schließlich

Toni Ebner

Otto von Guggenberg

Karl Mitterdorfer

Roland Riz

Hans Stanek

Karl Vaja

Nach Auffassung des Alto Adige stellte die Kandidatur Staneks den Sieg des BAS dar. „Kann man da noch irregehen, wenn man annimmt, daß es sich um eine Organisation in der Partei handelt? Ist diese Wahlliste nicht die einleuchtendste Bestätigung dafür?“90 In Wirklichkeit war Kerschbaumer über die Kandidatur Staneks gar nicht glücklich.


Hans Stanek, Generalsekretär der Südtiroler Volkspartei

Er hatte Stanek als fleißigen und einsatzfreudigen Mann kennengelernt. Doch war er der Meinung, dass er in Bozen mehr leisten könne als in Rom. „Stanek braucht es in Bozen, nicht in Rom.“ Auch gefiel ihm nicht, dass Stanek, erst zum Generalsekretär der SVP bestellt, schon nach einem Parlamentsmandat strebte. Kurz, Stanek war – bei aller Wertschätzung – nicht der Wunschkandidat des Josef Kerschbaumer oder des BAS. Aus ganz anderen Gründen freilich lehnten ihn auch die Vertreter der katholischen oder sich katholisch nennenden Vereine ab. Die setzten nun alles daran, ihre Favoriten durchzubringen. Dies waren Toni Ebner, Roland Riz und Karl Mitterdorfer. Guggenberg und Vaja ließen sie links liegen, Stanek suchten sie – unterstützt durch die Zeitungen L’Adige und Alto Adige – durch massive Angriffe zu Fall zu bringen. Kurz vor der Wahl brachten sie ein Flugblatt in Umlauf, das die Wahl ihrer Favoriten als religiöse Pflicht darstellte. Organisatorisch legten sie eine Maßarbeit hin. Flugblätter gingen teils mit der Post, teils über die Pfarrämter, teils über Vereinsmitglieder in alle Gegenden hinaus und erreichten die höchstgelegenen Berghöfe. Der Einsatz hatte Erfolg. Alle drei Kandidaten wurden gewählt. Das Lager der „Gemäßigten“ konnte also zufrieden sein. Zufrieden war auch der L’Adige: „Gefallen sind die Extremisten, die Maximalisten, die Separatisten, geblieben sind jene, welche bewiesen, dass sie begriffen haben, dass die Anliegen ihrer Gruppe in einer höheren christlichen Vision liegen, jene also, welche jeden Zusammenstoß und jeden Bruch vermeiden wollen …“91 Zufrieden war schließlich auch der Volksbote: „Gut ist es gegangen, ausgezeichnet, besser als selbst die kühnsten Erwartungen es erhoffen ließen.“92 Einer im Lande war allerdings nicht zufrieden, er war vielmehr todunglücklich, vielleicht weniger über den Ausgang der Wahl als über die Methode, die diesen Ausgang erzielt hatte: Sepp Kerschbaumer. Ende Juni 1958 ließ er die katholischen Bewegungen und den Katholischen Verband der Werktätigen mit Rundschreiben wissen, was er von ihrem Verhalten hielt:93

Spät, aber nicht allzuspät will ich hier meine Meinung über die letzten Kammer- und Senatswahlen zum Ausdruck bringen und „meine Besorgnisse zur gegenwärtigen Lage in Südtirol“ niederschreiben. Dieses Vorhaben hat sich leider etwas verzögert, da ich mittlerweile einen unfreiwilligen „10tägigen Urlaub“ antreten mußte.

