Читать книгу Ludwig Feuerbach - Josef Winiger - Страница 18
Erlangen zum Ersten
ОглавлениеDas Gesuch um Erlaubnis, als Privatdozent Vorlesungen halten zu dürfen, war an Ludwig I. persönlich zu richten. Bereits wenige Wochen nach der Promotion, also Monate vor der Habilitation, schrieb Feuerbach an den König und unterzeichnete mit: „in allertiefster Devotion ersterbend, Euer Königlichen Majestät alleruntertänigst treu gehorsamster Dr. Ludwig Andreas Feuerbach“. Die Erlaubnis wurde am 7. Februar 1829 „huldvollst erteilt“, der Senat der Universität übermittelte sie, „ohne jedoch damit einen Anspruch auf Anstellung an der hies. Univ. oder auf Unterstützung aus den Fonds derselben einzuräumen“. Die Dozentur war also unbesoldet, die Einkünfte beschränkten sich auf das Vorlesungsgeld, das die Studenten bezahlten. Doch Ludwig Feuerbach lebte bescheiden in einem Erlanger Gartenhaus, das er, wie er an Schwester Helene in Paris schrieb, wochenlang nicht verließ, und ernährte sich entsprechend: „Vormittags ein Glas Wasser, mittags ein mäßiges Essen, abends einen Krug Bier nebst Brot und höchstens noch einen Rettich.“ Er war’s zufrieden: „Wenn ich dieses immer so beisammen hätte, so wünschte ich mir nie mehr von und auf der Erde!“159 Zu dieser Zeit lebten auch drei seiner Brüder in Erlangen: Karl als Gymnasiallehrer, Eduard als Privatdozent der Rechte und Friedrich als Student.
Der knapp fünfundzwanzigjährige Privatdozent der Philosophie konnte kaum darauf hoffen, dass ihm die Hörer zuflogen wie einstmals zwei berühmten Vorgängern: Fichte hatte hier knappe zwei Jahre lang gelehrt, als Erlangen noch preußisch war. Und in lebendiger Erinnerung war vor allem Schelling, der 1820 hierher gekommen und 1827, also erst vor kurzem, nach München berufen worden war: Seine Vorlesungen in Erlangen hatten, zumindest in der Anfangszeit, einen solchen Zulauf gehabt, dass kein Raum der Universität groß genug war und in die Schlossaula ausgewichen werden musste.160
Die Fakultät war einverstanden, dass Ludwig Feuerbach schon im Januar 1829, also noch bevor die offizielle Erlaubnis aus München eintraf, seine Lehrtätigkeit aufnahm. Im Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester war bereits angekündigt, dass er über „Logik und Metaphysik“ lesen werde. Da er mit Hegel der Überzeugung war, dass „die angemessenste Einleitung zur Logik eine Darstellung der Geschichte der Philosophie“161 sei, begann er mit einer philosophiegeschichtlichen Vorlesung über Descartes, Malebranche und Spinoza. Im Sommersemester las er über die griechische Philosophie. Neben weiteren Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie und zur Rationalen Psychologie hielt er in den Wintersemestern 1830/31 und 1831/32 eine große Vorlesung über Logik und Metaphysik. Er blieb dabei seinem Meister treu. Die Logik verstand er, ganz im Sinne Hegels, als Erkenntnislehre: „Die Heglische Logik“, so lehrte er, „ist das Organ der Philosophie selbst, nicht nur zur Erwerbung philosophischer Erkenntnis und Erkenntnisse, sondern auch zur Einsicht in die Geschichte der Philosophie und die Philosophie selbst überhaupt. Ohne Studium und Erkenntnis der Prinzipien der Heglischen Philosophie ist gar keine Philosophie möglich.“162 Er trug also Hegels Logik vor, freilich „nicht in und mit seinen Worten, sondern nur in seinem Geiste“. Der sprachliche Unterschied zu Hegel fällt als erstes auf: Im Unterschied zu vielen Hegelianern seiner Zeit versucht Feuerbach nicht, die Hegelsche Diktion nachzuahmen. Einen anderen Unterschied des Herangehens hatte er seinem Meister bereits im Begleitbrief zur Dissertation angekündigt: Er wollte die „Ideen nicht oben im Allgemeinen über dem Sinnlichen und der Erscheinung“ belassen, sondern sie „aus dem Himmel ihrer farblosen Reinheit, ihrer unbefleckten Helle, Seligkeit und Einheit mit sich selber“ herunterholen „zu einer das Besondre durchdringenden, in und an der Erscheinung die Erscheinungen aufhebenden und bewältigenden Anschauung“. Er versuchte dies, indem er seine Begriffsspekulation immer wieder mit Anwendungen illustrierte: aus den Naturwissenschaften – Physik, Mathematik, Astronomie, Biologie – und aus praktischen Lebenssituationen, bis hin zum Selbstmord.163 Begriffsspekulation in diesem Ausmaß, in dieser Ausschließlichkeit und mit dieser Hingabe wird Ludwig Feuerbach nie wieder treiben.
