Читать книгу Der Dreißigjährige Krieg Band 1-3: Der Winterkönig / Der tolle Halberstädter / Der Hexenbrenner - Jörg Olbrich - Страница 15

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Pressburg, 01. Juli 1618

Anton schreckte aus dem Schlaf hoch und hatte das Gefühl, sein Kopf würde explodieren. Stöhnend ließ er sich zurück auf das Bett fallen und blickte Richtung Fenster. Was in Gottes Namen ist passiert, dachte er. Seine Zunge hing ihm wie ein trockener Schwamm im Mund, sein Durst war entsetzlich. Er kämpfte gegen seine Kopfschmerzen an und setzte sich erneut auf. Dabei schien sich das Zimmer um ihn herum zu drehen. Er kämpfte gegen den Schwindel an und stand auf. Ich muss etwas trinken.

»Wohin gehst du?«, fragte eine Frauenstimme.

Anton drehte sich entsetzt zum Bett um, aus dem er gerade aufgestanden war. Dort lag eine dralle Rothaarige, die lediglich bis zum Bauch zugedeckt war und ihm so einen Blick auf ihren üppigen Busen gewährte. Er schaute an sich selbst herunter und stellte fest, dass auch er nackt war. Offensichtlich hatte er mit der Dame die Nacht verbracht. Dumm nur, dass er sich weder daran erinnern konnte, wie ihr Name war, noch daran, wie sie in sein Zimmer gekommen war.

»Ich habe Durst«, ächzte Anton, weil ihm in dieser Situation nichts Besseres einfiel.

»Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.«

»Könntest du bitte deine Blöße bedecken?«

»Warum? Heute Nacht hat es dich auch nicht gestört, dass wir beide nicht bekleidet waren. Ganz im Gegenteil. Außerdem bist du gerade selbst entblößt.«

Anton griff nach der Decke und band sie sich unbeholfen um die Hüften. Was auch immer in den vergangenen Stunden passiert war, er steckte in Schwierigkeiten. In Großen sogar. Wenn man das Weib in seinem Zimmer erwischte, würde er die Krönungszeremonie im Kerker verbringen. Der König. Ich muss sofort in den Martinsdom.

»Du musst sofort verschwinden.«

»Willst du nicht lieber zu mir zurück ins Bett kommen?«

»Du liebe Güte, nein!« Anton sah die junge Frau schockiert an, die sich jetzt der Decke entledigte und komplett unbekleidet vor ihm lag. Er musste zugeben, dass sie alles zu bieten hatte, was ein Mann sich von einem Weib wünschen konnte. Aus ihren hellblauen Augen blickte sie ihn verführerisch an und strich sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. Anton schluckte und sein Hals wurde noch trockener.

»Ich kann nicht.«

»Heute Nacht konntest du.«

Anton wollte das Weib in diesem Moment nur noch loswerden. Sie machte allerdings keine Anstalten, sich endlich aus dem Bett zu erheben und fuhr sich stattdessen mit einer Hand über die Brust und winkte ihn mit der zweiten zu sich. So sehr Anton sich anstrengte, es wollte ihm einfach nicht einfallen, wann er das Weib getroffen hatte. Er konnte nicht einmal sagen, ob sie eine Adelige war, oder ob sie zu den Dienstboten des Schlosses gehörte. In beiden Fällen hatte er ein Problem, wenn herauskam, wo sie sich die Nacht über aufgehalten hatte.

Nur langsam kehrten die Erinnerungen an den vergangenen Tag zurück. Das Denken bereitete Anton noch immer große Kopfschmerzen und er hatte das Gefühl, alles wie in einem Traum zu erleben. Am vorherigen Mittag war er mit dem König und einem Tross von über zweihundert Menschen in Pressburg angekommen. Am Abend hatte es einen Empfang zu Ehren von Ferdinand gegeben, bei dem der Wein in wahren Strömen geflossen war. Irgendwo dort musste er dann seine nächtliche Bekanntschaft gemacht haben.