Noch nie ist ein schonungsloserer Wahlkampf geführt worden wie diesmal. Wenn Politiker und verschiedene politische Strömungen dabei zu unfairen Mitteln greifen, kann man dies noch verstehen. Geschieht dies aber ausgerechnet durch solche Kreise, die die Katholizität auf ihre Fahnen geschrieben haben, dann ist dies eine unentschuldbare Verantwortungslosigkeit, die getadelt und verurteilt werden muß. Ich betone ausdrücklich, daß es mehr als traurig ist, daß ich als überzeugter Katholik diesen Schritt überhaupt unternehmen muß, weil ich mich in meinem christlichen Empfinden beleidigt fühle. Ebenso möchte ich ausdrücklich betonen, daß es ein offenes Geheimnis ist, daß dieses schändliche Treiben nur von einigen wenigen Männern ausgegangen ist, die die Verantwortung hiefür vor Gott und dem Volk getragen haben. Ihre Hauptaufgabe wäre es bei den Wahlen gewesen, zu vereinen und nicht zu spalten, zu versöhnen und nicht zu verhetzen. Aber Sie scheuten nicht einmal davor zurück, in skrupellosester und rücksichtslosester Weise über ihre politischen Gegner herzufallen und diese durch gemeinste Verleumdungen beim Volke unmöglich zu machen.

Die religiösen Gefühle unseres Volkes sind wohl kaum einmal in einer solch pharisäischen Weise zu selbstsüchtigen Zwecken mißbraucht worden, wie es bei diesen Wahlen durch die katholischen Organisationen geschehen ist. Sie sprachen von „Glauben“ – meinten aber sich selbst. Sie sprachen von „Heimat“ – meinten aber gesicherte Positionen, von wo aus Sie wie in einer Farm hätten schalten und walten können, keinen Widerspruch duldend.

Was haben sich diese Organisationen eigentlich zum Ziele gesetzt? Sie selbst haben dies klipp und klar ausgesprochen: Für die religiösen Belange in unserer Heimat einzutreten! Sie hätten zahlreiche Arbeitsfelder, wo Sie eine segensreiche Betätigung entfalten könnten. Aber fragen Sie sich einmal ehrlich, was haben Sie z. B. bisher gegen die Sonntagsentheiligung unternommen, die auch in unserem Lande immer weiter um sich greift? Und wieviel gäbe es für Sie noch zu tun gegen den schlechten Film, die unsittliche Presse, Varietés, Nachtlokale usw.!

Welche Schritte haben Sie unternommen gegen das asoziale Verhalten christlicher gutsituierter Unternehmer ihren Untergebenen und Nächsten gegenüber? Wieviel Gutes hätten Sie bereits auf sozialem Gebiete erreichen können, wenn Sie diesen christlichen Unternehmern richtig ins Gewissen geredet hätten, mit gutem Beispiel voranzugehen! Ich erinnere hier unter den vielen Fragen nur an das Wohnungsproblem. Und bei wievielen kinderlosen Ehen hätten Sie es erreichen können, daß sich diese armer, verlassener, elternloser Kinder annehmen! Und haben Sie schließlich Ihr Möglichstes getan, daß die Jugend nach dem alt-tirolerischen Grundsatze „Glaube und Heimat“ erzogen wird? Wie wäre es, wenn Sie sich diesbezüglich in Zukunft eingehender für die Vorgänge im „Rainerum“ usw. interessieren würden? Sie können überzeugt sein, daß Sie bei diesen hohen Aufgaben genug beherzte Männer und Frauen in unserem Volke finden würden, die Sie dabei gern und freudig unterstützten!

Aber fragen Sie nun Ihr Gewissen: Stimmt es oder stimmt es nicht, daß Sie es vorgezogen haben, von der religiösen auf die politische Ebene hinüberzuwechseln? Sind Sie nicht selbst entsetzt über die Verwirrung, die Sie auf religiösem und politischem Gebiete unter unserem Volke angerichtet haben? Wenn nicht, dann fragen Sie beim Stadt- und Landvolk herum, welchen Eindruck Ihre sonderbare politische Tätigkeit hinterlassen hat. Und ist es Ihnen wirklich gleichgültig, daß sich in unserem Volke ein immer größeres Mißtrauen gegen Sie breitmacht? Man weiß wirklich nicht, worüber man sich mehr wundern soll, über Ihre verwerfliche Methode, politische Gegner zu erledigen, oder über die von Ihnen betriebene „Fraternisierungspolitik“, die unser Volk unweigerlich ins Verderben führen wird in religiöser und völkischer Hinsicht.

