Читать книгу Der Dreißigjährige Krieg Band 1-3: Der Winterkönig / Der tolle Halberstädter / Der Hexenbrenner - Jörg Olbrich - Страница 18
ОглавлениеBöhmen, 04. Juli 1618
»Es wird uns nichts anderes übrigbleiben, als zu laufen«, beantwortete Philipp Magdalenas Frage, wie sie nun nach Prag kommen sollten.
»Das wird mindestens drei Tage dauern.«
»Dennoch haben wir keine andere Wahl. Wir haben nicht die Mittel, neue Pferde zu kaufen. Und selbst wenn, woher sollten wir sie bekommen?«
»Du hast Recht«, gab Magdalena zu, wirkte dabei aber alles andere als glücklich. »Lass uns gleich losgehen.«
Nachdem sie am Abend zuvor das Verschwinden ihrer Pferde bemerkt hatten, waren sie zum ehemaligen Gasthaus von Magdalenas Eltern gegangen und hatten dort die Nacht im Freien verbracht. Dank der sommerlichen Temperaturen war es nicht schlimm gewesen, draußen zu schlafen. Viel mehr Sorgen machte es Philipp, dass sie den Räubern in die Arme laufen könnten, welche die Pferde gestohlen hatten. Es konnte jederzeit sein, dass sie auf Diebe oder anderes lichtscheues Gesindel trafen. Philipp war kein Soldat und hatte einem möglichen Angriff nichts entgegenzusetzen.
Zunächst hatten sie zum Handelsweg gehen wollen, der sie direkt nach Prag führen würde. Beide waren sich aber schnell einig geworden, dass die dort lauernden Gefahren zu groß waren. Der Umweg würde Zeit kosten, ihnen aber vielleicht das Leben retten.
An einem Apfelbaum füllten sie sich ihre Taschen mit Obst, damit sie den Tag über zumindest etwas Essbares dabei hatten. Am Abend wollten sie sehen, ob sie in einem der Dörfer eine Mahlzeit bekamen. Geld hatten sie genug, wenn sie aber niemanden fanden, der ihnen etwas verkaufte, würde ihnen das nicht viel nützen. Philipp hoffte, dass es nicht überall im Reich zu solchen Zerstörungen gekommen war wie in Magdalenas Heimatort.
Im Laufe des Tages wurde es immer wärmer. Obwohl Magdalena und Philipp sich beeilen wollten, ihr Ziel zu erreichen, machten sie in der Mittagshitze unter ein paar Bäumen an einem einsamen Waldsee Halt. Magdalena lehnte Philipps Vorschlag, sich in dem kalten Wasser zu erfrischen, ab und hing stattdessen ihren trübseligen Gedanken nach. Der Sekretär gab sich alle Mühe, seine Begleiterin aufzumuntern, doch all seine Versuche, ein Gespräch zu beginnen, liefen ins Leere. Schließlich gab er es auf und nutzte die Zeit, um ein bisschen zu schlafen. Der Tag würde noch anstrengend genug werden.
Plötzlich schreckte Philipp aus dem Schlaf. Irgendetwas hatte sich verändert und ihn geweckt. Er setzte sich auf und hörte die Stimmen, die von der anderen Seite des Sees zu ihnen hinüberhallten. Auch Magdalena war aufmerksam geworden und blickte in die Richtung. Langsam kamen die Stimmen näher.
»Können das die Männer sein, die unsere Pferde geraubt haben?«, fragte sie leise.
»Wenn es so ist, sollten wir uns verstecken. Ich glaube nicht, dass es gut wäre, ihnen in die Arme zu laufen.«
»Aber wo sollen wir so schnell hin? Sie kommen immer näher.«
»Auf den Baum.« Philipp reagierte sofort. Es wunderte ihn selbst, wie ruhig er in dieser Situation war.
»Was?« Magdalena sah Philipp entsetzt an, schien aber genau verstanden zu haben, welchen Vorschlag er gemacht hatte.
