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Rebellen
ОглавлениеEntscheidend für Feuerbachs philosophische Entwicklung war hingegen das Engagement des Vaters und – zumindest in den Studentenjahren – aller vier Brüder in den geistigen und politischen Auseinandersetzungen dieser Zeit des Umbruchs. Ein Umbruch, der sich wiederum in den Unterschieden zwischen Vater und Söhnen widerspiegelt: von der Spätaufklärung zu den politischen und gesellschaftlichen Aufbruchbewegungen in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts. Zwei Anekdoten mögen diese Unterschiede illustrieren:
Vater Feuerbach war zeit seines Lebens ein Rousseau-Verehrer gewesen. In Paris, wo er 1821 im Auftrag der Regierung das Gerichtswesen studierte, vergoss er Tränen an Rousseaus Grab. Sohn Anselm, der ihn auf dem Weg dorthin ein Stück weit begleitete, vergoss in Mannheim Tränen über Karl Sand. Ein halbes Jahr zuvor hatte auch der damals sechzehnjährige Sohn Ludwig Sands Grab besucht, dort „sehr viel Gras“ abgerissen und etwas davon seiner Mutter geschickt – „weil doch auch Du den deutschen Jüngling lieb hast“.75 Der Burschenschaftler Sand hatte 1819 den Weimarer Komödienschreiber und Informanten der russischen Regierung August von Kotzebue erdolcht und war ein Jahr später unter großer öffentlicher Anteilnahme enthauptet worden. Die Tat bot Metternich den willkommenen Anlass, die berüchtigten „Karlsbader Beschlüsse“ durchzusetzen, von denen gleich die Rede sein wird.
Ein anderes Bild des Gegensatzes zwischen Vater und Söhnen: In einem Brief an Freunde hatte Feuerbach senior gegen „diese neuen Moden mit den sogenannten altdeutschen Trachten“ gewettert – die seine Söhne trugen. Sohn Anselm trug sie, als er in Begleitung des Vaters nach Löbichau in Sachsen reiste, und Sohn Ludwig trug sie: Dieser Tracht wegen, schreibt er seiner Mutter, sei er mit seinen Reisegefährten in Straßburg „ausgelacht und mit Gläsern beschaut“ worden.76
Die Tracht war das äußere Zeichen der neuen „vaterländischen“ Gesinnung, die durch die Befreiungskriege gegen Napoleon 1813/14 mächtigen Auftrieb erhalten hatte. Deutschland war ja, im Gegensatz zur benachbarten Grande Nation, aufgesplittert in eine Vielzahl souveräner Staaten. Und zur Enttäuschung vieler Zeitgenossen, die nicht für ihren König oder Herzog gegen den Besatzer, sondern für das „teutsche Vaterland“ ins Feld gezogen waren, wurde diese Zersplitterung vom Wiener Kongress und dem daraufhin gebildeten „Deutschen Bund“ nicht aufgehoben, sondern vielmehr zementiert. Mit der patriotischen Begeisterung gingen, zumal in den gebildeten Schichten, von Anfang an Forderungen nach innerer Freiheit, Verfassung und Rechtsstaatlichkeit einher. Auch beim Strafrechtler Feuerbach, wie wir gesehen haben. Ihm wäre es freilich nie in den Sinn gekommen, die Treue zu seinem Souverän in Frage zu stellen, auch wenn er Verfassung und Ständeversammlung forderte.77
Die Generation seiner Kinder kannte solche Einschränkungen nicht mehr, ihr stand der Sinn nach Protest. Die Erfahrung der nationalen Gemeinsamkeit, die Kriegslieder Körners, Eichendorffs, Rückerts, die Schriften von Ernst Moritz Arndt und anderer erzeugten eine „Verbrüderungsstimmung“, in der das politische Gehorsamsdenken der späten Aufklärung hinweggespült wurde. Die von Jahn gegründete Turnbewegung, die in Windeseile ganz Deutschland ergriff, hatte – bei allem wirren Äußeren – diese politische Stoßrichtung. Fast gleichzeitig bildeten sich an den Universitäten Zirkel von Studenten, die den Geist der Freiheitskriege lebendig erhalten wollten und nach Erneuerung strebten.
