Читать книгу Der Dreißigjährige Krieg Band 1-3: Der Winterkönig / Der tolle Halberstädter / Der Hexenbrenner - Jörg Olbrich - Страница 22
ОглавлениеWien, 28. August 1618
Eintrag in die kaiserliche Chronik des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation:
Ein Bote des Papstes hat bestätigt, dass Kardinal Klesl über Innsbruck nach Rom verschleppt wurde und dort in der Engelsburg in Haft sitzt.
Die Lage zwischen dem Kaiser und dem Direktorium in Prag verhärtet sich weiter.
Der Spanier Karl Bonaventura Graf von Buquoy hat sich als Feldherr über die kaiserlichen Truppen in Marsch gesetzt und ist auf dem Weg nach Böhmen.
Unterdessen ist Graf Ernst von Mansfeld mit 2000 Mannen in Böhmen angekommen, um den Ständen zu dienen. Er hat sich anno 1608 im Elsässischen Krieg in Erzherzog Leopolds Diensten als Kriegsobrist bewährt. Da er dort keine Beförderung erfuhr, hat er seine Religion beiseite gestellt und sich auf die protestantische Seite geschlagen. Die Stände halten die böhmischen Grenzen besetzt, um ein Eindringen der kaiserlichen Armee zu verhindern.
»Wenn du so weitermachst, wirst du es als Schreiber am Kaiserhof weit bringen«, sagte Zeidler und nickte Anton anerkennend zu.
»Ich habe den besten Lehrmeister«, erwiderte Anton, der Zeidler nicht zeigen wollte, wie sehr er sich über dessen Lob freute.
»Du brauchst mir nicht zu schmeicheln. Ich weiß selbst, dass meine Jahre bald gezählt sind. Du hast das Zeug dazu, mir ein würdiger Nachfolger zu werden.«
Anton war überrascht. In den vielen Wochen, in denen er nun in der Bibliothek des Kaiserhofs tätig war, hatte er noch nicht viele lobende Worte von seinem Meister gehört. Offensichtlich schien der aber mit seiner Arbeit sehr zufrieden zu sein. Das erfüllte Anton mit Stolz.
Zeidler nahm einen Schluck Wasser und wollte gerade zu einem seiner Vorträge ansetzen, als er plötzlich nach Luft schnappte.
»Was ist mit Euch?«, fragte Anton entsetzt und sprang auf.
»Ich bekomme keine Luft«, keuchte er.
Anton bekam es mit der Angst zu tun, als er sah, wie sein Lehrmeister immer mehr Probleme mit der Atmung bekam. Er packte ihn unter den Schultern und zog ihn samt Stuhl zum Fenster, welches er sofort weit aufriss. Danach riss er Zeidler die Robe vom Hals, damit die ihm die Luft nicht zusätzlich abschnürte.
»Wasser«, ächzte Zeidler. »Bring mir Wasser.«
Anton rannte zurück an den Tisch, an dem er gerade noch mit seinem Lehrmeister gesessen hatte, und nahm dessen Glas in die Hand.
Kann es an dem Wasser liegen? Der Alte hat erst einen Schluck davon getrunken, schoss es Anton durch den Kopf. Er war ratlos. Es war erst wenige Minuten her, dass ihnen eine Magd einen neuen Krug gebracht hatte. Anton selbst trank nach dem Essen lieber Wein und überließ das Wasser daher Zeidler. Vroni wusste das, weil sie die beiden in den letzten Wochen öfters bedient hatte. Konnte sie etwas damit zu tun haben, dass es Zeidler mit einem Mal so schlecht ging? Zuzutrauen wäre es dem Weib gewesen, zumal sie Anton bereits auf den Gesundheitszustand des Alten angesprochen hatte. Wenn sein Verdacht richtig war, würde Zeidler es nicht überleben, wenn er den ganzen Becher trank.
Anton lief zurück zu seinem Lehrmeister und stellte erleichtert fest, dass dessen Atmung gleichmäßiger geworden war. »Ich hole neues Wasser«, sagte er und rannte los.
Als Anton wenige Minuten später zu Zeidler zurückkehrte, war der so blass wie Mehl. Schwach nahm er seinem Schüler den Becher mit Wasser ab und trank in langsamen Schlucken.
