Читать книгу Der Dreißigjährige Krieg Band 1-3: Der Winterkönig / Der tolle Halberstädter / Der Hexenbrenner - Jörg Olbrich - Страница 13

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Wien, 17. Juni 1618

»Heute werden wir prüfen, ob du in den letzten Wochen etwas gelernt hast«, sagte Zeidler, als er die Bibliothek betrat, in der Anton bereits seit zwei Stunden saß und im Schein zweier Kerzen las.

Er sah seinen Lehrmeister überrascht an. Der Alte schien an diesem Morgen außerordentlich gute Laune zu haben.

»Wie meint Ihr das?«

»Ich will sehen, ob du in der Lage bist, die Ereignisse in Europa klar und verständlich zusammenzufassen.«

»Also soll ich einen Text schreiben?«

»Nein. Ich stelle dir Fragen und du versuchst so knapp und präzise zu antworten, wie es dir möglich ist.«

»Ich verstehe.« Anton war nicht klar, was Zeidler mit dieser Übung bezweckte. Wenn er allerdings in den letzten Wochen eines gelernt hatte, dann, dass es keinen Sinn machte, mit seinem Meister zu diskutieren. Bisher hatte er ihm nie etwas über seine Ziele gesagt, sondern ihm lediglich Anweisungen erteilt. In den ersten Tagen hatte Anton seinen Meister oft nicht richtig verstanden, weil der sehr undeutlich sprach, wenn die beiden allein waren. Zeidler hatte immer sehr verärgert reagiert, wenn er etwas wiederholen musste und seinem Schüler die Schuld gegeben. Mittlerweile hatte sich Anton an die Sprache des Alten gewöhnt und verstand jedes Wort.

»Bist du bereit?«

»Ich denke schon.« Anton sah Zeidler irritiert an. Was auch immer der Alte vorhatte, es schien ihm eine diebische Freude zu bereiten. Für ihn selbst konnte das nichts Gutes bedeuten.

»Welche Königreiche grenzen direkt an das Heilige Römische Reich Deutscher Nation?«

»Das ist leicht«, gab Anton zurück. »Diese Frage hätte ich bereits beantworten können, bevor ich meine Arbeit hier begonnen habe.«

»Dann tue es bitte.«

»Es sind die Königreiche Ungarn, Polen, Dänemark, Frankreich und England. Außerdem die Republik Venedig, der Kirchenstadt Rom, das Mittelmeer und die Nord- und Ostsee.«

»Sehr gut. Wie wird es regiert?«

»Zunächst einmal durch den römisch-deutschen Kaiser. Dann haben wir die Kurfürsten, die Reichsfürsten und die Reichsgrafen.«

»Vergiss die Reichsritter nicht.«

»Die höchsten Instanzen sind der Reichshofrat und das Reichskammergericht, wobei letzteres durch die Spannungen im Reich praktisch nicht mehr handlungsfähig ist.« Anton wunderte sich darüber, wie einfach die Fragen waren, die sein Lehrmeister ihm stellte. Was sollte diese Prüfung?

»Wie ist die politische Lage außerhalb des Reiches?«

»Es gibt Konflikte zwischen den Königreichen Frankreich und Spanien, welche durch den dynastischen Gegensatz zwischen den Habsburgern und dem französischen König entstanden sind. Außerdem besteht derzeit ein Waffenstillstand zwischen Spanien und den Niederlanden, der in etwa drei Jahren ausläuft. Die Königreiche Dänemark und Schweden streiten um die Herrschaft über die Ostsee.«

Anton beobachtete Zeidler genau. Nichts an der Miene des alten Mannes verriet aber, ob er mit den Antworten seines Schützlings zufrieden war oder nicht.

