Читать книгу Der Dreißigjährige Krieg Band 1-3: Der Winterkönig / Der tolle Halberstädter / Der Hexenbrenner - Jörg Olbrich - Страница 11
ОглавлениеWien, 04. Juni 1618
Als Philipp am Morgen erwachte, fühlte er sich zum ersten Mal seit den schrecklichen Ereignissen in Prag ausgeschlafen. Er sah zum Fenster und stellte fest, dass der Tag bereits weit vorangeschritten sein musste. Die Sonne stand hoch am Himmel und schickte ihre Strahlen ins Zimmer des Sekretärs.
Nachdem er seinen Bericht vor dem Kaiser und seinem Beraterstab abgeben hatte, war Philipp am Ende seiner Kräfte gewesen. Die ersten beiden Tage schlief er fast durchgehend und stand nur auf, um die Mahlzeiten zu sich zu nehmen, die ihm von einer Küchenmagd gebracht wurden. Von ihr erfuhr er auch, dass Magdalena bei den Bediensteten untergebracht worden war und es ihr gut ging. Seine Bitte, man möge die junge Frau zu ihm bringen, wurde allerdings nicht erfüllt. Der Hofarzt, der ihn zweimal am Tag besuchte, riet ihm eindringlich, dass er sich ausruhen müsse, damit er wieder zu Kräften kam.
Philipp setzte sich im Bett auf. Sein Fieber war verschwunden und auch die Blessuren des Sturzes waren so weit verheilt, dass sie ihn kaum mehr störten. Lediglich der Ellenbogen schmerzte noch, wenn er seinen Arm gerade ausstreckte. Er beschloss, sein Zimmer an diesem Tag zu verlassen. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis ihn der Kaiser zurück nach Prag schickte. Bis dahin wollte er noch ein bisschen Zeit mit Magdalena verbringen und mit ihr die Stadt erkunden.
Von diesem Entschluss beseelt stand Philipp auf und trat ans Fenster. Im Hof vor dem Schloss konnte er ein paar Landsknechte beobachten, die im Gleichschritt vorbeigingen. Er vermutete, dass der Kaiser seine Armee verstärken wollte, um gerüstet zu sein, falls sich der Böhmische Aufstand ausweitete. Matthias schien von der Nachricht aus Prag zwar nicht besonders beeindruckt gewesen zu sein, dennoch durfte er die Vorkommnisse nicht zu sehr auf die leichte Schulter nehmen. Auch würde Ferdinand alles daransetzen, den Kaiser davon zu überzeugen, dass man mit aller Gewalt gegen die Rebellen vorgehen musste.
Philipp hörte ein Klopfen an der Tür und drehte sich um. »Herein!«
Der Hofarzt betrat den Raum und sah seinen Patienten streng an. »Wie ich sehe, geht es Euch besser.«
»Ja. Ich habe lange genug im Bett gelegen.«
»Das freut mich zu hören. Dennoch muss ich Euch bitten, zumindest noch einen Tag in Eurem Zimmer zu bleiben und auszuruhen.«
»Warum soll ich hierbleiben?«, entgegnete Philipp genervt.
»Ihr hattet gestern noch Fieber. Ihr müsst wieder vollständig bei Kräften sein, wenn Ihr den langen Rückweg nach Prag antreten wollt.«
»Darf ich wenigstens einen Spaziergang im Schlossgarten machen? Frische Luft kann sicher nicht schaden.«
»Dagegen spricht tatsächlich nichts. Aber übertreibt es nicht.«
»Das werde ich nicht.« Philipp war fest entschlossen, den Spaziergang gemeinsam mit Magdalena zu unternehmen. Sicher würde bald die Küchenmagd kommen und sein Essen bringen. Sie musste seiner Reisebegleiterin ausrichten, dass er sie vor dem Schloss treffen wollte.
»Ich werde dem Kaiser ausrichten, dass Ihr soweit genesen seid, Eure Reise morgen anzutreten. Er wird veranlassen, dass alle Vorbereitungen dafür getroffen werden.«
»Ich danke Euch.« Der Gedanke, Wien am nächsten Tag bereits wieder verlassen zu müssen, gefiel Philipp nicht. Wenn es aber des Kaisers Wunsch war, dass der Sekretär so schnell wie möglich nach Prag zurückkehrte, würde er diesen erfüllen.
Kurz nachdem der Hofarzt Philipps Zimmer verlassen hatte, kam die Küchenmagd. Zunächst sträubte sie sich dagegen, seine Bitte zu erfüllen. Als er ihr aber versicherte, dass er ohnehin am nächsten Tag abreisen würde und ihm der Arzt erlaubt hatte, das Schloss zu verlassen, versprach sie, Magdalena seine Botschaft auszurichten.