»Wir müssen klettern. Und zwar schnell!« Philipp verlieh seinen Worten Nachdruck, indem er Magdalena sanft aber bestimmt auf den Baum zuschob. Dann half er seiner Gefährtin dabei, sich die ersten Äste der dicken Eiche hochzuhangeln. Er folgte ihr, so schnell er konnte. Als sie etwa zehn Meter über dem Boden waren, suchten sie sich einen sicheren Halt und schauten nach unten.
»Das ist Irrsinn«, flüsterte Magdalena und blickte Philipp ängstlich an.
»Wir müssen nur leise sein, dann entdecken sie uns nicht. Vielleicht erfahren wir sogar mehr darüber, was in der Gegend los ist.«
»Wenn sie uns sehen, bringen sie uns um.«
»Das wird nicht passieren!«
Ihre Hoffnung, dass die Männer schnell verschwinden würden, erfüllte sich nicht. Ganz im Gegenteil entschieden sie sich für den gleichen Rastplatz, an dem auch Philipp und Magdalena der Mittagssonne entkommen waren. Insgesamt waren sie zu fünft und hatten sieben Pferde dabei. Zwei davon kannten Magdalena und Philipp nur zu gut. Die Hoffnung, sich die Tiere von den Räubern zurückholen zu können, war allerdings mehr als gering. Wenn sie entdeckt wurden, würden die Männer sie wohl kaum am Leben lassen. Daran, was sie mit der jungen Frau anstellen konnten, bevor sie sie töteten, wollte Philipp gar nicht erst denken.
Die Fremden waren allesamt muskulös und rochen nach Gewalt. Alle waren bärtig und trugen ihre verfilzten Haare lang. Keiner der Männer sah aus, als würde er allzu großen Wert auf die Pflege seines Körpers legen. Dafür waren die Schwerter und Musketen, die sie bei sich trugen, in einem tadellosen Zustand. Philipp vermutete, dass es sich um Söldner handelte.
»Wir warten, bis es etwas kühler wird«, sagte einer der Männer in befehlsgewohnten Ton. »Dann reiten wir weiter. Ich will Prag noch heute erreichen. Graf von Thurn zahlt gut und wir werden ein leichtes Leben haben!«
»Zumindest, bis er uns in den Krieg führt«, warf einer der anderen Männer trocken ein.
»Ich glaube nicht, dass das passiert. Und selbst wenn, dann werden uns die Kämpfe zu großem Reichtum führen! Bisher wurden wir als Plünderer gejagt und geächtet. Jetzt brauchen uns die hohen Herren. Vertraut mir. Für uns sind durch den Aufstand der Protestanten bessere Zeiten angebrochen!«
Diese Ansprache des Anführers bestätigte, was Philipp schon lange vermutete: Von Thurn rüstete zum Krieg und es war ihm dabei völlig egal, ob das Volk unter den zahlreichen Räubern und Mördern litt, die sich unter seinen Soldaten befanden. Die Männer wollten keine friedliche Lösung. Philipp hätte gerne mehr erfahren, doch die Söldner machten es sich auf dem Boden bequem und genossen schweigend den Schatten.
Magdalena hatte jegliche Gesichtsfarbe verloren und in ihren Augen funkelte die Angst. Philipp warf ihr einen beruhigenden Blick zu. Auch er selbst wünschte sich, dass die Horde sich schnell wieder zum Aufbruch bereitmachte. Sein Körper begann, in der unbequemen Lage zu schmerzen. Dennoch blieb auch die Neugierde und er hoffte, dass er noch mehr von den Männern erfahren würde.
Dabei konnten sie nur froh sein, unter dem Blätterdach des Baumes einen Schutz vor den brennenden Sonnenstrahlen gefunden zu haben.
***
Philipp hatte die Stunden nicht gezählt, die er mit Magdalena auf dem Baum zugebracht hatte, aber sie kamen ihm vor wie eine Ewigkeit. Die Räuber unter ihnen hatten es alles andere als eilig und warteten ab, bis es fast Abend war. Zu ihrem Leidwesen blieben immer mindestens zwei der Männer wach, so dass sie es nicht wagen konnten, ihr Versteck zu verlassen und einen Fluchtversuch zu unternehmen. Eine Möglichkeit, an ihre Pferde zu gelangen, fanden sie erst recht nicht. Beide hatten Hunger, trauten sich aber nicht in einen knackigen Apfel zu beißen, aus Angst, die Geräusche könnten sie verraten. Noch schlimmer war der Durst.
