Читать книгу Der Dreißigjährige Krieg Band 1-3: Der Winterkönig / Der tolle Halberstädter / Der Hexenbrenner - Jörg Olbrich - Страница 21
ОглавлениеPrag, 03. August 1618
»Du musst Geduld mit Magdalena haben«, sagte Polyxena mit leicht vorwurfsvollem Unterton in der Stimme.
»Das habe ich ja. Warum aber will sie nicht mit mir sprechen? Gibt sie mir etwa die Schuld an allem, was passiert ist?« Philipp war verzweifelt. Er hatte Magdalena nicht mehr gesehen, seitdem sie gemeinsam aus ihrem Heimatort zurückgekehrt waren. Polyxena von Lobkowitz sagte ihm jedes Mal, wenn er nach ihr fragte, dass sie die zurückliegenden Ereignisse verarbeiten müsse und sich deshalb zurückgezogen hatte. Philipp hatte Verständnis für die junge Frau, die alles verloren hatte und er wollte ihr so gerne helfen. Das konnte er aber nicht, wenn sie sich von ihm zurückzog. Es tat ihm in der Seele weh, nicht zu wissen, was Magdalena tat und wie es ihr ging.
»Sie gibt dir nicht die Schuld. Tief in ihrem Innersten weiß sie, dass sie ebenfalls nicht mehr leben würde, wäre sie nicht mit dir nach Wien gereist. Sie hätte den Tod ihrer Eltern nicht verhindern können.«
»Es ist etwas in ihr zerbrochen, als sie die Leichen gesehen hat …«
»Ja. Gib ihr die Zeit, die sie braucht, bis die Wunden in ihrem Herzen geheilt sind.«
»Werden sie denn heilen?«, fragte Philipp wenig hoffnungsvoll.
»Irgendwann wird sie sich erholt haben. Wie lange das dauert, weiß niemand. Wenn es ihr bessergeht, wird sie zu dir kommen. Ich bin mir sicher, dass ihr beide eine gemeinsame Zukunft haben werdet.«
»Das wäre mein allergrößter Wunsch.«
»Das weiß ich.«
In diesem Moment betrat Diepold von Lobkowitz den Raum. Philipp stellte erleichtert fest, dass der Graf einen zuversichtlichen Gesichtsausdruck zeigte. Gemeinsam mit Polyxena hatte er auf seine Rückkehr gewartet. Sie wollten erfahren, ob sich etwas an der angespannten Lage in der Stadt geändert hatte.
»Konntest du mit Graf von Solms sprechen?«
»Ja«, antwortete Diepold auf die Frage seiner Gattin. »Er bestätigte mir unsere Vermutung, dass er im Auftrag des pfälzischen Kurfürsten nach Prag gereist ist. Die Protestantische Union ist darum bemüht, den Frieden zu wahren. Georg Johann von Sachsen verweilt in Wien, um dort beim Kaiser für die Belange des böhmischen Volkes zu werben.«
»Was ist mit von Ruppau?«
»Er und das Direktorium wollen den Frieden ebenfalls erhalten. Lediglich Graf von Thurn würde am liebsten sofort gegen die kaiserlichen Truppen vorrücken.«
»Deine Worte würden mich beruhigen«, sagte Polyxena nachdenklich, »wäre da nicht Graf von Mansfeld. Seine Anwesenheit in Prag könnte der Kaiser als Provokation auffassen.«
»Die Kurfürsten von Sachsen und der Kurpfalz versuchen, Matthias davon zu überzeugen, dass von Mansfeld die Kriegshandlungen nicht eröffnen wird. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als auf eine besonnene Handlung des Kaisers zu hoffen.«
»Das macht mir große Sorgen«, gab Polyxena zu. »Nach der Verhaftung von Kardinal Klesl ist der Einfluss von Ferdinand auf den Kaiser größer geworden. Der König würde sofort gegen Prag vorrücken, wenn er von Matthias freie Hand bekäme.«
»Die Zeiten sind schwer«, sagte Diepold seufzend.
»Und sie werden nicht leichter. Ferdinand könnte der nächste Kaiser des Heiligen Römischen Reichs sein. Das weiß er selbst auch nur zu gut. Wenn er die Macht hat, wird er sich Böhmen zurückholen. Dann müssen wir uns auf einen möglicherweise sehr langen Krieg vorbereiten.«
Philipp hatte dem Gespräch der beiden schweigend zugehört und hing seinen Gedanken nach. Alle wussten, dass Kaiser Matthias schwächer geworden war. Er selbst hatte ihn in Wien gesehen und war erschreckt gewesen, wie zerbrechlich der Körper des Kaisers wirkte. Sie konnten nur beten, dass er sich erholte und noch lange in seinem Amt bleiben konnte.