Im Frühjahr 1832 brach Feuerbach die Lehrtätigkeit in Erlangen abrupt ab. Wie einst sein Vater nahm er Reißaus und ging für ein halbes Jahr nach Frankfurt, wo er bei einer Tante wohnen konnte. Was ihn dazu bewog, ist nicht ganz klar, es werden viele Faktoren zusammengespielt haben: Seine Einkünfte reichten wohl selbst bei bescheidenstem Lebensstil nicht aus. Der einzige Freund und philosophische Gesinnungsgenosse an der Fakultät, der um sechs Jahre ältere Christian Kapp, hatte sich aus gesundheitlichen Gründen zurückgezogen. Als Hegelianer stand er nun allein gegen die restaurativen Tendenzen, die sich vor allem in der theologischen Fakultät durchsetzten. Schon im Herbst 1829 hatte er vergeblich versucht, nach München zu kommen, wo er „in dem regen wissenschaftlichen Streben der Ludwig-Maximilians-Universität“ mehr Anregung zu finden hoffte. Doch die Erlaubnis, dort als Privatdozent wirken zu dürfen, blieb aus; der Senat der Universität hatte befunden, eine Habilitation anderswo genüge nicht, Feuerbach müsse sich auch in München habilitieren. Den Vorsitz hatte Schelling inne, und ihm hatte Feuerbach seine Dissertation geschickt – was vielleicht ein Fehler war: Schelling kann sie kaum befürwortet haben.164
In Erlangen war die Aussicht auf eine besoldete Dozentenstelle inzwischen so gut wie null. Zu viel hatte sich ereignet. Die Pariser Julirevolution von 1830, eine spontane Volkserhebung, bei der Arbeiter, Studenten und Kleinbürger in Barrikadenkämpfen die Regierungstruppen besiegt und das liberale Bürgertum mit dem Bürgerkönig Louis-Philippe an die Macht gebracht hatte, löste auch in ganz Deutschland einen Sturm von Erhebungen und Unruhen aus. Nach mehr als einem Jahrzehnt der durch die Karlsbader Beschlüsse erzwungenen Friedhofsruhe entlud sich der aufgestaute Unmut in vielfältigen, meist spontanen Aktionen. Die Bewegung war diesmal nicht auf die Studenten beschränkt (die Burschenschaften hatten ihr universitäres Monopol weitgehend eingebüßt), sondern ergriff weite Bevölkerungskreise: Kleinbürger, Handwerker, Arbeiter, auch Bauern. Das liberale Bürgertum hatte in Deutschland, vor allem im Süden und in Hessen, mehr Selbstbewusstsein gewonnen und forderte energisch politische Mitsprache. Mutige Publizisten trotzten der Zensur. „Kryptopolitische“ Aktivitäten wie Lesezirkel, Unterstützungsvereine für die griechische Freiheitsbewegung und die geflohenen Aktivisten des niedergeschlagenen Polenaufstands von 1830, Bürgergesellschaften in der verschiedensten Form: All dies hatte eine Sensibilisierung bewirkt, die Zehntausende zu den „politischen Festen“ strömen ließen, wie sie überall im Lande veranstaltet wurden. Ziviler Ungehorsam und Aufsässigkeit gegenüber der Obrigkeit griffen um sich. Die Radikalität der politischen Forderungen nahm sprunghaft zu: Schlagworte wie Republik und Volkssouveränität waren nicht mehr nur in geheimen Studentenzirkeln zu hören, sondern auf Großversammlungen, wo sie Jubel auslösten. Ein fast deutschlandweit agierender Vaterlands- und Pressverein hatte rasch ein Netz von über hundert Zweigvereinen und fünftausend Mitgliedern. Die Bewegung gipfelte am 27. Mai 1832 im „Hambacher Fest“ mit zwanzig- oder dreißigtausend Teilnehmern. Im ganzen Land wuchsen euphorische Hoffnungen.165
