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ОглавлениеAuszug aus den Akten des Konzils von Chalkedon, 451
(Conciliorum oecumenicorum decreta. Konzilien des ersten Jahrtausends, hg. v. J. Wohlmuth, Paderborn 1998, S. 210).
Wir lehren einstimmig, dass der Sohn, unser Herr Jesus Christus, ein und derselbe sei. Der eine und selbe ist vollkommen der Gottheit nach und der Menschheit nach wahrer Gott und wahrer Mensch. […] Wir bekennen einen und denselben Christus, der in zwei Naturen unvermischt, unverwandelt, ungetrennt und unzerteilt besteht.
Den Beschlüssen von Ephesus und Chalkedon zum Trotz verblieben große Teile der ägyptischen und syrischen Kirche bei der monophysitischen Lehre. Auch der Nestorianismus hielt sich außerhalb des byzantinischen Reiches in Persien und Mesopotamien und bildete dort eine eigene Kirchenorganisation aus. Diese Schismen wurden durch die arabische Expansion seit dem 7. Jahrhundert für Jahrhunderte zementiert, da die Gemeinschaften unter muslimischer Vorherrschaft dem Zugriff der westlichen Patriarchate entzogen und als christliche Kirchen grundsätzlich toleriert waren. An der hier vorgestellten Auswahl spätantiker Häresien lassen sich wichtige Grundzüge der mittelalterlichen Ketzergeschichte ablesen. Auch wenn die meisten der genannten Gruppen dem Mittelalter nicht erhalten blieben, so wiederholten sich dennoch viele der theologischen Streitfragen und der Wege zu ihrer Überwindung im Spektrum von Toleranz und Gewalt. Fragen der Christologie, der Trinität und des Abendmahls, der Zusammenhang von Gnade, freiem Willen und Erlösung, die dualistische Absage an die Welt, die Kritik an der mächtig gewordenen Amtskirche und an unwürdigen Priestern, das Zerwürfnis zwischen Rom und Konstantinopel und die daraus resultierende Diskontinuität in der Ketzerverfolgung – diese Themen behielten auch und gerade im Mittelalter ihre Aktualität. Da mittelalterliche Theologen, wie angedeutet, dazu neigten, die Ketzereien ihrer Zeit in spätantike Namen und Anschauungen zu kleiden, die sie aus der patristischen Literatur bezogen, muss gleichwohl vor einer Überbetonung von Kontinuitäten gewarnt werden. Häresien sind stets aus ihrer eigenen Zeit heraus zu erklären, aus den aktuellen theologischen und philosophischen Diskussionen, dem Zustand von Kirche und Gesellschaft, der Verbreitung religiöser Ideen und Erwartungen, den Medien und Techniken öffentlicher Kommunikation und nicht zuletzt den Hoffnungen und Ängsten von Menschen.