Ich brauche meine Hose. Anton sah sich im Raum um und atmete erleichtert auf, als er seine Sachen auf einem Stuhl liegen sah. So schnell es sein körperlicher Zustand zuließ, zog er sich an und drehte sich dann wieder zum Bett um.

»Willst du nicht aufstehen?«

»Warum die Eile?«

»Ich muss in den Dom. Ferdinand wird heute zum König gekrönt. Als sein Schreiber darf ich das nicht verpassen. Willst du nicht ebenfalls an der Zeremonie teilnehmen?«

»Seit wann werden Küchenhilfen zu so etwas eingeladen?«

Also keine Adelige. Anton atmete auf. Wenn das Weib zum Personal gehörte, gab es vielleicht doch noch die Möglichkeit ungeschoren aus der Sache herauszukommen. »Du hast aber doch sicher viel mit der Vorbereitung der Feierlichkeiten zu tun.«

»Das habe ich. Es ist aber noch früh am Morgen. Schau mal durch das Fenster. Die Sonne ist gerade erst aufgegangen. Warum hast du es so eilig? Hast du etwa Angst, mit mir gesehen zu werden?«

Was denkst du denn? Natürlich habe ich das. »Es könnte unangenehme Fragen aufwerfen, wenn man uns unbekleidet in diesem Zimmer erwischt. Du musst gehen. Und zwar sofort.«

»In der Nacht hast du ganz anders geredet.«

Da war ich auch volltrunken wie ein alter Säufer!

»Ich hoffe, du erinnerst dich noch an die Versprechungen, die du mir gemacht hast.«

»Wie könnte ich die vergessen?«

»Dann holst du mich nach Wien, sobald du die Stellung des kaiserlichen Schreibers bekommen hast?«

Gott bewahre, nein. Anton sah das Weib entsetzt an. Die merkte wohl, dass es ihrem Liebhaber nun doch nicht mehr so ernst war, und warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu.

»Du hast es mir versprochen.« Noch immer lag sie unbekleidet im Bett und machte weder Anstalten aufzustehen, noch endlich ihre Blöße zu bedecken.

Trotz allem gefiel Anton sehr, was er sah. Die Wiener Frauen hatten aber auch schöne Töchter und er würde das Weib auf keinen Fall mit nach Hause nehmen. Zeidler würde ihn glatt aus dem Kaiserhof werfen, wenn er es wagte, sie mit dorthin zu nehmen.

»Noch unterstütze ich meinen Meister nur. Es kann noch dauern, bis ich der erste Schreiber des Kaisers werde.«

»Das hast du mir gestern schon gesagt. Ich kann warten. Auch wenn es noch ein Jahr dauert, bis du mich zu dir nach Wien holst.«

»Können wir heute Abend noch einmal darüber sprechen«, versuchte es Anton, der mit der Situation völlig überfordert war und in diesem Moment beschloss, nie wieder einen Becher Wein anzurühren.

»Nach den Feierlichkeiten im Ballsaal?«

»Ja. Jetzt muss ich wirklich dringend weg. Und du musst ebenfalls gehen. Das musst du verstehen.«

»Das tue ich auch, mein Geliebter.«

Nenn mich nie wieder so.

Anton hatte es jetzt noch eiliger, das Weib aus diesem Zimmer herauszubekommen. Der Durst war unerträglich und außerdem musste er sich dringend erleichtern. Er öffnete die Tür einen Spalt breit und sah vorsichtig nach draußen. Im Flur war alles ruhig.

»Wo willst du denn hin?«

»Ich bin gleich wieder da. Es wäre besser, wenn du dann nicht mehr in meinem Zimmer wärst.« Es schien tatsächlich noch recht früh zu sein. Auf dem Weg zum Abort traf er niemanden. Wenn sich das Weibsbild beeilte, würde man sie nicht sehen, wie sie sich aus seinem Zimmer und zurück in den Trakt des Dienstpersonals schlich.

Zu Antons Erleichterung war sie tatsächlich nicht mehr im Raum, als er seine Notdurft verrichtet hatte und in das Zimmer zurückkehrte. Der junge Mann hatte nicht vor, sich noch einmal mit dem Weib zu treffen. Am Abend würde er schon eine Möglichkeit finden, ihr aus dem Weg zu gehen.