Bereits 1815 wurde in Jena die erste Burschenschaft – die „Urburschenschaft“ – gegründet, die alle „ehrlichen und wehrlichen“ Studenten der Universität versammeln wollte. Das Beispiel machte Schule, an vielen Universitäten wurde ein ähnlich großer Teil der Studentenschaft mobilisiert wie im 20. Jahrhundert bei der achtundsechziger Studentenbewegung. 1817 wurde auf der Wartburg (Großherzog Karl August hatte sie zur Verfügung gestellt) eine zweitägige nationale Feier abgehalten, die sehr großes Aufsehen erregte. Zwar gab es am Schluss einen hässlichen Misston, als eine kleine Gruppe ein Autodafé veranstaltete, bei dem nicht nur ein preußischer Korporalsstock, sondern auch Bücher verbrannt wurden, doch insgesamt war es eine sehr würdige Veranstaltung, die der Burschenschaftsbewegung eine rasche Ausbreitung bescherte. So war das Erstaunliche geschehen, dass die vom Provinzialismus lebenden und ziemlich übel beleumundeten studentischen Landmannschaften ihre Selbstauflösung vollzogen, um in den neuen Burschenschaften aufzugehen, bei denen die regionale Herkunft keine, die gesamtnationale Begeisterung hingegen die beherrschende Rolle spielte. Unter den knapp fünfhundert Studenten, die an der Wartburgfeier teilnahmen, waren zahlreiche Freiwillige aus den Befreiungskriegen, viele von ihnen aus dem Lützower Freikorps, die nicht auf den König, sondern auf das Vaterland vereidigt worden waren.78
Die neue Bewegung trug Züge, die uns heute – vor allem vor dem Hintergrund der Erfahrungen des 20. Jahrhunderts – befremdlich anmuten und schon von Zeitzeugen wie Heine als zumindest ambivalent bewertet wurden: Deutschtümelei, romantische Verklärung des Mittelalters, mehr oder weniger ausgeprägte Judenfeindlichkeit, Ressentiments gegen alles Französische (mit dem schwarzen „altdeutschen“ Rock wollte man auch die Verachtung „welschen Tandes“ demonstrieren). So mögen, wie Hans Mayer es formulierte, Maske und Gebärde stärker ausgeprägt gewesen sein als die eigentliche politische Substanz. Doch das Ganze war getragen von einer Aufbruchstimmung, der sich kein politisch interessierter junger Intellektueller entzog; selbst spätere Protagonisten der Reaktion wie etwa Joseph Görres oder Friedrich Julius Stahl hatten alle in jungen Jahren einer dieser neuen Burschenschaften angehört, die nun allenthalben an den Universitäten die Studenten vereinigten. So auch in Erlangen, wo Anfang 1818 die „Bubenreuther“ gegründet wurden, mit Anselm und Karl Feuerbach, den beiden ältesten Brüdern Ludwigs, als Gründungsmitgliedern.79
Vater Feuerbach verlangte von seinen Söhnen resolut den sofortigen Austritt, im Mitgliederverzeichnis sollte stehen: „Ausgetreten am … ten auf Befehl seines Vaters“. Die Archive wissen freilich nichts von einem Austritt der beiden, hingegen werden dort auch die Söhne Eduard und Friedrich als Mitglieder geführt.80 Sosehr Anselm Feuerbach senior die Neuerweckung eines deutschen nationalen Selbstwertgefühls begrüßte – 1814 hatte er bitter bemerkt, dass es in München ein feierliches Te Deum gab, als Napoleon in Moskau einmarschiert war, die Leipziger Völkerschlacht jedoch „fast gar nicht gefeiert wurde“81 –, mit diesen schwärmerischen und politisch suspekten Bewegungen wollte er nichts zu schaffen haben. Seine Söhne wussten das, und sie verheimlichten den Grad ihres politischen Engagements vor ihm. Zumindest die drei älteren, Anselm, Karl und Eduard, waren alles andere als Mitläufer: Anselm war in Erlangen im Vorstand, und selbst der zurückhaltende Eduard gehörte in Göttingen jenem „inneren Kreis“ an, der sich in vielen Burschenschaften herausbildete, was ihm ein consilium abeundi eintrug (er ging dann nach Erlangen und wurde dort wie seine älteren Brüder Mitglied der Bubenreuther). Auch der jüngste, Friedrich, war in Erlangen Burschenschaftler.82