Polyxena und Diepold entschlossen sich, einen Brief an den Kaiser zu schreiben, um ihm das Geschehen in Prag zu schildern. Außerhalb des Schlosses war nichts von den Unruhen zu spüren, und die Bevölkerung der Stadt ging ihrem normalen Tagewerk nach. Die Aufregung, die der Fenstersturz unter den Menschen hervorgerufen hatte, war dem Alltag gewichen. Auch aus den Dörfern waren keine weiteren Schreckensmeldungen mehr nach Prag gekommen.
Philipp ließ sich von seinen Arbeitgebern den Brief diktieren und begab sich dann am frühen Abend in seine Kammer. Wie immer, wenn er das Anwesen verließ, dachte er an Magdalena, die sich irgendwo in den oberen Gemächern aufhielt. Er hätte alles dafür gegeben, wenigstens ein paar Minuten mit ihr sprechen zu dürfen.
***
Philipp fühlte eine nie gekannte Leere in seinem Kopf. Er litt noch stärker unter Magdalenas Schweigen, als er Polyxena gegenüber zugegeben hatte. Er hätte die junge Frau überall hinbegleitet, wenn sie ihm nur sagte, dass sie es wollte. In den letzten Tagen hatte er öfters darüber nachgedacht, Prag zu verlassen. Sollte sich Magdalena wirklich von ihm abwenden, hielt ihn nichts mehr in dieser Stadt. Er würde es nicht überleben, zu wissen, dass sie ganz in seiner Nähe war und er sie trotzdem nie erreichen konnte.
Von Anton, der Philipp einen Brief geschrieben hatte, wusste er, dass in der kaiserlichen Armee Schreiber gesucht wurden. Zwar wäre dies ein deutlich gefährlicheres Leben als in Prag, aber er war entschlossen, diesen Weg zu gehen, sollte Magdalena ihn tatsächlich nicht mehr wiedersehen wollen.
Niedergeschlagen ging Philipp durch die Straßen der Stadt. Die Menschen, die ihn ansprachen, grüßte er freundlich zurück. Ansonsten vermied er Gespräche. Er wollte jetzt nur mit seinen Gedanken alleine sein und wusste, dass ihm eine lange Nacht bevorstand, in der er nur schwer seinen Schlaf finden würde. Philipp war froh, dass die vielen Besuche der Prager Bürger fast völlig aufgehört hatten. Nach seiner Rückkehr in die Stadt hatte man einen großen Wirbel um ihn veranstaltet, der jetzt nachließ. Das war ihm auch mehr als recht.
Mit müden Bewegungen öffnete Philipp die Tür zu seiner Kammer und trat ein. Die Besitzer des Hauses waren nicht da. Die Leere in dem Gemäuer, die ihn vorher nie gestört hatte, drohte ihn nun zu erdrücken. Bevor er Magdalena kennengelernt hatte, war er zufrieden mit seinem Leben gewesen. Er hatte eine gute Anstellung, die ihm ein sorgenfreies Leben versprach. Mit dem Aufstand der protestantischen Stände war alles anders geworden. Dennoch wünschte sich Philipp sein altes Leben nicht zurück. Magdalena hätte er nie kennen gelernt, wenn Graf von Thurn nicht mit seinen Mannen in die Prager Burg gestürmt wäre.
Philipp trat in seine Kammer ein und merkte sofort, dass etwas anders war. Er brauchte aber einen Moment, um festzustellen, was. Dann fiel es ihm auf: Es war der Geruch. Jemand hatte gelüftet und frische Luft in den Raum gelassen, die den modrigen Gestank vertrieben hatte, den Philipp gewohnt war.
»Du kommst spät«, begrüßte ihn Magdalena, die wie aus dem Nichts hinter ihm erschien – mit einem Lächeln.
Zunächst brachte Philipp vor Freude kein Wort heraus und starrte die junge Frau völlig überrascht an. Dann ging er zu ihr und nahm sie in den Arm.
»Du hast mir gefehlt! Du glaubst gar nicht, wie glücklich ich bin, dich zu sehen!«
»Ich habe dich auch vermisst«, sagte Magdalena und erwiderte die Umarmung.