***

Drei Stunden später saß Anton im Martinsdom und wartete auf den Beginn der Zeremonie. Er war einer der Ersten gewesen, die die Kathedrale betreten hatten, und beobachtete die weiteren Besucher, die nach und nach ihre Plätze einnahmen. Noch immer litt er an den Nachwirkungen seines nächtlichen Abenteuers und der vorangegangenen Reise. Der Schreiber dachte daran, dass in den letzten Tagen vieles ganz anders gekommen war, als er es noch vor einer Woche erwartet hatte.

Den ersten Schock hatte Anton gleich nach dem Aufbruch aus Wien erlitten. Die wenigen Kutschen waren dem Materialtransport vorbehalten gewesen. So war dem Schreiber nichts anderes übriggeblieben, als zu reiten. In seinem bisherigen Leben waren ihm Pferde immer suspekt gewesen und er hatte gewaltigen Respekt vor den großen Tieren.

Es hatte Stunden gedauert, bis er auf der Reise nach Pressburg soweit mit dem Pferd zurechtgekommen war, dass es seine Anweisungen befolgte. Nachdem er den ganzen Tag auf dem Rücken des Tieres zugebracht hatte, konnte er am Abend kaum laufen und musste sich am nächsten Morgen unter dem Gelächter der Landsknechte beim Aufsitzen helfen lassen.

König Ferdinand hatte ihm befohlen, immer neben ihm zu reiten, obwohl er die Dienste seines Schreibers unterwegs nicht ein einziges Mal in Anspruch genommen hatte. Anton vermutete, dass er so einer Konversation mit Kardinal Klesl aus dem Weg gehen wollte. Der kaiserliche Berater von Matthias begleitete den Tross nach Pressburg, und Ferdinand ließ keine Gelegenheit aus, ihm zu zeigen, wie sehr ihm dies missfiel.

Am vorletzten Tag der Reise trafen sie auf Erzherzog Maximilian von Bayern und setzten den Weg nach Pressburg mit ihm und seinem Gefolge fort. Ferdinands Laune besserte sich sichtlich, als der Bruder seiner Mutter neben ihm ritt, und er ließ seinen Schreiber aus den Augen, der die Gelegenheit nutzte, sich etwas zurückfallen zu lassen. Die beiden Habsburger unterhielten sich lebhaft und ließen sich dabei auch über die Rebellion in Böhmen aus. Kardinal Klesl ritt hinter ihnen und hörte den mächtigen Männern mit bitterer Miene zu.

Die vier Tage, die sie bis zu ihrem Ziel brauchten, gehörten zu den bisher schlimmsten in Antons Leben. Wegen dem langen Ritt schmerzte sein Körper. Er konnte auch jetzt noch nicht wieder normal gehen und sein Rücken brannte wie Feuer. Kardinal Klesl hatte ihm unterwegs mehrfach geraten, nicht so verkrampft auf dem Pferd zu sitzen und den Rücken gerade zu halten. In seiner Angst herunterzufallen, hatte er diese Empfehlung aber nicht befolgen können.

Der abendliche Empfang in Pressburg war dagegen durchaus spannend und aufregend gewesen. Noch nie hatte er so viele Adelige auf einmal gesehen. Zu Beginn schien die Stimmung etwas gereizt zu sein, und Anton hatte den Eindruck gewonnen, dass nicht alle der Anwesenden froh über Ferdinands Krönung waren. Insbesondere die Vertreter der protestantischen Stände hatten ihm immer wieder unverhohlene Blicke zugeworfen und in ihren Gesprächen abwertend mit den Fingern auf den König gedeutet. Aus Mangel an einem Gesprächspartner hatte Anton die Zeit während des Banketts genutzt und die Menschen um sich herum genau beobachtet.