»Kommen wir zur Situation im Reich«, sagte Zeidler. »Was hat es mit der Protestantischen Union auf sich und wann wurde sie gegründet?«

»Weil die Protestanten ihre Interessen vom Kaiser und den Institutionen des Reiches nicht in gebührendem Maße vertreten sahen, gründeten sie am 14. Mai 1608 in Auhausen die Protestantische Union. Insgesamt schlossen sich acht Fürsten und siebzehn Städte zusammen. Einer der Hauptwortführer war Christian von Anhalt, der vom Kurfürsten der Pfalz, Friedrich dem IV., bevollmächtigt ist. Seit 1610 bestimmt er als Kanzler auch offiziell die kurpfälzische Außenpolitik.«

»Wie reagierten die Habsburger auf diesen Bund?«

»Unter der Federführung von Maximilian dem I. von Bayern wurde am 10. Juli 1609 in München die katholische Liga als Defensivbündnis gegen die Protestantische Union gegründet. Ihr traten fast alle katholischen Fürstentümer und Stände bei.«

Wilhelm Zeidler setzte seine Befragung noch über drei Stunden fort. Auch wenn Anton fast jede der geforderten Antworten nennen konnte, geriet er allmählich ins Schwitzen. Hatte er Zeidler in den ersten Wochen seiner Tätigkeit einen Grund geliefert, ihn auf die Probe zu stellen? War am Ende vielleicht sogar seine Anstellung im Schloss in Gefahr?

»Hol uns etwas zu trinken«, sagte Zeidler schließlich und lächelte seinen Schüler an.

»Wir haben noch Wasser hier.« Anton hatte mit der nächsten Frage gerechnet. Die Aufforderung seines Lehrmeisters kam für ihn völlig überraschend.

»Ich habe von Wein gesprochen.«

Anton beeilte sich nun, Zeidlers Auftrag auszuführen. Auch wenn er noch immer nicht so recht verstand, was heute in den Alten gefahren war, sah er es als positives Zeichen an, dass er mit seinem Schüler ein Glas Wein trinken wollte. Dabei war es noch nicht einmal Mittag. Seitdem Anton gemeinsam mit Zeidler in der Bibliothek tätig war, hatte der sich allenfalls einmal ein Gläschen am Abend gegönnt. Und selbst das konnte Anton an den Fingern einer Hand abzählen.

Auf dem Weg in die Küche zerbrach er sich weiter den Kopf darüber, was das Besondere an diesem Tag sein konnte. Gestern war der Alte noch völlig normal gewesen. Am heutigen Morgen war es zum ersten Mal vorgekommen, dass Zeidler nach seinem Schüler in die Bibliothek gekommen war. Irgendetwas musste vorher geschehen sein.

Als Anton mit dem Wein zurückkehrte, saß Zeidler in einem Sessel und tat so, als würde er in einem Buch lesen. Sein Schüler wusste aber ganz genau, dass die Augen seines Lehrmeisters inzwischen viel zu schlecht waren, als dass er bei dem dämmrigen Licht im Raum auch nur einen Buchstaben erkennen konnte. Wenn der Alte las, hatte er immer mindestens eine Kerze brennen und hielt sich die Schrift direkt vor das Gesicht.

Anton stellte die Gläser auf dem Tisch ab und füllte sie mit Wein. Dann setzte er sich wieder auf seinen Platz und wartete auf Zeidlers Reaktion. Der ließ seinen Schützling noch einen Moment schmoren und erhob dann sein Glas.

»Heute gibt es einen Grund für uns beide, miteinander anzustoßen.«

Sag mir endlich, was du wirklich von mir willst, dachte Anton, der die Spannung nicht mehr lange würde ertragen können. Dennoch wagte er es nicht, seinen Lehrmeister zu drängen und sah ihn nur erwartungsvoll an.

»Ich hatte heute Morgen bereits ein Gespräch mit König Ferdinand«, sagte Zeidler nach einer Weile.

»Um was ging es dabei?«, fragte Anton, der noch nicht verstand, was das mit den vielen Fragen zu tun hatte, die ihm sein Lehrmeister heute gestellt hatte.

