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Vorwort

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Unter den deutschen Philosophen der Neuzeit, so will es scheinen, ist Ludwig Feuerbach der ewig Büßende. Zu seiner Zeit traf ihn der Bann, weil er Nicht-Genehmes sagte, in der heutigen Zeit trifft ihn das Desinteresse, weil Wesentliches von dem, was er sagte, zur schieren Selbstverständlichkeit geworden ist. Seiner Philosophie ergeht es beinahe so wie den Forderungen nach Rechtsstaat und Demokratie im Paulskirchen-Parlament von 1848: Damals verdammt und verteufelt, bilden sie heute den Grundkonsens unserer politischen Werteordnung. Zusätzlich zu büßen hat Feuerbach seine Abkehr von der Fachphilosophie, die dazu geführt hat, dass sich sein Denken dem philosophischen Fachvokabular und Fachdiskurs partout nicht fügen will. Er sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, hinter das Reflexionsniveau seiner Vorgänger zurückzufallen; im universitären Lektürekanon fehlt er zumeist.

Wer heute Feuerbachs Schriften unvoreingenommen liest, wird jedoch bald feststellen, dass sie, was ihren Gehalt und nicht zuletzt ihre Sprache betrifft, neben denen eines Schopenhauer oder anderer Berühmtheiten seiner Zeit sehr wohl bestehen können. Sie haben den zusätzlichen Vorteil, dass man ihrem Inhalt – cum grano salis – noch beistimmen kann, für einige von ihnen kann man sich sogar noch begeistern. Dem geistesgeschichtlich Interessierten bieten sie außerdem das seltene Erlebnis, die Herausbildung eines Denkens sozusagen live verfolgen zu können. Von heute aus gesehen, ist das vielleicht das eigentlich Interessante an diesem Philosophen: Mit genialem Gespür griff er wunde Punkte in den herrschenden Geisteshaltungen seiner Zeit auf und schälte die Widersprüche heraus. Mit seiner Kritik traf er so sehr den Nerv seiner Zeit, dass er für die Dissidenten des deutschen Vormärz zum neuen Leitbild des Aufbruchs wurde, und mit seinen Gegenentwürfen gelangte er zu Ergebnissen, die zentrale humanwissenschaftliche und philosophische Themen des 20. Jahrhunderts vorwegnahmen oder zumindest präfigurierten.

Feuerbach schonte bei seiner Kritik herrschender Denkmuster auch die eigenen Anschauungen nicht, unerbittlich setzte er sich selbst dem Entwicklungsprozess seines Denkens aus. So wird die Herausbildung seiner Philosophie zum Denkabenteuer eines unbeirrbaren Wahrheitssuchers, der sich als Jugendlicher für die Theologie begeisterte, das Diesseits entdeckte und sich von der Religion lossagte, in Hegels Bann geriet und das Denken des Meisters jahrelang in beispielloser Gründlichkeit auslotete, den Kampf mit der auf Christlichkeit pochenden politisierenden Spätromantik aufnahm und dabei die Religion als Spiegel des Menschlichen entdeckte, die im Spiegel entdeckte Sinnlichkeit höher schätzte als alle Spekulation, die Philosophie des Deutschen Idealismus, zumal die Hegels, als untauglich verwarf und eine Reformation der Philosophie insgesamt verlangte: Die Wahrheit existiere nicht im Denken, nicht im Wissen für sich selbst, Wahrheit sei nur die Totalität des menschlichen Lebens und Wesens.

Diesem wahrhaftigen Lehrstück gilt das vorliegende Buch: Es ist eine Biographie des Menschen Ludwig Feuerbach, aber auch gewissermaßen eine Biographie seines Denkens. Die letzte größere Lebensbeschreibung erschien 1909, die letzte umfassende Darstellung seines Denkens 1931. Seither hat sowohl das Bild des Menschen als auch das Verständnis seines Denkens zahlreiche und wichtige Retuschen erfahren. Das Gesamtbild hat sich gewandelt, nicht zuletzt trat der homo politicus im Philosophen zutage, den die älteren Biographen schamhaft verschwiegen hatten. Mitte des 20. Jahrhunderts erfuhr Feuerbach eine neue Aufmerksamkeit, zunächst bei Fachphilosophen in Ost und West, die Feuerbach von den Schlacken diverser Vereinnahmungen befreiten und sein Werk neu befragten. Es fand sich eine internationale Forschergemeinschaft zusammen. Werke, Briefwechsel und Nachlass wurden vollständig und erstmals in verlässlicher Form ediert. Werner Schuffenhauer, der Herausgeber dieser neuen Gesammelten Werke, hat auch die Biographie von Grund auf neu recherchiert. Die Ergebnisse dieser Arbeit, sowohl die Detailstudien der Forschergemeinschaft als auch die Recherchen Schuffenhauers, finden sich, notgedrungen verstreut, in Fachpublikationen und in den editorischen Erläuterungen zur Werkausgabe.

Meine Arbeit baut auf diesen wissenschaftlichen Ergebnissen auf, sie beansprucht aber nicht, deren Quintessenz zu sein. Überhaupt versteht sie sich nicht als wissenschaftlicher Beitrag, sie will vielmehr erzählen: vom Menschen Ludwig Feuerbach, von seinen Schriften und von der Zeit, in der sich sein Denken herausgebildet hat. Weil im Prozess dieser Herausbildung der Schlüssel für das Verständnis der Schriften liegt und er mit dem historischen Kontext eng verknüpft ist, wird diesem breiter Raum gegeben. An das Genre der Erzählung halten sich auch die Besprechungen von Feuerbachs Schriften in diesem Buch: Statt Inhaltsangaben oder Analysen sollen sie vielmehr Berichte eines informierten Lesers sein, Rezensionen vergleichbar.

Die ganze Arbeit wäre undenkbar gewesen ohne die biographischen Forschungen von Professor Werner Schuffenhauer, dem die Ehre gebührt, der Feuerbach-Biograph zu sein. Vom gewaltigen Fundus seiner Recherchen konnte ich nur einen Bruchteil berücksichtigen, ich verweise jedoch im Anmerkungsapparat so gewissenhaft wie möglich auf sie. Für seine unermüdliche Unterstützung und für die gewährte Einsicht in unveröffentlichte Dokumente spreche ich ihm meinen wärmsten Dank aus.

Im Oktober 2010

Josef Winiger

Ludwig Feuerbach

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