Auch wenn der Empfang zu Ferdinands Ehren gegeben worden war, hatte der sich gemeinsam mit dem Erzherzog von Bayern früh zurückgezogen. Danach war der Wein in Strömen geflossen. Auf sein nächtliches Abenteuer mit dem wilden Weibsstück hätte Anton allerdings liebend gerne verzichtet, zumal er sich nicht einmal mehr daran erinnern konnte, wie er mit der Rothaarigen in sein Zimmer gekommen war …

Inzwischen war die Kathedrale bis auf den letzten Platz gefüllt. Der Martinsdom war mit bunten Fahnen geschmückt, welche die Wappen der Habsburger, des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und des ungarischen Reichs zeigten. Der kostbare Marmorboden glänzte im farbigen Licht, das durch die aufwändig bemalten Fenster des Domes fiel und das Kirchenschiff erhellte. Anton vermutete, dass der Bischof seine Novizen die ganze Nacht den Innenraum der Kathedrale hatte schrubben lassen. Alles war für die Krönung des neuen Regenten des ungarischen Reiches bereit. Lediglich die Soldaten, die verhindern sollten, dass sich einer der Gäste dem Altar näherte, störten den festlichen Eindruck in der Kathedrale.

Es kam Anton vor, als würde die Luft mit jeder Person, die den Dom betrat, wärmer und schlechter. Anton spürte wie sein Hals immer trockener wurde. Er sehnte sich nach einem Krug Wasser, wusste aber, dass er noch mehrere Stunden ohne etwas zu trinken auskommen musste.

Anton wendete seine Aufmerksamkeit den Besuchern im Martinsdom zu. In den Gesichtern der Menschen sah er, dass viele eher aus Zwang anwesend waren als aus echtem Interesse. Der ungarische Adel wirkte gelangweilt und teilweise sogar abweisend.

Das einfachere Volk zeigte sich dagegen von der Pracht beeindruckt. Reglos standen die Menschen auf ihren Plätzen und warteten ehrfürchtig auf den Beginn der Zeremonie. Anton konnte im Sinne des angehenden Königs nur hoffen, dass Ferdinand im ungarischen Reich nicht ähnliche Probleme bekommen würde wie in Böhmen. Er befürchtete aber, dass dies recht schnell der Fall sein würde, schließlich war auch ein Großteil der ungarischen Stände protestantisch. Nicht auszudenken, wenn sich die Ungarn mit den Böhmen verbündeten! Das wäre das Ende jeglicher Friedensbewegungen und würde einen vermutlich langen Krieg bedeuten.

Endlich wurde Ferdinand von den geistlichen Würdenträgern hereingeführt. Im Dom wurde es schlagartig still. Trotz der großen Wärme im Saal spürte Anton, wie ihm ein eisiger Schauer über den Rücken lief. Er trug schwarze Reiterstiefel und eine weiße Uniformjacke. Die rote Hose erinnerte den Schreiber an seine Bettgefährtin in der vergangenen Nacht. Sofort, als er an das sündige Weib dachte, kehrte sein schlechtes Gewissen zurück.

Hinter dem Bischof gingen zwei Kirchendiener, die violette Schleifen über ihren schwarzen Gewändern trugen. Die beiden hielten je ein rotes Samtkissen mit der goldenen Stephanskrone und dem königlichen Zepter und brachten diese zum Altar. Beiden war anzumerken, dass der kostbare Schatz ein immenses Gewicht haben musste.

Als Letzter trat Kardinal Klesl zum Altar und warf Erzherzog Maximilian, der in der vordersten Besucherreihe saß, einen finsteren Blick zu. Genau wie der Bischof aus Pressburg trug er ein samtenes Gewand, auf dessen weißen Untergrund mit goldenen Fäden heilige Motive gestickt waren.

Anton hörte den Worten des Bischoffs kaum zu, als dieser die Zeremonie eröffnete und beobachtete stattdessen die Reaktionen des ungarischen Adels. Die Blicke der Menschen waren zu einem großen Anteil angewidert oder verachtend.