Als Philipp gerade seine inzwischen gereinigte Kleidung angezogen hatte, klopfte es erneut an der Tür.
***
In der ersten Woche im kaiserlichen Schloss blieb Anton kaum die Zeit, sich an seiner neuen Arbeitsstätte umzusehen. Nach dem spannenden ersten Tag hatte der junge Schreiber den Großteil seiner Zeit in der Bibliothek verbracht und versucht, alles zu lesen, was ihm sein Lehrmeister vorlegte. Zeidler ließ seinen Schüler dabei nicht eine Sekunde aus dem Auge. Er konnte keinen Schritt tun, ohne dass der Alte ihn beobachtete.
Wilhelm Zeidler übertrug seinem Schützling allerdings auch Aufgaben, die Anton mit Stolz erfüllten. Er durfte seinen ersten Chronikbeitrag schreiben, den er von seinem Meister diktiert bekam. Hierin protokollierte er die Ereignisse in Böhmen und die Ankunft von Graf von Buquoy, der in Brüssel für die Spanier tätig gewesen und jetzt nach Wien beordert worden war, um seine Stelle als kaiserlicher Feldmarschall anzutreten.
Noch immer hatte Anton den Wunsch, mit dem jungen Sekretär aus Prag zu sprechen. Wenn Zeidler ihn allerdings weiterhin derartig unter Beobachtung hielt, war Philipp sicher abgereist, bevor er selbst auch nur in dessen Nähe gelangen konnte. Am dritten Tag hielt Anton es schließlich nicht mehr aus und bat Zeidler darum, dem Sekretär einen Besuch abstatten zu dürfen. Er erklärte seinem Lehrmeister, dass es nicht schaden könne, wenn man die Kontakte zu den Schreibern in anderen Residenzstädten aufrechterhielt. Dem hatte Zeidler schließlich schmunzelnd nachgegeben.
Nun stand Anton vor der Tür des Gastes aus Prag und war überrascht, als ihm sofort nach seinem ersten Klopfen geöffnet wurde. Der Sekretär der böhmischen Statthalter stand im Mantel vor ihm und schien sein Zimmer gerade verlassen zu wollen.
»Wie ich sehe, komme ich ungelegen«, sagte Anton entschuldigend.
»Ich wollte gerade zu einem Spaziergang aufbrechen, habe aber noch ein paar Minuten Zeit«, antwortete Philipp. »Ihr seid einer der Schreiber, die dabei waren, als ich dem Kaiser Bericht erstattete.«
»Ja. Das war an meinem ersten Tag hier im Schloss. Seither hat mir mein Lehrmeister keine freie Minute gelassen. Sonst hätte ich Euch früher besucht. Mein Name ist Anton.«
»Ich bin Philipp«, antwortete der Sekretär aus Prag und reichte seinem Wiener Kollegen die Hand. »Ihr habt eine aussichtsreiche Laufbahn vor Euch.«
»Das wünsche ich mir sehr. Ihr dagegen habt diesen Erfolg bereits.«
»Es ist kein erstrebenswertes Ziel, aus dem Fenster geworfen zu werden und in die Tiefe zu stürzen.«
»Das meinte ich nicht«, sagte Anton. »Ihr seid aber doch immerhin der erste Schreiber der böhmischen Statthalter.«
»Ich weiß nicht, ob ich das noch bin«, antwortete Philipp. »In meiner Heimat hat sich in den letzten zwei Wochen viel verändert. Es ist zu bezweifeln, dass man mich meine Arbeit in der Kanzlei wieder aufnehmen lässt.«
»Und dennoch wollt Ihr zurück nach Prag?«
»Was bleibt mir anderes übrig? Wenn mich der Kaiser zurückschickt, werde ich mich nicht dagegen wehren. Ich breche morgen auf.«
Anton sah seinen Kollegen bedauernd an. »Es ist schade, dass Ihr nicht noch länger hier in Wien bleiben könnt. Wir hätten uns sicher viel zu erzählen.«
»Vielleicht treffen wir uns bald wieder«, entgegnete Philipp und lächelte seinen Besucher an.
»Das würde mich freuen«, sagte Anton und meinte dies genau, wie er es sagte. Philipp war ihm auf Anhieb sympathisch und er bedauerte, dass ihm in seiner Heimat derart schreckliche Dinge widerfahren waren.
»Wenn Ihr möchtet, könnt Ihr mich bis zum Ausgang begleiten. Dann könnt Ihr mir von der Bibliothek des Schlosses erzählen, die sicherlich imposant ist.«
»Ich könnte sie Euch zeigen.«
»Das würde mich in der Tat sehr interessieren. Leider muss ich Euer Angebot aber ablehnen. Meine Begleiterin erwartet mich vor dem Schloss. Ich habe sie seit meiner Ankunft in Wien nicht mehr gesehen und möchte sie nicht warten lassen.«
»Das verstehe ich sehr gut«, antwortete Anton enttäuscht. Er ärgerte sich darüber, dass er Zeidler nicht früher gebeten hatte, den Sekretär aus Prag besuchen zu dürfen.