»Wir müssen von dem Baum runter«, sagte Philipp, als die Männer endlich verschwunden und außer Hörweite waren.
»Ich kann nicht«, gab Magdalena schwach zurück. »Wenn ich mich bewege, tut alles weh. Ich habe keine Kraft mehr in den Beinen.«
»Mir geht es genauso. Hierbleiben können wir aber nicht. Wir müssen uns zusammenreißen.« Durch die langen Stunden im Baum, in denen sich die beiden nicht bewegt hatten, hatten sie ihre Muskeln völlig überansprucht. Jede noch so kleine Bewegung schmerzte entsetzlich – vor allem in den Beinen. Philipp streckte den Fuß aus, um einen Ast unter sich zu erreichen, und stöhnte auf.
»Wenn ich versuche, mich zu bewegen, falle ich herunter«, sagte Magdalena verzweifelt und sah Philipp mit schmerzverzerrtem Gesicht an.
»Lockere deine Beine«, antwortete Philipp. Er selbst versuchte, sich so auf einen Ast zu setzen, dass er die Füße frei bewegen konnte. Dann zog er die Beine an und strecke sie wieder aus. Trotz der Schmerzen, die sich dabei von den Zehen bis zum Oberschenkel zogen, machte er so lange weiter, bis er wieder genug Gefühl in den Muskeln hatte, um mit dem Abstieg zu beginnen. Magdalena tat es ihm gleich. Sie schrie mehrfach vor Schmerzen auf, zwang sich aber ebenfalls nicht aufzugeben.
Als sich beide stark genug fühlten, den Weg nach unten anzutreten, kletterte Philipp als Erster in die Tiefe. Endlich spürte er den Boden unter seinem Fuß und ließ sich einfach fallen. Wenige Sekunden später landete Magdalena auf ihm und stieß ihm dabei den Ellenbogen in den Bauch. Für einen Moment blieb Philipp die Luft weg. Stöhnend schob er seine Gefährtin von sich herunter und hielt sich mit verkrümmtem Körper den Magen.
Beide blieben mit schmerzenden Gliedern auf dem Boden liegen und waren froh, diesen Alptraum überstanden zu haben. Sollten die Räuber jetzt zurückkehren, würden sie nicht den Hauch einer Chance haben, sich gegen die Männer zu wehren.
Doch niemand näherte sich dem See und es begann schließlich zu dämmern.
»Wir müssen weiter«, sagte Philipp, obwohl er selbst am liebsten einfach die ganze Nacht unter dem Baum liegengeblieben wäre. Er stand auf und bereute dies in dem Moment, als er seine Beine mit seinem Körpergewicht belastete. Aus den Augenwinkeln sah er, dass Magdalena ähnliche Probleme hatte, wie er selbst. Die ersten Schritte waren die Hölle. Die beiden stützen sich gegenseitig und schafften es so langsam Meter für Meter zurückzulegen. Je weiter sie gingen, umso einfacher fiel ihnen das Laufen. Die Schmerzen allerdings blieben und begleiteten sie, bis sie tief in der Nacht bei einem einsamen Gehöft ankamen.
»Es ist alles dunkel. Glaubst du, es ist jemand im Haus?« Magdalena sah Philipp aus ängstlichen Augen an.
»Das denke ich schon. Die Bewohner könnten uns allerdings angreifen, wenn wir sie jetzt wecken. Lass uns in die Scheune gehen und dort übernachten. Wenn wir früh genug verschwinden, merkt keiner, dass wir überhaupt da waren.«
***
Philipp und Magdalena standen mit den ersten Sonnenstrahlen auf und verließen die Scheune. Weil sie das Gefühl hatten, kurz vor dem Verhungern zu stehen, klopften sie an die Tür des Haupthauses.