Als der Bischof nach seiner Ansprache und der Vereidigung Ferdinands die Krone auf das Haupt des Königs setzte, gab es verhaltenen Beifall. Ferdinand ließ sich von den abweisenden Reaktionen des Publikums nicht beeindrucken. Er stand vor dem Altar und blickte stolz in die Runde. Die halbrunde Krone schien wie für seinen Kopf gemacht zu sein. Auf ihrer Oberseite war ein goldenes Kreuz angebracht. Der König nahm das Zepter in die Hand und schritt erhaben durch den breiten Flur zum Ausgang des Martinsdoms. Anton schaute seinem König begeistert dabei zu, wie er die Kathedrale verließ. Am Ende der Zeremonie schienen es dann alle besonders eilig zu haben, den Martinsdom zu verlassen. Anton selbst war einer der letzten, die aus der Kathedrale ins Freie traten. Die Hitze des Tages traf ihn wie ein Schlag, und er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Innerhalb des Martinsdoms war es angenehm kühl gewesen. Hier draußen jedoch war die Luft schwül und warm. Anton, dessen Magen sich noch immer nicht von dem vielen Wein des Vorabends erholt hatte, beeilte sich, den Sonnenstrahlen zu entkommen und schritt eilig Richtung Burg. Dort ging er direkt zum Ballsaal, wo die Feierlichkeiten zu Ehren des Königs stattfinden sollten.

***

Während der Feierlichkeit versuchte Anton, sich nicht anmerken zu lassen, dass er sich am liebsten sofort, nachdem die Speisen abgetragen worden waren, verabschiedet hätte. Er saß den ganzen Tag neben Kardinal Klesl, der nur schweigend mit dem Messer in seinem Essen herumstocherte und dem König finstere Blicke zuwarf. Ferdinand schien ebenfalls kein sonderlich großes Interesse an dem Fest zu haben und leerte gelangweilt einen Becher Wein nach dem anderen, während sich der Erzherzog von Bayern mit dem ungarischen Adel unterhielt.

Anton war erleichtert, als er sah, dass seine Gefährtin von letzter Nacht an einem anderen Tisch servierte und er so nicht in die Verlegenheit kam, vor den anderen Gästen mit ihr reden zu müssen. Zwar warf sie ihm hin und wieder wissende Blicke zu, doch Anton tat so, als kenne er das Weib nicht. Genau genommen war das sogar die Wahrheit, immerhin wusste er noch immer nicht, wie ihr Name war.

Als zu später Stunde eine Gruppe von Spielleuten auftrat, um die Anwesenden bei Laune zu halten, entschied sich Anton zu gehen. Der König hatte sein Fest inzwischen ebenfalls verlassen. Insgesamt war die Stimmung genauso angespannt gewesen, wie schon bei der Krönungszeremonie. Anton erachtete es nicht für empfehlenswert, dass der neue König des ungarischen Reiches sich zukünftig allein in den Straßen der Stadt aufhielt. Er konnte es nicht fassen, wie feindselig die Menschen auf ihr neues Oberhaupt reagierten. Als Anton in den Burghof trat, wurde er von einer der Küchenhilfen aufgehalten.

»Wollt Ihr das Fest schon verlassen?«

»Es ist spät. Ich habe ein paar anstrengende Tage hinter mir und bin froh, wenn ich mich ausruhen kann.« Was will die jetzt von mir?, dachte Anton. Auf eine weitere Bekanntschaft in Pressburg kann ich gerne verzichten.

»Vroni dachte, Ihr würdet sie im Anschluss an das Fest im Burggarten treffen.«

Ach daher weht der Wind. »Daraus wird heute nichts.« Anton wollte gar nicht wissen, wie viel die Küchenhilfe von der vergangenen Nacht wusste, befürchtete aber, dass sie bestens im Bilde war. Zumindest wusste er jetzt den Namen des Weibes.

»Sag deiner Freundin, dass ich morgen eine Gelegenheit finden werde, sie zu treffen.«

»Sie wird sehr enttäuscht sein, wenn Ihr heute nicht auf sie wartet.«

»Ich werde dir keine Rechenschaft darüber ablegen, wie ich den restlichen Abend verbringe. Richte Vroni aus, was ich dir gesagt habe. Mehr braucht dich nicht zu interessieren.« Das wird ja immer besser, dachte Anton wütend. Wenn das so weitergeht, habe ich bald die Hälfte der Bediensteten der Burg am Hals.