Nach dem Mord an Kotzebue ergriff Metternich die Gelegenheit, gegen die ihm von Anfang an missliebige Bewegung vorzugehen. Durch die Karlsbader Beschlüsse gelang es ihm, alle Mitglieder des Deutschen Bundes auf die polizeiliche Verfolgung der „Demagogen“ einzuschwören. In Mainz wurde eine Zentral-Untersuchungskommission eingerichtet, die die Verfolgung zu koordinieren hatte. Die Burschenschaften wurden verboten, die Universitäten überwacht. Das Ergebnis war eine Radikalisierung des aktiveren Teils, und eine Minderheit davon schloss auch Gewalt nicht mehr aus. Karl Follen, von Anfang an einer der radikalsten Köpfe der Bewegung, initiierte von der sicheren Schweiz aus einen konspirativen Bund mit dem Ziel des Umsturzes. Er ließ einen Emissär durch Deutschland reisen und an den Universitäten für einen „Jünglingsbund“ werben, dessen einzige Aufgabe sein sollte, einen angeblich bereits bestehenden „Männerbund“ im Augenblick des Losschlagens zu unterstützen. Dem Männerbund, so behauptete Follen, gehörten bereits einflussreiche Persönlichkeiten an, bis hin zum preußischen Freiheitskriegsgeneral Gneisenau.
Der Jünglingsbund breitete sich erstaunlich schnell aus, er hatte schon bald hundertfünfzig Mitglieder in fünfzehn deutschen Staaten. Für die damaligen Rechtsverhältnisse war er, zumindest in der Meinung der Bundesgenossen, unzweifelhaft hochverräterisch, sein Zweck war „der Umsturz der bestehenden Verfassungen, um einen Zustand herbeizuführen, worin das Volk durch selbstgewählte Vertreter sich eine Verfassung geben könne“. Den jungen Leuten war klar, was sie riskierten, weshalb der Bund streng konspirativ organisiert war: Jeder sollte „sich Waffen anschaffen und darin üben“, und nur wenige Mitglieder sollten sich untereinander kennen. Den Kontakt zum Männerbund durfte nur eine einzige Person halten. Einer der neun „Artikel“ des Bundes lautete: „Den Verräter trifft der Tod.“
So ganz todernst gemeint war das freilich nicht. Arnold Ruge, selbst führendes Mitglied, nannte den Artikel jedenfalls „unser machtloses Gesetz“: Alle wussten, dass man einem eventuellen Verräter „kein Haar krümmen“ würde (was sich bewahrheitete), für einen Fememord dachten die Jünglinge offenbar zu edel. Das Ganze mag auch einer verbreiteten Lust an der Geheimbündelei entsprochen haben, zu irgendwelchen Taten schritt der Jünglingsbund jedenfalls nie. Ruge stellt allerdings fest: „Das Jahr 1848 und die Frankfurter Nationalversammlung ist aus jenem Geiste von 1821 und 1822 hervorgegangen, ja sie haben einen großen Teil der Verschworenen in der Paulskirche versammelt.“83
Bei Karl Feuerbach kann man sich vorstellen, dass dieser Geheimbund seinem Ungestüm entgegenkam: Es war die „ächt burschikose Forderung, keiner Gefahr auszuweichen“, wie Ruge rückblickend schrieb.84 Karl beschwor, zusammen mit seinem Freund Schwörer (der später als Arzt dem jungen Maler-Neffen die Geschichte vom Mühlrad und dem Schuss durch den Rockschoß erzählte) den Bund nicht nur als einer der ersten,85 er zog möglicherweise auch seine Brüder hinein, deren Haltung während der Studienzeit dieser Geheimbund durchaus entsprochen hätte. Und Karl war offenbar auch eines der aktivsten Mitglieder, denn er reiste als einer der vierzehn oder fünfzehn Vertreter aus ganz Deutschland zum ersten „Bundestag“ des Jünglingsbundes, der an Pfingsten 1822 unter freiem Himmel auf dem Stein bei Würzburg abgehalten wurde.