Die beiden blieben einen Moment lang so stehen. Philipp hatte dabei das Gefühl, die Zeit wäre stehen geblieben. Er konnte es noch immer nicht fassen, dass sie tatsächlich hier war.
»Ist das ein Traum?«
»Nein«, erwiderte Magdalena lachend und löste sich von Philipp. »Ich bin tatsächlich hier.«
»Wie bist du in das Haus gekommen?«
»Die Schneiderin hat mich hereingelassen, bevor sie mit ihrem Gatten zu seinen Eltern gegangen ist.«
»Ich habe schon befürchtet, du würdest mich niemals wiedersehen wollen.«
»Dafür hätte ich gar keinen Grund. Nach dem Tod meiner Eltern brauchte ich einfach Zeit, um meine Gedanken zu ordnen.«
»Ich habe befürchtet, du gibst mir die Schuld an allem.«
»Ich gebe zu, dass ich in den ersten Minuten so gedacht habe, als ich meine toten Eltern gesehen habe. Ich wollte dich damals nach Wien begleiten. Das habe ich mir lange selbst vorgeworfen. Polyxena hat mir immer wieder gesagt, dass diese Reise mein Leben gerettet hat. Ich habe lange gebraucht, um das einzusehen.«
»Und jetzt geht es dir besser?«
»Ja. Ich bin hergekommen, weil ich mit dir sprechen muss.«
Philipp hatte das Gefühl, sein Herzschlag würde für einen Moment aussetzen. Er betete zu Gott, dass Magdalena ihm jetzt nicht doch noch für immer Lebewohl sagen würde.
»Warum schaust du mich so entgeistert an?«
»Ich habe einfach Angst, dass du mich verlassen willst.«
»Nein, Philipp. Ganz im Gegenteil. Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass ich bereit bin, deine Frau zu werden. Das heißt, wenn du das noch willst.«
»Ist das wahr?«
»Warum sollte ich lügen?«
Wieder nahm Philipp Magdalena in den Arm und drückte sie fest an sich. »Damit machst du mich zum glücklichsten Menschen auf der Welt!«
»Du übertreibst«, sagte sie lachend und fuhr dann in etwas ernsterem Ton fort, »Ich wusste schon, dass wir zusammengehören, als du todkrank in unserem Gasthaus aufgetaucht bist. Seit diesem Tag ist aber einfach zu viel passiert. Jetzt bin ich mir über meine Gefühle im Klaren und weiß, wie sehr ich dich liebe.«
Den restlichen Abend verbrachten die beiden zusammen beim Essen. Magdalena hatte die Zeit seiner Abwesenheit genutzt und ihnen in der Küche im unteren Stockwerk eine Mahlzeit zubereitet. Philipp musste lächeln, als er daran dachte, dass sie die Schneiderin in ihren Plan eingeweiht haben musste, den Sekretär zu überraschen. Obwohl es ihm vorzüglich schmeckte, brachte er vor Aufregung kaum einen Bissen herunter. Zu groß war die Freude darüber, dass Magdalena seinen Antrag endlich angenommen hatte. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte dieser Abend niemals geendet.
»Bringst du mich zurück?«, fragte Magdalena schließlich nach dem Essen.
»Wohin?« Irritiert sah Philipp sie an.
»Ins Haus von Polyxena. Was hast du denn gedacht?
»Ich hatte gehofft, wir verbringen die Nacht gemeinsam …«
»Das wäre unschicklich! Wir wollen doch nicht, dass die Leute über uns reden. Außerdem werden deine Vermieter bald zurückkehren. Wir wollen doch nicht, dass sie dich hinauswerfen.« Magdalena sah Philipp mit einem warmen Lächeln an. »Bald bin ich dein Weib. Dann werde ich ganz dir gehören. Bis dahin wirst du aber warten müssen.«
»Du hast natürlich recht.« Philipp versuchte, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Ihn selbst hätte das Gerede in der Stadt nicht gestört, wenn Magdalena jetzt bei ihm geblieben wäre. Dennoch schwor sich Philipp, sie nicht zu bedrängen. Vor wenigen Stunden hatte er noch mit der Angst gelebt, sie zu verlieren; jetzt überwog seine Freude alles.
»Natürlich werde ich dich begleiten. Es ist dunkel und ich möchte nicht, dass du den Weg alleine gehen musst.«