Er entschloss sich, im Burghof zu warten, bis die Magd verschwunden war, bevor er sich in sein Zimmer zur Nachtruhe begab. Obwohl es bereits dämmerte, war es noch immer unerträglich warm und schwül.

Anton dachte an Wien. Er freute sich darauf, endlich an den Kaiserhof zurückkehren zu dürfen, wenn es ihm auch vor der Reise bangte. Zeidler war sicherlich ebenfalls froh, wenn sein Schüler zurückkehrte und ihm die anstrengenderen Arbeiten abnahm. Natürlich würde der Meister das gegenüber Anton niemals zugeben.

Der Schreiber schaute zum Himmel. In den wenigen Minuten, die er sich nun im Freien aufgehalten hatte, war es merklich dunkler geworden. Das konnte nicht nur am Einbruch der Nacht liegen. Tatsächlich blickte Anton nun auf ein paar schwarze Wolken, die über die Stadt zogen. Anton spürte einen Windhauch und zog gierig die etwas frischere Luft in seine Lungen. Dann trafen ihn die ersten Regentropfen. Begleitet von einem heftigen Donnerschlag öffnete der Himmel seine Schleusen. Anton gelang es nicht mehr, schnell genug das Innere des Schlosses zu erreichen. Er rannte in Richtung Eingang, rutschte auf dem nassen Granitboden aus und fiel auf den ohnehin noch schmerzenden Rücken. Gnadenlos ergoss sich eine wahre Sintflut auf den Schreiber und innerhalb von Sekunden war seine Kleidung völlig durchweicht.

Anton rappelte sich hoch und hatte die Tür fast erreicht, als ein Blitz den Schlossgarten hell erleuchtete. Der nächste Donner folgte keine Sekunde später. Jetzt stieg Panik in ihm hoch. Schon als kleiner Junge hatte er sich sehr vor Gewittern gefürchtet und diese Angst bis heute nicht ablegen können. Es war ausgerechnet Vroni, die die Tür öffnete und ihn in den trockenen Flur hineinzog.

***

»Was machst du bei diesem Wetter allein im Freien?«

»Ich brauchte frische Luft«, antwortete Anton und schaute Vroni überrascht an. Wo war sie so plötzlich hergekommen? Hatte sie von ihrer Freundin erfahren, dass er sich im Burghof aufhielt? »Als ich rausgegangen bin, war es noch trocken und warm.«

»Das Wetter kann sich hier sehr schnell ändern.«

Vroni hatte ein Tuch dabei und wollte Anton das Wasser aus dem Gesicht wischen, doch er schob sie von sich. »Lass das sein. Was, wenn uns hier jemand zusammen sieht?«

»Es wird niemand kommen. Die meisten Gäste sind noch im Ballsaal.«

Im gleichen Moment öffnete sich eine Seitentür und drei Männer stürmten herein. »Ihr müsst sofort mitkommen«, schrie einer von ihnen. »Der Blitz ist in den Schlossturm eingeschlagen!«

Die Stallburschen warteten nicht auf eine Antwort von Anton oder Vroni und zogen sie einfach mit sich.

»Wo wollt ihr hin?«, rief Anton und versuchte sich loszureißen.

»Auf die obere Terrasse. Wir müssen das Feuer löschen!«

Sie rannten eine Treppe hinauf in einen Vorraum des Ballsaals. Von dort aus gelangten sie auf die Terrasse. Anton fuhr erschrocken zusammen, als er die riesigen Flammen sah, die aus dem Schlossturm herausschlugen. Im noch immer strömenden Regen hatten die Menschen eine Kette gebildet und reichten zügig Eimer mit Wasser weiter.

»Steh hier nicht einfach so rum!«, schrie Vroni Anton an.