Auf dem Weg zum Ausgang berichtete Philipp, wie es ihm auf der Fahrt nach Wien ergangen war und Anton erzählte von seinen ersten Tagen als kaiserlicher Schreiber. Sie verabredeten, am nächsten Morgen gemeinsam zu frühstücken und verabschiedeten sich, als sie sahen, dass Magdalena Philipp bereits in der Empfangshalle des Schlosses erwartete.
***
»Wie ist es dir in den letzten Tagen ergangen?«, fragte Philipp besorgt, als er mit Magdalena gemeinsam in den prächtigen Schlossgarten trat.
»Man hat mich gut behandelt. Du musst dir keine Gedanken machen.«
»Du hast schon gehört, dass wir morgen nach Prag aufbrechen?«
»Ja. Fühlst du dich denn schon kräftig genug für die lange Reise?«
»Das schon. Es tut mir nur leid, dass ich dir die Stadt nicht zeigen konnte.«
»Das hat Johann bereits getan. Er kennt sich überraschend gut in Wien aus.«
Philipp versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn die Tatsache schmerzte, dass es Johann gewesen war, der mit Magdalena durch die Stadt spazierte und nicht er selbst. Der Kutscher war mindestens doppelt so alt wie die junge Wirtstochter und würde für Philipp keine Konkurrenz darstellen. Dennoch hatte die Sache einen schalen Beigeschmack. »Wo ist Johann jetzt?«
»Soweit ich weiß, bereitet er alles für die Reise vor. Erzähl du mir jetzt aber, wie es war, beim Kaiser vorzusprechen.«
»Die Nachrichten aus Prag wurden gelassener entgegengenommen, als ich es erwartet hatte«, berichtete Philipp. »Einzig König Ferdinand war völlig außer sich und wäre am liebsten sofort gegen die protestantischen Stände ins Feld gezogen.«
»Denkst du, dass es Krieg geben wird?«, wollte Magdalena wissen und sah Philipp ängstlich an.
»Ich hoffe es nicht. Er würde niemandem nützen. Dem Kaiser nicht und den Protestanten schon gar nicht.«
»Es könnte aber dennoch dazu kommen?«
»Wenn sich die Lage weiter zuspitzt, ja. Graf von Thurn kann jetzt nicht mehr zurück, wenn er sein Gesicht nicht verlieren will. Deshalb fürchte ich, dass die Stände die Macht in Prag niemals an Ferdinands Statthalter zurückgeben werden.«
»Damit zwingen sie ihren König zum Handeln.«
»So ist es. Das Haus Habsburg wird nicht auf das böhmische Königreich verzichten. Ich bete für eine friedliche Lösung, daran zu glauben, fällt mir aber schwer.«
Die beiden schlenderten noch fast zwei Stunden langsam durch den prächtigen Schlossgarten, in dem die Blumen in den unterschiedlichsten Farben erstrahlten. Die Sträucher und Hecken waren akkurat geschnitten. Philipp sah zwei Männer, welche die Pflanzen aus Eimern wässerten. Er freute sich darüber, wie sehr es seiner Begleiterin hier gefiel. Am liebsten wäre er mit ihr in Wien geblieben und hätte sie zur Frau genommen. Im Moment durfte er daran aber noch nicht denken. Philipp hatte in Prag eine Aufgabe zu erfüllen und würde sich dieser stellen. Wenn sich die Lage beruhigt hatte, wollte er zu Magdalenas Vater gehen und um ihre Hand anhalten. Dann konnten sie noch immer nach Wien zurückkehren.
»Begleitest du mich in mein Zimmer?«, fragte Philipp, als sie wieder in der Empfangshalle des Schlosses ankamen.
»Wäre das nicht unschicklich?«
»Es braucht ja niemand zu erfahren.«
»Ich habe dir schon gesagt, dass ich nicht so leicht zu haben bin.«
»Ich schwöre, dass ich dich nicht anrühren werde.«
»Du musst an deinen Ruf denken. Ich werde in meine Kammer gehen. Morgen müssen wir beizeiten aufbrechen.«
Der Blick, den Magdalena Philipp zuwarf, zeigte ihm, wie gerne sie seinem Wunsch entsprochen hätte und die Nacht über bei ihm geblieben wäre. Zum ersten Mal hatte er das Gefühl, dass seine Begleiterin die Gefühle, die er für sie hegte, erwiderte. Er verabschiedete sich von Magdalena und ging in der Hoffnung in sein Zimmer, dass ihnen eine gemeinsame Zukunft beschieden sein würde. Der Weg nach Prag war lang …