In der bayerischen Provinz hielten sich die Tumulte in Grenzen, doch brodelte es auch hier. In Franken wurde 1832 eine Verfassungsfeier an der „Konstitutionssäule“ im Schlosspark von Gaibach zur politischen Demonstration: Der Arzt und oppositionelle Publizist Gottfried Eisenmann hatte sie veranstaltet, der Staatsrechtler und Würzburger Bürgermeister Wilhelm Josef Behr hielt eine Rede, in der er weitreichende liberale Reformen forderte. In München hingegen kam es zum Aufruhr mit schwerwiegenden Folgen. Am Weihnachtstag 1830 hatte eine Überreaktion der Polizei auf einen Studentenstreich zu einer Eskalation mit gewaltsamen Zusammenstößen geführt, bei der die Münchner Bürgerschaft, anders als gewohnt, Partei für die Studenten ergriff. Es entstanden Bürgertumulte. Als ein Gericht sechzig Rädelsführer freisprach, führte Ludwig I. die von ihm selbst vier Jahre zuvor abgeschaffte Pressezensur wieder ein, was erbitterte Auseinandersetzungen im Landtag zur Folge hatte. Ludwig, enttäuscht vom „Undank“, vollführte seine berühmte Kehrtwende vom liberalen Verfassungsbefürworter zum entschiedenen Reaktionär. Er griff persönlich in das Verfahren gegen Behr und Eisenmann ein, bei dem beide zu langjähriger Festungshaft verurteilt wurden. Und als Reaktion auf das Hambacher Fest – Hambach lag in der bayerischen Pfalz – quartierte er achttausend Mann Militär, sogenannte „Strafbayern“, in der Provinz ein. Die Veranstalter wurden vor Gericht gestellt und Ludwig verlangte hohe Strafen, doch die pfälzischen Gerichte ließen sich nicht beugen: Selbst die Hauptverantwortlichen erhielten nur zwei Jahre Haft wegen „Beamtenbeleidigung“.166
Eine Weile lang hatte es ausgesehen, als sei der Restauration das Gesetz des Handelns entglitten. Doch als Anfang April 1833 mit dem „Frankfurter Wachensturm“ eine zwar dilettantisch durchgeführte, doch ernstgemeinte Machtübernahme versucht worden war, schlug die Repression härter zu als je zuvor. Wenige Wochen nach dem Hambacher Fest hatte Metternich im Deutschen Bund durchgesetzt, dass die Zensur radikal verschärft und alle politischen oder auch nur politisch scheinenden Vereine, Versammlungen und Feste verboten wurden. Wie einst im Gefolge der Karlsbader Beschlüsse wurde wieder eine Zentralbehörde für politische Untersuchungen eingerichtet, die Verdächtige im In- und Ausland erfasste und bis 1842 Ermittlungen gegen zweitausend Personen einleitete. In ganz Deutschland wurden Todesurteile ausgesprochen, neununddreißig allein nach dem Frankfurter Wachensturm, neben hundertfünfundsechzig lebenslänglichen oder langjährigen Freiheitsstrafen. Zwar wurde keines der Todesurteile vollstreckt und die Freiheitsstrafen nachträglich oft abgemildert. Doch jede – oder fast jede: der „Hessische Landbote“ von Weidig und Büchner ist eine der wenigen Ausnahmen – politische Bewegung wurde im Keim erstickt. Hunderte von politisch Verfolgten flohen nach Frankreich oder in die Schweiz. „In dieser halben irrgewordnen Zeit“, wie es in Herweghs Ode auf Georg Büchner heißt, breitete sich ein bleierner Mantel über das Land.167
Wer nicht der Verfolgung durch die Zentralbehörde ausgesetzt war, ging in die innere Emigration. Sie entsprach ohnehin einem Zug der Zeit. In Kunst und Literatur äußerte sie sich im „Biedermeier“: Rückzug auf die Innerlichkeit, auf das Häuslich-Intime, Beschauliche, Gefühlsselige. In religiöser Hinsicht entsprach ihr die protestantische „Erweckungsbewegung“, aus der auch die Erlanger Theologie hervorging; diese neue Religiosität stand in diametralem Gegensatz zur „vernünftigen“ Gläubigkeit der Aufklärung. Auch im Katholizismus setzte sich eine streng konservativ ausgerichtete neue Gläubigkeit durch. In München wurde der Kreis um Joseph Görres, dem einstigen Kämpfer für Freiheit und Republik, zum Sammelpunkt einer Tendenz, die das öffentliche Leben einschließlich der Politik dem Glauben unterordnen wollte. Zusammen mit Schelling und Baader bildete Görres auch das beherrschende Dreigespann, das, dem Willen des Königs entsprechend, an der Münchner Universität dafür sorgte, dass die Wissenschaften sich unter die Oberherrschaft der Offenbarung stellten. Den neu erstarkten religiösen Tendenzen war gemeinsam, dass sie die Restauration befürworteten, wie ihrerseits die Restauration offen auf diese Tendenzen setzte.