Dem blieb nichts anderes übrig, als den Eimer weiterzureichen, den er von einem Mann hinter sich entgegennahm. Die Schreie der Menschen, die verzweifelt versuchten das Feuer zu löschen, mischten sich in die Donnerschläge und das Prasseln des Regens. Plötzlich wurde Anton von jemandem zur Seite gestoßen und fiel erneut auf den Boden. Er wollte sich gerade beschweren, als ein rauchender Holzbalken an der Stelle aufschlug, an der er gerade noch gestanden hatte. Anton stieß einen entsetzten Schrei aus und nahm die Hand dankbar entgegen, die in wieder auf die Beine zog. Er wischte sich das Wasser aus den Augen und sah zum Turm, aus dessen Dach noch immer die Flammen schlugen.

Auch die anderen Menschen hatten mitbekommen, dass Teile der Holzbalken auf die Terrasse geschlagen waren, dennoch blieben sie an ihrem Platz und stellten sich weiter ihrem aussichtslos erscheinenden Kampf gegen die Flammen. Auch im Ballsaal musste man mittlerweile mitbekommen haben, was sich außerhalb des Schlosses abspielte. Einige der Adeligen kamen heraus, um ihre Landsleute zu unterstützen. Die meisten zogen es jedoch vor, sich im hinteren Teil des Schlosses in Sicherheit zu bringen.

Ohne den Regen wäre es den Pressburgern wohl nicht gelungen, das Feuer im Schlossturm zu löschen. Die Unmengen an Wasser, die sich nach wie vor über die Stadt ergossen, brachten aber schließlich die Rettung.

Anton sah, wie die Landsknechte und weitere Helfer mit Wassereimern in den Turm stürmten, um dort die restlichen Flammen zu bekämpfen. Der Schreiber vertraute darauf, dass es den Pressburgern nun gelang, den Brand unter ihre Kontrolle zu bringen. Für ihn wurde es Zeit, endlich aus der nassen Kleidung herauszukommen. Er watete durch die Wasserpfützen und atmete erleichtert durch, als er sich wieder im Vorraum des Ballsaales befand. Der bot ein Bild der Verwüstung. Tische und Stühle waren umgeworfen, Weinkelche lagen auf dem Boden und auch die Platten mit den Speisen waren überall im Raum verteilt. Menschen entdeckte Anton nicht.

***

Am nächsten Morgen erinnerte sich Anton an die Ereignisse des Abends wie an einen Traum. Alles kam ihm unwirklich vor. Seine noch immer tropfnasse Kleidung bewies ihm allerdings, dass sich das Unwetter und der Brand im Schlossturm tatsächlich ereignet hatten.

Von einem Bediensteten bekam Anton trockene Kleidung und machte sich auf den Weg zum Schlossturm. Er wusste, dass dort die Stephanskrone und die anderen königlichen Schätze untergebracht waren und wollte schauen, wie groß der Schaden war. Als er am Ballsaal vorbeiging, war dort nichts mehr von den Verwüstungen zu sehen. Alle Tische und Stühle standen wieder an ihrem Platz. Die Dienerschaft des Schlosses hatte sogar bereits alles für das Mittagsbankett vorbereitet. Zu seiner Erleichterung waren weder Vroni noch ihre Freundin zu sehen.

Auch auf der Terrasse waren die Spuren des Unwetters inzwischen beseitigt worden. Handwerker waren gerade dabei, die Schäden am Turm zu reparieren. Nach Antons Einschätzung war lediglich das Dach von den Flammen zerstört worden. Die Pressburger konnten froh sein, dass nichts Schlimmeres passiert war.

Am Nachmittag gab es auf dem Schlossplatz eine Parade der Landsknechte zu Ehren von König Ferdinand, der das Schauspiel gemeinsam mit Erzherzog Maximilian betrachtete. Auch der Adel aus Pressburg war anwesend. Es herrschte strahlender Sonnenschein und die Damen nutzten die Gelegenheit, sich in ihren prächtigsten Kleidern zu zeigen. Die Dienerschaft hatte Stuhlreihen aufgebaut, die bis auf den letzten Platz belegt waren.

Zu seinem Leidwesen war Anton nichts anderes übriggeblieben, als sich in der oberen Ecke neben Kardinal Klesl zu setzen. Der Jesuit machte einen gelangweilten Eindruck. Trotz der hohen Temperaturen trug er einen schwarzen Umhang, dessen Fütterung mit Samt umnäht war.