Im Mitteilungsblatt der katholischen Bewegung „Der Weg“ haben Sie vor den Wahlen in einem Artikel: „Unsere Besorgnisse zur gegenwärtigen Lage“ geschrieben, in unserem Lande sei es leider so, daß manche Südtiroler, statt auf ihre echte Eigenständigkeit zu bauen, sich viel zu viel beeinflussen lassen und – vielleicht ohne es selbst klar zu erkennen – zu Befehlsempfängern von Ausländern sich herabwürdigen zu lassen, die nie und nimmer das richtige Verständnis für unsere Lage aufbringen werden. Es sei wenig erfreulich und angenehm, so fährt „Der Weg“ fort, diese Gefahr feststellen zu müssen, aber man kann sich bei dieser Lage der Dinge nicht wundern, daß man jetzt bei aufrichtigen Südtirolern, die eingeweiht sind, den Ruf hört: Südtirol den Südtirolern, und nicht denen, die erst seit einigen Jahren oder gar erst seit einigen Monaten aus dem Auslande kommend, sich hier in Südtirol häuslich niedergelassen haben. Mit diesen Worten hat „Der Weg“ wirklich ins Schwarze getroffen! Denn es ist bereits ein offenes Geheimnis, daß die Politik der K. B. von hier in Südtirol lebenden Ausländern gemacht wird. Und von hier aus und vom Einfluß der von Zallinger gepredigten Südtirolerpolitik erklärt sich alles politische Unheil, welches von einem Teil der Führung der K. B. in Südtirol angerichtet worden ist.

Überschauen wir nun kurz, welche Politik in der letzten Zeit von der K. B. verfolgt wurde! Hier möchte ich sofort vorausschicken, daß niemand in Südtirol den katholischen Verbänden das Recht absprechen wird, auch im politischen Leben ein gewichtiges Wort mitreden zu dürfen. Aber wie wollen Sie es erklären, dass Sie vor einigen Jahren selbst immer behaupteten, die Politik sei nicht Ihre Hauptaufgabe und daß gerade die Politik nun auf einmal nur mehr zu Ihrer Sache geworden ist? Und in wieviele Widersprüche haben Sie sich nur in der letzten Zeit bei Ihrem politischen Handeln verstrickt! Bleiben wir beim krassesten Fall: Es war vor einigen Monaten. Die K. B. hatte sich vorbehaltlos mit den angegriffenen Senatoren und Abgeordneten „solidarisch“ erklärt. Dr. v. Guggenberg wird sich heute noch darüber wundern, daß diese von den katholischen Organisationen feierlich abgegebene „geschlossene Solidaritätserklärung“ kaum für einen Monat Gültigkeit hatte. Dann ließ man Dr. Guggenberg ohne ein Wort der Rechtfertigung fallen und stellte sich mit einer neuerlichen „Solidaritätserklärung“ geschlossen hinter drei neue Kandidaten.

In engster Zusammenarbeit mit den italienischen Lokalzeitungen wetteiferte man in der Verleumdung einzelner Südtiroler Politiker und es mußte jeden Südtiroler bedenklich stimmen, dass die italienische Presse sich so geschlossen hinter die katholischen Organisationen stellte. Diesmal war es ausgerechnet die K. B., die für die italienische Südtirolerpolitik den „utile idiota“ spielte. Ja, die K. B. kam den Italienern dabei so weit entgegen, daß sie die plumpesten Verleumdungsschlager der italienischen Nationalisten für ihre Zwecke ausgrub und das Südtiroler Volk zu verkappten Nazis, Kommunisten und christenfeindlichen Nationalisten stempelte, das noch immer nicht begreifen will, daß es die bestbehandelte Minderheit der Welt sei und Rufe wie „Los von Trient!“ oder gar „Selbstbestimmung“ und „Volksabstimmung“ erhebe. Und die Stimme der K. B. „Der Weg“ wunderte sich darüber, dass das Südtiroler Volk nicht schon längst feierlich die von „Gott gewollte Grenze am Brenner“ anerkannt habe!