»Ich bringe Euch in Euer Zimmer«, sagte Anton, nachdem sein Lehrmeister sich soweit erholt hatte, dass er seine Umgebung wieder deutlicher wahrnahm.
»Das wird nicht nötig sein. Es geht mir bereits viel besser.« Der Schreiber klang immer noch schwach und außer Atem.
»Dieses eine Mal werdet Ihr tun, was ich Euch sage!«
Nachdem Anton Zeidler in sein Bett gelegt und sein Kissen so gerichtet hatte, dass sein Lehrmeister bequem lag und gut Luft bekam, zog er sich einen Stuhl heran und setzte sich neben ihn.
»Was soll das werden?«
»Ich bleibe hier.«
»Behandle mich nicht wie einen kleinen Jungen. Ich hatte einen Schwächeanfall. Es geht mir wieder gut.«
Das glaubst du doch selbst nicht. Ich werde nicht zulassen, dass du aufstehst, sobald ich das Zimmer verlassen habe.
»Ich bleibe hier, bis Ihr Euch vollständig erholt habt. Wenn Euch das lieber ist, kann ich aber auch einen Heiler holen.«
»Wage es ja nicht.«
Anton musste sich ein Grinsen verkneifen. Er wusste, wie wenig der Alte von der Heilkunst hielt. Er würde sich nur mit Hilfe von Gewalt untersuchen lassen. Auch wenn es Zeidler inzwischen tatsächlich etwas besser zu gehen schien, war Anton alles andere als beruhigt. Der Gedanke, dass das Wasser vergiftet gewesen sein konnte, brannte sich fest in seinem Gehirn ein. Gott sei Dank hatte Zeidler nicht viel davon getrunken!
Es dauerte nur wenige Minuten, bis der Alte erschöpft einschlief. Anton beobachtete den Mann und wurde sich zum ersten Mal richtig bewusst, dass sein Lehrmeister wohl tatsächlich nicht mehr lange leben würde. Er war schwächer, als Anton es erwartet hatte. Dass er kaum noch etwas sehen konnte, war nur eines der Zeichen dafür.
***
Als er am nächsten Morgen erwachte, spürte Anton die Schmerzen in seinem Nacken. Er sah sich um und stellte fest, dass er die Nacht in Zeidlers Zimmer verbracht hatte. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ihm einfiel, warum dies so war. Dann sprang er auf, als hätte ihn jemand mit der Heugabel gestochen.
Was ist mit dem Alten?
Anton sah erleichtert, dass sein Lehrmeister ruhig schlief, und lächelte zufrieden, als er die Schnarchlaute hörte.
Es geht ihm also tatsächlich besser.
Ein Blick aus dem Fenster verriet Anton, dass es noch sehr früh am Morgen war. Die Dämmerung hatte gerade erst begonnen. Er dachte darüber nach, was er jetzt am besten tun sollte. Natürlich konnte er warten, bis Zeidler erwachte. Es wäre dem Alten allerdings sicher nicht recht, seinen Schüler an seinem Bett vorzufinden. Wenn er stattdessen einfach verschwand, würde sein Lehrmeister nicht merken, dass er die ganze Nacht bei ihm gewesen war.
Anton entschloss sich also, in sein eigenes Zimmer zu gehen. Auf halbem Weg dorthin änderte er jedoch seinen Plan. Ich werde nachsehen, ob ich dieses teuflische Weibsstück in der Küche finde. Sie ist mir einige Antworten schuldig!
Kurz bevor er den Kellerbereich erreichte, traf Anton auf eine der Mägde. Er wusste, dass sie sich mit Vroni ein Zimmer teilte, und sie würde ihm sicher sagen können, ob die schon in der Küche war.