Bei dieser Versammlung war das beherrschende Thema die Frage nach dem Männerbund, vom dem nicht die mindeste Nachricht vorlag, weshalb sich Zweifel breitmachten, ob er überhaupt existiere. Zwar war Johann Gottfried Eisenmann, der spätere Herausgeber des „Bayerischen Volksblattes“ und 1848 in Frankfurt bejubelter Freiheitsheld, unbestrittener Sprecher der Versammlung, doch Karl war der Mann, auf den man am meisten gespannt war: Er hatte „zu dem Zweck, den Zustand des Bundes zu erforschen und namentlich über den Männerbund Aufklärung zu erhalten“86, eine Erkundigungsreise unternommen, auf der er auch mit Follen zusammengetroffen war. Ergebnis: einen Männerbund gab es offensichtlich nicht. Was also tun? Den Bund einfach aufzulösen, hielt man für noch gefährlicher als ihn beizubehalten, denn der Tatbestand des Hochverrats, so glaubte man, sei bereits erfüllt. Und da „Keiner von uns Willens sei, den Zweck des Bundes wirklich aufzugeben und die Einheit und Freiheit Deutschlands fallen zu lassen“87, wollte man fortan ein eigenbestimmter Bund sein, ohne Abhängigkeit von einem übergeordneten Männerbund; außerdem werde man, da die meisten ohnehin bald ins Berufsleben treten würden, bald selbst der Männerbund sein.
Der Jünglingsbund wurde von einem Theologiestudenten verraten, den man aus Bequemlichkeit aufgenommen hatte: Er war der einzige Nichteingeweihte in einer täglichen Tischgesellschaft von Bundesbrüdern in Halle, und man wollte in seiner Gegenwart offen reden können. Anfang 1824 kam es in ganz Deutschland zu einer Verhaftungswelle. Die Anklagen lauteten überall auf Hochverrat, doch die Urteile fielen sehr unterschiedlich aus: In Preußen wurde mehr als die Hälfte der Verhafteten – so auch Ruge – zu fünfzehn Jahren Festungshaft verurteilt, in Baden, Württemberg und Kurhessen lauteten die Urteile höchstens auf vier oder fünf Jahre, in Bayern gab es überhaupt keine Verurteilung: König Max Joseph hatte selbst auf einen raschen Abschluss der Untersuchungen gedrängt, und im Mai 1825 wurden die Verfahren gegen Anselm und Eduard endgültig, das gegen Karl vorläufig eingestellt. Der König ließ sich die jungen Leute vorstellen, er erteilte ihnen väterliche Ermahnungen und überbürdete die Kosten zumeist der Staatskasse.88 Eifrige bayerische Justizbeamte hatten aber offenbar dafür gesorgt, dass die in München einsitzenden Untersuchungshäftlinge die härteste aller Strafen erlitten: Während Karls Freund Schwörer sich auf einer badischen Festung „behaglich mit Musikunterricht beschäftigte“89 und Ruge auf der Festung Kolberg gründlich die griechische Antike studieren und ein Trauerspiel schreiben konnte90 (außerdem nach sechs Jahren freikam), hatte man im Neuen Turm zu München die Inhaftierten durch Isolierung und schikanöse Verhöre „an Geist, Gemüt und Leib mehr oder weniger zu Krüppeln gemacht“.91