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1. Die Aufklärung und ihre Kinder Bayern führt die Neuzeit ein

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Am Neujahrsmorgen 1806 verkündete eine Proklamation in Bayern: Da durch die Vorsehung Gottes es dahin gediehen ist, dass das Ansehen und die Würde des Herrschers in Baiern seinen alten Glanz und seine vorige Höhe … wieder erreicht, so wird der Allerdurchlauchtigste und Großmächtigste Fürst und Herr, Herr Maximilian Joseph, als König von Baiern, und allen dazu gehörigen Ländern hiermit feyerlich ausgerufen. König von Gottes Gnaden also? Man vermisst die Formel. Maximilian I. Joseph wusste, dass er von Napoleons Gnaden war:1 Bei der „großen Flurbereinigung“ nach der Selbstauflösung des heiligen römischen Reiches wurde Bayern reichlich mit Reichsstädten und geistlichen Territorien für die an Frankreich gefallene linksrheinische Pfalz entschädigt. Nach und nach kamen umliegende Fürstbistümer, Reichsabteien, Reichsstädte hinzu – Schwaben, Franken, zeitweise sogar Vorarlberg und Tirol einschließlich Südtirol –, so dass das neue Bayern zur bedeutendsten Mittelmacht in Süddeutschland wurde. Nun war es zusätzlich zum Königreich erhoben worden. Krönen ließ sich der wenig aristokratische, zeitlebens sehr human regierende „Vater Max“ nie, er gab einen Galaempfang in der Residenz, bei dem er die Menschenmenge mit den Worten begrüßte: „Es freut mich, Euch zu sehen. Ich wünsche Euch allen ein gutes neues Jahr. Und wir bleiben die alten.“2 Wie stark die Abhängigkeit von Frankreich war, illustrierte zwei Wochen später die von Napoleon verlangte Vermählung der bayerischen Prinzessin Auguste mit seinem Stiefsohn Eugène Beauharnais, zu der er persönlich angereist war. Im Rheinbund, den er noch im selben Jahr erzwang, spielte Bayern eine führende Rolle, und der Koalition, die Napoleon in der Leipziger „Völkerschlacht“ endgültig vertrieb, schloss es sich erst im allerletzten Moment an.

Zumindest anfänglich wurde die napoleonische Kuratel keineswegs als Fremdherrschaft empfunden. Einige Jahre lang hatte Napoleon sehr viele Sympathien quer durch alle Bevölkerungsschichten. Bei seinem zweiten München-Besuch gab es Jubel. Erst als die Abgaben, Truppeneinquartierungen und vor allem die Aushebungen immer drückender wurden und dann gar dreißigtausend Soldaten aus Bayern im Russlandfeldzug ihr Leben verloren, schlug die Stimmung endgültig um.

Auch das Murren in den neubayerischen Territorien und den ehemaligen Reichsstädten gegen die zwangsweise Einverleibung ins Königreich Bayern hielt sich in Grenzen, außer in Tirol, wo Andreas Hofer den berühmten Freiheitskampf anführte. Viele freie Reichsstädte verloren zwar eine aus dem Mittelalter stammende Selbständigkeit, während der man allein dem Kaiser Rechenschaft schuldete, aber man konnte auch einen Schuldenberg abwälzen, der die oft nur wenige Tausend Einwohner zählenden Kleinstgebilde regelrecht erdrückte. Und so sehr man an Traditionen hing: dass Reformen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens überfällig waren, wollte niemand ernsthaft bestreiten.

Diese Reformen führte der allmächtige Minister Montgelas in einer wahren „Revolution von oben“ durch.3 Graf Montgelas entstammte savoyischem Adel, seine Mutter war aber Bayerin und er war auch in München geboren, allerdings dann zeitweise in Frankreich erzogen und ausgebildet worden. Schon in den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts war er kurbayerischer Hofrat gewesen, doch als die Illuminaten, denen er angehörte, verboten wurden, musste er ins Herrschaftsgebiet der pfälzischen Wittelsbacher ausweichen, wo er engster Vertrauter des Herzogs von Zweibrücken und dessen Bruder Max Joseph wurde. Als letzterer im Jahre 1799 als neuer Kurfürst in München einzog, kehrte auch Montgelas nach Bayern zurück.

Montgelas, neben Hardenberg der große Staatsmodernisierer der Epoche, kann als Inbegriff des aufgeklärten Staatsmannes gelten. In jungen Jahren waren für ihn „gleichmäßigere Vertretung des Volkes, Ausdehnung der wesentlichen Menschenrechte auf alle Klassen der Gesellschaft, gleiche Steuerpflicht ohne einen Unterschied“ so hehre Ziele, dass er nur deshalb bedauerte, kein Grundeigentum zu besitzen, weil er dadurch keine Gelegenheit hatte, die Ernsthaftigkeit seiner Ansichten durch Taten zu beweisen.4 Der selbst der Aufklärung verpflichtete neue Herrscher in München gab ihm nun die Gelegenheit, zur Tat zu schreiten. In rasantem Tempo wurde die Verwaltung vereinheitlicht und modernisiert, das Land nach französischem Vorbild in nach Flüssen benannte Kreise eingeteilt, mit dem Schulzwang die nur theoretisch bestehende allgemeine Schulpflicht wirklich durchgesetzt, letzte Reste der Leibeigenschaft und die Fronarbeit („Scharwerk“) abgeschafft, Adel und Kirche politisch entmachtet, die Gleichheit der christlichen Konfessionen statuiert und in einem Sturm der Säkularisierung, der mancherorts in Vandalismus ausartete, die Klöster aufgelöst.

Die einzige Universität Altbayerns in Ingolstadt, die sich, wie Montgelas schon früher in einer Denkschrift moniert hatte, „in einem höchst beklagenswerten Zustand“ befand, wurde 1800 nach Landshut verlegt (1826 dann nach München) und durch Berufungen mächtig aufgewertet und vergrößert; mit ihren fast eintausend Studenten wurde sie auf Anhieb zu einer der bedeutendsten Universitäten Deutschlands. Zu Beginn des Sommersemesters 1804 – wenige Wochen vor der Geburt Ludwig Feuerbachs – wurde zu Ehren eines neu berufenen achtundzwanzigjährigen Strafrechtlers ein Fest gegeben: Studenten führten eine Kantate auf, Honoratioren aus der Stadt gaben sich die Ehre, das Universitätsgebäude war illuminiert, es waren „beinahe 3000 Menschen versammelt“.5 Der so Geehrte war der Vater des Philosophen: Paul Johann Anselm Feuerbach. Er war gerufen worden, um im neuen Bayern das Strafrecht zu reformieren. Er war der erste Nicht-Bayer und der erste Protestant, der auf einer bayerischen Universität einen Lehrstuhl erhielt.6

Ludwig Feuerbach

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