Aber diese sonderbaren Gedanken, die uns „Der Weg“ ans Herz legt, sind uns bereits bestens bekannt von einem abtrünnigen, von den Italienern gekauften Südtiroler her, von Dr. Bernhard Zallinger und dessen Buch „Die Grundlagen der Südtiroler Politik“.

Kein Geringerer als Kanonikus Gamper, der „Mann von Südtirol“, hat schärfstens dagegen Stellung bezogen und ist nie müde geworden, unser Volk vor dieser von Zallinger propagierten „realistischen Befriedungspolitik“ eindringlich zu warnen. Auch Zallinger hat bereits gesagt: „Seid ihr wahnsinnig geworden, dass ihr die Grenzfrage wieder aufrollen wollt?“ Und auch er findet es „unverantwortlich, in der Bevölkerung eine Unzufriedenheit zu wecken und zu steigern, nur weil Südtirols Sonderrechte umkämpft und vielleicht bedroht sind“. Ebenso mutet Zallinger den Südtirolern zu, mit den Kommunisten gemeinsame Sache gegen Italien und den Westen zu machen, und er fordert schließlich unser Volk zur Selbstaufgabe auf.

Wehe, wenn wir Zallingers Ratschläge gefolgt und die Warnungen des Kanonikus Gamper in den Wind geschlagen hätten! Und wehe unserem Volke, wenn es sich politisch von der gegenwärtigen Führung der K. B., die sich an die Richtlinien Zallingers und von Ausländern hält, weiterhin führen lässt! Wenn bei diesem verwerflichen Treiben wenigstens das geistliche Oberhaupt aus dem Spiele gelassen worden wäre!

Als tief überzeugter Katholik und Tiroler muß ich Ihnen sagen, daß Sie mit Ihrer gegenwärtigen Handlungsweise unser Volk nicht nur um die Heimat bringen werden, sondern daß dadurch viele unseres Volkes, was noch viel schlimmer ist, in ihrem Glauben wankend gemacht werden! Mit Ihrem Vorgehen haben Sie sich ganz offen auf die Seite des Unrechtes gestellt. Denn Sie wissen genau, daß unserem Volke von italienischer Seite schwerstes Unrecht widerfahren ist. Und Unrecht verjährt nicht. Daher stellt sich jeder, der die Italiener in diesem Unrecht bestärkt und unterstützt, ebenfalls auf die Seite des Unrechts, das heißt, er handelt gegen die christlichen Grundsätze! Gegen die christlichen Grundsätze handelt z. B. der KVW, wenn er mit der ACLI zusammenarbeitet mit dem Ziel, unsere Heimat immer fester an Italien zu fesseln. Denn dadurch heißen sie indirekt das unserem Volke angetane Unrecht gut, statt dass sie nicht müde würden, dieses himmelschreiende Unrecht unermüdlich vor der Weltöffentlichkeit anzuprangern und eine Wiedergutmachung zu fordern.

In diesem Punkte möchte ich nicht nur die dafür verantwortlichen Männer der Organisationen, sondern jeden Priester und jede geistliche Obrigkeit fragen:

1.ob sie mit diesem Unrecht gegen unser Volk und gegen das christliche Sittengesetz einverstanden sind? Ich kann es einfach nicht glauben!

2.ob sie es vor dem Herrgott und vor unserem Volke verantworten können, durch ein passives Verhalten oder gar durch eine Zusammenarbeit mit den Feinden unseres Volkes an diesem großen Unrecht mitschuldig zu werden?

Am meisten zu denken müßte die Tatsache geben, daß hier das göttliche Gesetz von Recht und Gerechtigkeit in Frage gestellt ist. Ich appelliere daher an Ihr christliches und völkisches Gewissen: Schlagen Sie einen anderen „Weg“ ein, und kehren Sie von der politischen zur religiösen Ebene zurück! Besinnen Sie sich dabei Ihrer zahlreichen religiösen und völkischen Aufgaben! Diese bestehen auf der einen Seite darin, dafür zu sorgen, daß unser Volk nicht auch eine Beute des immer mehr um sich greifenden Irr- und Unglaubens wird. Und auf der anderen Seite immer und überall bereit zu sein, mutig und kompromißlos, für die natürlichen und verbrieften Rechte unsres Volkes einzutreten. Sie machen es sich dabei zu leicht, wenn alles, was nicht in das Konzept ihrer Organisationen paßt, mit dem Schlagwort „Radikalismus“ und dergleichen abgetan wird.

