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2. Ketzer und Ketzerverfolgung in der Alten Kirche
ОглавлениеDie erste historische Schicht christlicher Lehrstreitigkeiten in der Apostelzeit ist noch stark von den Kontroversen zwischen pharisäischem Judentum und Urchristentum (über die Frage der messianischen Sendung Jesu) sowie zwischen Judenchristentum und Heidenchristentum (über das Verhältnis zur jüdischen Schriftüberlieferung) geprägt. In der nachapostolischen Zeit geben zuerst die Briefe des Bischofs Ignatius von Antiochia (†nach 110) Einblick in christliche Häresien. Ignatius stellt den Zusammenhang zwischen der Einheit des Glaubens und der Einheit der Gemeinde heraus. Alleiniger Weg zur Erlösung liege in der Gemeinde unter Leitung ihres Bischofs, der die Verantwortung für die Wahrung der Glaubenseinheit trage. Abfall von der Gemeinde sei immer auch Abfall von der wahren Lehre. Hinweise auf konkrete Häresien gibt Ignatius, wenn er im Brief an die Gemeinde von Tralles in Kleinasien formuliert, das Abendmahl sei „das Heilmittel der Unsterblichkeit“, und „das fremde Gewächs der Häresie“ sei „das todbringende Gift“. Die von Ignatius vertretene sakramentale Auffassung des Abendmahls, insbesondere die Gegenwart Jesu Christi in Leib und Blut, wurde von christlichen Gnostikern bestritten. Diese traten im 2. und 3. Jahrhundert nicht als einheitliche Gruppe oder Bewegung auf, sondern als Anhänger einer in verschiedene philosophische Schulen aufgefächerten Denkrichtung, die ihre Lehre als heilbringende Erkenntnis (Gnosis) verstanden. Anhänger dieser Lehre finden sich auch außerhalb des Christentums, und ihre Wurzeln liegen lange vor der christlichen Epoche, weshalb man die Gnosis nicht pauschal als Häresie ansprechen kann. Kennzeichen der christlichen Gnosis ist ein hellenistischen Vorbildern verpflichteter Dualismus, der streng zwischen verwerflicher physischer Welt und metaphysischer Gotteswelt unterschied.
Gnosis
Vor diesem Hintergrund wurden zumindest von Teilen der Gnostiker die Fleischwerdung des Christengottes und konsequent auch die leibliche Gegenwart im Abendmahl in Zweifel gezogen. Gnostische Kritik äußerte sich zudem gegenüber dem Gemeindechristentum und der großkirchlichen Kultpraxis. Mit dem Beginn der staatlichen Verfolgung von Häresien im 4. Jahrhundert löste sich die Mehrzahl der gnostischen Schulen auf. Dualistische Lehren erhielten sich aber bis zu den hochmittelalterlichen Bogomilen und Katharern. Nach Ignatius von Antiochia traten vor allem die Theologen Irenäus von Lyon (Adversus haereses, um 180), Tertullian (Adversus Marcionem, 207) und Hippolyt (Philosophumena, um 215) scharf gegen die christliche Gnosis ein, die sie als Ketzerei verurteilten. Ein erster Ketzerkatalog, der allerdings nicht erhalten geblieben ist, stammte von Justin dem Märtyrer (um 150). Ketzerei wird in diesen frühen Schriften übereinstimmend als von Dämonen oder Satan angestiftete falsche Gotteslehre definiert, die häufig auch mit moralischem Fehlverhalten einherging. Bereits der zweite Petrusbrief warf den Irrlehrern Habsucht als Motiv vor (2Petr. 2,1). Als Erzketzer erscheint bei Ignatius und den meisten seiner Nachfolger Simon der Magier (vgl. Apg. 8,9–23). Im dritten Jahrhundert vertraten in Alexandria die griechischen Theologen Klemens (†vor 215) und Origenes (†um 254) eine milde Position gegenüber Häretikern, die sie durch Widerlegung und Belehrung wieder in die Kirche eingliedern wollten. In rechtlicher Hinsicht behauptete sich in dieser Zeit die Zuständigkeit der Ortsbischöfe und regionaler Bischofssynoden für die Verurteilung und Wiederaufnahme von Ketzern.
Manichäer
Auf diesem Stand befanden sich Theologie und Kirchenrecht vor den großen Herausforderungen durch die Entstehung neuer Ketzerbewegungen im späteren 3. und im 4. Jahrhundert. In Persien begründete Mani (* um 216, †um 277) eine synkretistische Religionslehre, den Manichäismus, der Anleihen bei Christen, Gnostikern, Juden und östlichen Erlösungsreligionen machte und sich schnell bis in die christlichen Zentren am Mittelmeer ausbreitete. Die strikt dualistische Lehre vom bösen Schöpfer der Materie und dem guten Gott des Lichts verrät starke gnostische Einflüsse. Trotz seiner nichtchristlichen Quellen wurde der Manichäismus unter die christlichen Häresien gezählt. Seine Verfolgung setzte mit der Konstantinischen Wende im frühen 4. Jahrhundert ein. Ein Edikt Kaiser Konstantins I. von 326 verbot seine Ausübung im Römischen Reich; unter Kaiser Theodosius I. (379–395) kam es zu gewaltsamen Verfolgungen von Manichäern. Im 5. Jahrhundert verlieren sich die historischen Spuren des Manichäismus in der christlichen Welt, auch wenn der Name, der in spätantiken Ketzerkatalogen an prominenter Stelle steht, im Mittelalter häufig zur Bezeichnung neuer dualistischer Häresien (zum Beispiel der Bogomilen oder Katharer) diente.