»Sie schläft sicher noch«, sagte die Magd, als Anton sie nach Vroni fragte. »Was willst du denn von ihr?«
»Das ist nicht so wichtig. Ich wollte ihr nur ein paar Fragen stellen.«
»So früh am Morgen?«
»Ich konnte nicht mehr schlafen«, log Anton. Er musste der jungen Frau ja nicht alles erzählen. »Wann beginnt sie ihre Arbeit denn?«
»Vroni hat heute frei. Wenn es etwas Wichtiges ist, werdet Ihr wohl mit mir vorliebnehmen müssen.«
»Ist schon recht«, entgegnete Anton. »Die Sache hat Zeit. Sicher werde ich sie in den nächsten Tagen mal treffen.«
Er konnte der Magd ansehen, dass sie ihm seine Ausreden nicht so recht glauben wollte. Sicher würde sie sich irgendeinen Schmarrn zusammenreimen und damit den Tratsch unter den Weibern in Gang setzen. Das war Anton allerdings in diesem Moment egal. Er wusste, wo Vroni ihr Zimmer hatte. Sicher war sie dort jetzt alleine. Sie würde ihm nicht ausweichen können.
***
»Anton«, rief Vroni erfreut, als er in die kleine Kammer der Dienstmägde trat. »Du musst es aber sehr nötig haben, wenn du extra hierher zu mir kommst.«
»Red nicht so dumm daher! Deswegen bin ich nicht hier. Was hast du mit Zeidler gemacht?«
»Was ist denn mit ihm?«
»Tu nicht so, als wüsstest du nicht, was passiert ist!«
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
Das weißt du verlogene Hexe sehr gut! Anton kochte vor Wut. »Zeidler hatte einen Anfall und wäre gestern Abend beinahe gestorben!«
»Das tut mir sehr leid. Geht es ihm besser?«
Du scheinheiliges Luder.
Vroni setzte sich auf, und Anton konnte sehen, dass sie unbekleidet geschlafen hatte. Das teuflische Weib schien nicht das geringste Schamgefühl zu besitzen. Heute schaffte es Anton jedoch mühelos, den Blick von Vronis Brüsten abzuwenden und sah ihr zornig ins Gesicht.
»Zeidler hat vergiftetes Wasser getrunken. Zum Glück nur einen kleinen Schluck. Er bekam keine Luft mehr, ich habe ihn aber retten können.«
»Ich habe euch den Wasserkrug nicht gebracht.«
»Von einem Krug habe ich nichts gesagt.«
»Ihr bekommt immer einen Krug.«
Da hast du sogar recht. Trotzdem glaube ich dir kein Wort.
»Es tut mir leid, was geschehen ist. Zeidler ist ein alter Mann und du hast selbst gesagt, dass er krank ist. Woher willst du wissen, dass das Wasser vergiftet war? Er kann auch einen normalen Anfall gehabt haben.«
»Bist du sicher, dass du nichts damit zu tun hast?«
»Würdest du mir eine derartig schändliche Tat wirklich zutrauen?«
Das und noch viel Schlimmeres. »Schwöre mir, dass du Zeidler nicht vergiften wolltest.«
»Ich schwöre es.«
Anton glaubte Vroni noch immer nicht, konnte ihr aber auch nicht beweisen, dass sie etwas mit Zeidlers Anfall zu tun hatte. Er würde in Zukunft ein sehr wachsames Auge auf das Weibsstück haben müssen.
»Willst du nicht zu mir ins Bett kommen?«, fragte Vroni mit rauchiger Stimme und zog die Decke noch ein Stück weiter herunter.
»Um Gottes Willen – nein! Glaubst du wirklich, dass mir nach dieser Nacht der Sinn danach steht?«
»Ich könnte dich auf andere Gedanken bringen«, hauchte sie verführerisch.
Das würde dir so passen. »Nein. Auch in den nächsten Tagen werden wir uns nicht treffen.«
»Wieso denn nicht?« Vroni setzte ein schnippische Miene auf und zog die Decke vor ihre Brust.
»Weil ich im Moment andere Sorgen habe. Und komm mir jetzt nicht mit irgendwelchen Drohungen. Ich werde mich nicht weiter von dir unter Druck setzen lassen!«
Anton wartete Vronis Antwort nicht ab und verließ hastig den Raum. Zum ersten Mal war es ihm gelungen, sich ihren Reizen zu widersetzen und standhaft zu bleiben. Vielleicht gelang es ihm doch noch, dieses Weib loszuwerden, das ihn zweifellos verhext haben musste.