Wenn Sie ein bißchen echte Heimatliebe und religiöses wie menschliches Gerechtigkeitsgefühl in sich haben, dann denken Sie an unsere Kinder, an die junge Generation Südtirols. Das Land Tirol hat in seiner wechselvollen Geschichte schon zahlreiche Prüfungen erlebt. Es hat sie bisher alle mit der Hilfe von Oben bestanden. Noch nie sind so zahlreiche Versuche zur Verirrung und Spaltung unseres Volkes unternommen worden, wie in den vergangenen 40 Jahren. Sie alle sind aber bis jetzt mißglückt. Gott sei Dank! Der gefährliche Spaltungsversuch ist dieses Mal leider von einer Seite her unternommen worden, von der aus unser Volk es am wenigsten erwartet hätte: von den katholischen Organisationen. Aber es steht in der Heiligen Schrift: „In jenen Tagen … werden viele … irre werden … falsche Propheten werden auftreten, die, wenn es möglich wäre, selbst die Auserwählten noch irreführen würden …“ Diese Worte sind zwar für eine andere Zeit. Aber wir dürfen sie wohl auch für die Nöte unseres Landes in Beziehung bringen und in diesem Sinne schließe ich meine Ausführungen mit der Bitte an unseren Herrn, er möge die Tage auch dieser unserer Drangsal abkürzen.

Sepp Kerschbaumer, Frangart, den 26. Juni 1958


Berechtigte Skepsis über den Ausgang der österreichischen-italienischen Gespräche: Wird es dieses Jahr gelingen?

Es waren harte Wahrheiten, die Sepp Kerschbaumer den Männern der katholischen Vereine vorhielt. Er scheute übrigens auch nicht die persönlich Konfrontation. Mit Direktor Fuchs ging er in einem Gespräch das Schreiben Satz für Satz durch.

Er gestand dabei einem Verein durchaus das Recht zu, einen Kandidaten für die Wahl zu empfehlen, der dann dessen Anliegen in Rom vertrete. Aber er akzeptierte nicht, dass das Gesamtresultat einer Parlamentswahl vom Gutdünken einiger Organisationen abhing. Wäre dem so, dann könnte die SVP in Zukunft die Wahlen einfach der Brixner Kurie und den katholischen Vorfeldorganisationen überlassen.

Enttäuscht wurden allerdings jene, die sich nun ein Abgehen der SVP vom Los von Trient erhofft hatten. Die politische Lage war so, dass ein Abweichen von dieser Linie schwer möglich war. Enttäuscht wurden auch jene politischen Auguren, die für die SVP-Landesversammlung am 12. Juli 1958 ein Messerwetzen und eine Schlammschlacht voraussagten. Der Alto Adige wusste später zu berichten, dass man bei diesem Kongress mit einer energischen Aktion des BAS gerechnet habe.94 Wer auch immer dieser „man“ war, seine Voraussage erfüllte sich nicht. Kerschbaumer meldete sich überhaupt nicht zu Wort. Luis Amplatz ermahnte lediglich die SVP, an der Forderung von Sigmundskron festzuhalten. Und nur zwei Redner erwähnten die Vorgänge um die Parlamentswahl: Der SVP-Ortsobmann von Nals, Peter Kollmann, und der Gemeindearzt von Auer, Max von Röggla. Kollmann verwies auf die Tatsache, „daß in letzter Zeit alle möglichen Vereine, die sich unpolitisch bezeichneten, versucht haben, die Tätigkeit bzw. die Entscheidungen der Partei zu beeinflussen“.95 Ihm pflichtete Röggla bei, der sich zudem „scharf gegen eine gewisse Verleumdungskampagne wandte“.96 Magnago hielt fest, dass die Politik in Südtirol ausschließlich von der SVP gemacht werden müsse, solange sie allein das Mandat von der Bevölkerung habe.

Sepp Kerschbaumer

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