»Wie gefällt Euch diese Reise nach Pressburg, mein junger Freund?«

Anton sah Klesl überrascht an. Er hat nicht damit gerechnet, dass der Kardinal, der dem Schreiber in den letzten Tagen keinerlei Beachtung geschenkt hatte, ihn ansprechen würde. »Ich erachte es für wichtig, dass das ungarische Reich einen König bekommen hat, der dem Kaiser treu ergeben ist«, sagte er vorsichtig.

»Ist er das denn?«

»Ich verstehe Euch nicht …«

Anton lief ein Schauer über den Rücken. Er hätte das Gespräch mit Klesl am liebsten sofort wieder beendet und wäre gegangen. Wollte ihn der Kardinal etwa über König Ferdinand ausfragen? Weil der Jesuit über große Macht im Kaiserhof verfügte, durfte ihn Anton nicht verärgern, wenn er seine Anstellung als kaiserlicher Sekretär nicht in Gefahr bringen wollte. Er hatte allerdings auch nicht das Bedürfnis, einen Pakt mit dem Mann zu schließen.

»Denkt Ihr, dass Ferdinand und Matthias auf einer Seite stehen?«

»Natürlich tun sie das«, antwortete Anton.

»Ich weiß, dass der König nur zu gerne gegen Prag in den Krieg ziehen würde.«

»Warum sollte er das tun?«, gab Anton zurück, dem die Situation immer unheimlicher wurde. »Schließlich ist er der König von Böhmen.«

»Was glaubt Ihr, wie lange das noch der Fall ist?«

Zu seiner Erleichterung ersparte eine Salve aus den Musketen der Landsknechte Anton zunächst die Antwort. Er fühlte sich mehr als unwohl in seiner Haut. Klesl schien ihm mit seinen starren Augen direkt hinter die Stirn schauen zu können und nur auf eine falsche Reaktion des Schreibers zu warten.

Unter dem Beifall der Zuschauer luden die Landsknechte ihre Musketen nach und richteten die Läufe ihrer Waffen in die Luft. Ein ungarischer Obrist gab das Zeichen, die zweite Salve zu Ehren des Königs abzufeuern. Dieses Mal war Anton auf den Lärm vorbereitet und erschreckte nicht. Neben ihm zuckte der Kardinal jedoch plötzlich zusammen und sprang auf.

»Was ist mit Euch?«, fragte Anton überrascht.

Klesl stand mit bleichem Gesicht vor seinem Stuhl und starrte entsetzt auf einen Riss in seinem Umhang. »Ich bin von einer Kugel gestreift worden«, schrie er voller Panik.

Anton sah mit weit aufgerissenen Augen zu den Landsknechten und schüttelte den Kopf. »Wie kann so etwas passieren?«

Klesl antwortete nicht. Der Kardinal musste sich am Stuhl abstützen. Anton konnte den Schock des Mannes verstehen. Hätte er zehn Zentimeter weiter links gesessen, hätte ihn die Kugel getötet.

Die Zuschauer schienen nichts davon mitbekommen zu haben, dass sich hinter ihnen beinahe ein tödlicher Unfall ereignet hatte. Lediglich König Ferdinand warf einen Blick zu den oberen Reihen. Der konnte auf die Entfernung aber unmöglich etwas gesehen haben. Die Gedanken rasten durch Antons Kopf. War es etwa die Absicht der Landsknechte gewesen, Kardinal Klesl zu ermorden? Sie zielten nach oben, da hätte es eigentlich keinen Treffer geben dürfen … Hatte der König am Ende sogar davon gewusst?

Erst jetzt wurde Anton klar, dass die Kugel auch genauso gut ihn hätte treffen können. Ihm wurde schwindelig und er hielt sich krampfhaft an seinem Stuhl fest. Auf Kardinal Klesl, der von zwei seiner Bediensteten ins Schloss begleitet wurde, achtete er jetzt nicht mehr.

Der Dreißigjährige Krieg Band 1-3: Der Winterkönig / Der tolle Halberstädter / Der Hexenbrenner

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