»Wo in Gottes Namen kommt ihr denn her?«, fragte die ältere Frau misstrauisch, die ihnen die Tür öffnete und sie kritisch von oben bis unten betrachtete. Philipp vermutete, dass er die Bäuerin des Hofes vor sich hatte. Ihre Haare waren hinter dem Kopftuch zu einem Knoten gebunden und sie trug eine saubere, weiße Schürze.
»Unser Dorf wurde niedergebrannt«, antwortete Magdalena mit trauriger Stimme, verschwieg aber die Tatsache, dass der Vorfall bereits mehrere Wochen her war.
Sofort änderte sich der Blick der Bäuerin und wurde sanfter. »Kommt erst einmal herein. Ihr seht aus, als könntet ihr eine warme Brühe vertragen!«
Philipp und Magdalena nahmen die Einladung dankbar an und folgten der Frau ins Innere. Dort saß ein grauhaariger Mann in einem Sessel und blickte ihnen mürrisch entgegen.
»Wir haben Besuch, Josef«, sagte die Alte und forderte ihre Gäste auf, sich an einen Tisch zu setzen.
»Sag ihnen, dass es hier nichts zu holen gibt«, erwiderte der Alte. »Wir haben selbst nicht genug.«
»Für eine warme Mahlzeit wird es reichen«, widersprach die Frau unbeirrt und wandte sich dann wieder ihren Gästen zu. »Ihr müsst meinem Ehemann verzeihen. Seitdem sein Körper zu schwach ist, die Felder zu bestellen, ist er sehr griesgrämig geworden. Ihr seid aber natürlich willkommen. Ich werde eine Suppe zubereiten, damit ihr etwas in den Magen bekommt.«
»Habt ihr keine Kinder, die auf dem Hof helfen können?«, fragte Philipp neugierig.
»Wir haben zwei Söhne. Beide sind vor zwei Wochen nach Prag aufgebrochen, um sich Graf von Thurn anzuschließen. Ich habe sie angefleht, ihren Vater und mich nicht alleine zu lassen. Sie wollten aber nicht hören. Die Verlockung von Reichtum und Ruhm war einfach zu groß.«
»Und sonst ist niemand da, der euch hilft?«
»Nein. Wir haben nicht genug Geld, um einen Knecht anzustellen. Ich werde versuchen, wenigstens einen kleinen Teil der Felder zu bestellen. Dann werden wir schon nicht verhungern.«
Philipp konnte sich gut vorstellen, dass Josef nicht sehr glücklich darüber war, seine Söhne an das Heer des Grafen zu verlieren. Kein Wunder, dass der Mann nicht gut auf Fremde zu sprechen war.
Während sich sein Weib um das Essen kümmerte, ignorierte Josef seine Gäste und sah schweigend aus dem Fenster. Philipp und Magdalena war es ganz recht, dass er ihnen keine weiteren Fragen stellte. Philipp beschloss, den beiden einen Taler für ihre Gastfreundschaft zu geben. Vielleicht würde das die Laune des Alten verbessern und er wäre bereit, ihnen zu berichten, ob es in der Gegend ähnliche Vorfälle wie in Magdalenas Heimatort gegeben hatte.
Tatsächlich wurde Josef redselig, als der Taler in seiner Jackentasche verschwunden war. Während seine Gäste aßen, berichtete er davon, dass viele junge Männer aufgebrochen waren, um in der böhmischen Armee ihr Land zu verteidigen. Angriffe auf die Bauern habe es aber nicht gegeben, sah man von ein paar herumziehenden Räubern ab. Ohne das Jesuitenkloster in der Nähe wären vielleicht auch der Gasthof von Magdalenas Eltern und das Dorf verschont geblieben.
Philipp und Magdalena bedankten sich bei ihren Gastgebern und setzten ihren Weg dann fort. Beide bedauerten es, dass die Alten keine Pferde hatten, die sie ihnen hätten abkaufen können. So blieb ihnen nichts anderes übrig, als weiterhin zu Fuß zu gehen.
Am nächsten Tag erreichten sie Prag. Unterwegs kreuzten zwei Mal kleinere Gruppen von Landsknechten ihren Weg. Bevor sie aber entdeckt wurden, gelang es Magdalena und Philipp sich zu verstecken. In der Stadt gingen sie sofort zum Anwesen der Familie von Lobkowitz, um zu berichten, was sie seit ihrer Abreise erlebt hatten.