»Er wird in einer Woche nach Pressburg reisen und dort am 01. Tag im Monat Juli zum König von Ungarn gekrönt werden. Er hat den Kaiser gebeten, ihm während seiner Reise einen Schreiber zur Verfügung zu stellen.«

»Das bedeutet, ich werde alleine in der Bibliothek sein«, stellte Anton fest. Insgeheim war er enttäuscht. Warum machte der Alte so ein Theater, wenn es nur darum ging, dass Anton alleine in der Bibliothek bleiben und für den Kaiser bereitstehen sollte.

»Du hast mich nicht verstanden.«

»Dann erklärt mir bitte, was Ihr mir sagen wollt.«

»Ich bin zu alt für eine solche Reise. Meine Augen werden von Tag zu Tag schlechter und meine Knochen beginnen bereits zu schmerzen, wenn ich nur an die lange Fahrt in der Kutsche denke.«

Endlich verstand Anton die Richtung, in die das Gespräch mit seinem Lehrmeister lief. »Ich soll König Ferdinand nach Pressburg begleiten?«

»So ist es. Ich habe dir deshalb heute so viele Fragen gestellt, weil ich wissen wollte, ob du dieser Aufgabe gewachsen bist.«

Antons Herz machte einen Sprung und er spürte den Stolz in seiner Brust. Er konnte es kaum glauben. Seit seinem ersten Tag in der kaiserlichen Bibliothek hatte er immer mehr den Eindruck gewonnen, es seinem Lehrmeister in nichts recht machen zu können. Jetzt sollte er den König von Böhmen als Schreiber nach Ungarn begleiten, wo der die Krone erhalten sollte. Antons Gedanken überschlugen sich. Die Reise würde seine bisher größte Bewährungsprobe darstellen. Man musste kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass Ferdinand irgendwann auch Kaiser über das Heilige Römische Reich Deutscher Nation werden würde. Wenn sich Anton in Ungarn bewährte, würde er sein Vertrauen gewinnen und auf eine dauerhafte Anstellung am Kaiserhof hoffen dürfen. Dann musste er sich niemals wieder Gedanken um seine Zukunft machen und hätte ausgesorgt.

»Wie entscheidest du dich? Wirst du das Angebot annehmen?«

»Natürlich werde ich das!«, antwortete Anton aufgeregt. »Es wäre eine Dummheit, es nicht zu tun.«

»Das wäre es zweifellos«, stimmte Zeidler lächelnd zu. »Bevor du nach Pressburg aufbrichst, werde ich dich noch vieles über das Königreich Ungarn lehren. Heute gebe ich dir aber den Rest des Tages frei. Das hast du dir redlich verdient.«

»Ich bin Euch sehr dankbar.« Zum ersten Mal zeigte Zeidler menschliche Züge. Anton hatte immer gehofft, dass sich hinter der rauen Schale seines Meisters ein weicher Kern befand. Heute hatte er die Bestätigung dafür bekommen. Er begann, den alten Griesgram zu mögen. »Darf ich in die Stadt gehen und meine Eltern besuchen?«

»Heute steht dir frei zu tun, was auch immer du willst. Denk aber daran, dass du mit niemandem über die Dinge sprechen darfst, die du am Kaiserhof erfährst. Auch über deine Fahrt nach Pressburg wirst du schweigen.«

»Selbstverständlich werde ich das.«

Anton war mehr als erleichtert, als er die Bibliothek verließ und zum Ausgang des Schlosses ging. Bei der Prüfung hatte er es mehrfach mit der Angst zu tun bekommen und nie erwartet, dass sich der weitere Tag so für ihn entwickeln würde. Jetzt freute er sich darauf, nach über drei Wochen seine Eltern wiederzusehen. Sicher machten auch die sich Sorgen um ihren Sohn und würden erleichtert sein, wenn er sie einmal besuchen kam.

Der Dreißigjährige Krieg Band 1-3: Der Winterkönig / Der tolle Halberstädter / Der Hexenbrenner

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