***
»Das ist ja furchtbar«, sagte Polyxena von Lobkowitz, nachdem Philipp und Magdalena ihr und ihrem Gatten alles erzählt hatten. »Du armes Ding! Es muss schrecklich gewesen sein, deine Heimat so verwüstet vorzufinden. Wenn ich etwas für dich tun kann, scheue dich nicht, es mir zu sagen.«
»Ja, es war schlimm«, sagte Magdalena und begann zu weinen, woraufhin sie Polyxena tröstend in den Arm nahm. Alles, was Magdalena in den letzten Tagen hatte zurückhalten können, brach nun aus ihr heraus.
»Wir hatten Glück, dass uns die Räuber nicht in die Hände bekommen haben!« Noch jetzt durchlief Philipp ein eisiger Schauer, als er an die vielen Stunden dachte, in denen sie auf dem Baum gesessen hatten.
»Das hattet ihr allerdings«, sagte Diepold von Lobkowitz. »Ich kann es nicht fassen, dass von Thurn seine Truppen derartig im Land wüten lässt.«
»Gab es denn noch mehr Dörfer, die angegriffen wurden?«, fragte Philipp.
»Mir sind zumindest noch keine Vorfälle diesen Ausmaßes zu Ohren gekommen. Bisher wurde lediglich von kleineren Übergriffen auf die Bevölkerung berichtet, was allerdings auch schon schlimm genug ist!«
»Die Pferde werde ich Euch natürlich ersetzen«, sagte Philipp demütig.
»Nichts wirst du!«, entgegnete Diepold. »Ich werde mir die Tiere bei von Thurn persönlich zurückholen. Gleich morgen werde ich ihn zur Rede stellen. Bei allem Verständnis für die Verfechter des protestantischen Glaubens, die Söldner sind eindeutig zu weit gegangen.«
»Ja, das sind sie«, sagte Philipp. »Einige der Dorfbewohner wurden regelrecht abgeschlachtet.« Bei den letzten Worten hatte sich seine Stimme in ein kaum zu verstehendes Krächzen verwandeln. Jetzt, wo sie in Sicherheit waren, spürte Philipp, wie der Druck von ihm abfiel und sich stattdessen das Entsetzen über die schrecklichen Ereignisse in seinem Körper ausbreitete.
»Ich denke, dass ihr ab jetzt besser in Prag bleiben solltet«, sagte Polyxena nach einer Weile bitter. »Außerhalb der Stadtmauern ist es viel zu gefährlich geworden.«
»Wo soll das nur hinführen?«, sagte Magdalena, die noch immer Tränen in den Augen hatte.
»Wenn von Thurn und das Direktorium nicht zur Vernunft kommen, lässt sich ein Krieg nicht mehr lange vermeiden«, antwortete der Hausherr. »Noch ist Ferdinand der böhmische König. Er wird nicht zusehen, wie sein Volk niedergemetzelt wird. Schon gar nicht, wenn hauptsächlich Katholiken den Tod finden!«
»Wenn er aber seine Truppen schickt, sterben noch mehr Menschen«, sagte Magdalena.
»Dennoch wird er es tun. Irgendwann wird Ferdinand Kaiser sein. Er kann nicht zulassen, dass Böhmen sich vom Römischen Kaiserreich Deutscher Nation trennt, wenn er nicht will, dass es ihnen die Adeligen in anderen Reichen gleichtun. Wenn es in Ungarn und Österreich zu weiteren Aufständen kommt, werden die Habsburger deutlich an Macht verlieren.«
»Was sollen wir jetzt tun?«, fragte Magdalena.
»Ihr beide unternehmt gar nichts«, antwortete Polyxena entschieden. »Ihr solltet euch besser aus der Politik heraushalten. Mein Gatte wird mit von Thurn sprechen.«
Damit war alles Wichtige besprochen, und Philipp blieb nichts anderes übrig, als sich auf den Weg zu seiner Kammer zu machen. Er wäre gerne bei Magdalena geblieben, der anzusehen war, wie sehr ihr die letzten Tage zugesetzt hatten. Dies würde Polyxena jedoch nicht zulassen.
***
»Wie könnt Ihr es zulassen, dass Eure Männer das böhmische Volk abschlachten?«
Matthias von Thurn sah Diepold von Lobkowitz überrascht an, als dieser mit hochrotem Gesicht in sein Amtszimmer gestürmt kam.
»Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht.«
»Von dem Dorf, das Eure Mannen dem Erdboden gleichgemacht haben!«
»Das war ein bedauerlicher Zwischenfall.« Die Überraschung in von Thurns Gesicht wich einem gelangweilten Ausdruck.
»Das waren unschuldige Menschen!«, rief von Lobkowitz nun ob der Gleichgültigkeit seines Gegenübers noch erboster aus.
»Im Krieg gibt es manchmal Opfer zu beklagen.« Von Thurn verstand den Ärger des Grafen durchaus, wollte ihm gegenüber allerdings nicht zugeben, dass die Soldaten es zu weit getrieben hatten.
»Wir haben keinen Krieg!«, schrie von Lobkowitz voller Zorn.
»Noch nicht. Glaubt Ihr aber wirklich, dass Ferdinand uns in Frieden lassen wird?«
»Wenn Ihr ihn weiter herausfordert, sicher nicht!«
»Ihr dürft nicht vergessen, wer sich gegen den Majestätsbrief gestellt und damit für den Unfrieden in Prag gesorgt hat«, sagte von Thurn.
»Sicher nicht die armen Bauern, die Euren Mannen zum Opfer gefallen sind!«
»Der Angriff war gegen Jesuiten gerichtet. Die sind alles andere als unschuldig.«
»Es waren Mönche, die in Frieden lebten.«
»Nein, von Lobkowitz. Es waren Männer, die neben ihrer Religion keinen anderen Glauben duldeten.«
»Das gibt Euch nicht das Recht, sie zu töten. Wenn Ihr der Meinung seid, dass katholische Mönche es nicht wert sind, friedlich in unserem Reich leben zu dürfen, seid Ihr es, der gegen das Recht der Glaubensfreiheit verstößt.«
»Wagt es nicht, mich zurechtweisen zu wollen!«, sagte von Thurn nun auch aufgebracht. »Habt Ihr etwa vergessen, dass wir Euer eigenes Leben geschont haben? Ihr solltet Euch nicht gegen die neue Macht in Prag stellen, wenn ihr weiter in dieser Stadt leben wollt!«
»Mehr habt Ihr zu den Vorfällen also nicht zu sagen?«
»Nein«, antwortete von Thurn. Er hatte die Männer, die den Angriff vorgenommen hatten, bereits für ihr Verhalten gerügt und ihnen klargemacht, dass das böhmische Volk in Frieden gelassen werden müsse. Das würde er von Lobkowitz aber nicht sagen. Noch brauchte er ihn und vor allem seine Gattin, deren Einfluss auch ihm selbst schaden konnte. Auf keinen Fall aber würde er sich von den katholischen Adeligen vorschreiben lassen, was er zu tun hatte. Diese Zeiten waren ein für alle Mal vorbei!
»Woher wisst Ihr überhaupt von den Vorfällen?«
»Ich habe meine Informanten«, antwortete von Lobkowitz ausweichend. »Diese hatten großes Glück, dass sie den Räubern nicht in die Hände gefallen sind. Außerdem wurden ihnen zwei Pferde gestohlen. Ich erwarte, dass Ihr die Tiere noch heute zu meinem Haus bringen lasst.«
»Ich werde mich darum kümmern«, sagte von Thurn, der bereit war, dieses Zugeständnis zu machen, um weiteren Ärger zu vermeiden. Er nahm sich vor, in den nächsten Tagen ein sehr scharfes Auge auf Polyxena von Lobkowitz und ihren Gatten zu werfen. Unterschätzen durfte er die beiden auf keinen Fall. Das Letzte, was er gebrauchen konnte, war eine Revolte gegen das neu gegründete Direktorium. Diese würde er um jeden Preis verhindern – notfalls mit Gewalt.